aus: Lohoff, Ernst; Trenkle, Norbert; Wölflingseder Maria; Lewed, Karl-Heinz (Hg): Dead Men Working. Gebrauchsanweisungen zur Arbeits- und Sozialkritik in Zeiten kapitalistischen Amoklaufs, Münster 2004, S. 285 – 298
(hier in der stark überarbeiteten und erweiterten Version von 2007)
Repressive Toleranz und ihre Grenzen
Ernst Lohoff
Die moderne westliche Gesellschaft feiert sich gewohnheitsmäßig als Hort von Toleranz und Freiheit und das moderne Warensubjekt behauptet gerne von sich, es kenne keine Tabus. Näher besehen erweist sich die vermeintliche Vorurteilsfreiheit des modernen Warensubjekts indes als bloße Schmerzunempfindlichkeit und als Resultat einer mimetische Anpassung an einen Zustand konsequenter Entmündigung. Diese Gesellschaft konditioniert ihre Mitglieder darauf, dass die Entscheidung über den Inhalt des gesellschaftlichen Reichtums und die Ausgestaltung des sozialen Zusammenhangs nicht ihrer bewussten Verständigung obliegt, sondern einer anonymen Instanz, dem Markt. Ob Senf oder Waschpulver, ob sexuelle Präferenzen oder politische Meinungen, das Marktgängige ist das Richtige und das Unverkäufliche das Falsche. Offen und vorurteilsfrei geht das moderne Warensubjekt nur insofern durchs Leben als es die Stellung des Marktes als einzig legitime Anerkennungsinstanz verinnerlicht hat und sich ihm gesellschaftliche Beziehungen immer schon in Angebots- und Nachfragerelationen übersetzen.
Ihre Identifizierung mit der vorbehaltlosen Unterwerfung unter die Macht von Ware und Markt kennzeichnet die herrschende Toleranz aber nicht nur als „repressive Toleranz“ (Herbert Marcuse) Dieser innere Zusammenhang bestimmt gleichzeitig deren Grenzen und den Umschlagspunkt, an dem der alles verdauende Stumpfsinn des Warensubjekts blankem Hass Platz macht. In einer Gesellschaft, in der Verkäuflichkeit das alles entscheidende Kriterium ist, gilt eines prinzipiell als unannehmbar und asozial: die Weigerung die eigene Haut zu Markte zu tragen und mangelnde Disziplin bei der Selbstzurichtung zur Ware. In dieser Hinsicht zeigt sich der sonst so coole Warenverstand ausgesprochen humorlos und sieht angesichts jeder Widerborstigkeit sofort rot: Wer kein Geld hat, Wer kein Geld hat, mit dem er arbeiten lässt, hat selbst zu arbeiten oder zumindest seine unbedingte Arbeitsbereitschaft unter Beweis zu stellen, oder sein Existenzrecht ist verwirkt. Die erlittene Zumutung, sich permanent als „Humankapital“ zuzurichten, findet ihr Ventil in einer permanenten Mobilmachung gegen alles, was sich diesem Zwang nicht bedingungslos fügen könnte.
Dieser Geist „repressiver Toleranz“ durchweht die politische Sphäre. Mehrheitsfähig sind heute vornehmlich virtuose Eklektiker, die sich allzeit „undogmatisch“, „lernfähig“ und nach allen Seiten hin „dialogbereit“ zeigen. In der Politik können aber nur deshalb alle mit allen über alles reden, weil außer Zweifel steht, was das Ziel aller gesellschaftlichen Ziele ist, nämlich: „Arbeit, Arbeit, Arbeit“.
Man gibt sich offen, weil es immer nur um Umsetzungsfragen geht, darum, wie die unter dem Label „Modernisierung“ und „Beschäftigung“ verkauften ökonomischen Imperative durchzusetzen sind, während das Ob und Warum immer schon außer Frage steht.
Wer sich an diese Geschäftsordnung nicht hält und die Zwangsorientierung auf Akkumulation und Beschäftigung selbst zum Thema macht, erfährt sehr schnell die Grenzen der offiziell allzeit beschworenen Diskussionsbereitschaft. Wirtschaftswachstum und Arbeit sind heute mindestens so sakrosankt wie im Mittelalter die heilige Dreifaltigkeit. Auch die Warengesellschaft hat ihr Tabu, an das niemand rühren darf, ohne dass sich die ach so Aufgeklärten sofort als regelrechte Gotteskrieger entpuppen.
Wer das Kapital loswerden will, muss die Arbeit loswerden
1999 trat die Gruppe „Krisis“ mit einem „Manifest gegen die Arbeit“ an die Öffentlichkeit. Schon der Titel verrät, dass die Publikation Anstoß erregen sollte. Wo alle politischen Richtungen sich im Schrei nach Arbeit einig sind, erklärt das Manifest das Gut der Güter zum Grundübel und die versprochene Erneuerung der arbeitsgesellschaftlichen Perspektive im Zeichen von New Economy, Dienstleistungskapitalismus und Arbeitskraftunternehmertum als veritable Drohung.
Den Verfassern ging es indes um mehr als eine gezielte Provokation. Die ebenso groteske wie allgegenwärtige Arbeitsideologie verweist unmittelbar auf den Kern kapitalistischer Zurichtung. Mit der Attacke auf die Arbeit soll die Grundlage und der schwache Punkt der warengesellschaftlichen Ordnung bloßgelegt werden. Der Arbeitszwang und der positive Bezug auf ihn spielt die Schlüsselrolle bei der Abrichtung der Menschen zu Warensubjekten.
Bei der Kritik der Arbeit und dem Gedanken ihrer Aufhebung handelt es sich um weit mehr als eine polemische Überspitzung. Beides ist durchaus wörtlich zu nehmen. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass sich heute eine theoretische konsistente und auf der Höhe der Zeit befindliche Kapitalismuskritik überhaupt nur noch als konsequente Arbeitskritik formulieren lässt.
Der Versuch, Kapitalismuskritik mit einer radikalen Kritik der Arbeit neu zu begründen, hebt sich sehr deutlich vom überlieferten Antikapitalismus ab. Im Soziologenjargon würde man wohl von einem „Paradigmenwechsel“ sprechen.
Das traditionelle linke Verständnis deutete Arbeit und Kapital als einander feindliche Prinzipien, und ihre Beziehung als absoluten Gegensatz. Die Arbeit galt ihm als eine „ewige Naturnotwendigkeit“, die nur äußerlich vom Kapital überformt und für den Zweck der Profitproduktion missbraucht wird. Die Kritik der Arbeit hebt auf einen anderen Zusammenhang ab. Die Kategorien Arbeit und Kapital bezeichnen einen relativen Gegensatz, einen Gegensatz innerhalb des gleichen gesellschaftlichen Verhältnisses. Sie stehen für zwei Seiten der gleichen Ordnung, betrachten dasselbe gesellschaftliche Verhältnis, nur von zwei verschiedenen Seiten her. Arbeit kann grundsätzlich gar nichts anderes sein als die spezifisch kapitalistische Tätigkeitsform. Das Kapital wiederum stellt „geronnene Arbeit“ dar.
Die Identität von Arbeit und Kapital ist nicht bloß im Sinne der vom Marxismus aus der klassischen Nationalökonomie übernommenen „objektiven Wertlehre“ zu verstehen, derzufolge die Arbeit die „Substanz“ des Werts und damit die einzige Quelle von Wertschöpfung bildet. Sie reicht wesentlich tiefer. All das, was kapitalistische Herrschaft ausmacht, ist bereits der Kategorie Arbeit eigen.
Wer das Hohe Lied der Arbeit anstimmt, hat damit begrifflich bereits die Gleichgültigkeit der Verwertungsbewegung gegenüber ihrem stofflichen Inhalt und den Selbstzweckcharakter der kapitalistischen Produktion akzeptiert. Außerdem lässt sich die Melodie letztlich nicht intonieren, ohne die gesellschaftliche Sphärentrennung als Selbstverständlichkeit zu behandeln und implizit alle nicht direkt in die kapitalistische Verwertung integrierbaren Tätigkeitsbereiche abzuwerten. Insbesondere eine begrifflich stringente Kritik patriarchaler Strukturen ist von daher nur als Kritik der Arbeit und nicht auf der Grundlage eines positiven Arbeitsbegriffs formulierbar. Weil der arbeitskritische Zugang es erlaubt, diese Dimensionen von Kapitalismuskritik in Beziehung zueinander zu setzen und viel prägnanter zu fassen, als es die marxistischen Termini konnten, ist dieser Neukonzeption der Vorzug gegenüber traditionellen antikapitalistischen Vorstellungen zu geben.
Die Arbeit und ihr Inhalt
Der Prozess der Wertverwertung kann nicht vonstatten gehen, „tote Arbeit“ (Kapital) kann nicht aufgehäuft werden, ohne dass sie die Gestalt irgendwelcher Gebrauchswerte annimmt. Der kapitalistische Verwertungsprozess verfügt aber über keinerlei Sensorium für seine eigene stoffliche Seite. Solange sich Arbeitsprodukte mit Gewinn verkaufen lassen, besteht kein Unterschied zwischen Kampfflugzeugen, Rheumapflastern oder Blumentöpfen. Als austauschbare Darstellungsformen abstrakter Arbeit und damit als Waren sind sie gesellschaftlich ein und dasselbe. Diese Nivellierung wird der Arbeit aber nicht erst von außen, durch die profitgierigen Kapitalisten aufoktroyiert, sondern ist vielmehr bereits der Kategorie Arbeit selber eigen.
Was ihren sinnlichen Gehalt betrifft, haben der Unterricht von Kindern, die Produktion von Giftgas, die Darstellung künstlerischer Leistungen vor zahlendem Publikum und der Bau von Möbeln nicht das Geringste miteinander gemein. Konzentriert man sich auf das, was getan wird, und sieht konsequent von der gesellschaftlichen Form ab, in der es getan wird, löst sich die Abstraktion Arbeit gleich doppelt auf. Es lässt sich einerseits kein allgemeines Merkmal angeben, das die Artverwandtschaft all der Aktivitäten begründen könnte, die als Arbeit gelten. Andererseits ist vom Standpunkt einer rein stofflichen Betrachtungsweise genauso wenig zu erklären, warum ein und dieselbe Tätigkeit – beispielsweise das Singen von Liedern oder die Züchtung von Blumen – einmal als Arbeit gilt, dann wieder als Hobby, je nachdem, ob sie dem Geldverdienen dient oder nicht. Ohne die Subsumtion unter die gleiche gesellschaftliche Zwangsform des Sich-Verkaufens existiert demnach zwar eine breite Palette unterschiedlicher Reichtum schaffender konkreter Tätigkeiten, aber keine allgemeine Tätigkeitsform namens Arbeit. Sie ist das Produkt einer das gesamte gesellschaftliche Gefüge bestimmende Zwangsreduktion von Reichtum und Reichtumserzeugung auf Warenproduktion. Die vorkapitalistischen Gesellschaften sind denn auch nie auf die seltsame Idee verfallen, die Tätigkeit von Sklaven und Freien, von Priestern und Seefahrern unter eine gemeinsame Kategorie zu zwingen.
In allen europäischen Sprachen bezeichneten die Wörter, die heute für Arbeit stehen, ursprünglich entweder nur das Dasein der sozial Abhängigen oder ganz allgemein Not und Leid, jedenfalls keine Allgemeinheit gesellschaftlich anerkannter Tätigkeit. Eine nachkapitalistische Gesellschaft hätte genauso wenig Grund, an einem solchen Prinzip festzuhalten.
Arbeit ist Selbstzwecktätigkeit
Kapitalistische Produktion zeichnet sich durch ihren Selbstzweckcharakter aus. Die Erzeugung von Gütern zieht ihre Daseinsberechtigung nicht daraus, dass sie Mittel zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse bereitstellen würde. Produziert wird vielmehr um der Produktion willen, und die Bedürfnisse sind umgekehrt der Verwertung wegen da. Sie haben Abzugskanäle für die Warenströme zu öffnen. Für soziale Bedürfnisse, die sich mit bloßem Warenkonsum nicht abspeisen lassen, ist in dieser so reichen Gesellschaft dementsprechend kein Platz. Den übrigen kommt wiederum nur ein Existenzrecht zu, soweit sie sich in zahlungskräftige Nachfrage übersetzen und damit dem kapitalistischen Reproduktionskreislauf unterordnen lassen.
Die traditionelle marxistische Kapitalismuskritik konnte nicht das Hohelied der Arbeit singen, ohne die absurde Verkehrung von Mittel und Zweck de facto zu übernehmen. Die Erhebung der Arbeit zum Kerninhalt des menschlichen Daseins bedeutet ebenso das Lob des produktivistischen Selbstzwecks wie das Ja zum kapitalistischen Wirtschaftswachstum.
Spätestens der ökologische Protest hat aufs Tapet gebracht, dass der Zwang, die Welt unter Fabrikationsstätten und Warenlawinen zu begraben, sehr viel mit Zerstörung und Unterwerfung und nichts mit Emanzipation zu tun hat. Solange Antikapitalismus im Bannkreis eines positiven Bezugs auf Arbeit gefangen bleibt, lässt sich der produktivistische Irrsinn aber nur als eine von der eigentlichen Kapitalismuskritik getrennte Frage interpretieren und damit missverstehen. Die konservative Konsumkritik hat diese Leerstelle besetzt und es sogar fertiggebracht, den Ekel vorm Gebrauchswert der Waren gegen den antikapitalistischen Impuls zu mobilisieren.
Eine als Kritik der Arbeit reformulierte Kapitalismusanalyse nimmt das Bedürfnis- und Gebrauchswertelend mit ins Blickfeld. Sie behandelt es als genuinen Bestandteil einer in sich kohärenten Gesamtkritik der Selbstzweckbewegung des Werts. Die Kritik der Arbeit zeigt auf, wie grotesk und zynisch es ist, den produktivistischen Wahn mit überschießender Bedürfnisbefriedigung gleichzusetzen, um ihm irgendeine Verzichtsideologie entgegenzuhalten. Vielmehr gehören Akkumulationszwang, das rigide Abschneiden menschlicher Potenziale und die Reduktion menschlichen Bedürfnisreichtums zusammen.
Die Kritik der Arbeit hebt zugleich schon begrifflich darauf ab, dass es eben nicht allein darum geht, die abstrakte, wertsetzende Arbeit für sich aus der Welt zu schaffen. Auch die konkrete Arbeit, die Art und Weise, in der das Kapital die Naturaneignung organisiert, muss zur Disposition stehen. Die Arbeit überhaupt, also konkrete und abstrakte Arbeit, ist aufzuheben, weil die konkrete Arbeit als Arbeit von vornherein gar nichts anderes sein kann als der sinnlich-empirische Niederschlag eines übergreifenden Abstraktionsprozesses.
Arbeiten macht arm
Ihre Apologeten feiern die Arbeit als die entfesselte menschliche Schaffenskraft und den Kapitalismus als die Gesellschaft, in der Fleiß, Tüchtigkeit und Effizienz den ihnen gebührenden Rang gefunden haben. Und tatsächlich, die Indienstnahme der sinnlichen Reichtumsproduktion durch die große Arbeits- und Verwertungsmaschine lässt sich als Verfleißigungsprozess beschreiben. Allerdings ist der nicht positiv zu werten, sondern als Verarmungsbewegung, als Auslöschung sinnlicher Qualitäten.
Der sinnliche Reichtum vorkapitalistischen Gesellschaften setzte sich aus den Resultaten uneinheitlicher produktiver Tätigkeiten zusammen, die jeweils wesentlich von Naturrhythmen, Tradition und den Eigentümlichkeiten des umzuformenden Naturstoffs angepasst waren. Das Kapital zerstörte diese Ordnung, um an ihre Stelle die Allgegenwart der immergleichen, azyklisch-linearen Tätigkeitsform der Arbeit zu setzen. Die Verfleißigung mag zu einer Intensivierung der Beziehung des Arbeitenden zu seinem Arbeitsgegenstand führen und sinnliche, die Persönlichkeitsentfaltung anregende Qualitäten haben; allerdings allein in dem Sinne wie Folteropfer eine ausgesprochen intensive Erfahrungen mit ihrem Körper und den peinigenden Instrumenten machen. Arbeit, als Tätigkeit, die permanent an sich selber sparen und die eingesetzte Zeit pro Einzelprodukt, pro Arbeitsvorgang um jeden Preis minimieren muss – nichts anderes heißt Effizienz – kennt die Eigenheiten des zu bearbeitenden Gegenstandes nur als den beständigen Arbeitsfluss hemmendes Hindernis. Auch das biologische Erholungsbedürfnis des Menschen und seine Neigung, zwischen Aktivität und Muße zu wechseln, erscheint vom Standpunkt der Arbeit, des kontinuierlich nimmermüden Anstrengens, als bloße Störquelle, die es so weit wie irgend möglich auszuschalten gilt. Das kennzeichnet die Arbeit als permanenten Zweifrontenkrieg. Sowohl seiner eigenen Sinnlichkeit als auch den sinnlichen Qualität seines Arbeitsgegenstandes steht der Arbeitende in der Arbeit wie einem Feind gegenüber, der nur existieren darf, so er sein Eigenleben aufgegeben hat und bloße Ressource geworden ist.
Arbeit ist patriarchal
Bei der Arbeit handelt es sich um eine verarmte Form von Tätigwerden, um Entäußerung statt um die Aneignung von sinnlichen Reichtum. Gerade aufgrund dieses Defizits ist sie nicht in der Lage, tatsächlich sämtliche Bereiche der gesellschaftlichen Reproduktion zu erfassen. Die Herrschaft der Arbeit ist ohne einen umfänglichen Sektor von „Schattentätigkeiten“ gar nicht denkbar, die sich ihrem Inhalt nach nur bedingt oder gar nicht in die azyklisch-lineare Verausgabung von Muskel, Nerv und Hirn übersetzen lassen und sich der Organisation als Erwerbsquelle sperren. Keine Gesellschaft kann existieren, ohne dass Kinder betreut werden und ohne dass Menschen für sich und andere die tägliche Reproduktion erledigen. Die Adelung der Arbeit zur einzig gültigen gesellschaftlichen Tätigkeitsform fällt mit der Abwertung dieser Tätigkeiten zusammen, die zugleich strukturell „weiblich“ eingeschrieben und in der Regel den Frauen zugewiesen werden. Sie mögen so unverzichtbar sein wie die Luft zum Atmen, da nicht an die qualitätslose Qualität aus Geld mehr Geld zu machen gekoppelt, werden sie zur inferioren „Privatsache“ degradiert und bleiben größtenteils unsichtbar. Solange die menschliche Existenz und die Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum nichts anderes sein können und dürfen als ein Abfallprodukt der Wertverwertung in der großen Arbeitsmühle sind diese „weiblichen“ Tätigkeiten strukturell bloß stille Voraussetzung kapitalistischer Reproduktion. Weder rhetorische Muttertagsblumen noch gut gemeinte Definitionsübungen, die darauf beharren, dass Arbeit eigentlich mehr sein sollte als Erwerbsarbeit und auch die Hausarbeit umfasst, schaffen diesen Umstand aus der Welt.
Arbeit heißt Sphärentrennung
Das herrschende Bewusstsein ist darauf konditioniert, die historischen spezifischen Verrücktheiten der Warengesellschaft zur ewigen Naturbedingung zu erklären und sie in die Vergangenheit und die Zukunft zu projizieren. Bei der Arbeit gelingt das dem Alltagsverstand und seinen theoretischen Fürsprechern in fast schon klassischer Manier. Offiziell will er in ihr nur ein unschuldiges Synonym für den „Stoffwechselprozess des Menschen mit der Natur“ (Marx) sehen. Unter der Hand wird aber mit dem Begriff Arbeit immer schon die spezifische warengesellschaftliche Konstellation eingeführt und für unhintergehbar erklärt.
Wer von Arbeit spricht, drückt keineswegs nur die banale Tatsache aus, dass Menschen in jeder denkbaren Gesellschaft in irgendeiner Weise aktiv werden müssen, um die produktiven Potenzen zu entwickeln und zu realisieren. Der Terminus hat überhaupt nur einen Sinn, solange er im Kontrast zu anderen, entgegengesetzten Formen menschlicher Praxis steht, die dann unter Rubriken wie Freizeit, Hobby, freiwilliges Engagement, Familienleben usw. anderen, separierten (prä-) gesellschaftlichen Bereichen zuzurechnen sind.
Wäre alles Arbeit, dann wäre nichts mehr Arbeit und der Ausdruck hätte jede Bedeutung verloren. Indem die Arbeit in den Rang einer ewigen Naturnotwendigkeit erhoben wird, ist daher immer schon klammheimlich unterstellt, dass die Reichtumsproduktion sich als eine von allen anderen Lebensäußerungen fein säuberlich getrennte Form der Lebensentäußerung zu vollziehen hat und eine eigene, aus dem übrigen sozialen Zusammenhang herausabstrahierte Sphäre bildet.
Das mag dem Warensubjekt „natürlich“ erscheinen. Es ist daran gewöhnt, eine zerlegte Existenz zu führen und in den Privatmenschen, den Staatsbürger und den Arbeitshomunkulus zu zerfallen, der tagein, tagaus acht Stunden lang eine aus den sonstigen Lebensbezügen herausfallende und dementsprechend auf einen betriebswirtschaftlich-zweckrationalen Kern reduzierte Tätigkeit verrichtet. Genau diese schizophrene Struktur macht aber eines der ganz zentralen Momente des warengesellschaftlichen Terrors aus.
Die Abstraktion Arbeit ist bei der Beschreibung vorkapitalistischer Verhältnisse schlicht fehl am Platz. Wo das Wirtschaften wie in den traditionellen Gesellschaften in weitergehende soziale und herrschaftliche Zusammenhänge eingebunden war, konnte sich kein Sonderphänomen Arbeit ausbilden. Die Unterstellung, auch jede nachkapitalistische Gesellschaft müsste Arbeit kennen, ist aber fast noch gefährlicher als dieser Anachronismus. Sie hintertreibt den Gedanken der Aufhebung der Sphärentrennung – und ohne dieses Motiv kann es heute keine Strömung geben, die das Attribut antikapitalistisch zu Recht führen würde.
Der klassische marxistische Gedanke, eine künftige Gesellschaft zerfalle in ein „Reich der Freiheit“ und „ein Reich der Notwendigkeit“, schreibt, leicht verquast, die Aufspaltung unseres Dasein in entleerte Privatheit und Arbeitsschwachsinn für alle Zeiten fest. Dass auch eine befreite Gesellschaft nicht wie das Schlaraffenland aussehen kann und keineswegs jedes Moment materieller Notwendigkeit hinter sich lässt, ist eine Sache. Die Vorstellung, sie als ein abgesondertes Gegenreich organisieren zu wollen, ist etwas völlig anderes.
Antikapitalismus muss arbeitskritisch sein oder er wird nicht sein
Der Begriff Arbeit gehört gleichzeitig zwei Welten an. Er kann einerseits zusammen mit dem Wert als die abstrakteste und allgemeinste Kategorie der Kritik der Politischen Ökonomie gelten, schließlich bezeichnet er nichts anderes als dessen Tätigkeitsseite. Andererseits ist Arbeit millionenfach unmittelbare Alltagspraxis und -erfahrung. Mit der Entwicklung der letzten Jahre hat dieses Spannungsverhältnis noch eine zusätzliche Komponente gewonnen. Die Arbeitszumutung, der beständig verschärfte Zwang, sich zu verkaufen, steht im Mittelpunkt jenes sozialen Präventivkriegs, den heute die Hüter der herrschenden Ordnung angesichts der realen Krise der Arbeitsgesellschaft gegen das ihrem Zugriff ausgelieferte Menschenmaterial führen. Arbeit ist im Zeitalter von Dauerarbeitslosigkeit, neuem Arbeitskraftunternehmertum, amtlicher Zwangsarbeit sowie Billig- und Kombilohnkampagnen mehr denn je zum Kampfbegriff geworden.
Heute prägen Brutalisierung, Vereinzelung und Egomanie das soziale Klima und lassen das Projekt der Emanzipation als hoffnungslos überholt erscheinen. Diese Tendenz zur totalen, keine Grenzen mehr anerkennenden Konkurrenz hat aber nichts anderes zum Ausgangspunkt als die bedingungslose Unterwerfung unter die Arbeitsdiktatur. Eine antikapitalistische Strömung hat nur dann die Chance, noch einmal Ausstrahlungskraft zu gewinnen und offensiv zu werden, wenn sie das Arbeits- und Inwertsetzungsdiktat als Fokus begreift, an dem sich die Gewalt der herrschenden Vergesellschaftungsform bündelt, und dessen Kritik zu ihrem eigenen Brennpunkt macht. Solange die Linke theoretisch wie praktisch jedoch auf Tauchstation geht und es versäumt, sich auf das heute erreichte, nur als Amoklauf der heiligen Arbeit beschreibbare Widerspruchsniveau der Warengesellschaft zu orientieren, wird sie keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen. Im 21. Jahrhundert wird es entweder keinen Antikapitalismus mehr geben oder er wird die Kritik der Arbeit zum Fokus haben.
Repression und Emanzipation
Mehr als hundert Jahre lang zog Generation um Generation von Antikapitalisten im Namen der Arbeit gegen den Status quo zu Felde. Von wenigen, randständigen Positionen einmal abgesehen – man denke etwa an Paul Lafargues „Lob der Faulheit“ – identifizierten sowohl „Reformisten“ wie „Revolutionäre“ Befreiung beharrlich mit der Befreiung der Arbeit. Diese zähe Gleichsetzung war natürlich nicht einfach Ergebnis eines kollektiven Blackouts.
Vor allem zwei säkularen Trends verdankte das Missverständnis, das ein letztes Mal in der durch die 68er Bewegung eingeleiteten sozialdemokratischen Reformära geschichtsmächtig wurde, seine einstmalige Plausibilität. Zum einen ließ sich die Arbeit, solange sich das System der kapitalistischen Arbeitsverwertung auf einem historischen Expansionskurs befand, als soziales Integrationsprinzip verstehen. Der nur von ökonomischen Krisen zeitweilig unterbrochene Heißhunger nach zusätzlicher Arbeitskraft bot den Besitzern dieser Ware auf dem Boden der bestehenden Ordnung tatsächlich eine Perspektive.
Zum anderen konnte in der Auseinandersetzung mit älteren, aus der Frühgeschichte der Warengesellschaft stammenden personellen Autoritätsbeziehungen der emanzipatorische Impuls mit dem Systemimperativ interferieren, die traditionellen sozialen Schranken einzureißen und an ihre Stelle die versachlichten Beziehungen gleichberechtigter Waren- und Arbeitssubjekte zu setzen. Die sukzessive Zentrierung sozialer Herrschaft auf das Akkumulationsgebot und die Indienstnahme des Staates für den Selbstzweck der Wertverwertung wurde weniger als Zuspitzung und Totalisierung von versachlichter sozialer Kontrolle wahrgenommen denn unter dem Aspekt der Zurückdrängung sichtbarer, personaler Gewalt. Das „Gehäuse der Hörigkeit“ (Max Weber), das Menschen nur als Charaktermasken, als Arbeitsidioten, Rechtssubjekte, Staatsbürger usw. kennt und behandelt, konnte so als sein eigenes Gegenteil, als mühsam erkämpfter potenzieller Freiheitsgrad erscheinen.
Die antikapitalistischen Kämpfer hatten natürlich nie davon geträumt, die Fabrikherren in „Sozialpartner“ zu verwandeln und die hungernden proletarischen Massen in Proleten mit Eigenheim, Mercedes und Gewerkschaftsbuch. Indem sie sich darauf versteiften, für das kapitalistische Prinzip der Arbeit Partei zu ergreifen, konnte aber kaum etwas anderes am Ende ihrer heroischen Anstrengungen stehen.
Der Kampf gegen die Sonderinteressen der Bourgeoisie und für die Verbesserung der Lebensbedingungen der breiten Massen merzte an der herrschenden Ordnung nur aus, was anachronistisch, also gemessen an den Kriterien warengesellschaftlicher Rationalität kontraproduktiv geworden war.
Gegen seine eigene Intention funktionierte der antikapitalistische Protest damit selbst als Motor der Durchsetzung der Warenlogik. Dieser „Modernisierungserfolg“ wäre ohne ein überschießendes Moment, ohne die Entschlossenheit, mit der kapitalistischen Herrschaft Schluss zu machen, schwerlich zu haben gewesen.
Er war freilich auch gleichbedeutend mit dem sukzessiven Verlust dieses weitergehenden Impulses. Die paradoxe Vorstellung, man könne mit Ausbeutung und Herrschaft brechen und gleichzeitig die Arbeit hochleben lassen, hat sich als Jugendflause in der Geschichte der Warengesellschaft desavouiert. Es ist aber kein Zeichen von Altersweisheit, sondern von Altersschwachsinn, wenn daraus abgeleitet wird, man müsse den Gedanken der Emanzipation endlich in der Mottenkiste versenken. Anachronistisch ist nicht die Idee der Befreiung, sondern die Diktatur der Arbeit und noch mehr die Verknüpfung von Emanzipation und Arbeit.
Die Gemeinschaft der Arbeitenden
Arbeit bedeutet nicht nur die Zurichtung des jeweiligen Arbeitsgegenstandes, seine Unterwerfung unter die Gesetze der betriebswirtschaftlichen Rationalität und der Verwertbarkeit. Sie schließt immer auch die Selbstzurichtung des Arbeitssubjekts ein. Auch und gerade wenn das Arbeitssubjekt lernt, sich mit der ihm angetanen Gewalt zu identifizieren, hinterlässt diese repressive Erfahrung unweigerlich ihren Stachel. Das Trauma, der Arbeit unterworfen zu sein, verkehrt sich in die Ablehnung derer, die nicht dem Idealbild des allzeit arbeitsbereiten weißen Arbeitsmannes entsprechen wollen oder können. Wo die Ehre der Arbeit hochgehalten wird, gelten sie als minderwertig und führen eine Randexistenz.
Trotz aller Gleichheitsemphase klang diese Herabsetzungslogik auch in den Verlautbarungen des linken Flügels der großen Pro-Arbeits-Bewegung des 19. und 20. Jahrhunderts regelmäßig an – und oft genug kaum überhörbar. In erster Linie waren es aber die Rechten, die mit der dem Arbeitsethos inhärenten Inferioritätsdoktrin Ernst machten.
Diese Tendenz zum Ausschluss blieb während der Aufstiegsphase der Arbeitsgesellschaft Gegenmoment innerhalb einer großen historischen Inklusionsbewegung. Die gemeinsame Distanz zu den im Sinne der Arbeitsherrlichkeit „Minderwertigen“ stiftete ein stilles Einverständnis im Lager der Arbeit. Von der Identifikation mit dem arbeitsteiligen Prozess in den großen Fabriken war es nur ein kleiner Schritt zur Beschwörung der großen „Betriebsgemeinschaft“, und die ließ sich durchaus auch klassenübergreifend interpretieren.
Die konkurrierenden Ideologien der Epoche hatten in der Bruderschaft der Arbeit ihren gemeinsamen Nenner. Die sozialistische Variante der Arbeitsreligion setzte sich das Ziel, die als ewige und ursprüngliche Kraft missverstandene kapitalistische Tätigkeitsform von der vermeintlich usurpatorischen Macht der Ausbeuter zu befreien. Dementsprechend definierte sie die Klasse der „Werktätigen“ in entschiedener Frontstellung zum Kapital. Auf diese Herausforderung antworteten die rechten und liberalen Kontrahenten keineswegs damit, das Kapital als seinen eigenen Endzweck abzufeiern, sondern mit einer alternativen, klassenübergreifenden Bestimmung der „Gemeinschaft der Arbeit“. Die Legitimation kapitalistische Herrschaft bestand darin, die Funktionsträger des Kapitals selber als einen speziellen Arbeitertypus zu deklarieren, als jenen Teil der „Gemeinschaft der Arbeit“, dem die Aufgabe der Koordination und Organisation obliegt.
Deifizierung der Arbeit und Antisemitismus
Die Adelung des Kapitals zum ersten Diener der Arbeit war vor allem in ihrer rechten Variante an dessen projektive Aufspaltung gebunden. Das produktive Kapital erhielt den Nimbus das „Gute“ und konkret Sinnliche zu verkörpern, indem im Gegenzug das Zerstörerische und Abstrakte kapitalistischer Herrschaft einseitig dem Geld- und Finanzkapital zugeschrieben wurde. Von dieser Externalisierung der Schrecken des Kapitalismus, die das für die Konstruktion einer klassenübergreifenden Gemeinschaft der Arbeit unerlässliche Feindbild liefert, führt nur ein kleiner Schritt zur antisemitischen Personalisierung. Nicht nur in der nationalsozialistischen Weltanschauung verschmolz die phantasmagorische Trennung von „schaffendem und raffendem Kapital“ mit der Gegenüberstellung von heiliger „nationaler Arbeit“ und wurzellosem „jüdischen Geld“. Genauso wie Arbeitsreligion und rassistische Vorstellungen gut miteinander kompatibel sind, zeichnet diese auch eine tiefe Affinität zu antisemitischen Denkmustern aus. Singulär ist die deutsche Entwicklung allerdings insofern als das „Vaterland der Arbeit“ den Schritt von der ideologischen Perhorreszierung zur staatlich organisierten industriellen Vernichtungspraxis vollzog. Nur im Nationalsozialismus fand die totale Mobilmachung der nationalen Arbeit ihre Ergänzung im Aufbau pseudo-antikapitalistischer Alptraumfabriken, „Fabriken zur Vernichtung des Werts“ (Moishe Postone), in denen zusammen mit den realen jüdischen Opfern phantasmagorisch die von der idealisierten Arbeit abgetrennten Momente der Herrschaft des Abstrakten vergast und verbrannt werden sollten. Die Brüderschaft der „Arbeiter der Stirn“ und der „Arbeiter der Faust“ wurde mit dem Mord an jenen besiegelt, die vorher aus der Gemeinschaft der deutschen Arbeit herausdefiniert worden waren.
Die Shoah sprengt den Rahmen warengesellschaftlicher Funktionalität nicht allein aufgrund ihres irrationalen Zieles, sondern auch, weil sie das vertraute Verhältnis von Arbeit und Zerstörung auf den Kopf stellte. Während für gewöhnlich Zerstörung ein Begleitmoment der kapitalistischen Praxis ist und die Anhäufung von Profit das Ziel aller Ziele bildet, hat sich mit Auschwitz die Arbeit an der Vernichtung zum eigentlichen Inhalt verselbständigt. Dass Menschen massenhaft dazu gezwungen werden, sich zum Wohle der kapitalistischen Reichtumsproduktion zu Tode zu schuften, ist seit den Tagen der „ursprünglichen Akkumulation“ immer wieder vorgekommen. Im Genozid an den europäischen Juden funktionierte dagegen die reale Arbeitsvernutzung als bloßes Mittel, während die Auslöschung von Leben zum eigentlichen Zweck aufstieg. Die Möglichkeit dieser Verkehrung kündet von einem weit intimeren Verhältnis zwischen Arbeit und Tod als dem, das ein am Ausbeutungsparadigma orientierter Antikapitalismus unterstellt.
Zweierlei Entwertung der Ware Arbeitskraft
In der Geschichte der Arbeitsgesellschaft markieren die 1970er Jahre einen Wendepunkt. Mit dem Auslaufen des fordistischen Nachkriegsbooms ließ der Heißhunger der Verwertungsmaschine auf immer mehr Arbeitskraft nicht nur vorübergehend nach, im Gefolge der mikroelektronischen Revolution entwickelte das Kapital, so etwas wie strukturelle Appetitlosigkeit. Die säkulare Expansion der Arbeitsgesellschaft ging zu Ende und ihre Krise begann.
Für sich genommen ist die Entwertung der Ware Arbeitskraft kein unbekanntes Phänomen. Auch in den zyklischen Krisen der Vergangenheit war im Rahmen allgemeiner periodischer Kapitalvernichtung variables Kapital außer Kurs gesetzt worden. Man denke an die große Depression oder die Weltwirtschaftskrise. Im Zeichen des vielbeschworenen „jobless growth“ setzte nun aber ein zyklusübergreifender, gegenüber der allgemeinen Kapitalentwertung verselbständigter Prozess der Entwertung speziell der Ware Arbeitskraft ein. Damit verändert sich das Verhältnis von Entwertung und Inwertsetzung von Arbeitskraft grundlegend. Von der industriellen Revolution bis in die 1970er Jahre hinein hatte lang- und mittelfristig die Inwertsetzung von zusätzlichem Menschenmaterial gegenüber der Freisetzung von Arbeitskraft dominiert. In unserer Epoche wurde die Entwertung von Arbeitskraft zum übergreifenden, die historische Entwicklung bestimmenden Moment.
Diese Veränderung blieb für den sozialen Inhalt der Arbeitsdiktatur keineswegs folgenlos. Hatte die Herrschaft der Arbeit lange Zeit – zumindest in den Weltmarktzentren – als ein System repressiver Integration funktioniert, so nimmt das arbeitsgesellschaftliche Gefüge zunehmend den Charakter einer brutalen Exklusionsordnung an. Die viel beschworene Modernisierung der Gesellschaft, insbesondere der sogenannte „Umbau des Sozialstaats“ schafft hierzu den rechtlichen und institutionellen Rahmen. Selbst in den kapitalistischen Kernländern steht einem immer kleiner werdenden arbeitsgesellschaftlichen Kern ein wachsendes Heer Marginalisierter gegenüber, die gar keine oder nur prekäre Beschäftigung finden.
Vor allem in den Ländern des Euro-Raums nahm die neue, auf der großflächigen Beseitigung des Normalarbeitsverhältnisses beruhende arbeitsgesellschaftliche Ordnung verzögert Konturen. In Deutschland etwa leiteten den großen Dammbruch erst die „Arbeitsmarktreformen“ der Schröder-Regierung ein. In Frankreich steht der ganz große Prekarisierungsschub sogar noch aus. Viel schneller – und das weltweit – wandelte sich dagegen das gemeinsame Legitimationsverhältnis von Kapital und Arbeit. Schon der neoliberale Diskurs der 80er und 90er Jahre setzte gegenüber der fordistischen Vorstellungswelt einen Rollentausch durch. Hatte sich bis dahin das Kapital als Arbeit zu verkaufen, so muss sich seitdem die Arbeit als „Humankapital“ bewähren. Die Unternehmer firmieren nicht mehr als Arbeiter der etwas anderen Art, sondern umgekehrt die Besitzer der Ware Arbeitskraft als „Arbeitskraftunternehmer“.
Man sollte diese seltsamen Umwertung nicht nur als leeres Wortgeklingel abtun. Sie kündet auf verquere Weise durchaus von einschneidenden realen Veränderungen, nämlich vom Übergang zu einer konsequent entsolidarisierten und atomisierten Arbeitsgesellschaft und bereitete diesen mental vor. Wo der Lohn vom kollektiv ausgehandelten Preis einer Ware zum Profit eines isolierten Humankapitals mutiert, ist die extreme Aufspreizung des Gehaltsgefüges das Normalste der Welt und es gehört zum üblichen unternehmerischen Risiko, dass er auch schon mal ganz wegfallen kann.
Die Lohnarbeiter der fordistischen Ära lebten noch in einer Welt doppelt eingehegter Konkurrenz. Zum einen stiftete Kooperation im Produktionsprozess in Hinblick auf den Einzelbetrieb repressiv-paternalistische Gemeinschaft, zum anderen setzte die nationalökonomische Formatierung der Arbeitsgesellschaft der Konkurrenz Schranken. Die Leitfigur des moderne Humankapitalunternehmers steht dagegen für die direkte Subsumtion unter das Weltmarktdiktat und für die sukzessive Schwächung der Intermediärgewalten. (Gewerkschaften, Betriebsräte, Wohlfahrtsstaat).
Im Kontrast zur weltmarktunmittelbaren Apartheidsgesellschaft des 21. Jahrhunderts mag das verblichene fordistische Fabrikregime, mit seinem Dreiklang von Massenarbeit, Massenkonsum und sozialstaatlicher Absicherung fast schon wieder in einem milden Licht erscheinen. Und doch ist im Kampf gegen den Amokkapitalismus unserer Tage jede nostalgische Orientierung auf die Wiederherstellung der verlorenen Ehre der Arbeit fehl am Platz. Eine solche Zielsetzung wäre nicht nur ärmlich, sie läuft unter den gegebenen Rahmenbedingungen auf die vorauseilende Selbstentwaffnung der Opposition hinaus. Die Metamorphose der Arbeit von einem Prinzip repressiver gesellschaftlicher Integration zu einem Ausschluss- und Desintegrationsprinzip ist irreversibel. Eine Linke, die von einer Rückkehr zu weniger schlimmen Formen der Arbeitsknechtschaft träumt und diese verklärt, bleibt praktische zahn- und hilflos und gerät ideologisch in einen Graubereich, in der die Grenzen zu national-reaktionären Erklärungsmustern verschwimmen. Nicht die Wiederaufwertung der Arbeit gegenüber dem Kapital ist die adäquate Antwort auf den realen Entwertungsprozess, sondern eine Programm bewusster emanzipativer Entwertung des Allerheiligsten.