Georg Klaudas Buch zerstört das westliche Vorurteil über islamische Homosexuellenfeindschaft
Karl-Heinz Lewed
Nicht erst seit dem 11.9.2001 ist der Mythos vom totalitär-rückständigen Islam ein Lieblingsmotiv im Westen. Dass dieser in mittelalterlichen Strukturen befangen bleibe, zeige sich nicht zuletzt in der Unterdrückung von Frauen wie in seiner ausgeprägten Homophobie. Georg Klauda widerspricht mit seinem Buch „Die Vertreibung aus dem Serail“ dieser Einschätzung nachdrücklich. Seine historische Analyse von Schwulenfeindschaft in christlichen und muslimischen Gesellschaften macht deutlich, was diese Sichtweise immer nur ist: ein kulturalistisches Konstruktion, zur Entsorgung eigener gesellschaftlicher Widersprüche.
Laut Klauda entstehen homophobe Intoleranz und Repression in den islamischen Ländern erst im Prozess der Modernisierung: „Die Aussage, der Islam verdamme ‘die Homosexualität’, ist im höchsten Maße irreführend. Er bringt ein Konzept ins Spiel, das erst in der Zeit der europäischen Aufklärung relevant wurde: die Konstruktion eines devianten Begehrens, das zwei Personenklassen voneinander unterscheidet, eine ‘normal’ fühlende Mehrheit und eine sexuell ‘andersartige’ Minderheit“ (S.129).
Der theoretische Rahmen, in dem Klauda seine Untersuchung entfaltet, ist die Foucaultsche Analyse moderner Herrschaftspraktiken mit ihren sexuell-repressiven Mechanismen. In Anschluss daran unterzieht der Autor das traditionelle islamische Recht mit seinen vier bedeutenden Rechtsschulen (Hanafiten, Schafi’iten, Malikiten, Hanbaliten) einer eingehenden Analyse. Das Ergebnis ist einschneidend: die traditionelle Rechtsauffassung der Scharia war keineswegs homosexuellenfeindlich, ja diese enthielt noch nicht einmal den Begriff homosexuell oder etwas ähnliches: „Tatsächlich ergibt der Begriff der ‘Homosexualität’ im Horizont der heiligen Schrift des Islam gar keinen Sinn, weil er Denkweisen transportiert, die mit dem Verständnis, das vormoderne Gesellschaften sich von dieser Sache gemacht hatten, auf grundlegende Weise kollidiert. Traditionelle islamische Juristen gingen etwa von der Prämisse aus, dass die erotische Attraktion gegenüber dem eigenen Geschlecht ein natürliches Faktum ist, das dem Menschsein als solchem entspringt … Die islamischen Verbote richten sich daher im Horizont eines traditionellen Verständnisses gegen eine bestimmte Handlung, nicht aber gegen eine Art zu lieben oder gar einen bestimmten Typus von Person“ (S.51f.). Soweit nach dem islamischen Recht Liebesakte zwischen Männern unter Strafe standen, wurde diese durch das geltende Prozessrecht mehr als relativiert. Deshalb kann man auch nicht von einer systematischen Verfolgung gleichgeschlechtlicher Liebe sprechen. „So hat die Religion sich Jahrhunderte lang mit der Gesellschaft zu arrangieren gewusst, die bisweilen eine ganz andere Sittlichkeit pflegte, als die islamischen Rechtsnormen es auf den ersten Blick erahnen lassen“ (S.51).
Dies verweist auf eine ganz besonders hervorzuhebende, am historischen Material gewonnene Einsicht, die Klauda mit der „Vertreibung aus dem Serail“ gelungen ist: Nämlich den Wechsel, den die Scharia durch die Anwendung in der modernen Rechtsform erfahren hat. Weg vom Gewohnheitsrecht als rechtlicher Fixierung von Beziehungsgewohnheiten und tradierten Verhaltensweisen, hin zu einer modernen Form disziplinierenden Rechts im Rahmen moderner Rechtsverhältnisse. Die Gewalt gegen und die Unterdrückung von Homosexuellen ist somit nicht Ausfluss eines traditionell-archaischen Rechts, sondern im Gegenteil entsteht die „Formierung von Homosexualität als einer spezifizierenden Identitätskategorie“ (S.52) erst in der Durchsetzung moderner Verhältnisse in den islamischen Ländern. Die Transformation des Rechts stützt somit einen gesellschaftlichen Prozess, der Homosexualität identitär fixiert, um diese gleichzeitig der Repression auszusetzen.
Ein wichtiges Moment in Klaudas Untersuchung besteht darin, aufzuzeigen, wie gebrochen sich diese Entwicklung vollzogen hat und dass diese „Formierung“ keinesfalls als durchgehend zu bezeichnen ist. So lässt sich laut dem Autor die derzeitige Situation im Iran wie folgt kennzeichnen:
„Intime Freundschaftsbeziehungen sind trotz der Panik, die das islamische Regime um ‘die’ Homosexualität verbreitet, noch immer ein relativ fester und akzeptierter Bestandteil des iranischen Alltags“ (S.53).
Diese Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Beziehungen bedeutete und bedeutet aber gerade nicht, sich deshalb einer spezifischen Identität als Homosexueller zuordnen zu müssen. Klauda grenzt solche „Konzepte mann-männlicher Liebe“ (Klappentext) klar vom westlichen Homo/Hetero-Binarismus und dessen „Identitätsmodell“ (S.23) ab. Beim direkten Zusammentreffen dieser „Konzepte“ kann es mitunter zu skurrilen wie entlarvenden Reaktionen kommen, wie ein Bericht über den Einsatz der „Royal Marines“ 2002 in den afghanischen Bergen zeigt: „’Die abgehärtete Truppe, ihre Gesicher verdeckt von Tarn-Creme, und mit dem schweren Gewicht von Waffen … beladen, wurden mit Afghanen konfrontiert, die ihre Haare streicheln wollten.’ Corporal Paul Richard (20) wird mit den Worten zitiert: ‘Es war die Hölle. In jedem Dorf, in das wir gingen, kam eine Gruppe von Männern auf uns zu, die Make-up trugen, unsere Haare und Wangen streichelten und Kussgeräusche machten.’ Fruchterregender als die Al-Qaida bezeichnete gar der Marine James Flechter die afghanischen Männer. ‘Sie halten Händchen und trippeln so im Dorf herum’“ (S. 24). Auch wenn diese Schilderung einer knallharten Homo-Hetero-Zuordnung folgt, so belegt sie doch andererseits eindrücklich, wie haltlos der Vorwurf einer traditionell verwurzelten Homophobie „des Islam“ ist.
Trotz der nach wie vor in islamischen Ländern existierenden und auch akzeptierten Abweichung vom „westlichen Identitätsmodell“ gibt es auf der anderen Seite, so Klauda, doch „einen schleichenden Trend zur Auflösung dieser Akzeptanz“ (S.53) mit den entsprechenden irrationalen Verarbeitungsformen: „Die Transformation der erotischen Beziehungen unter Männern vom System der Freundschaft zu dem der Homosexualität verändert die eigene Lebenswelt auf bedrohliche Weise. Sie markiert den panischen Beginn einer Sortierung von Menschen nach ihrer geschlechtlichen Orientierung … Doch bleiben die Wirkungen dieses Prozesses, der sich auf der Ebene der transzendentalen Denkformen abspielt, dem praktischen Verstand … unbegreiflich. Ihm werden sie zu Machenschaften von ‘Teufelsanbetern’. Als finstre Hintermänner dienen dabei, neben amerikanischen Geheimdiensten, westlichen Menschenrechtsorganisationen und Homosexuellenverbänden einmal mehr die Juden, welche schon in Europa seit Anfangs des 20. Jahrhunderts für die sexuelle Zersetzung der ‘nationalen Sittengemeinschaft’ verantwortlich gemacht wurden“ (S. 22). Klaudas Verdienst ist es indes, diesen Wahn und diese „grotesken Formen“ von Schwulenfeindlichlichkeit in den islamischen Ländern in den Rahmen der rationalen, wie gleichermaßen irrationalen Formen der Moderne zu stellen.
Gleichzeitig wendet er sich damit gegen eine ideologische Strömung in der hiesigen Schwulen- und Lesbenbewegung. Seit geraumer Zeit wird nicht nur dort der allgemein-gesellschaftliche Bodensatz homophoben Ressentiments auf die Figur des „schwulenfeindlichen Ausländers“ projiziert und damit veräußerlicht. Mit diesem Anschluss der Bewegung an den kulturalistischen Mainstream endet aber jede Kritik an den bestehenden heteronormativen Zwänge. Die „Konstruktion von Lesben- und Schwulenfeindlichkeit als ein `vorzivilisatorisches´ Relikt“ (S.8) blendet nicht nur die herrschende Homophobie aus, sondern auch die eigene Geschichte von Schwulenverfolgung in der westlichen Welt. Ehemals linke Blätter wie die taz mahnen in diesem Zusammenhang dann gerne zu einer „Zivilisierung des Vormodernen“ mit dem Ziel, ihr eigenes Konstrukt einer rigiden Behandlung durch die staatlichen Vollzugsorgane zu unterziehen. Und „schwule Aktivisten … übernehmen … im ausländerpolitischen Diskurs sogleich die Position des ‘Staatsanwalts’, der für homophobe Nichtdeutsche auch einmal die Abschiebung fordern darf“ (S. 128). Klaudas Buch ist auch und vor allem ein energischer Einspruch gegen diesen in den Schwulen- und Lesbenverbänden ablaufenden Drift hin zu kulturalistischen Vorurteilen und Verurteilungen.
Die jüngsten Äußerungen Papst Benedikts XVI., nach der Mann und Frau die gottgewollte Ordnung repräsentieren und Homosexualität dieses Werk Gottes bedrohen würde, weisen auf zweierlei hin: auf die Aktualität und Gefährlichkeit von Homophobie und zugleich auf ihre geschichtliche Wurzel im christlichen Abendland.
Georg Klauda: Die Vertreibung aus dem Serail
Europa und die Heteronormalisierung der islamischen Welt
168 Seiten; EUR 16,00
ISBN 987-3-939542-34-6
Verlag: Männerschwarm; September 2008
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