14.01.2019 

Religionskritik, Diskriminierung und Emanzipation. Anmerkungen zur Islamdebatte

Inhalt

Seite 1

1. Wachsende Bedeutung von Religion und Religionskritik

2. Den Islam gibt es nicht !?

Seite 2

3. Islamophobie oder Islamkritik?

4. Islamismus und präfaschistischer Rechtspopulismus

Seite 3

5. Das antimuslimische Ressentiment

6. Linke Versäumnisse

Seite 4

7. AntiBa – der Barbarei entgegentreten


5. Das antimuslimische Ressentiment

Immer wieder begegnet einem die Meinung, Antisemitismus sei im wesentlichen ein Phänomen der Vergangenheit, während „die Juden von heute“ doch eigentlich die Muslime seien. Mit Verlaub gesagt – das ist einfach Unfug. Wer das sagt, offenbart, dass er nicht die Bohne vom Antisemitismus verstanden hat. Niemand unterstellt den Muslimen, sie seien die Herrscher des Geldes und regierten die Finanzsphäre. Niemand unterstellt ihnen, dass sie – obwohl sie doch so wenige seien – mittels geheimer Netzwerke im Verborgenen das Schicksal der Menschen leiten. Dass solche Vorstellungen überhaupt Verbreitung finden können, verweist darauf, dass zu völlig unbrauchbaren Schlüssen kommen muss, wer Antisemitismus lediglich für so etwas wie ein Vorurteil oder eine Unterart von Rassismus hält.

Die absurde Rede von „den Muslimen als den Juden von heute“ ist aber nicht nur unfähig, den Antisemitismus zu verstehen, sie leistet auch keinen brauchbaren Beitrag zur Erklärung des weit verbreiteten Ressentiments gegen Muslime.

Der Begriff des antimuslimischen Ressentiments ist demjenigen des antimuslimischen Rassismus vorzuziehen. Nicht nur, weil offener Rassismus, selbst wenn er in jüngster Vergangenheit wieder mehr geäußert wird, heute immer noch weitgehend diskreditiert ist, sondern vor allem, weil in dieses Ressentiment Phänomene eingehen, die mit Rassismus nicht oder nur sehr unzureichend beschreibbar sind. Das wird an der gängigen „Argumentation“ gegen eine befürchtete „Überfremdung“ deutlich. Das Schlimme daran, dass „wir“, so diese Rede, in absehbarer Zeit zu „Fremden im eigenen Land“ werden könnten, wird in aller Regel nicht als drohende Übernahme durch eine fremde „Rasse“ imaginiert, sondern durch eine fremde „Kultur“. Diese passe nicht zu der „unseren“, denn „wir“ seien schließlich für Demokratie und Menschenrechte – ganz im Gegensatz zu den Muslimen, die gar nicht aufgeklärt und säkular sein könnten. Während also den Menschenrechten ideologisch ein hoher Stellenwert eingeräumt wird, spielen sie keine Rolle mehr, wenn es wirklich drauf ankommt. Dann erklärt nämlich der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland: „Die Menschen wollen … nicht gesagt bekommen: ,Das können wir doch nicht machen. Das ist gegen die Menschenrechte.‘ Sondern sie wollen ganz deutlich hörbar von den Politikern eine Aussage haben: wer passt zu uns und wer nicht?“ (Welt online 15.09.14)

Das antimuslimische Ressentiment beinhaltet Elemente „normaler“ Fremdenfeindlichkeit, aber es ist mehr als nur das. Es hat mindestens drei Spezifika, die darüber hinaus gehen. Das erste ist jener verlogene Menschenrechtsdiskurs. Das zweite sind Elemente von Verschwörungstheorie, die in der Vorstellung von der „Gebärmutter als Geheimwaffe des Islam“ gipfeln. Das dritte ist seine spezifisch deutsche Entlastungsfunktion, weil es ermöglicht, mit dem Finger auf die Muslime zu zeigen und zu sagen „Da schaut her, die sind doch die Antisemiten und nicht wir. Wir gehören doch zu den Guten.“ Das alles geht weder in dem Begriff der „Fremdenfeindlichkeit“ noch in dem mitunter ziemlich inflationär verwendeten Begriff des „Rassismus“ auf. Es handelt sich um ein sehr ernstzunehmendes, außerordentlich gefährliches Ressentiment, das massenhaft verbreitet ist und viel Gewaltpotential mobilisieren kann, wie wir leider immer häufiger erfahren müssen.

6. Linke Versäumnisse

Die unter nicht wenigen AntirassistInnen beliebte These „Islamfeindlichkeit ist Rassismus“ ist unhaltbar. Und zwar nicht nur wegen des weiter oben bereits kritisierten unsinnigen Begriffs der „Islamophobie“. Nach Angaben der Bundesregierung vom April 2007 lebten damals rund 3,4 Mio. Muslime in Deutschland. Als „Muslime“ gelten dabei allerdings unterschiedslos sämtliche MigrantInnen, die aus einem „mehrheitlich muslimischen“ Land kommen. Es wird also völlig ignoriert, dass nicht jede Iranerin eine Muslima und jeder Ägypter ein Muslim ist. Dass nicht wenige Menschen aus diesen Ländern anderen Religionen oder auch gar keiner angehören, fällt unter den Tisch. Befragt nach ihrem Verhältnis zur Religion bezeichneten sich 18 Prozent dieser 3,4 Millionen Menschen als religiös, 20 Prozent äußerten sich eher indifferent und 62 Prozent gaben an, keine religiöse Praxis zu leben (zitiert nach https://hpd.de/node/2906). Im Licht dieser Zahlen wird deutlich, dass die Aussage, Islamfeindlichkeit sei rassistisch, die Menschen auf ihre wirkliche oder zugeschriebene Religion reduziert und ihnen abspricht, sich auch vom Islam abwenden können. Sie schreibt letztlich die Zugehörigkeit zum Islam als ethnisches Merkmal fest und offenbart sich damit als das, wogegen sie sich vermeintlich stellt: als rassistisch nämlich.

In der leidigen Debatte um das Kopftuch zeigen sich weitere jahrzehntelange Versäumnisse vieler Linker. Auf der Seite „My stealthy freedom“ (Meine heimliche Freiheit) zeigen sich mutige Frauen im Iran ohne Kopftuch. Millionen Frauen im Gottesstaat leiden unter dem Kopftuchzwang. Das wären doch die Leute, mit denen Linke mit emanzipatorischem Anspruch solidarisch sein müssten. Leider spielt das unter den meisten Linken keine große Rolle. Stattdessen ist man der Meinung, das Kopftuch sei doch die „freie Entscheidung“ der Frauen, die respektiert werden müsse. Selbst Feministinnen feiern das Kopftuch mitunter sogar als Symbol selbstbestimmter Freiwilligkeit. Nun, wer kann schon in Menschen hineinsehen und sich im Einzelfall ein Urteil erlauben? Bekannt ist jedenfalls, dass das mit der Freiwilligkeit so eine Sache ist. Wenn Frauen auf dem so genannten „Marsch für das Leben“ gegen das Recht auf Abtreibung protestieren, also gegen das Recht, über sich selbst und ihren Körper zu bestimmen, so darf man vermuten, dass sie kaum dazu gezwungen wurden, also wohl tatsächlich glauben, dass sie das freiwillig tun. Eva Herman (Das Eva Prinzip. Für eine neue Weiblichkeit) schreibt: „Ist es das wert? Welchen Preis zahlen wir eigentlich dafür, emanzipiert und selbstbewusst zu sein? Sind wir überhaupt noch Frauen? Oder haben wir unsere Weiblichkeit verloren?“ Ein Haufen Frauen wählt Donald Trump. Vieles, das für freiwillig gehalten wird, ist es vielleicht letztendlich doch nicht. Zwänge können jedenfalls auch so internalisiert sein, dass sie gar nicht mehr als solche wahrgenommen werden.

Vor einigen Jahren war mit Aygül Özkan (CDU) zum ersten mal eine Muslima in der niedersächsischen Landesregierung vertreten. Kurz vor ihrem Amtsantritt als Sozialministerin vertrat sie öffentlich eine sehr vernünftige Position. Sie sprach sich für ein Kruzifix-Verbot an staatlichen Schulen aus. Christliche Symbole gehörten nicht an staatliche Schulen, die Schule müsse ein neutraler Ort sein. Darum hätten auch Kopftücher „in Klassenzimmern nichts zu suchen.“ Das provozierte einen Aufstand in ihrer eigenen Partei und wenn sie es nicht sofort wieder zurückgenommen hätte, hätte ihre Karriere geendet, noch bevor sie begann. Nun war nicht allzu überraschend, dass es in der CDU rumort, wenn es jemand wagt, das Kruzifix zu thematisieren. Aber es gab damals auch keine nennenswerte linke Solidarität mit Aygül Özkan – nicht von der SPD, nicht von den Grünen, nicht von anderen. Obwohl sie doch eigentlich eine ur-linke, emanzipatorische Forderung vertreten hat, nämlich die Trennung von Staat und Religion.

Verharmlosung des Islamismus schadet MuslimInnen am meisten. Auch wenn sie in bester antirassistischer Absicht geschieht. Ein bezeichnendes Beispiel dafür findet sich in dem Buch „Feinbild Moslem“ von Kay Sokolowski (in dem, das sei betont, auch viel Richtiges und Vernünftiges steht.) Dort lesen wir, aus der Erinnerung an den Holocaust resultiere „die moralische Verpflichtung, die andern zu akzeptieren wie sie sind“ (S.34) Das stimmt, wenn daraus der Kampf gegen Menschenfeindlichkeit folgt.
Das stimmt aber ganz und gar nicht, wenn daraus ein Kritikverbot an Menschenfeindlichkeit folgt, nur weil sie von „anderen“ geteilt wird. Genau das aber ist das Problem vieler Linker. Die weitaus meisten Opfer des Islamismus sind Muslime und vor allem Musliminnen. Man denke nur an die von Terrorbanden wie Boko Haram oder Islamischer Staat massenweise furchtbar misshandelten Mädchen und Frauen. Warum wollen viele Linke deren Leid nicht so recht wahrnehmen und reden es mitunter sogar klein? Weil sie Angst haben, andernfalls „rassistisch“ zu sein. Doch de facto verhalten sie sich gerade mit ihrer Geringschätzung des Leids der „anderen“ – und entgegen ihrer Intention – selbst rassistisch und sexistisch. Das führte jahrzehntelang und bis heute zu einem der schwersten Versäumnisse der Linken. Aus Angst davor, rassistisch zu sein, führte sie keinen migrationsfreundlichen Diskurs gegen Antisemitismus, Homophobie und Frauenunterdrückung und ermöglichte so den „rechtspopulistischen“ Hetzern die Lufthoheit in einem migrationsfeindlichen Diskurs über diese Themen. Dass sich AfD&Co als die Einzigen aufspielen können, die über diese Themen reden, ist nicht zuletzt einem großen Versagen der Linken geschuldet. Indem sie diese Themen nämlich nicht oder nur äußerst unzureichend behandelte, hat sie den Aufstieg der „Rechtspopulisten“ mitverschuldet und dem Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit letztendlich einen Bärendienst erwiesen.

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