31.12.1986 

Die Kategorie der abstrakten Arbeit und ihre historische Entfaltung

[Vorbemerkung: Die Seitentrennung bezieht sich auf die Original-Ausgabe]

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Ernst Lohoff

Methodische Vorbemerkungen

“Es scheint das Richtige zu sein, mit dem Realen und Konkreten, der wirklichen Voraussetzung zu beginnen, also z.B. in der Ökonomie mit der Bevölkerung, die die Grundlage und das Subjekt des ganzen gesellschaftlichen Produktionsakts ist. Indes zeigt sich dies bei näherer Betrachtung als falsch. Die Bevölkerung ist eine Abstraktion, wenn ich z.B. die Klassen, aus denen sie besteht, weglasse. Diese Klassen sind wieder ein leeres Wort, wenn ich die Elemente nicht kenne, auf denen sie beruhn. Z.B. Lohnarbeit, Kapital etc. Diese unterstellen Austausch, Teilung der Arbeit, Preise etc. Kapital z.B. ohne Lohnarbeit ist nichts, ohne Wert, Geld, Preis etc. Finge ich also mit der Bevölkerung an, so wäre das eine chaotische Vorstellung des Ganzen und durch nähere Bestimmung würde ich analytisch immer mehr auf einfachere Begriffe kommen; von dem vorgestellten Konkreten auf immer dünnere Abstrakta, bis ich bei den einfachsten Bestimmungen angelangt wäre. Von da wäre nun die Reise wieder rückwärts anzutreten, bis ich endlich wieder bei der Bevölkerung anlangte, diesmal aber nicht als bei einer chaotischen Vorstellung eines Ganzen, sondern als einer reichen Totalität von vielen Bestimmungen und Beziehungen. Der erste Weg ist der, den die Ökonomie in ihrer Entstehung geschichtlich genommen hat. Die Ökonomen des 17.Jahrhunderts z.B. fangen immer mit dem lebendigen Ganzen, der Bevölkerung, der Nation, Staat, mehreren Staaten etc. an; sie enden aber immer damit, daß sie durch Analyse einige bestimmende abstrakte, allgemeine Beziehungen, wie Teilung der Arbeit, Geld, Wert etc. herausfinden. Sobald diese einzelnen Momente mehr oder weniger fixiert und abstrahiert waren, begannen die ökonomischen Systeme, die von dem Einfachen, wie Arbeit, Teilung der Arbeit, Bedürfnis, Tauschwert aufstiegen bis zum Staat, Austausch der Nationen, und Weltmarkt. Das letztre ist offenbar die wissenschaftlich richtige Methode. Das Konkrete ist konkret, weil es die Zusammenfassung vieler Bestimmungen ist, also Einheit des Mannigfaltigen” (Grundrisse S.21).

Im Folgenden halten wir uns streng an diese “offenbar wissenschaftlich richtige Methode.” Daher gehen wir nicht vom gesellschaftlichen Oberflächengewimmel aus, nicht von den zahllosen-zum Teil verdienstvollen empirischen und historischen Untersuchungen-sondern rekurrieren auf die begriffliche Logik des Kapitals

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als solche, so wie sie im Marxschen Werk entwickelt ist.

Wenn Marx die Logik des Kapitals aus einigen bestimmenden abstrakten, allgemeinen Beziehungen bis zu den Oberflächenphänomenen Weltmarkt, Kredit, usw. entfaltet, muß eine Analyse des variablen Bestandteils des Kapitals von den diesen Teil bestimmenden abstrakten, allgemeinen Beziehungen ausgehen. Die wichtigste Kategorie, neben ihrer Teilung, ist für die lebendige Arbeit die Kategorie der abstrakt menschlichen Arbeit. Sie führt Marx schon im ersten Kapitel des 1.Bandes des “Kapitals” als aller Warenproduktion zugrundeliegend ein.

Wenn wir in “orthodoxer” Manier, von einer abstrakten Marxschen Realkategorie aus, uns bis zu den neueren Umstrukturierungen der Arbeiterklasse vorzutasten suchen, wenn wir skizzieren, wie sich diese Kategorie in der Geschichte entfaltet, so wird diese Vorgehensweise die meisten Leser erst einmal irritieren. So selbstverständlich unsere Methode für Marxisten eigentlich sein müßte, so ungewöhnlich ist sie inzwischen geworden. Überaus gründlich hat Positivismus und platter Empirismus die Vorstellungen von Theorie gerade auch in der Linken zersetzt und es hat sich ihr auch der Marxismus aufgelöst in ein Sammelsurium politwissenschaftlicher, soziologischer, ökonomischer und sonstiger Theoreme. Ihre Theoretiker nutzen ihn konsequent als Selbstbedienungsladen, brechen den einen oder anderen Brocken aus dem Marxschen Werk heraus und stutzen ihn für ihre windschiefen Konstruktionen zurecht. Was dabei hoffnungslos verschütt geht ist der Zusammenhang des Marxschen Werkes, seine dialektische Methode. Sie erscheint als bloße Äußerlichkeit, als antiquierte verhegelte Sprechweise, von der man abzusehen hat,um an den positiven Gehalt der Marxschen Theorie heranzukommen. Während die Dialektik, das Aufsteigen vom Abstrakten zum Konkreten, die Entfaltung der Begriffslogik, die eigentliche Essenz des Marxschen Werkes ausmacht, gilt sie vielen der heutigen Marxjünger als dessen Privatmarotte, als Relikt seiner philosophischen Vorgeschichte. In ihrem unbändigen Drang zum politischen Praktizismus sind die linken Theoretiker weit hinter die Position der Frankfurter Schule im Positivismusstreit zurückgefallen, haben vor der Übermacht der empirischen Faktenfülle bedingungslos kapituliert und sich selber als linker Nachtrab des Positivismus etabliert. Weil ihnen Wissenschaft nur noch in ihrer positivistischen Karikatur vertraut ist, verkürzen sie auch den Marxismus zu einer positiven Wissenschaft. Als solche kann er natürlich die Totalität des gesellschaftlichen Prozesses nicht mehr fassen und schreit daher wie jede andere positivistische Wissenschaft nach Ergänzung durch andere Einzelwissenschaften. So ist es üblich geworden,von der Krise des Marxismus sabbernd – wobei diese Krise des Marxismus nichts anderes als die Krise der bisherigen verkürzten Marxrezeption und dessen Verballhornung ist -, diese mit Zugaben aus dem bürgerlichen Wissenschaftsbetrieb zu verdünnen und das so gewonnene Theoriesurrogat als “Ergänzung des Marxismus” oder als dessen “Erweiterung” meistbietend loszuschlagen.Die diversen Versuche sind zwar im Allgemeinen eher kurzlebig und überführen sich meist schnell ihrer eigenen Unzulänglichkeit, aber abgesehen davon, daß

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dies inzwischen zur Tugend umgelogen und als Bescheidenheit in die Vermarktungsstrategie mit eingebaut wird, erweist sich das dahinter stehende Prinzip als überaus widerstandsfähig und weitverbreitet.

Längst ist es in Vergessenheit geraten, daß die Marxschen Schriften ihrem Grundcharakter und meist auch dem Titel nach Kritiken sind. In den Händen der linken Theoretiker verwandelt sich das Marxsche Hauptwerk, “das Kapital”, aus einer ” Kritik der politischen Ökonomie” in ein wirtschaftswissenschaftliches Lehrbuch und verliert dabei natürlich die Fähigkeit,den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang auch nur zu erahnen. Wollen wir den Zusammenhang des Marxschen Werkes und damit seine kritische Sprengkraft festhalten, so müssen wir vor allem seine dialektische Methode ernst nehmen, die beides erst gebiert. Die wenigsten neueren marxistischen Theoretiker haben dies getan und die Reichweite der Marxschen Realkategorien und ihre Dynamik erkannt. Die meisten von ihnen betrachten diese Kategorien als neben oder vor der eigentlichen Analyse stehende leere Hülsen, jonglieren mit ihnen mehr oder minder geschickt und versuchen, soweit sie sich explizit als Marxisten verstehen, ihre Forschungsergebnisse in ihnen auszudrücken; aber darin erschöpft sich ihr Tun. Denn sie beschränken sich darauf, der heutigen Gesellschaft ihren nach wie vor kapitalistischen Charakter zu attestieren, betonen die Kontinuität, das Noch-Immer des gesellschaftlichen Grundwiderspruchs, statt den gegenwärtigen Kapitalismus als entfaltetere Form der kapitalistischen Antagonismen und damit auch der zugrundeliegenden Realkategorien als etwas Neues, als Bruch mit einer eigenen Vergangenheit zu begreifen. Die Dynamik der Entfaltungslogik der Kategorien fließt in keiner Weise in die Analyse. Sie werden statisch gehandhabt, als unveränderliche, von Beginn an ein für allemal feststehende überzeitliche Gesetze des Kapitalverhältnisses. Marx hingegen ging es immer und wesentlich um den Zusammenhang zwischen begrifflich-logischer und historischer Entfaltung des Kapitals. Die von ihm erarbeiteten Kategorien bestimmen das Kapital in seiner prozeßhaften Entwicklung.

Exemplarisch ist hier die Behandlung der Kategorie der abstrakt menschlichen Arbeit. Marx führt sie schon im ersten Kapitel des “Kapitals” ein, aber nur damit sie bei seinen mißratenen Epigonen als bloße Voraussetzung unbesehen in Vergessenheit gerät,um dort zu verschimmeln. Dabei ist sie in Wirklichkeit dem Kapitalverhältnis nicht einfach vorausgesetzt,sondern sie ist dessen, zumindest in ihren entwickelteren Formen, recht spätes Produkt. Sie entfaltet sich erst mit der Entfaltung des Kapitalverhältnisses selber und durchzieht als Tendenz, die lebendige Arbeit in immer größere Abstraktheit zu setzen, die Geschichte des variablen Kapitals als deren eigentlicher Gehalt. Marx spricht diesen Sachverhalt in den Grundrissen an: “Die Gleichgültigkeit gegen die bestimmte Arbeit entspricht einer Gesellschaftsform, worin die Individuen mit Leichtigkeit aus einer Arbeit in die andere übergehen und die bestimmte Art der Arbeit ihnen zufällig, daher gleichgültig ist. Die Arbeit ist hier nicht nur in der Kategorie, sondern in der Wirklichkeit als Mittel

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zum Schaffen des Reichtums überhaupt geworden und hat aufgehört, als Bestimmung mit den Individuen in einer Besonderheit verwachsen zu sein. Ein solcher Zustand ist am entwickelsten in der modernsten Daseinsform der bürgerlichen Gesellschaft – den Vereinigten Staaten. Hier also wird die Abstraktion der Kategorie ‘Arbeit’, ‘Arbeit überhaupt’, ‘Arbeit sans phrase’, der Ausgangspunkt der modernen Ökonomie, erst praktisch wahr. Die einfachste Abstraktion also, welche die moderne Ökonomie an die Spitze stellt, und die eine uralte und für alle Gesellschaftsformen gültige Beziehung ausdrückt, erscheint doch nur in dieser Abstraktion praktisch wahr als Kategorie der modernsten Gesellschaft” (Grundrisse S.25).

Wenn Marx hier der abstrakt menschlichen Arbeit eine Geschichte einräumt, sie als stofflich-praktisch sich verändernde anerkennt, so endet diese Geschichte natürlich nicht in den USA der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts. Diese dem Kapitalverhältnis immanente Tendenz zum Abstraktwerden von Arbeit hat damals nicht ihre endgültige stoffliche Gestalt gefunden, sondern ist mit der weiteren Entfaltung des Kapitals zwischen zeitlich noch um einiges “praktisch wahrer” geworden.

Die Entfaltung des Kapitalverhältnisses und die Tendenz, Arbeit als immer abstrakter zu setzen, fallen zusammen: “Dies ökonomische Verhältnis – der Charakter, den Kapital und Arbeit als Extreme eines Produktionsverhältnisses tragen – wird daher desto reiner und adäquater entwickelt,je mehr die Arbeit allen Kunstcharakter verliert; ihre besondere Fertigkeit immer mehr etwas Abstraktes, Gleichgültiges wird, und sie mehr und mehr rein abstrakte Tätigkeit, rein mechanische, daher gleichgültige, gegen ihre besondere Form indifferente Tätigkeit wird; bloß formelle Tätigkeit oder, was dasselbe ist, bloß stoffliche Tätigkeit überhaupt, gleichgültig gegen die Form” (Grundrisse S.204).

In der Tendenz, Arbeit als immer abstraktere, entleertere zu setzen, drückt sich in Bezug auf die lebendige Arbeit aus, wie das Kapital vorgefundene Produktivkräfte umwälzt, vorkapitalistische Überbleibsel eliminiert und sich stofflich eine adäquate Basis schafft, eine Basis nach seinem Bilde.

Abstraktwerden von Arbeit, Entäußerung, Entleerung ist also nicht eine Möglichkeit unter vielen, sondern folgt als Haupttendenz unmittelbar aus der Logik des Kapitals. Alle Phantasien von selbstbestimmter Arbeit, “weniger entfremdeter Tätigkeit” innerhalb der kapitalistischen Herrschaft können eben nur Phantasien sein. Der Hauptstrom der historischen Entwicklung läuft, solange das Kapitalverhältnis besteht, genau in die entgegengesetzte Richtung, auch KERN und SCHUMANN zum Trotz. Das Kapital tut nur ausnahmsweise Nischen auf, und auch dies nur, um sie so bald als möglich wieder zu schließen. Dies gilt auf jeden Fall für die mehrwertschaffenden unmittelbaren Produzenten, aber nicht nur für sie.

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Der historische Ausgangspunkt

Ein gewisses Maß an Abstraktheit der Arbeit ist selber Voraussetzung für die Entstehung der kapitalistischen Produktionsweise. So ergreift das Manufakturwesen eben gerade nicht zuerst die hochentwickelten und hochspezialisierten Zünfte mit ihren ebenso hoch spezialisierten und gesonderten Arbeiten, “sondern das ländliche Nebengewerbe, Spinnen und Weben, die Arbeit, die am wenigsten zünftiges Geschick, künstlerische Ausbildung verlangt…Das ländliche Nebengewerbe enthält die breite Basis der Manufaktur, während das städtische Gewerbe hohen Fortschritt der Produktion verlangt, um fabrikmäßig betrieben werden zu können” (Grundrisse S. 410). Dieser Fortschritt der Produktion ermöglicht es dann in diesen traditionell zünftigen Produktionsbereichen die Arbeit zu zerlegen, für den unmittelbaren Produzenten zu entleeren und abstrakt zu machen. Aber beginnen kann das produktive Kapital historisch nur in Gewerben, in denen die dort verausgabte lebendige Arbeit per se einen allgemeinen Charakter aufweist, bei Arbeiten, die auf dem Land traditionell von fast allen geleistet werden, während sich die spezialisierten städtischen Zünfte noch lange gegen ihre Kapitalisierung sperren. Es ist kein Zufall, daß das Kapital, das beginnt, sich in die Produktion zu mengen, dort ansetzen muß,wo die allgemeine Arbeit vorkapitalistischer Produktion geleistet wird, auf dem Land.

Formelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital

Mit der Trennung des unmittelbaren Produzenten von seinen Produktionsmitteln, also der Schaffung des freien Lohnarbeiters, ist formal Fremdheit und Äußerlichkeit des Arbeiters gegenüber Arbeitsprozeß und Arbeitsprodukt schon gegeben. Der Gebrauchswert der Arbeitskraft im Produktionsprozeß fällt schon hier dem Kapital anheim, während den Arbeiter nur mehr die Tauschwertseite seiner eigenen Arbeitskraft angeht, die in die Zirkulationssphäre fällt und dem Produktionsprozeß vorgeschoben ist. “Andererseits ist der Arbeiter selbst absolut gleichgültig gegen die Bestimmtheit seiner Arbeit, sie hat als solche nicht Interesse für ihn, sondern nur soweit sie überhaupt Arbeit und als solche Gebrauchswert für das Kapital ist ” (Grundrisse S.204). Im selben Zusammenhang schreibt Marx: “Das Material, das es (das Arbeitsvermögen E.L.) bearbeitet, ist fremdes Material; ebenso das Instrument fremdes Instrument…Ja, die lebendige Arbeit selbst erscheint als fremd gegenüber dem lebendigen Arbeitsvermögen, dessen Arbeit sie ist, dessen eigene Lebensäußerung sie ist, denn sie ist abgetreten an das Kapital gegen vergegenständlichte Arbeit…Das Arbeitsvermögen verhält sich zu ihr als einer fremden, und wenn das Kapital es zahlen wollte, ohne es arbeiten zu lassen, so würde es mit Vergnügen den Handel eingehen. Seine eigene Arbeit ist ihm ebenso fremd…wie das Material und Instrument” (Grundrisse S.366). Diese Fremdheit betrifft allerdings auf dieser Stufe erstmal nur

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die Eigentumsseite, noch nicht den Produktionsablauf selber. Das Kapital beginnt historisch damit, den Produktionsprozeß seinem Kommando zu unterwerfen, so wie es ihn vorfindet. So lesen wir bei Marx: “Weder erfand, noch fabrizierte das Geldvermögen Spinnrad und Webstuhl. Aber losgelöst von ihrem Grund und Boden gerieten Spinner und Weber mit ihren Stühlen und Rädern in die Botmäßigkeit des Geldvermögens etc. Eigen ist dem Kapital nichts als die Vereinigung der Massen von Händen und Instrumenten, die es vorfindet. Es agglomeriert sie unter seiner Botmäßigkeit” (Grundrisse S.407).

Solange das Kapital lediglich die vorgefundenen Produktivkräfte, in erster Linie verkörpert in den Arbeitsmitteln, nur übernimmt, bleibt seine Herrschaft über den Produktionsprozeß formell. Die Mehrwertabpressung läuft in dieser Phase allein über die gnadenlose Verlängerung des Arbeitstages, also Abschöpfung absoluten Mehrwerts. Die Verlängerung des Arbeitstages bis an die physischen Grenzen der Produzenten wird erzwungen, die Struktur der Arbeit selber allerdings bleibt beim Alten und den unmittelbaren Produzenten überlassen.

Mit der Schaffung des freien Lohnarbeiters ist die Möglichkeit zum Abstraktwerden der lebendigen Arbeit gegeben, insoweit der Gebrauchswert seiner Arbeitskraft den Arbeiter nicht angeht und er vom Kapital zu allem nach dessen Plaisir verwendet werden kann. Allerdings muß das Kapital erst stofflich die Möglichkeit schaffen, daß Arbeitskraft in anderer Weise angewendet werden kann als traditionell. Bis dahin bleibt im Produktionsprozeß die traditionelle organische Verwachsung von unmittelbaren Produzenten und Produktionsmittel erhalten.

Reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital

Der erste Schritt in diese Richtung ist die Zergliederung der Arbeit in der Manufaktur, aber erst mit der Einführung der Maschinerie gelingt es dem Kapital wirklich, die Möglichkeit zum Abstraktwerden der Arbeit einzulösen. Erst sie ermöglicht ihm, den Produktionsprozeß wirklich in der ihm spezifischen Weise zu unterwerfen. Wenn mit der Kombination der Arbeiter in der Manufaktur der Übergang zur spezifsch kapitalistischen Weise der Mehrwertproduktion, der Produktion des relativen Mehrwerts, beginnt, so vertieft und befestigt die Entwicklung zur Industrie diesen entscheidenden Schritt. “Die Entwicklung des Arbeitsmittels zur Maschinerie ist nicht zufällig für das Kapital, sondern ist die historische Umgestaltung des traditionell überkommenen Arbeitsmittel als dem Kapital adäquat umgewandelt” (Grundrisse S.586). “Die Maschinerie erscheint also als die adäquateste FOrm des capital fixe und das capital fixe, soweit das Kapital in seiner Beziehung auf sich selbst betrachtet wird, als die adäquateste Form des Kapitals überhaupt” (Grundrisse S.586). Erst die Maschinerie macht die Arbeit auch stofflich abstrakt, denn “mit dem Arbeitswerkzeug geht auch die Virtuosität in seiner Führung vom Arbeiter auf die Maschine über” (MEW Band 23 S.442).

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Akkumulation gesellschaftlicher Produktivkraft als Entleerung der unmittelbaren Arbeit

“Das Wissen erscheint in der Maschine als fremdes außer ihm (dem Arbeiter E.L.); und die lebendige Arbeit subsumiert unter die selbständig wirkende vergegenständlichte” (Grundrisse S. 586). “Die Akkumulation des Wissens und des Geschicks der allgemeinen Produktivkräfte des gesellschaftlichen Hirns, ist so der Arbeit gegenüber absorbiert in dem Kapital und erscheint daher als Eigenschaft des Kapitals, und bestimmter des capital fixe, soweit es als eigentliches Produktionsmitteln in den Produktionsprozeß eintritt “(Grundrisse S.586). Im selben Maße wie die Anwendung des gesellschaftlichen Wissens sich zur Produktivkraft entwickelt und der Produktionsprozeß zunehmend gerade auch stofflich vom Kapital vergesellschaftet wird, im selben wachsenden Maße wird die lebendige Arbeit in immer größere Armseligkeit versetzt. “Wenn die einzelne Arbeit als solche überhaupt aufhört als produktiv zu erscheinen, vielmehr nur produktiv ist in den gemeinsamen, die Naturgewalten sich unterordnenden Arbeiten und diese Erhebung der unmittelbaren Arbeit in gesellschaftliche als Reduktion der einzelnen Arbeit auf Hilflosigkeit gegen die im Kapital repräsentierte, konzentrierte Gemeinsamkeit erscheint” (Grundrisse S.588), so kann weitere Vergesellschaftung, die schließliche Entwicklung der Wissenschaft zur Produktivkraft diesen Trend im kapitalistischen Rahmen nicht wenden. Es gilt nur und gilt zusehends gründlicher:”Die Tätigkeit des Arbeiters, auf eine bloße Abstraktion der Tätigkeit beschränkt, ist nach allen Seiten hin bestimmt und geregelt durch die Bewegung der Maschinerie, nicht umgekehrt. Die Wissenschaft, die die unbelebten Glieder der Maschinerie zwingt durch ihre Konstruktion zweckmäßig als Automaten zu wirken, existiert nicht im Bewußtsein des Arbeiters, sondern wirkt durch die Maschine als fremde Macht auf ihn, als Macht der Maschine selbst. Die Aneignung der lebendigen Arbeit durch die vergegenständlichte Arbeit – die verwertende Kraft oder Tätigkeit durch den für sich seienden Wert -, die im Begriff des Kapitals liegt, ist in der auf Maschinerie beruhenden Produktion als Charakter des Produktionsprozesses selbst, auch seinen stofflichen Elementen und seiner stofflichen Bewegung nach gesetzt. Der Produktionsprozeß hat aufgehört, Arbeitsprozeß in dem Sinn zu sein, daß die Arbeit als die ihn beherrschende Einheit über ihn übergriffe. Sie erscheint vielmehr nur als bewußtes Organ, an vielen Punkten des mechanischen Systems in einzelnen lebendigen Arbeitern; zerstreut, subsumiert unter den Gesamtprozeß der Maschinerie selbst, selbst nur ein Glied des Systems, dessen Einheit nicht in der lebendigen Arbeit, sondern in der lebendigen (aktiven) Maschinerie existiert, die seinem einzelnen, unbedeutenden Tun gegenüber als gewaltiger Organismus ihm gegenüber erscheint. In der Maschinerie tritt die vergegenständlichte Arbeit der lebendigen Arbeit im Arbeitsprozeß selbst als die sie beherrschende Macht gegenüber, die das Kapital als Aneignung der lebendigenArbeit seiner Form nach ist. Das Aufnehmen des Arbeitsprozesses als bloßes Moment

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des Verwertungsprozesses des Kapitals ist auch der stofflichen Seite nach gesetzt durch die Verwandlung des Arbeitsmittels in Maschinerie und der lebendigen Arbeit in bloßes Zubehör dieser Maschinerie” (Grundrisse S.584-585). In dieser entwickelten Gestalt durchdringt die abstrakte Arbeit aber erst sehr spät die gesamte gesellschaftliche Produktion. Die Verwissenschaftlichung der Produktion setzt sich erst nach dem 2. Weltkrieg endgültig durch.

Gegenläufige Tendenzen in der Geschichte des Kapitalverhältnisses

In der Geschichte tritt diese Tendenz zum Abstraktwerden von Arbeit gebrochen auf. Partiell stellt das Kapital auf veränderter technologischer Grundlage die Verwachsung der Arbeitskraft mit ihrem spezifischen Arbeitsvermögen wieder her. Das Kapital erzeugte gerade auch in Deutschland vor dem 1. Weltkrieg umfangreiche handwerkelnde Facharbeiterformationen, die sich durch eine relative unabhängige und deshalb starke Stellung im Produktionsprozeß auszeichneten, sich in einem hohen Maß mit ihrer Arbeit identifizierten und sich über deren Besondertheit definieren konnten. Das eigentliche Produktionswissen war ihr Monopol und somit der Produktionsprozeß vom Kapital stofflich nur bedingt kontrollierbar. Sie standen dem Produktionswissen alles andere als in nackter Armseligkeit gegenüber. Politisch hatte dies immense Folgen. Gerade diese handwerkelnden Facharbeiterformationen waren das Rückgrat der proletarischen Kampfkraft und sie prägten die klassische Arbeiterbewegung tiefgreifend. Arbeitsstolz und die starke Stellung im Produktionsprozeß bestimmten sowohl die politischen Ausdrucksformen und Zielvorstellungen als auch die Organisationsformen. Es ist vor diesem Hintergrund kein Wunder, daß sich die landläufige Sozialismusvorstellung damals auf die ersatzlose Streichung der “parasitären Kapitalisten” beschränkte, während die Kritik am Wert und am Lohnfetisch keine nennenswerte Rolle spielte, genauso wenig wie eine Umgestaltung des Produktionsprozesses selber ins Auge gefasst wurde. Auch wo diese Schichten radikal wurden, war dies nicht anders. So war z.B. ihre “… Stellung … materiell am meisten prädisponiert, ein organisatorisch-politisches Programm wie das der Arbeiterräte, d.h. der Selbstverwaltung der Produktion aufzugreifen. Die Aufnahme, die diese Vorstellung über Arbeiterselbstverwaltung in der deutschen Rätebewegung fanden, wäre … nicht so verbreitet gewesen ohne das Vorhandensein einer Arbeitskraft, die unauflöslich mit der Technologie des Prozesses verbunden war und die – von beruflichen und betrieblichen Wertvorstellungen zutiefst bestimmt – auf natürliche Weise dazu geführt wurde, die eigene Rolle als Produzent hervorzukehren.” (Sergio Bologna in “Zusammensetzung der Arbeiterklasse und Organisationsfrage”, Merve-Verlag Berlin 1973). Allenthalben proklamierte die traditionelle Arbeiterbewegung den Stolz des unmittelbaren Produzenten, “der alle Werte schafft” und das Proletariersein wurde nicht als besonderes aufzuhebendes Unglück gesehen, sondern als Ehre, die nur gesellschaftlich noch nicht adäquat anerkannt

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wird. Das gilt sowohl für die sozialdemokratisch-marxistische Linie in der Arbeiterbewegung als auch für den Syndikalismus. Gerade die Beschränkung der italienischen Syndikalisten in der Krisenzeit bis zur Machtübernahme Mussolinis auf den Einzelbetrieb, der bewußte Verzicht auf politische Aktion außerhalb des betrieblichen Rahmens, wird nur vor diesem Hintergrund verständlich. Die starke Stellung der Facharbeiterformationen im Produktionsprozeß prädisponierte sowohl die Kampfkraft als auch die Beschränkung der klassischen Arbeiterbewegung.

Klassenzusammensetzung und Geschichte der Arbeiterbewegung

Die Geschichte der Arbeiterbewegung zur Zeit der 2. Internationalen und nach deren Verfall wird nur verständlich vor dem Hintergrund dieser besonderen Zusammensetzung der Klasse. Überhaupt ist die Geschichte der Klassenzusammensetzung die eigentliche materielle Grundlage der Geschichte der Arbeiterbewegung. Die Arbeiterklasse erblickt das Licht der Welt zunächst als variables Kapital und bleibt dies grundlegend. Die Geschichte der Arbeiterbewegung ist erst einmal und wesentlich die Geschichte der Klasse und ihrer Segmente im kapitalistischen Produktionsprozeß und zu ihm. Diese Grundlage ist allerdings weitgehend unter reiner Partei- und Organisationsgeschichte verschütt gegangen. Das ist ein wichtiger Grund, warum die Rezeption der Geschichte der Arbeiterbewegung durch die Neue Linke insgesamt so wenig befriedigend geblieben ist. Abgelöst von ihrer materiellen Basis erschöpfte sie sich doch weitgehend in einer idealistisch verbleibenden Organisationsdebatte, der penetrant langweilenden Wiederholung der ideologischen Kämpfe der 2. und 3.Internationale, während deren materieller Gehalt vorwiegend außen vor blieb. Die Ansätze, die es zu Beginn des Jahrhunderts gegeben hatte, z.B. Lenins Arbeiteraristokratiethese, wurden nicht weiterentwickelt.

Taylorismus als Stufe kapitalistischer Entwicklung

Wenn auch die klassische Arbeiterbewegung gerade durch eine Gegentendenz zur schnellen Abstraktsetzung der lebendigen Arbeit bestimmt wurde, so bleibt doch jenseits dieses retardierenden Moments die Haupttendenz in der Geschichte des Kapitals die Entmachtung des unmittelbaren Produzenten, seine direkte Subsumtion unter den Maschinenprozeß. Mit der Ausbreitung des Taylorismus erfaßt diese Tendenz auch die traditionellen Facharbeitertypen und begann deren alte Grundlage zu zerstören. Das Wesen des Taylorismus ist die Enteignung der traditionellen Facharbeiter vom Produktionswissen via Arbeitswissenschaft. Arbeitswissenschaft ist schlicht ein Synonym für die Übertragung und Monopolisierung des mit dem unmittelbaren Produzenten verwachsenen Produktionswissens. Der alte Facharbeiter wird seines Produktionswissens, das ihm als Quasieigentum seine relativ privilegierte Stellung gegenüber dem Kapital

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sicherte, entkleidet und es tritt ihm künftig als Fremdes, in Maschinerie und Arbeitsorganisation geronnen, gegenüber. Die verschiedenen Arbeitsschritte, die der alte Facharbeiter in seiner Profession vereinigte, werden in einzelne Handgriffe zerlegt und als solche vom kapitalistischen Kommando verschiedenen Arbeitern zugeteilt. Das Fließband als Symbol der neuen Arbeitsteilung macht diese Zergliederung des Arbeitsprozesses unter anderem möglich. Erst durch sie gewinnt das Kapital die stoffliche Kontrolle über den Produktionsprozeß. Die konkreten Produktionsschritte bleiben erstmal weitgehend die selben, die Arbeitswissenschaft orientiert sich technisch an den überkommenen Arbeitsabläufen, versucht sie lediglich zu effektivieren, aber das Wissen um sie, das bei den verschiedenen Facharbeiterberufen verteilt lag, wird nun vom Kapital zentralisiert. Zwar bleibt die lebendige Arbeit als Ganzes noch immer Agens des Produktionsprozesses, aber die einzelne Arbeit ist “auf Hilflosigkeit” reduziert gegen die “im Kapital konzentrierte Gemeinsamkeit.”

In Deutschland, aber nicht nur dort, ist in diesem Zusammenhang der 1. Weltkrieg ein entscheidender Einschnitt. Die Kriegsproduktion als Massenproduktion machte den Übergang zu zerlegter und zum Teil mechanisierter Produktion möglich, wie sie in den vor dem Krieg prägenden Bereichen mit ihren kleineren Serien einfach noch nicht durchführbar war. Andererseits machte die kriegsbedingte Umstrukturierung der arbeitenden Klasse selber, der Ausfall vieler gutausgebildeter Facharbeiter durch deren militärischen Einsatz und die Auffüllung der Lücken durch Unqualifizierte, insbesondere Frauen, diesen Schritt auch unumgänglich notwendig. Beim Übergang zur Friedensproduktion wurden diese neuen Errungenschaften dann nach und nach in den zivilen Bereich übernommen.

Arbeitswissenschaft und Naturwissenschaft

Die Anwendung der Arbeitswissenschaft zur Zerlegung der bis dahin integrierten Tätigkeiten ersetzt nicht weitere Mechanisierung, sondern bereitet sie vor. Erst auf großer Stufenleiter der kapitalistischen Produktionsweise kann die Anwendung der Naturwissenschaft in der Produktion via Maschinerie unabhängig von der Anwendung der Arbeitswissenschaft auftreten, sich aus ihrem Dunstkreis lösen. Das antizipiert Marx schon in den Grundrissen: “Es ist einerseits direkt aus der Wissenschaft entspringende Analyse und Anwendung mechanischer und chemischer Gesetze, welche die Maschine befähigt, dieselbe Arbeit zu verrichten, die früher der Arbeiter verrichtete. Die Entwicklung der Maschinerie auf diesem Weg tritt jedoch erst ein, sobald die Industrie schon höhere Stufe erreicht hat und die sämtlichen Wissenschaften in den Dienst des Kapitals gefangen genommen sind; andererseits die vorhandene Maschinerie selbst schon große Ressourcen gewährt. Die Erfindung wird dann ein Geschäft und die Anwendung der Wissenschaft auf die unmittelbare Produktion selbst ein für sie bestimmender und sollizitierender Gesichtspunkt. Dies ist aber nicht der Weg, worin die Maschinerie im großen entstanden ist, und noch weniger der,

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worin sie im Detail fortschreitet. Dieser Weg ist die Analyse – durch Teilung der Arbeit, die die Operation der Arbeiter schon mehr und mehr in mechanische verwandelt, so daß an einem gewissen Punkt der Mechanismus an die Stelle treten kann. Es erscheint hier also direkt die bestimmte Arbeitsweise übertragen von dem Arbeiter auf das Kapital in der Form der Maschine, und durch diese Transposition seines eigenen Arbeitsvermögens entwertet” (Grundrisse, S. 591).

Die Taylorisierung und die Ersetzung taylorisierter Arbeit durch die Maschinerie verhalten sich in dieser von Marx skizzierten Weise zueinander.

Erst mit einer weitgehenden Ersetzung der mechanisierten Arbeit durch die Maschinerie tritt die lebendige Arbeit endgültig “neben den Produktionsprozeß, statt sein Hauptagent zu sein” (Grundrisse, S. 593). Erst damit ist der Produktionsprozeß durch und durch von der Anwendung der Naturwissenschaft geprägt. Die abstrakte Arbeit ändert mit diesem Schritt ihre Erscheinungsform. Waren für sie bisher in ihrer ausgeprägtesten Form entleerte, ständig wiederholte Handgriffe typisch, so wird ihr neues Hauptcharakteristikum ihre Äußerlichkeit zum Produktionsprozeß selber. Hauptaufgabe ist die ständige Überwachung und Kontrolle des Produktionsprozesses, der als Naturprozeß selbsttätig abläuft und nur punktuell und im Störungsfall des menschlichen Eingriffs bedarf. Humaner ist diese Arbeit wohl kaum, zumindest verlangt sie ein relativ hohes Maß an Konzentration und läßt entlastende Habitualisierungen nicht zu. Die körperliche Belastung verschwindet zwar nicht, verliert aber relativ an Gewicht.

Dieser Ablöseprozeß der einen Form von abstrakter Arbeit durch ihre entwickeltere Gestalt geht nur allmählich und von Branche zu Branche unterschiedlich voran. Die lebendige Arbeit als unmittelbar produktive Arbeit bleibt noch lange als Lückenbüßer im automatischen Maschinensystem erhalten. Mit der Einführung der Mikroelektronik macht diese Entwicklung einen qualitativen Sprung, dessen Tragweite kaum zu überschätzen ist. Sie führt die skizzierte Ebene des Abstraktsetzens von Arbeit bis zu ihrem konsequenten Ende und hebt es gleichzeitig auf ein neues Niveau, das wir noch umreißen wollen. Ersteres können wir leicht und anschaulich in der IG-Metall Studie über “die negativen Folgen der Rationalisierung” nachlesen: “Es gibt zunehmend weniger beeinflußbare Zeiten. Der unmittelbare Einfluß der Arbeitenden auf die Arbeitsprozeßgestaltung nimmt ab” (S. 63 der Kurzfassung von 1983). “Den Arbeitern und Angestellten auf der ausführenden Ebene, sowie dem mittleren Management werden Fachwissen, Erfahrung und Zeitvorteile aufgrund ihrer größeren Produktionsnähe entzogen(‘enteignet’). Gewachsene personelle Vorgesetztenverhältnisse und Einflußmöglichkeiten verändern sich. Z.B. geben nicht mehr Zeitnehmer und Planer direkt Daten vor, sondern das obere Management durch ihre jederzeitigen Kontrollmöglichkeiten über den Produktionsfortschritt. Faktisch werden die betrieblichen Machtverhältnisse zentralisiert” (S. 63 der Kurzfassung). Von dieser Seite her perfektioniert die Mikroelektronik nur Taylor auf neuer technischer Grundlage. Auf der anderen Seite treibt sie den kapitalistischen Produktionsprozeß, wo sie die unmittelbare

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produktive Arbeit zusehends verdrängt, über Taylor hinaus.

Taylorismus und die hierarchische Gliederung der Arbeiterklasse

Mit der weitgehenden Enteignung seines Produktionswissens durch die Arbeitswissenschaft verliert der alte Facharbeiter zwar in vielen Bereichen seine traditionelle Basis, er verschwindet aber nicht ersatzlos, sondern wird als Kommandeur und Unterkommandeur wiedergeboren. Für den unmittelbaren Produktionsarbeiter ist er als Meister und Vorarbeiter die Inkarnation der Kombination der Arbeit durch das Kapital. Der Mehrheit der auf die Personifizierung eines Handgriffs reduzierten unmittelbaren Produzenten gegenüber vertritt er als Teil der Betriebshierarchie die Totalität des Produktionsprozesses. Je differenzierter die Arbeitsteilung, je armseliger die Stellung des vereinzelten unmittelbaren Produzenten, desto wichtiger wird diese Funktion gegenüber eventuell verbliebenen technischen Fertigkeiten. Die technisch-handwerklerische Seite überlebt nur in den die Produktion begleitenden Bereichen in größerem Umfang (Instandhaltung, etc.). Ansonsten wird der alte Facharbeiter tendenziell eher zum Arbeitsorganisator und tritt auf diese Weise aus dem unmittelbarsten Produktionsprozeß.

Die Unterscheidung nach handwerklicher Besonderung der Arbeit tritt in den Hintergrund, während die Arbeitskraft sich vorwiegend nach ihrer Stellung in der Kommandohierarchie gliedert. Dabei wiederholt sich, was Marx im “Kapital” für den Übergang von der Manufaktur zur großen Industrie sagte: “An die Stelle der künstlich erzeugten Unterschiede der Teilarbeiter treten vorwiegend die natürlichen Unterschiede des Alters und des Geschlechts” (MEW 23 S.442). Eine ebenso große Bedeutung hat ein quasi-natürliches Merkmal, das Marx an dieser Stelle nicht erwähnte: die Nationalität.

Gerade in Deutschland hat die Gliederung der Arbeitskraft nach völkischen Gesichtspunkten eine lange, unselige Tradition. Dieser Mechanismus von Klassenspaltung feierte hierzulande seine Entstehung mit den Polenimporten Ende des 19. Jhds. und erreichte seine Krönung im Zwangsarbeitssystem des Faschismus der letzten Kriegsjahre. Damals herrschte ein Spaltungs- und Zergliederungssystem, das sich von der Vernichtung durch Arbeit für Juden, polnische und russische Kriegsgefangene über die besser gestellten westeuropäischen Kriegsgefangenen und Zwangsrekrutierten weiter zu den quasi-freiwilligen italienischen “Fremdarbeitern” und schließlich zu den privilegierten deutschen Vorarbeitern erstreckte. (Deren Hauptprivileg bestand darin, bei entsprechender Arbeitsleistung – in erster Linie der ihnen zugeteilten Zwangsarbeiter – als”unabkömmlich” vor der Versendung zur Front einigermaßen sicher sein zu können).

Nach dem Krieg wurde dieses System auf zivile Bedingungen umgebaut und ging perfektioniert als konstituierendes Moment in das “Modell Deutschland” ein. Hier liegt eine wesentliche materielle Grundlage für den Rassismus, der dieses Land nach wie vor ziert und an dem kein bloßes Humanitätsgewinsel auch nur das Geringste ändern kann.

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Ähnliches gilt im Bereich der Frauenarbeit. In weiten Bereichen industrieller Frauenbeschäftigung sind weiter Meister- und Vorarbeiterpositionen Männern vorbehalten. In beiden Fällen betonieren biologische und quasi-biologische Unterschiede die hierarchische Gliederung. Die Gewerkschaften stehen dem alles andere als feindlich gegenüber. Wenn die Gewerkschaften vor dem 1. Weltkrieg in erster Linie die handwerkelnden Facharbeiter repräsentierten, so etablieren sie sich seitdem zusehends als Interessenvertretung der Vorarbeiter und Meister, der Unterkommandeure des Kapitals. Entsprechend hat sich ihr Charakter verändert. Der Korporatismus relativ unabhängiger spezialisierter Arbeiter ist dem Korporatismus der Unterkommandeure und Executoren des Kapitals gewichen. Der Produktivitätspakt zwischen Kapital und Gewerkschaften hat eine Wurzel auch in der Antreibermentalität tragender Teile der Gewerkschaftsbasis. Auch wenn sich die Gewerkschaften mitunter in anderen Arbeiterschichten um Beitragszahler bemühen, ändert dies nichts an ihrem grundsätzlichen Charakter. Mit der jüngsten Umstrukturierung der Klasse in den 80er Jahren wird dies noch deutlicher sichtbar.

Mikroelektronik-Naturwissenschaft als Agens der Produktion und die konkret-abstrakte Arbeit

Heute, mit der technischen Umwälzung der Produktion durch die Mikroelektronik, wird auch die im Produktionsprozeß vernutzte lebendige Arbeit erneut tiefgreifend umgewälzt. Ihre noch immer bestehende relative Macht als Agens des Produktionsprozesses fällt endgültig der Vernichtung anheim. Nun erst wird Marxens Prognose endgültig wahr. Die Verwissenschaftlichung der Produktion setzt die lebendige Arbeit in eine Stufe von Abstraktheit und Hilflosigkeit gegenüber der im Kapital komprimierten gesellschaftlichen Macht, die Anfang der 7oer Jahre noch undenkbar gewesen ist. Die auf die Spitze getriebene Vergesellschaftung der stofflichen Produktion erscheint auf Seiten der lebendigen Arbeit als deren restloses Abstraktwerden.

Die in der Mikroelektronik geronnene Anwendung der Naturwissenschaft wird nach und nach zur gemeinsamen naturwissenschaftlich-technischen Basis in den unterschiedlichsten Anwendungsbereichen. Sie wird gemeinsame Grundlage in einem gerade auch in Hinblick auf die lebendige Arbeit viel weiterem Maße als dies beim klassischen Maschinensystem der Fall war. Die bisherigen industriellen Revolutionen wälzten in erster Linie die Antriebssysteme um (Dampf, Erdöl, Elektrizität) und verallgemeinerten deren produktive Anwendung, beließen die Arbeitsabläufe jedoch in ihrer jeweiligen Gesondertheit. Das Maschinensystem übertrug das spezifische handwerklerische Wissen auf die Maschine, die selber so wieder diese Spezifizität reproduzieren mußte. Es entstanden Spezialmaschinen mit recht unterschiedlichen Funktionsweisen und entsprechend von Industriezweig zu Industriezweig unterschiedlichen konkreten Arbeiten, die sie erforderlich machten. Die alte handwerkliche Besonderung der konkreten Arbeiten zog über die Maschinerie, die

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deren Spuren folgte, ein gewisses Maß an Spezifizierung der Arbeit an dieser Maschinerie nach sich. Erst die Verwissenschaftlichung der Produktion via Mikroelektronik löst diese endgültig von handwerklerischer Erfahrung und vereinzelter Tüftelei.

Die Naturwissenschaft als gesellschaftliches Ganzes wird zur allgemeinen stofflichen Basis der Produktion des gesellschaftlichen Reichtums. Es sind in immer größeren Bereichen die selben wissenschaftlichen Erkenntnisse und deren analoge technische Übersetzung, “die als der große Grundpfeiler der Produktion des Reichtums” (Grundrisse S. 593) erscheinen. Für die konkreten Arbeitsprozesse hat dies zur Folge, daß sie einander in einem bisher unbekannten Maße angeglichen werden. Wenn laut der IG-Metallstudie zu den negativen Folgen der Rationalisierung es “Auffallend ist, daß von Betriebsräten aus räumlich, größenordnungs- und branchengemäß unterschiedlichen Betrieben die gleichen Arbeitsplätze als krankmachend bezeichnet werden” (S. 62 der Kurzfassung von 1983), so drückt sich dieser Sachverhalt darin aus. Denn “die neuen Technologien sind universelle Rationalisierungs- und Kontrolltechnologien, die wegen ihrer Flexibilität in fast jeden Bereich menschlicher Tätigkeit…eindringen können” (a.a.O. S. 66).

Die Arbeit erscheint nicht länger nur in dem Sinne abstrakt, daß “die Individuen mit Leichtigkeit aus einer Arbeit in die andere übergehen” (Grundrisse S. 25), wie es Marx für die USA des 19. Jhd. skizzierte, die verschiedenen konkreten Arbeiten selber variieren kaum mehr. Wer seine Arbeit wechselt, tut nichts qualitativ anderes als zuvor. Die selbe technische Anlage kann, nur leicht umgebaut, völlig andere Produkte herstellen, und eine andere Anlage erfordert von der lebendigen Arbeit nahezu identische Verrichtungen. Die noch vor kurzem eindeutige Verbindung zwischen einer konkreten, nützlichen Arbeit und dem speziellen Produkt, in das sie eingeht, schwindet. Sie ist nicht länger gebunden an einen bestimmten Gebrauchswert, sondern erscheint unmittelbar als nicht abgrenzbarerPartikel jenes vergesellschafteten Prozesses, der allen stofflichen Reichtum zeugt. Damit wird die Dichotomie zwischen abstrakt menschlicher Arbeit und konkret nützlicher, die Marx im 1. Kapitel des Kapitals einführt, ausgehöhlt. Wenn dort in der Marxschen Analyse der gesellschaftliche Charakter der Produkte sich nur darin äußert, daß sie Gebrauchswerte nicht für ihren Produzenten, sondern für andere sind, er also für den Markt produziert und seine Arbeit als gesellschaftliche Arbeit nur in der Zirkulation, also auf der Seite des Tauschwerts erscheint, während sie gleichzeitig als konkret nützliche Arbeit Privatarbeit bleibt, so wird dieses Verhältnis nun gründlich zerschlagen. Die Arbeit ist nunmehr gesellschaftliche Arbeit nicht nur im Hinblick auf den Tauschwert, sie ist vergesellschaftet auch auf der stofflichen Seite in der Produktion der Gebrauchswerte. Ihr gesamtgesellschaftlicher Charakter erschöpft sich dabei nicht in der altbekannten Kombination verschiedener Arbeiter durch das Einzelkapital im Einzelbetrieb, wo die stofflich in ein Produkt eingehende Arbeit noch weiterhin klar umrissen allein im Einzelbetrieb verausgabte Arbeit ist und daher das Produkt notwendig als Privatprodukt, wenn nicht des Einzelkapitalisten, so doch zumindest der klar umrissenen Belegschaft dieses

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speziellen Betriebes erscheint (Rätegedanke). Diese saubere Abgrenzung ist verschwunden. Hinter der Produktion jeder Stecknadel scheint die gesamtgesellschaftliche Infrastrukturauf. Die Dichotomie von Gebrauchswerte produzierender konkret nützlicher Arbeit und Tauschwert produzierender abstrakt menschlicher Arbeit ist geknüpft an den privaten Charakter der Produktion und verschwindet mit diesem.

Das treibende Moment des Produktionsprozesses ist nicht länger die konkret in ein Produkt verausgabte Arbeit, sondern die Anwendung einer von vornherein gesellschaftlichen Potenz,der Naturwissenschaft. Wenn die Produkte stofflich gesellschaftlich werden, also Produkte einer gesellschaftlichen Gesamtproduktivkraft, so verlieren auch die Arbeitsabläufe ihre Verbindung zum gerade produzierten besonderen Gebrauchswert, können selber nicht länger in Besonderung verharren und werden austauschbar. Die konkreten Arbeiten sind restlos unter die vergesellschaftete Produktivkraft subsumiert.

Marx entfaltet begrifflich schon in den Grundrissen diesen Zusammenhang, der historisch erst heute Konturen gewinnt und das Wertgesetz in die Luft sprengen muß: “Es ist nicht mehr der Arbeiter, der modifizierten Naturgegenstand als Mittelglied zwischen das Objekt und sich einschiebt; sondern der Naturprozeß, den er in einen industriellen verwandelt, schiebt er als Mittel zwischen sich und die unorganische Natur, deren er sich bemeistert.Er tritt neben den Produktionsprozeß, statt sein Hauptagent zu sein. In dieser Umwandlung ist es weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner eigenen allgemeinen Produktivkraft, sein Verständnis der Natur und die Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper – in einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als der große Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint. Der Diebstahl an fremder Arbeitszeit, worauf der jetzige Reichtum beruht, erscheint miserable Grundlage gegen diese neuentwickelte, durch die große Industrie selbst geschaffene. Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört und muß aufhören die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert (das Maß) des Gebrauchswerts. Die Surplusarbeit der Masse hat aufgehört, Bedingung für die Entwicklung des allgemeinen Reichtums zu sein, ebenso wie die Nichtarbeit der Wenigen für die Entwicklung der allgemeinen Mächte des menschlichen Kopfes. Damit bricht die auf dem Tauschwert ruhende Produktion zusammen” (Grundrisse S. 592/593).

So oft in der marxistischen Diskussion auf diese Stelle Bezug genommen wurde, so oft ist sie unverstanden geblieben. Immer wurde “die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums…als der Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums”, als ein erst im Sozialismus zu verwirklichendes Ziel gedeutet, ebenso wie das Ende des Wertgesetzes, und nicht als ein Prozeß, der sich, wenn auch nur katastrophenhaft, schon innerhalb des Kapitalverhältnisses zu vollziehen beginnt. Befangen im Wertgesetz, und es mehr oder minder für ein Naturgesetz haltend, verschwand dessen Untergrabung durch den kapitalistischen Prozeß selber vollständig aus dem Bewußtsein und verschwand umso mehr, als sich die klassische

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Arbeiterbewegung real mit einer Stufe der Produktiventwicklung konfrontiert sah, die sich noch lange im Rahmen des Wertgesetzes bewegen konnte. Aber während einst noch mit relativer Berechtigung die Abschaffung des Wertgesetzes als nachrevolutionäre Aufgabe des Proletariats bei seiner endgültigen Selbstaufhebung genommen wurde, muß heute dessen katastrophenschwangere Zersetzung und das aus ihr resultierende Desaster des Nachkriegskapitalismus Ausgangspunkt einer revolutionären Strategie sein. Wir müssen heute Marxens Ausführungen in den Grundrissen von dieser Seite her ernst nehmen, denn sie werden inzwischen praktisch wahr. Das Kapital zerstört selber den Wert, seine logische Grundlage. Die sich anbahnende langatmige Krise des Kapitals fußt letztlich in nichts anderem als dem historischen Ende seiner grundlegenden Kategorie. “Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch (dadurch), daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum reduziert, während es andererseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt. Es vermindert daher die Arbeitszeit in der Form der notwendigen, um sie zu vermehren in der Form der überflüssigen; setzt daher die überflüssige in wachsenden Maß als Bedingung – question de vie et de mort – für die notwendige. Nach der einen Seite hin ruft es also alle Mächte der Wissenschaft und der Natur, wie der gesellschaftlichen Kombination und des gesellschaftlichen Verkehrs ins Leben, um die Schöpfung des Reichtums unabhängig (relativ) zu machen von der auf sie angewandten Arbeitszeit. Nach der anderen Seite will es diese so geschaffenen riesigen Gesellschaftskräfte messen an der Arbeitszeit, und sie einbannen in die Grenzen, die erheischt sind, um den schon geschaffenen Wert als Wert zu erhalten. Die Produktivkräfte und gesellschaftlichen Beziehungen – beides verschiedene Seiten der Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums – erscheinen dem Kapital nur als Mittel, und sind für es nur Mittel, um von seiner bornierten Grundlage aus zu produzieren. In fact aber sind sie die materiellen Bedingungen, um sie in die Luft zu sprengen” (Grundrisse S. 593/594).

Wenn wir daher vorher von der Aushöhlung der Dichotomie von konkret nützlicher und abstrakt menschlicher Arbeit gesprochen haben, so drückt sich darin eben nur die Zersetzung des Wertgesetzes aus. Wenn die konkrete Arbeit selber abstrakt wird, so äußertsich darin die Rebellion der schon vom Kapital vergesellschafteten Produktivkräfte gegen das auf Privateigentum und imaginär gewordener seperater Privatarbeit beruhende Wertgesetz. Die abstrakt gewordene konkrete Arbeit kündet von dessen baldigem Zusammenbruch, von der Herausbildung eines Proletariats, das nicht mehr Proletariat sein kann und daher das Kapitalverhältnis aufheben wird, weil es dazu gezwungen ist. Abstrakt menschliche Arbeit in diesem Sinn ist das lebendige Zubehör der stofflich vergesellschafteten Produktion. Der abstrakte Arbeiter, auch gerade wenn er einfache Arbeit leistet und keine potenzierte, ist selber gesellschaftliches Produkt, selber gesellschaftliche Produktivkraft, erzeugt von einer umfänglichen Bildungsinfrastruktur. Angewiesen auf einen allgemein-gesellschaftlichen Arbeiter, ist das Kapital gezwungen, in seiner neueren Gestalt immer mehr, den

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Bildungsbereich von familiären und ständischen Resten zu säubern und ihn von betrieblichen Zufälligkeiten freizuhalten. Die Ausdehnung des Schulsystems mit der sozialdemokratischen Bildungsreform schafft erst die adäquate gesellschaftliche Arbeitskraft für das Kapital des ausgehenden 2o. Jahrhunderts. Die Formalisierung von Qualifikationen, die Schwerpunktsverlagerung von der betrieblich-praktischen zur schulischen Bildung sind notwendige Erscheinungsformen der Vergesellschaftung der Produktion. Das Zurücktreten der Bedeutung von handwerklicher Erfahrung und Qualifikation verschiebt die Gewichte zugunsten der allgemeineren Qualifikation. Die Standardisierung und Verschulung der Bildung entspricht der Standardisierung der Technologie und den Anforderungen, die diese an die lebendige Arbeit stellt. Die vergesellschaftete Bildung fällt zusehends dem ideellen Gesamtkapitalisten anheim, die betriebliche Spezifikation dessen Wissens wird weniger wichtig. Betriebliche Arbeit bleibt lediglich von Bedeutung als fortgesetzte Anpassung an eine sich ständig weiterentwickelnde Wissenschaft und Technik, als Kampf der vereinzelten Arbeitskraft gegen ihren moralischen Verschleiß. Wichtig ist in den qualifizierteren Bereichen allein, daß eine Arbeitskraft die letzten Jahre verwandt wurde und sich so den neuen technischen Standards anpassen konnte, weniger wo sie speziell gearbeitet hat.

Logische und historische Entfaltung des Kapitalverhältnisses (Exkurs)

Auch das ist natürlich nur Tendenz und nicht in allen Bereichen der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion schon gleichermaßen alles erfassend Wirklichkeit geworden. Ausmaß und Geschwindigkeit dieser Entwicklung zu bestimmen, ist eine Aufgabe für sich. Mir kommt es hier auf zweierlei an. Erstens will ich nachweisen, daß die Marxschen Kategorien gerade für die Analyse der modernen Umstrukturierungsprozesse des zeitgenössischen Kapitalismus ein geeignetes analytisches Instrumentarium abgeben und zweitens – und das hängt damit engstens zusammen – aufzeigen, daß die so gerne beklagten und hier angedeuteten Phänomene, weit entfernt davon, die Logik des Kapitals und den Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit außer Kraft zu setzen, im Gegenteil nichts anderes darstellen, als die auf die Spitze getriebene kapitalistische Logik, die dabei ist, den Sprengstoff zusammenzutragen und zu schichten, der sie selber in die Luft jagen wird. Mir geht es erst einmal um die allgemeine Tendenz, deren genaue Durchsetzung natürlich einer weiteren Untersuchung harrt. Wenn ich die Marxschen Realkategorien als Gerüst meiner Betrachtung genommen und deren Logik verfolgt habe, dann um deutlich zu machen, wie sehr die modernste Wirklichkeit gerade in deren Richtung drängt.

Wie Lenin schon wußte, läuft, wer den Gang der Verhältnisse zu antizipieren sucht, Gefahr, ihnen vorauszueilen. Das gesamte Marxsche Werk ist dadurch charakterisiert. Marx entfaltete die begriffliche Logik des Kapitals zu einer Zeit, als deren historische Entwicklung, gemessen am heutigen Stand, noch in den Kinderschuhen steckte. Die Tendenz des Kapitals, das Wertgesetz aufzuheben, und die daraus resultierende Erzeugung eines Proletariats, das

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diese Tendenz dann auch zu exekutieren gezwungen ist, beides wird erst allmählich richtig wahr mehr als 100 Jahre nach Marxens Tod. Die historische Entwicklung des Kapitalverhältnisses blieb jahrzehntelang hoffnungslos zurück hinter deren theoretischer Entdeckung. Die Verkürzungen der traditionellen Marxinterpretationen haben hierin ihre grundlegende Ursache. Die Marxsche Theorie konnte die Massen in ihrer authentischen Gestalt nicht ergreifen, weil die Wirklichkeit selber noch nicht so weit war, um zu den Marxschen Gedanken zu drängen. Die marxistischen Theoretiker hielten diese Spannung kaum ansatzweise durch und lösten aus dem Marxschen Werk nur die Brocken heraus, die einigermaßen schon in der Realität greifbar wurden.

Die abstrakt menschliche Arbeit in ihrer entwickelteren Form war das für das Facharbeiterproletariat und dessen intellektuelle Vertreter in der Zeit der klassischen Arbeiterbewegung nicht, ebensowenig wie die revolutionären Potenzen,die mit ihr einhergehen. Die Facharbeiter als tragende Schicht der proletarischen Bewegung hatten nicht das mindeste Interesse an ihrer Selbstaufhebung, und so fiel diese Selbstaufhebung in den konkreten Sozialismusvorstellungen praktisch unter den Tisch. Die stoffliche Grundlage für die von Marx theoretisch herausgearbeitete proletarische Revolution schafft erst die Mikroelektronik. Erst heute zeichnet sich jene Revolution ab, die nicht mehr auf der unzulänglichen Entwicklung des Kapitalverhältnisses, oder auf vorübergehenden Friktionen in seiner Entwicklung beruht, sondern im Gegenteil gerade darauf, daß dieses dabei ist, auf die Spitze und damit über sich selbst hinauszutreiben.

Die Ironie der Geschichte besteht dabei darin, daß der authentische Marxismus, völlig verschüttet unter den historisch notwendigen Verkürzungen seiner Theorie, gerade in dem Augenblick von der Linken als alte Kamelle abgelegt wird, wo die gesellschaftliche Realität beginnt, die Höhe seiner theoretischen Reflexionen zu erreichen. Weil sie den Marxismus mit seinen traditionellen Kastrierungen identifizieren, beschließt die Linke Marx gerade in dem Augenblick zu Grabe zu tragen, in dem eine massenhafte und vollständige Marxinterpretation erstmals möglich, politisch wirksam und damit auch unumgänglich notwendig wird.

Neue Technologien und “prekäre Arbeit”

Die vom Kapital schon vergesellschaftete und daher abstrakt gewordene konkrete Arbeit verliert ihre enge Bindung an den Einzelbetrieb und an die besondere Branche. Mit dem Verschwinden des Einzelbetriebs als ausschließlichen Bezugspunkt der stofflichen Produktion löst sich auch die materielle Grundlage der traditionellen Arbeiterformationen auf. Die produktive Kooperation sprengt den Rahmen des Einzelkapitals, erst recht des Einzelbetriebs und jagt dabei die geschlossenen überlieferten Arbeiterzusammenhänge gleich mit in die Luft. Deren Zersetzung ist nur die andere Seite der stofflichen Vergesellschaftung der Produktion durch deren Verwissenschaftlichung. Was von Gorz und anderen als Ende des

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Proletariats gedeutet wird, ist nichts anderes als die Kehrseite der Krise des Wertgesetzes. Was real eine neue Stufenleiter in der Vergesellschaftung ist, erscheint auf Seiten der Arbeiter als Atomisierung und Individualisierung.

In den 80er Jahren erleben wir einen qualitativen Sprung in der Geschichte der Ware Arbeitskraft, dessen Tragweite erst in Umrissen absehbar ist. Die skizzierten tiefgreifenden technologischen Umwälzungen fallen zusammen mit Massenarbeitslosigkeit und zeitigen umso grundlegendere Folgen. Das Kapital nutzt die Gelegenheit, die ihm die Krise bietet, um die Arbeitskraft in eine neue, seiner veränderten technologischen Struktur entsprechende Form zu bringen. Flexibilisierung ist das Stichwort, unter dem das Kapital die abstrakt gewordene Arbeit sich in jeder beliebigen Proportion unter technologisch revolutionierten Bedingungen einverleibt. Das Kapital hat es nicht mehr nötig, wie in den Zeiten der Hochkonjunktur um jedes Stück Arbeitsvieh zu buhlen, sondern kann die Austauschbarkeit der Arbeitskräfte zu seinen Gunsten wenden. Unter den Bedingungen von anhaltender Massenarbeitslosigkeit schrumpfen die Stammbelegschaften zusehends auf die Unterkommandeure und besonders kapitalintensiven bzw. entsprechend störanfälligen Bereiche zusammen. Die ausgedünnten Stammbelegschaften werden durch prekäre Arbeit der verschiedensten Spielart ergänzt. Prekäre Arbeitsformen, einst nur ein Randphänomen und Überbleibsel längst vergangener Zeiten, werden nun zur Massenerscheinung. Illegale und legale Leiharbeit, Anfang der 70er Jahre noch so gut wie unbekannt, verbreitet sich ebenso wie neue Formen befristeter Arbeitsverhältnisse, Teilzeitarbeit und Heimarbeit. Das Kapital versucht seinen variablen Anteil zu minimieren, und sein Hauptmittel dazu ist die Reduktion der Lohnnebenkosten. Die sozialen Errungenschaften der 60er und 70er Jahre (Lohnfortzahlung, Urlaubsgeld, Kündigungsschutz, Vermögensbildung etc.) werden vom Kapital für einen wachsenden prekären Teil der Klasse unterlaufen und in Privilegien der Stammbelegschaft verwandelt. Was als Fortschritt für alle “Arbeitnehmer” gefeiert wurde, wird für das Kapital Anlaß und Mittel, um die Klasse zu spalten. Die Reformen, die am Normalarbeitsverhältnis (dauerhaft, Vollzeit) ausgerichtet waren, sind selbst Sporn für das Kapital, dieses Normalarbeitsverhältnis in weiten Bereichen aufzulösen.

Alle Formen prekärer Arbeit zeichnen sich mehr oder minder durch Äußerlichkeit gegenüber dem Einzelbetrieb und ein hohes Maß an Mobilität und Austauschbarkeit aus. Die Loslösung vom Einzelbetrieb führt erst einmal zur Individualisierung und Isolierung der Arbeitskraft gegenüber der geballten Macht des Kapitals. Der vereinzelte prekäre Arbeiter fällt weitgehend aus tarifvertraglichen Vereinbarungen sowie traditionellen Schutz- und Mitspracherechten von Betriebsrat und Gewerkschaft heraus. Beide haben auch nicht das mindeste Interesse ihn zu integrieren. Die allgemeine Tendenz, Arbeit als immer abstraktere zu setzen, erscheint in ihrer modernsten Ausprägung nicht mehr als Homogenisierung der Klasse, sondern vielmehr als deren völlige Zerstreuung und Segmentierung. Die Arbeiterklasse teilt sich in zwei miteinander in Widerspruch stehende Bereiche.

Auf der einen Seite die Kernbelegschaften, deren Interesse eng mit dem Einzelbetrieb ver-

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woben bleibt und die ihre Einzelinteressen am entschiedensten gegen den prekären Teil der Klasse verteidigen. Auf der anderen Seite eben jener prekäre Bereich, der selber noch vielfach segmentiert ist. Hier herrschen Äußerlichkeit gegenüber dem Einzelbetrieb, hohe Mobilität und Fluktuation; es findet gerade hier reger Austausch mit den verschiedenen Formen von industrieller Reservearmee statt.

Die Zersetzung der traditionellen Arbeiterklasse kündigt die Neuzusammensetzung der Klasse unter den Bedingungen des Zerfalls des Wertgesetzes an. Die erreichte Stufe der stofflichen Vergesellschaftung der Arbeit und ihre Abstraktsetzung machen eine grundlegend neue Arbeitsorganisation möglich. Z.B. sind neue Formen der Heimarbeit ein Produkt der neuen Informationstechniken. Sie erlauben es, auch komplexe Arbeitsvorgänge räumlich voneinander zu trennen, ohne daß für das Kapital dadurch der Arbeitsprozeß zerrissen würde. “Die Benutzung eines elektronischen Mediums, das gegenwärtig noch überwiegend schriftliche und graphische Informationen überträgt, führt zu einer effektiveren Kommunikation, zu einer Beschränkung der Kommunikation auf wesentliche Inhalte und zu einer Reduzierung des bei Gesprächen eher üblichen ‘social noise`” (Zitiert nach BMFT Forschungsbericht DV 82-002 August 82). “Die Tatsache des ausgelagerten Arbeitsplatzes ist mit einer Beschränkung der Möglichkeiten zur unmittelbaren Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen verbunden. Diese Zusammenarbeit ist zwar faktisch noch vorhanden, wenn an einer Produkterstellung, Problemlösung oder was sonst es auch immer sein mag mehrere Personen beteiligt sind. Sie wird aber wohl kaum als eine unmittelbare persönliche Beziehung wahrgenommen, da sie sich in einer abstrakten, für den Teilarbeiter vielleicht nicht einmal konkret nachvollziehbaren Arbeitsteilung versteckt” (a.a.O.).

Das Kapital kann die Kombination der Arbeiter aufrechterhalten, ohne die Arbeiter in persönlichen Kontakt während des Arbeitsprozesses setzen zu müssen. Prekäre Klitschenwirtschaft in irgendwelchen Zulieferbetrieben ist trotz räumlicher Trennung und teilweiser Auflösung der Großbetriebe unmittelbar angekoppelt an die Verwertungsbedürfnisse multinationaler Konzerne. FIAT-Turin ist hier ein Musterbeispiel, hinter dem das Volkswagenwerk nicht nachsteht. Legale und illegale Leiharbeiter wechseln nicht nur dauernd den Betrieb, in dem sie eingesetzt werden, sondern sie stehen auch einem kombinierten Kapitalisten gegenüber (Leiher und Verleiher).

Nicht nur für den wachsenden prekären Teil der Klasse fällt der Einzelbetrieb als der Bezugspunkt weitgehend fort. Das Kapital selber hat in seiner Entfaltung den Rahmen des Einzelbetriebs längst gesprengt und seine Bedeutung als Produktionseinheit relativiert. Dies gilt gerade auch für die Großbetriebe. Ihre Zergliederung weist den Weg zur großkapitalistischen Version von “small is beautiful”. Der kapitalistische Vergesellschaftungsprozeß beginnt, nachdem er die Arbeitskraft einst räumlich geballt hat, und so die Arbeiter auch notgedrungen in Kommunikation setzen mußte, sie wieder zu zerstreuen. Die Berührungspunkte, an denen die vereinzelten Arbeiter aufgrund der kapitalistischen Kombination der Arbeit miteinander in persönlichen Kontakt treten müssen, werden immer

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weniger, gerade weil sich die Kombination weiter entfaltet. Auf dieser Ebene gilt dies auch innerhalb des Einzelbetriebs, noch mehr natürlich für die ausgelagerten Bereiche. Innerhalb des Einzelbetriebs schiebt sich wachsendes konstantes Kapital zwischen eine sich verkleinernde Anzahl von Arbeitskräften. Der Zusammenhalt im Betrieb wird geschwächt und gleichzeitig die Bedeutung des Einzelbetriebs überhaupt.

“Abschied vom Proletariat” oder neuer Klassenkampf

Die traditionelle Arbeiterbewegung, oder was von ihr an Resten und Reminiszensen noch übrig geblieben ist, wird von dieser Entwicklung im Kern getroffen. Die Gewerkschaften verkommen endgültig zu rein ständischen Vertretungen kleiner werdender Schichten von Arbeiteraristokraten. Traditionelle Kampf- und Denkgewohnheiten werden obsolet, und so kann es nicht überraschen, wenn die traditionelle Linke, und dazu gehört inzwischen auch fast das ganze Spektrum der aus der Neuen Linken hervorgegangenen Organisationsansätze, in Jammern und Wehklagen versinkt und das Ende einer überholten Arbeiterformation bzw. die Neuzusammensetzung der Klasse durch das Kapital mit dem Ende jeder Arbeiterbewegung überhaupt verwechselt. Mit ihrem mangelhaften theoretischen Rüstzeug ist sie weder in der Lage, die ganze Tragweite dieser Entwicklung zu erfassen, noch die revolutionären Möglichkeiten zu begreifen, die in ihr stecken. Die vereinigte Linke stolpert in gewohnter Weise in Ritterrüstung übers inzwischen atomare Schlachtfeld und greint, weil ihr doch dunkel die eigene Don-Quichotterie dämmert. Doch das nur nebenbei.

Das Kapital hebt bekanntermaßen seine Widersprüche nur auf, um sie desto gründlicher auf neuer Stufenleiter zu setzen. Die Umstrukturierung der Arbeiterklasse zieht zwar dem revolutionären Marxismus das alte Schlachtfeld unter den Füßen weg, doch nur, um ein neues, entwickelteres zu errichten. Dieses noch jungfräuliche Terrain gilt es zu erforschen. Auf ihm wird sich der revolutionäre Marxismus neu bewähren müssen.

Eins ist klar: Die vom Kapital weitergetriebene Vergesellschaftung zwingt die zukünftigen proletarischen Kämpfe, wollen sie mehr sein als bloße Karikatur, auf einem Niveau von Allgemeinheit zu beginnen, das der traditionellen Arbeiterbewegung auch in ihren entwickelteren Formen fremd geblieben ist. So ist z.B. der internationalistische Charakter einer neuen Arbeiterbewegung von vornherein als unumgängliche Notwendigkeit gesetzt und nicht wie einst bloß moralischer Anspruch. Ähnliches gilt aber genauso innerhalb der einzelnen Nationen und ihren Märkten; und auch die politische Seite (Staatseingriffe usw.) ist enger an die ökonomischen Kämpfe angeschlossen denn je. Der traditionellen Trennung von politischen und ökonomischen Kämpfen bietet sich objektiv wenig Raum. Vor diesem Hintergrund verschiebt sich die Dialektik von Spontaneität und Organisation, und die theoretische Seite des Kampfes wird zur conditio sine qua non. Hier klaffen allerdings keine Lücken, sondern Abgründe.