Von der währungspolitischen Pax Americana zum Weltmarkt ohne Weltgeld
Ernst Lohoff
Auf den Währungsmärkten herrscht im Frühjahr 1995 Unruhe. Der Dollar macht Schlagzeilen. Im Gefolge der Mexikokrise ist auch die amerikanische Währung ins Trudeln geraten. Auf den internationalen Währungsmärkten setzt eine Massenflucht vom Greenback in den Yen und in die Deutsche Mark ein. Der Dollarkurs bricht ein. Hierzulande wird diese Entwicklung vorzugsweise aus der Krähwinkelperspektive wahrgenommen.
Die deutschen Exporteure fürchten um ihre Marktanteile im »Dollarraum«, aber auch in jenen europäischen Ländern, die gemeinsam mit dem Dollar unter Abwertungsdruck geraten sind. Die Wirtschaftsauguren fragen sich, ob die Dollarschwäche nicht die hiesige Binnenkonjunktur verhageln und die Wachstumsziffern um 0,5 bis 1% drücken könnte; die deutschen Touristen nutzen auf ihre Weise die Gunst der Stunde und überschwemmen die USA und andere »Billigwährungsländer«. So oft und regelmäßig in den Nachrichtensendungen von »neuen historischen Tiefstständen« der amerikanischen Währung die Rede ist, so wenig dringt dagegen die geschichtliche Dimension der akuten Entwicklung ins öffentliche Bewußtsein, und auch in der offiziellen ökonomischen Diskussion spielt sie kaum eine Rolle. Gerade hier liegt aber die eigentliche Brisanz der aktuellen Ereignisse. Mit dem sinkenden Dollarkurs verändert sich nicht nur die Konkurrenzsituation auf einem der bedeutendsten Märkte, eine Entwicklung, die auch wieder reversibel wäre. Im Augenblick tritt vielmehr ein tiefgreifender säkularer Prozeß in seine entscheidende Phase, der nicht nur die internationale Währungsordnung, sondern das weltwirtschaftliche Gefüge insgesamt in seinen Grundfesten erschüttern wird. Mit dem Dollar gerät nicht irgendeine Währung in eine Schieflage, sondern jene Leitwährung, die einem ganzen Zeitalter ihren Stempel aufgedrückt hat und bis heute den weltumspannenden Finanzüberbau bestimmt. Die einsetzende Flucht aus der Leitwährung droht das globale monetäre Bezugssystem zum Einsturz zu bringen. Wenn die Absetzbewegung weitergeht – und angesichts der fundamentalen weltwirtschaftlichen Eckdaten (US-Verschuldung, Defizitkreisläufe) ist dies wohl, wenn nicht kurzfristig, dann mittelfristig zu erwarten(1) – steht die Weltwirtschaft vor dem Problem, daß sie in näherer Zukunft ohne funktionsfähiges Weltgeld auskommen muß.
Schon für sich genommen klingt diese Diagnose dramatisch. Der Absturz des Dollar kann durchaus die Ouvertüre zu einer Weltwirtschaftskrise abgeben, die den Vergleich mit der von 1929 nicht zu scheuen braucht. Marktwirtschaftsapologeten wie Wilhelm Hankel, die schon lange vor dieser Gefahr warnen(2), haben allerdings zumindest einen Trost. Sie gehen ganz selbstverständlich davon aus, daß die künftige Krise eine Reinigungskrise sein wird. An ihrem Ende sehen sie heute schon ein neues Weltgeld erblühen, möglicherweise eine nicht nur von Hankel favorisierte transnationale Währung, die von einer Weltzentralbank ausgegeben werden könnte.
Bei dieser anvisierten Neuordnung handelt es sich allerdings um eine Chimäre. Weder eine andere nationale noch eine supranationale Währung sind in der Lage, an die Stelle des Dollar zu rücken. Der Weltgeldthron wird dauerhaft verwaist bleiben. Der Absturz der amerikanischen Leitwährung ist keineswegs unglücklichen historischen Zufällen oder einer Reihe »politischer Fehler« geschuldet(3), wie jene Kritiker der gegenwärtigen Weltwährungsordnung meinen, die die Reetablierung stabiler Zustände einklagen; der Globalisierungsprozeß selber zerstört paradoxerweise die Grundlage, auf der so etwas wie Weltgeld existieren kann. Die Entwicklung des transnationalen Kapitalverkehrs sprengte die nationalökonomischen Funktionsräume und schuf so etwas wie eine unmittelbare warenförmige Weltvergesellschaftung. Das war aber nur möglich, indem sie die Substanz jenes monetären Mediums aushöhlte, in dem allein sich diese geldvermittelte Weltgesellschaftlichkeit ausdrücken kann.
1.
Weltmarkt und Weltgeld erscheinen auf den ersten Blick als zwei Seiten der gleichen Medaille. In Wirklichkeit fällt die Vollendung des Weltmarkts jedoch gerade mit der Krise des Weltgeldes zusammen. Diese Ausgangsthese muß zunächst einmal äußerst gewagt wirken, sie läßt sich jedoch durchaus erhärten. Wer einen Blick über den Tellerrand der aktuellen Situation mit ihren Dollarwirren wirft und auch nur en passant die Währungsgeschichte der letzten 100 Jahre zur Kenntnis nimmt, stößt unweigerlich empirisch auf das Grundparadoxon, dessen vertrackter Logik ich im weiteren nachspüren möchte. Die Herausbildung von Weltmarkt und Weltgeld ko- inzidieren nicht miteinander, beide zeigen vielmehr einen gegenläufigen Entwicklungstrend. Während sich heute so mancher zeitgenössische Ökonom nach einem stabilen supranationalen Weltgeld sehnt und phantastische Pläne für dessen Schaffung ausheckt, war ein solches Weltgeld in den Kindertagen der kapitalistischen Entwicklung eine Selbstverständlichkeit. Es existierte in der Form der ungemünzten Edelmetalle quasi naturwüchsig eigentlich schon seit dem Wiedererwachen des Geldverkehrs in der Zeit Karls des Großen. Als handfestes Quantum Silber oder Gold kannten Münzen nie Grenzen. Sie wurden unabhängig vom Ort ihrer Prägung überall anerkannt, wo Menschen überhaupt mit so etwas wie Geldverkehr vertraut waren und ihrem jeweiligen Edelmetallgehalt entsprechend bewertet. Die Vielzahl unterschiedlichster Münzen warf zwar enorme technische Probleme im Austauschprozeß auf und brachte den Berufsstand des Geldwechslers hervor, sie war aber mit keinen substantiellen Schwierigkeiten verbunden (sieht man einmal vom Problem des Bimetallismus, dem wechselnden Wertverhältnis von Silber und Gold, ab). In den Jahren nach 1870, in einer Phase, in der die internationale Verflechtung gemessen am heutigen Globalisierungsniveau erst einen ausgesprochen bescheidenen Stand erreicht hatte, entstand auf der handfesten metallischen Grundlage ein kohärentes kodifiziertes internationales Währungssystem. Alle wichtigen europäischen Währungen folgten dem Weg, den Großbritannien schon nach dem Ende der Napoleonischen Kriege eingeschlagen hatte und gingen zur Golddeckung über. Die heimische Währung, hieß sie nun Pfund, Mark, Franc oder sonstwie, vertrat nur ein bestimmtes Quantum Gold, und es stand jedem Geldbesitzer frei, sein Geld jederzeit bei der nationalen Zentralbank in dieses »barbarische Metall« (John Maynard Keynes) umzutauschen. Die Konvertibilität aller Währungen war damit über die gemeinsame Anbindung an das Gold unmittelbar gegeben. Das britische Pfund, die Währung der »Werkstatt der Welt«, hatte zwar wegen seiner großen Verbreitung eine gewisse Vorrangstellung inne, es übte sie aber nur als unmittelbarer Stellvertreter des anationalen metallischen Wertmessers aus.
Dieses System blieb bis 1914 erhalten und funktionierte bis zu diesem Zeitpunkt ohne größere Störungen. Als die großen europäischen Volkswirtschaften zur Kriegsökonomie übergingen, hielt es allerdings den neuen Anforderungen nicht stand. Das Golddeckungssystem mußte zerbrechen, weil für diese Ordnung zwei Anachronismen konstituierend waren, die sich mit einer vom Staat induzierten Mobilisierung aller wirtschaftlichen Ressourcen, wie sie der Krieg erzwang, schwerlich vereinbaren ließen. Zum einen banden die nationalen Goldreserven vollkommen unproduktiv einen erheblichen Teil des gesellschaftlichen Reichtums, Reichtum, der nun für die Zwecke der Kriegsführung mobilisiert werden mußte. Zum anderen zwang das Golddeckungssystem den Staat zu währungs- und wirtschaftspolitischer Abstinenz. Solange die Binnenwährung nur als eine lokale Erscheinungsform des Goldes diente, war das Primat der Sicherung der äußeren Liquidität gegenüber der Förderung des inneren Wachstums strukturell festgeschrieben. Damit war der Staat aber nicht nur währungspolitisch, sondern auch finanzpolitisch zu einer Nachtwächterexistenz verurteilt und mußte mit einem im wesentlichen ausgeglichenen Haushalt operieren.(4) Die Kriegsanstrengungen warfen alle diese Voraussetzungen über den Haufen. Von der Finanzierungsseite her war es schlicht und einfach unmöglich, die gigantischen Kriegskosten auch nur halbwegs aus den laufenden Staatseinkünften zu begleichen.(5) Die kriegsführenden Länder verschuldeten sich stattdessen in hohem Maße nach innen und außen und gingen zumindest teilweise zur Kriegsfinanzierung via Druckerpresse über. Gleichzeitig war es mit der in den geltenden ökonomischen Dogmen festgeschriebenen konjunkturpolitischen Zurückhaltung der staatlichen Gewalt vorbei. In der Kriegswirtschaft wurden der Staat und seine militärische Nachfrage zum Agens der großen europäischen Volkswirtschaften.
Die Zeitgenossen empfanden die Kriegswirtschaft als Ausnahmezustand, in vielerlei Hinsicht brach sie aber nur einer neuen, entwickelteren kapitalistischen Normalität Bahn. Zwar träumten die meisten Ökonomen von der Rückkehr zu den goldenen Vorkriegsverhältnissen, diesen Erwartungen zum Trotz ließ sich indes der wirtschafts- und währungspolitische Dammbruch, für den die Kriegsökonomie gesorgt hatte, auch nach 1919 nicht mehr rückgängig machen. Die wachsende Bedeutung des Staates für das Wirtschaftsleben lag im säkularen Trend. Angesichts der enormen ökonomischen Erblasten des Krieges war das neue Primat der Förderung binnenökonomischer Ziele gegenüber der unbedingten Sicherung des Außenwerts der Währung auch im Frieden nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Staaten, die gegen eine veränderte Wirklichkeit bei den Währungsverhältnissen die Rückkehr zum Status quo ante erzwingen wollten, mußten dafür einen hohen Preis zahlen. Als Großbritannien in der Zeit zwischen 1925 und 1931 wieder zum Goldstandard bei Vorkriegsparität zurückkehrte, schwächte das nicht nur die Position des Landes auf den Außenmärkten nachhaltig, die Währungsstabilisierung wurde auch nach innen mit niedrigen Wachstumsziffern und hoher Arbeitslosigkeit erkauft. Die britische Regierung mußte denn auch den untauglichen Versuch schließlich aufgeben und eine ganze Reihe anderer Länder folgten diesem Vorbild. Sie hoben ebenfalls die Goldkonvertibilität ihrer Währungen wieder auf.(6)
Der Abschied vom Goldautomatismus und die Politizierung der Währungverhältnisse brachten eine neue, bis dahin unbekannte Widerspruchsebene in die kapitalistische Wirklichkeit. Im selben Maße, wie die Regierungen die Geldpolitik als Mittel ökonomischer Steuerung entdeckten und mit Auf- und Abwertungen sowie mit der Veränderung der Geldmenge die nationalen Wachstumsraten, den Arbeitslosenstand oder die Inflation zu beeinflußen suchten, gerieten auf der zwischennationalen Ebene die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs nur provisorisch neugeordneten Geldverhältnisse sukzessive in Unordnung. Den Regulationsversuchen innerhalb des nationalen Rahmens entsprach eine Chaotisierung der internationalen Austauschbeziehungen und Währungsverhältnisse. Die Außenwertrelationen, bis 1914 Fixpunkt der weltwirtschaftlichen Beziehungen, verkamen zu einer abhängigen Variablen, die die staatliche Administration für binnenökonomische Zielvorgaben zu instrumentalisieren suchte. Die französische Regierung übernahm bei dieser Entwicklung eine Vorreiterfunktion. Schon Anfang der 20er Jahre war sie darum bemüht, die Wachstumsschwäche der französischen Industrie durch Devisendumping zu beheben. Anders als die britische stellte die französische Führung die Goldkonvertibilität des Francs nicht zu den Vorkriegsparitäten wieder her, sondern zu einem deutlich niedrigeren Kurs. Damit verschaffte sie der heimischen Wirtschaft Wettbewerbsvorteile auf den inneren und äußeren Märkten. Dieses Vorbild machte Schule. Selbst Großbritannien vollzog nach 1931 eine währungspolitische Kehrtwendung und manipulierte den Wert des Pfunds kräftig unter das der Kaufkraftparität entsprechende Niveau. Mit diesem Vorgehen gab die britische Regierung das Startsignal zu einem allgemeinen Abwertungswettlauf. Das aufgrund der Kriegsreparationen hochverschuldete Deutsche Reich konnte sich an diesem Wettbewerb nicht beteiligen(7), und so begannen die deutschen Regierungen seit 1931, also schon vor Hitlers Machtübernahme, ersatzweise beim Mittel der Devisenbewirtschaftung Zuflucht zu suchen. Im Verlauf der 30er Jahre wurde der deutsche Handel weitgehend auf Kompensationsgeschäfte umgestellt, die auf der Basis bilateraler Verrechnungsabkommen abgewickelt wurden. Auch diese Lösung fand außerhalb der deutschen Grenzen zahlreiche Nach- ahmer. An die Stelle des weltweiten Freihandels traten allenthalben Autarkiebestrebungen, und den Restaustausch zwischen den Volkswirtschaften reglementierten bilaterale Handelsverträge. Dem entsprach die währungspolitische Entwicklung. Das Gold büßte seine Stellung als naturwüchsiges Weltgeld ein, ohne daß sich ein Ersatz herausgebildet hätte. Die kapitalistische Staatengemeinschaft zerfiel stattdessen in eine Vielzahl voneinander abgetrennter Währungsblöcke. Das britische Commonwealth (mit Ausnahme von Kanada) und die skandinavischen Länder bildeten den Herrschaftsbereich des Sterlings. Die Dollarzone umfaßte Süd-, Nord- und Mittelamerika. Frankreich, Italien, die Schweiz, Belgien, die Niederlande und Luxemburg bildeten einen Goldblock, der allerdings alsbald wieder auseinanderbrach und sich in seine Bestandteile auflöste.(8) Die südosteuropäischen Länder lehnten sich wirtschaftlich eng an das Deutsche Reich an. Parallel zur währungspolitischen Aufsplitterung und durch sie wesentlich auch mitverursacht kam es zu einer beschleunigten Desintegration der jungen Weltwirtschaft. Schon im Laufe der 20er Jahre hatte sich der Außenhandel beträchtlich verringert. 1928 etwa lag zwar die europäische Industrieproduktion um 23% über dem Vorkriegsniveau von 1913, im gleichen Zeitraum sank aber trotz der Staatenvermehrung nach dem Ersten Weltkrieg, die in Ost- und in Ostmitteleuropa einen beträchtlichen Teil des bisherigen Binnenhandels in Außenhandel verwandelt hatte, das Außenhandelsvolumen um 12,3%. Mit der Weltwirtschaftskrise spitzte sich diese Entwicklung weiter zu. Weit stärker als die Weltindustrieproduktion nahm in den turbulenten Jahren nach 1929 der Welthandel ab, und auch nachdem die schlimmsten Krisenjahre überwunden waren, stagnierte er bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. 1938 hatte sich die europäische Industrieproduktion von den wirtschaftlichen Erschütterungen einigermaßen erholt. Sie lag immerhin um 71% über dem Niveau von 1913, der europäische Außenhandel dagegen war in der Zwischenzeit im Vergleich zum Vorkriegsstand um 24,4% abgesackt.(9)
2.
Die Geschichte der Weltwirtschaft war in der Zwischenkriegszeit vom gleichzeitigen Zerfall der internationalen Währungsordnung und dem Kollaps des internationalen Handels geprägt. Diese fatale Entwicklung hat einen strukturellen Hintergrund, der über die damals herrschende historische Konstellation hinausweist. Eine aktive nationalstaatlich orientierte Geldpolitik ist letztlich mit einem stabilen Weltwährungssystem und der Freihandelsordnung unvereinbar. Kaum jemand hat das übrigens so klar gesehen wie John Maynard Keynes. In den 20er und 30er Jahren wies er mehr als einmal darauf hin, daß seine Theorie eines nachfrageorientierten Wachstums sich auf Dauer nur praktisch umsetzen läßt, wenn den politischen Grenzen auch wirtschaftliche Demarkationslinien entsprechen. Wo das nicht der Fall ist, so Keynes, werden Weltmarkteinflüsse die nationalen Steuerungsversuche alsbald konterkarieren und aushebeln. Persönlich ein eingefleischter Liberaler und jedem nationalistischen Ressentiment abhold, bekämpfte der bedeutendste Ökonom seiner Zeit vor diesem Hintergrund entschieden die Idee des Freihandels. Für ihn stand fest: Die Völker können und sollen in kulturellen Austausch treten, sie müssen aber darauf verzichten, in großem Stil Waren miteinander zu tauschen, wenn sie dafür nicht mit der Insuffizienz geldpolitischer Regulation und chronischer Unterbeschäftigung bezahlen wollen.
Die von den Epigonen unter dem Eindruck des Nachkriegsbooms tunlichst vergessene Keynessche Kritik am Freihandel und den ihm entsprechenden Währungsverhältnissen läßt sich für unseren Zusammenhang auch umkehren. Genauso, wie der freie internationale Wirtschaftsverkehr dazu angetan ist, den nationalen Instanzen die geldpolitischen Instrumentarien aus der Hand zu schlagen, untergräbt eine auf nationale Zielvorgaben ausgerichtete Geldpolitik das Freihandelssystem und die ihm adäquate Währungsordnung. Solange Einzelregierungen mit geldpolitischen Eingriffen den heimischen Konjunkturverlauf oder die nationale Zahlungsbilanz zu regulieren suchen, werden ihre Maßnahmen nicht nur ein ums andere Mal mit den asynchronen Bemühungen der Kollegen und Konkurrenten kollidieren; diese Zusammenstöße bringen gleichzeitig, wenn sie etwas heftiger ausfallen, immer auch gleich Bewegung ins internationale monetäre Bezugssystem.
Diese inhärente Instabilität ist dabei keineswegs allein einer unzulänglichen Politik oder mangelnder internationaler Koordination geschuldet und durch Übereinkünfte oder gar die Übertragung wirtschaftspolitischer Kompetenzen auf transnationale Institutionen aus der Welt zu schaffen. Sie hat tiefergehende Wurzeln. Wer die gegenläufigen nationalen Wirtschaftspolitiken und die Ohnmacht übernationaler Organisationen für die internationale Ungleichgewichtigkeit kapitalistischer Entwicklung verantwortlich macht, der verwechselt Ursache und Wirkung. Die nationalen Regierungen können vielmehr deshalb ihre geldpolitische Vorgehensweise nicht unter ein weltkapitalistisches Gesamtinteresse subsumieren und verhalten sich auf diesem Gebiet regelmäßig »egoistisch«, weil das System des sich selber verwertenden Werts aus seiner selbstläufigen Dynamik heraus verhindert, daß sich die wichtigsten ökonomischen Eckdaten im Gleichlauf entwickeln und die einzelnationalen Interessen zumindest im Groben zur Deckung kommen. Ein Land, das hohe Wachstumsraten und Geldentwertung zu verzeichnen hat, wird auch dann der Inflationsbekämpfung Priorität einräumen, wenn diese Politik die schwächelnde Konjunktur in den exportierenden Ländern abzuwürgen droht. Ein Staat, der einen Produktivitätsrückstand wettzumachen hat, wird vielleicht auch dann auf Abwertungskurs gehen, wenn er sich damit von den Kaufkraftparitäten entfernt. Im oft beklagten Dauerclinch der nationalen Sonderinteressen kommt nur zum Vorschein, wie wenig die berüchtigte invisible hand des (Welt)marktes auch auf der zwischennationalen Ebene auf Harmonie und Interessenausgleich hinlenkt. Die vom Standpunkt des Freihandelsideals aus »uneinsichtigen Politiker« exekutieren nur diese zentrifugale Logik. Im Rahmen der Vergesellschaftung über den Weltmarkt bleibt der bald offen, bald verdeckt geführte Kampf der staatlich eingerahmten Verwertungsstandorte die einzig denkbare Form internationaler Beziehungen, und die Währungspolitik gehört zu den Hauptschlachtfeldern.(10)
3.
Diesem grundlegenden Widerspruch zum Trotz brachte die Nachkriegszeit eine Reorganisation der internationalen Währungsverhältnisse und es bildete sich eine vergleichsweise stabile Weltwährungsordnung heraus. Zwar geschah nicht das Unmögliche, die Etablierung einer transnationalen Geldeinheit, dafür übernahm eine nationale Währung die Weltgeldfunktion. Die US-Administration schuf den monetären Überbau für eine in der Geschichte des Kapitalismus einmalige Expansionsphase, die auf der internationalen Ebene durch die Rückkehr zum Freihandel und durch eine gigantische Ausdehnung des Welthandels gekennzeichnet war. Die Apologeten der freien Marktwirtschaft sehen in dieser Entwicklung eine glänzende empirische Bestätigung für die Gültigkeit ihrer harmonistischen Vorstellungen. Wenn nur der politische Wille vorhanden ist, adäquate Rahmenbedingungen herzustellen, so die Quintessenz, dann gleicht sich die Wirklichkeit auch der ökonomischen Idealwelt an. Im festen Glauben an die universelle Gültigkeit ihrer Modelle erspart sich die Marktwirtschaftsgemeinde die Mühe, die spezifischen, die Nachkriegsordnung konstituierenden historischen Bedingungen zu untersuchen.
Wer sich allerdings nicht auf den Standpunkt der Marktwirtschaftsreligion stellt, kann sich diese ahistorische Nonchalance nicht leisten. Aus der Perspektive des Kritikers erhebt sich vielmehr die Frage, welche besonderen Umstände die Renaissance eines halbwegs stabilen Weltwährungssystems und des Freihandels nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt ermöglichten. Wie konnte es dazu kommen, daß über ein knappes Vierteljahrhundert hinweg die zwischenstaatliche Konkurrenz zwar nicht sistiert, aber doch in ein sich vereinheitlichendes internationales monetäres Bezugssystem eingebunden blieb, obwohl die Zeit nach 1945 bekanntlich keineswegs die Rückkehr zum geldpolitisch abstinenten Staat brachte?
Die Frage nach den Voraussetzungen für die Etablierung der Nachkriegsordnung und des Bretton-Woods-Systems läßt sich nur beantworten, wenn wir uns die ökonomischen und währungspolitischen Resultate der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs vergegenwärtigen. In zweierlei Hinsicht hat die Doppelkatastrophe nämlich erst die Grundlage der weltweiten fordistischen Boomphase und des ihr entsprechenden Handels- und Währungssystems geschaffen. Zum einen war nach 1945 der Autarkiegedanke gründlich desavouiert. Es ließ sich kaum mehr übersehen, welche verheerenden Folgen die nationale »Rette-sich-wer-kann«-Politik nach sich gezogen hatte, der in den 30er Jahren alle Regierungen gefolgt waren. Die allgemeine Ernüchterung über die ökonomischen Resultate einer von nationalen Alleingängen bestimmten Währungspolitik mußte aber denjenigen Kräften in den europäischen und amerikanischen Führungsetagen Oberwasser verschaffen, die bereit waren, über eine Rückkehr zum Freihandel und eine Reorganisation des internationalen Währungs- und Finanzgefüges nachzudenken.
Dieser ideologische Faktor allein hätte angesichts der fortbestehenden massiven Interessengegensätze aber kaum zu einer Einbindung der alles andere als synchron verlaufenden nationalen Geldpolitiken in ein übergreifendes monetäres Netz und zum Triumph des freien Welthandels geführt. Etwas anderes entscheidendes kam hinzu. Der Zweite Weltkrieg veränderte radikal die internationale Mächtekonstellation. 1939 hatte das noch in statu nascendi befindliche warenproduzierende Weltsystem mehrere voneinander unabhängige Zentren, und die Misere der Weltwirtschaft bestand in der unbedingten rücksichtslosen Konkurrenz dieser verschiedenen Metropolen. Nach 1945 hingegen dominierte im Westen in jeder Hinsicht eine Weltmacht eindeutig den Weltmarkt, die Vereinigten Staaten. Schon mit dem Ersten Weltkrieg hatten die USA Großbritannien als die stärkste Wirtschafts- und Finanzmacht abgelöst, ohne sich allerdings als die Vormacht zu etablieren. Die Wachstumsraten lagen in den USA deutlich höher als bei den europäischen Konkurrenten, und auch die Goldreserven des neuen Gläubigers der Welt waren bereits 1925 sechsmal so hoch wie die Großbritanniens. Der Zweite Weltkrieg trieb diesen säkularen Trend aber erst so richtig auf die Spitze. In der Dekade von 1938 bis 1948 stieg das amerikanische Bruttosozialprodukt um 165%, das westeuropäische fiel dagegen um 13%. Bei Kriegsende erzeugten die Vereinigten Staaten die Hälfte der gesamten Weltindustrieproduktion. Außerdem erzielten die USA gigantische Handelsüberschüsse, akkumulierten gegenüber ihren Verbündeten umfängliche Forderungen und stiegen zum Weltgläubiger auf. Die Produktivitätsentwicklung dokumentiert ebenfalls die haushohe Überlegenheit der US-Wirtschaft. 1938 erreichte die Arbeitsproduktivität in Deutschland 50 Prozent, in Großbritannien 70 Prozent und in Frankreich 64 Prozent des US-amerikanischen Niveaus. 1950, nach der Überwindung der Nachkriegskrise, brachten es diese Länder nur mehr auf 33, 56 bzw. 44 Prozent der amerikanischen Vergleichswerte.(11) Diese Entwicklung mußte natürlich auch auf die monetäre Ebene durchschlagen. Als der Krieg zu Ende ging, verfügte die Federal Reserve, die amerikanische Bundesbank, über 71% des Weltwährungsgoldes.(12) Aber nicht nur die ökonomischen Gewichte verschoben sich zugunsten der USA. Gleichzeitig verabschiedete sich die US-Regierung endgültig von ihrer traditionell isolationistischen Politik und stellte sich ihrer »globalen Verantwortung«, anders ausgedrückt, sie setzte sich das Ziel, auch die außeramerikanische Welt nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Formal ging das weltumspannende Freihandelssystem natürlich aus der freien Übereinkunft souveräner Regierungen hervor. Real entsprang diese neue Weltordnung aber in erster Linie den Zielvorstellungen der USA, und es war die geballte ökonomische Potenz einer nationalen Übermacht, die für die Durchsetzung des Freihandels sorgte. Die Weltgeldposition der US-Währung war nur ein Ausdruck für das amerikanische Weltmarktmonopol nach dem Krieg. Der Dollar konnte das Gold als Weltgeld beerben, weil die USA dank ihrer Rolle als Weltgläubiger und aufgrund ihrer umfänglichen Goldreserven im Gegensatz zu fast allen anderen kapitalistischen Kernländern keine Schwierigkeiten hatten, ihre Währung an das traditionelle Weltgeld zu binden. Mit dem Verlust der absoluten Vormachtstellung der amerikanischen Wirtschaft mußte aber auch die Stellung des Dollar ins Rutschen geraten.
4.
Wie stark die normative und weichenstellende Kraft der USA und ihrer Administration nach dem Ende des Krieges war, wird an der Art und Weise deutlich, in der die neue Weltmacht Großbritannien auf ihre Linie zwang. Großbritannien, die einstige »Werkstatt der Welt«, war mit dem Zweiten Weltkrieg in völlige Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten geraten und zu deren Juniorpartner abgesunken. Die Kriegskosten hatten die ehemals reichlichen Auslandsguthaben des britischen Empire fast völlig aufgezehrt. Das Vereinigte Königreich war darüber hinaus in hohem Maße bei seinem Alliierten verschuldet. Für den Wiederaufbau und die Ankurbelung der Wirtschaft benötigte Großbritannien dringend weitere amerikanische Kredite. Angesichts der prekären Lage der heimischen Industrie hielt die britische Regierung am aus der Kriegs- und Vorkriegszeit überkommenen Schutzzollsystem und an der Devisenbewirtschaftung fest. Nicht ohne Grund war sie davon überzeugt, daß angesichts der haushoch überlegenen amerikanischen Konkurrenz nur auf diese Weise das Überleben der britischen Wirtschaft zu sichern sei. Die US-Administration allerdings war zunächst entschlossen, derlei protektionistische Sperenzchen nicht zu dulden. Schon einen Monat nach Kriegsende schritt sie zur Tat:
»Im Juni 1945 kündigte sie brüsk ihr Pacht- und Leihabkommen mit Großbritannien. Die britische Regierung, die ihre Kriegsschulden nicht sofort ablösen konnte, mußte einen hohen Kredit beantragen. Der amerikanische Kongreß gewährte ihn jedoch nur […] unter der Bedingung, daß Großbritannien sein Imperial Preference System mit den Präferenzzöllen im Commonwealth allmählich abbaute und wieder zum allgemeinen Freihandel überging.«(13)
Die britische Regierung war angesichts dieses massiven Drucks zum Einlenken gezwungen. Die negativen Folgen der amerikanischen Freihandelsoffensive ließen allerdings nicht allzu lange auf sich warten. Währungspolitisch wurden sie mit der von den USA erzwungenen Wiederherstellung der Sterling-Konvertibilität am 15.7.47 offenbar:
»Es wurden derart viele Pfund Sterling in Dollar umgetauscht, daß schon nach einigen Wochen zwei Drittel der britischen Währungsreserven aufgebraucht waren und die britische Regierung die auf amerikanischen Druck beschlossene Konvertibilität wieder aufhob.«(14)
Genauso verheerend wie auf der monetären Ebene wirkte sich der übereilte Übergang zum Wirtschaftsliberalismus auch bei der Realakkumulation aus. Der Wiederaufbau der britischen Wirtschaft litt ebenso unter den knappen Finanzen wie unter der amerikanischen Konkurrenz und geriet alsbald ins Stocken. Um wenigstens die britischen Exportanteile im Commonwealth einigermaßen zu halten, sah sich die britische Regierung schließlich gezwungen, auf die Einlösung ihres Liberalisierungsversprechens zu verzichten. Sie schrieb das von den Amerikanern inkriminierte Imperial Preference System fort.
Nicht nur Großbritannien hatte in dieser Phase der Nachkriegsentwicklung mit massiven Problemen zu kämpfen. Der übereilte Versuch der USA, den unter den Kriegsfolgen leidenden Ländern ihre Freihandelsdogmatik aufzuherrschen, machte das Jahr 1947 auch andernorts zum Krisenjahr. Die europäischen Staaten benötigten allesamt (von der Schweiz, Schweden und Belgien einmal abgesehen) dringend Dollars, um damit Kapitalgüter für den Wiederaufbau zu kaufen. Sie mußten überdies, da der europäische Bergbau am Boden lag, Steinkohle und, nach Mißernten, auch noch Agrarprodukte aus den USA einführen. Keines der europäischen Kernländer konnte jedoch diese unerläßlichen Importe durch Exporte in den Dollarraum finanzieren, und ausreichende Devisenreserven, mit deren Hilfe diese strukturellen Defizite hätten überbrückt werden können, waren ebenfalls nicht vorhanden. Eine riesige Dollarlücke drohte daher die wirtschaftliche Entwicklung in Europa und Japan abzuwürgen, und die langfristigen Kredite, die die USA anboten, reichten bei weitem nicht hin, sie zu schließen. Die Kapitalflucht aus dem kriegszerstörten Europa ins unversehrte Amerika verschlimmerte die Situation noch zusätzlich. Unter diesen Umständen deutete Mitte 1947 vieles darauf hin, daß außerhalb der USA auch weiterhin nur die staatliche Notstandsverwaltung ein dürftiges Überleben würde sichern können. Der bald einsetzende Wirtschaftswunderboom war jedenfalls zu diesem Zeitpunkt beileibe noch nicht absehbar.
Hätten sich die USA in ihrer freihändlerischen Dogmatik unflexibel gezeigt, so wäre die fulminante Dynamik, die in den 50er Jahren die Entwicklung der Weltwirtschaft kennzeichnete, wohl auch tatsächlich nie in Gang gekommen. Die USA waren aber nicht nur willens und fähig, das von ihnen favorisierte Freihandelssystem durchzusetzen; dank ihrer gewaltigen wirtschaftlichen Übermacht konnten sie der übrigen kapitalistischen Staatenwelt auch die Mittel zur Verfügung stellen, die diese Länder beim Übergang in die neue, von den Amerikanern diktierte Weltordnung benötigten; und angesichts des sich anbahnenden Ost-West-Konflikts waren sie auch noch bereit, entsprechende Kapitalmengen zu transferieren. Im zweiten Halbjahr 1947 vollzog die amerikanische Regierung eine Kehrtwende. Am 5.6.1947 stellte der damalige Außenminister General George Catlet Marshall in Harvard offiziell das berüchtigte alsbald nach ihm benannte Wiederaufbauprogramm für Europa vor, und am 1.7.1948 lief der zunächst auf 20 Milliarden Dollar veranschlagte Hilfsplan an. Die beträchtlichen Mittel, die die US-Regierung über den Atlantik pumpte, versetzten die Europäer in die Lage, ihre Infrastruktur zu erneuern, die Grundlage für gewaltige Produktivitätssteigerungen in den Schlüsselsektoren Energie und Stahl zu legen und ihre maroden Währungen zu sanieren. Schon in der ersten Phase (1948/49) zeitigte die Initiative beeindruckende Erfolge. Die Industrieproduktion stieg im europäischen Durchschnitt um 30%, während die Arbeitsproduktivität alsbald schon um 10% über dem Vorkriegsniveau lag. Gleichzeitig konnten die inflationären Prozesse, die nach Kriegsende vor allem in den Verliererländern(15), aber auch bei den Alliierten eingesetzt hatten und sich nur durch Preiskontrollen partiell zurückstauen ließen, gestoppt werden.(16) Für dieses angesichts der verheerenden Ausgangslage vielversprechende Anfangsergebnis war aber nicht allein die großzügige monetäre Unterstützung verantwortlich, die es den Westeuopäern erlaubte, die Dollarlücke bis auf weiteres zu überbrücken. Genauso entscheidend war eine andere Tatsache. Die US-Administration verzichtete nun darauf, die für die Partner offensichtlich mörderische sofortige Liberalisierung von Welthandel und Kapitalverkehr durchzusetzen. Sie akzeptierte, daß die Europäer sich zunächst einmal daran machten, das System protektionistischer Hemmnisse im kontinentalen Rahmen zurückzuschneiden, während die wirtschaftlichen Schutzmauern zwischen Amerika und dem europäischen Block erst zu einem späteren Zeitpunkt fallen sollten. Hauptprotagonist der innereuropäischen Liberalisierung war die von den USA aus der Taufe gehobenene Organization for European Economic Cooperation, der Vorläufer der OECD. Zwischen 1949 und 1951 setzte die OEEC zunächst die Lockerung von Mengenbeschränkungen im Export durch und erreichte schließlich schon in dieser Phase, daß für 90% aller Güter die bestehende Kontingentierung aufgehoben wurde. Diese Maßnahmen wurden durch die Gründung der Europäischen Zahlungsunion (EZU) im Juli 1950 flankiert. Sie systematisierte das bestehende Geflecht innereuropäischer Clearing-Abkommen. In der Folge dehnte sich der innereuropäische Handel sehr schnell aus.
Angesichts des Ost-West-Konflikts waren die USA bereit, die unmittelbaren Interessen ihrer Industrie hintanzustellen und den Europäern erhebliche Zugeständnisse zu machen. Die Stabilisierung der westeuropäischen Staaten forderte ihren Preis, und die amerikanische Regierung war bereit, ihn zu tragen. Der politisch motivierte amerikanische »Altruismus« darf über eins aber nicht hinwegtäuschen: Die »freie Welt« war nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich nichts anderes als ein Synonym für die Pax Americana. Bei internationalen Institutionen wie der Weltbank und dem IWF, die den institutionellen Rahmen für die rasante Nachkriegsentwicklung mit absteckten, handelte es sich letztlich um Transmissionsriemen der allgegenwärtigen amerikanischen Vormacht.
Der Durchbruch zur modernen Weltwirtschaft mit ihrem neuartigen Vernetzungsniveau vollzog sich also unter der Ägide einer alle anderen in den Schatten stellenden nationalen Macht. Diese Tatsache mag auf den ersten Blick mehr oder minder als historischer Zufall erscheinen. Bei näherem Hinsehen ändert sich die Perspektive allerdings. Der Transnationalisierungsprozeß, der schließlich die Nationalökonomien einschließlich der amerikanischen auflöste, wäre ohne die absolute Dominanz der Vereinigten Staaten gar nicht denkbar gewesen. Aus der freiwilligen Übereinkunft der vielen schwer angeschlagenen kapitalistischen Mächte wäre niemals eine auf multilateralen Freihandel orientierte und durch eine entsprechende Weltgeldpolitik abgestützte internationale Ordnung erstanden. Das nationale Hemd mußte den um ihr Überleben kämpfenden Ex-Großmächten Frankreich und Großbritannien und erst recht den zunächst einmal von jeder aktiven Gestaltung der internationalen Beziehungen ausgeschlossenen Kriegsverlierern und den kleinen Staaten näher sein als der internationale Rock, und das bedeutete zwangsläufig die Fortschreibung von Devisenbewirtschaftung und Außenhandelsbeschränkungen. Als treibende antiprotektionistische Kraft kam nur ein Einzelstaat in Frage, der sich seiner Überlegenheit sicher war und das Selbstbewußtsein und die materiellen Möglichkeiten hatte, als moderner Atlas das Himmelsgewölbe des internationalen Überbaus auf seine Schultern zu nehmen.
Wie im Brennspiegel läßt sich diese Frage am Problem des Weltgeldes und jener Institutionen studieren, die es ausgeben und mit ihm Weltkonjunkturpolitik betreiben sollten. Vor dem Ersten Weltkrieg beruhte der den Globus umgreifende Währungsüberbau auf dem transnationalen Automatismus allgemeiner Golddeckung. Dieser Zustand, so viel war klar, ließ sich nach 1945 nicht restaurieren. Wenn es so etwas wie ein Weltgeld wieder geben sollte, dann mußte, nachdem der aktive Einsatz monetärer Steuerungsmittel zu einer selbstverständlichen Notwendigkeit geworden war, auch auf der internationalen Ebene eine mit wirtschafts- und geldpolitischen Entscheidungskompetenzen ausgestattete Instanz das neue Weltgeld garantieren und steuern. Diese Institution konnte prinzipiell entweder eine national-hegemoniale oder eine internationale sein. Anfang der 40er Jahre, in der Vorbereitungsphase der Bretton-Woods-Verhandlungen, standen noch beide Optionen im Raum. Für die internationale Lösung machten sich allerdings bezeichnenderweise gerade nicht diejenigen Kräfte stark, die offensiv für einen alsbaldigen Übergang zu einer liberalen Ordnung eintraten, sondern im Gegenteil die Bremser. Der Hauptfürsprecher einer internationalistischen Lösung war bezeichnenderweise kein geringerer als Keynes. Angesichts des Niedergangs des Commonwealth und der wachsenden Abhängigkeit Großbritanniens von den USA rückte er zwar in seinen im Auftrag der britischen Regierung im Sommer 1941 erstellten Vorschlägen für die Neuordnung der Weltwirtschaft nach dem Krieg notgedrungen von seinen alten Autarkievorstellungen ab, das heißt allerdings keineswegs, daß Keynes sich nun plötzlich vom unbedingten Primat der nationalen Interessen im allgemeinen und der britischen im besonderen verabschiedet hätte.
Der Keynes-Plan sah vor allem zweierlei vor. Zum einen visierte er die Schaffung eines internationalen Kunstgeldes namens »bancor« an. Im »bancor«, dessen Wert in Gold festzusetzen wäre, sollten künftig die Wechselkurse ausgedrückt und der Saldenausgleich der Zentralbanken vorgenommen werden. Damit hätte sich für die Zentralbanken das Halten fremder Währungen als internationale Reserve erübrigt. Zum anderen schlug Keynes vor, daß die Nationalstaaten einen Teil ihrer Souveränität an die transnationale Institution abtreten sollten, die dieses Kunstgeld ausgab. Es bedarf keines besonderen Scharfsinns, um die treibenden Motive zu erkennen, die dieser Konzeption zugrundelagen. Zum einen schien die Einführung des »bancors« geeignet, die sich abzeichnende Dollarübermacht zu begrenzen und damit den Absturz der alten Leitwährung, des britischen Pfundes, zu bremsen. Noch entscheidender war aber ein anderer Gesichtspunkt. Der Keynes-Plan verknüpfte die Schaffung des »bancors« mit einer automatischen Kreditgewährung für Länder mit passiver Zahlungsbilanz.(17) Die Defizitländer sollten nicht zu einer Deflationspolitik gezwungen werden können, gleichzeitig aber einen sicheren Zugriff auf internationale, sprich amerikanische Finanzmittel gewinnen. Da Keynes die für die Verschuldungsgrenzen festzusetzenden Länderquoten auf drei Viertel des Jahresdurchschnitts der Ein- und Ausfuhren der letzten drei Vorkriegsjahre fetzulegen gedachte, addierte sich die Gesamtkreditquote auf volle 25 Mrd. Dollar. Der keynessche Internationalismus war also ein reiner Versorgungsinternationalismus, der letztlich keinen anderen Zweck verfolgte, als das unbedingte Primat nationaler Entwicklungsziele vor den Zudringlichkeiten der Freihandelsmacht und ihrer Globalisierungsversuche abzuschirmen.(18) Die Internationalisierung des institutionellen Rahmens war dazu angetan, die amerikanischen Freihandelspropheten durch eine von den britischen Chefinvaliden geführte Koalition der Fußkranken der kapitalistischen Entwicklung zu majorisieren und an der Kandare zu halten.
Für die abgehalfterte Großmacht Großbritannien und für die übrigen am Boden liegenden europäischen Staaten wäre die Einrichtung eines solchen Selbstbedienungsladens natürlich verlockend gewesen. Die USA allerdings fanden sich aus verständlichen Gründen nicht dazu bereit mitzuspielen. Seit Dezember 1941 erarbeiteten H.D. White und seine Kollegen im amerikanischen Finanzministerium einen Alternativplan. H.D. White wandte sich zwar als Anhänger des New Deal keineswegs gegen eine aktive Geldpolitik und gegen internationale Unterstützung für Länder mit negativer Zahlungsbilanz, die Kreditvergabe knüpfte er allerdings an restriktive Bedingungen.(19) Während Keynes die Überschußländer verpflichten wollte, am Ausgleich von Zahlungsbilanzdefiziten mitzuwirken,(20) war es dem White-Plan zufolge einseitig Aufgabe der Passivländer, die wirtschaftlichen Lasten der Sanierung zu tragen. Für den »bancor«, dessen Deckung Schwierigkeiten bereitet hätte, war im White-Plan kein Platz. An seine Stelle sollte ein Korb nationaler Währungen treten, was angesichts der ökonomischen Gewichte faktisch auf nichts anderes als auf die Herrschaft des von der amerikanischen Zentralbank verwalteten Dollars hinauslaufen konnte.
Als im Juli 1944 in Bretton Woods 44 Länder ein Abkommen über die Ausgestaltung der Währungsverhältnisse nach dem Krieg trafen, setzte sich White mit seinen Vorstellungen im wesentlichen durch. Das gilt zunächst für die Etablierung der amerikanischen Währung als Weltgeld. Da die meisten Vertragsstaaten auf eine direkte Goldkonvertibiltät mangels ausreichender Goldreserven verzichteten, wurde der Dollar, dessen Wert seit 1934 mit einem Preis von 35 Dollar pro Unze Gold wieder an die metallische Basis gekoppelt war, zum allgemeinen monetären Bezugspunkt für das angestrebte System fester Wechselkurse.(21) Nur die Zentralbanken der Commonwealth-Staaten zogen es einstweilen noch vor, die indirekte Goldkonvertibilität über das Pfund Sterling herzustellen, und hielten weiterhin in großem Umfang die britische Währung. Mit dem sukzessiven Verfall des Pfundes in den 50er Jahren verabschiedeten aber auch sie sich von dieser Praxis. Der Sterling-Block zerfiel, und das Pfund verlor seine traditionelle Bedeutung als Reservewährung nach und nach fast vollständig an den Dollar. Aber auch was die restriktive Handhabung der Kreditbestimmungen angeht, folgte das neu installierte internationale System der Whiteschen Konzeption. Das Abkommen von Bretton Woods sah die Gründung eines internationalen Stabilisierungsfonds, des IWF, und einer ihm angeschlossenen Weltbank vor. Diese Institutionen zeigten sich bei der Kreditvergabe allerdings recht knauserig. Beim IWF, der im März 1947 seine Tätigkeit aufnahm, durfte zwar jedes Mitgliedsland jene 25% seiner Beitragsquote, die es in Gold bzw. konvertiblen Währungen selber eingezahlt hatte, bei Zahlungsschwierigkeiten automatisch ziehen, jede weitere Inanspruchnahme des Fonds unterlag allerdings strikter Kontrolle, und die amerikanischen Unterhändler verstanden es, den Zugang zu den ohnehin knapp bemessenen Mitteln des Fonds mit Hindernissen zu spicken.(22)
Unter diesen Umständen konnte die Bedeutung des IWF nur bescheiden ausfallen. Die Kapitalzufuhr, die den Aufschwung in Europa und seit dem Koreakrieg auch in Japan möglich machte, stammte unmittelbar aus amerikanischen Quellen, der IWF und die Weltbank spielten hier keine Rolle. Ländern, die Mittel aus dem Marshallplan bezogen, blieb jede zusätzliche Unterstützung durch den IWF prinzipiell versagt. An den geringen Möglichkeiten der neuen internationalen Institutionen änderte sich auch nach dem Auslaufen der unmittelbaren US-Aufbauhilfe nichts. Für die Umsetzung seiner Hauptaufgabe, der Aufrechterhaltung fester Wechselkurse, war der Fonds nur unzulänglich gerüstet. Das bedeutete aber, daß in die Bretton-Woods-Ordnung von vornherein ein grundlegender Widerspruch eingebaut war:
»Die erheblich eingeschränkte Wechselkursflexibilität erforderte als Gegengewicht mehr ausländische Mittel zur Überbrückung der Zahlungsbilanzdefizite, und gerade diese Ausweitung wurde eng eingegrenzt. Zwischen dem normativen Idealsystem, das in Bretton Woods ausgehandelt worden war, und dem allgemeinen Währungswirrwarr um 1945 tat sich eine breite Kluft auf.«(23)
Wenn diese Kluft nicht alsbald aufbrach und zu erheblichen Turbulenzen führte, so hat das nur einen Grund. Das in Bretton Woods vereinbarte System erlitt allein deshalb nicht sofort Schiffbruch, weil es bis tief in die 50er Jahre hinein faktisch gar nicht zur Anwendung kam! Die Liberalisierung des Welthandels und des internationalen Kapitalverkehrs wurde zwar von allen Beteiligten als offizielles Ziel anerkannt, die Verwirklichung dieser Vorgabe erfolgte allerdings nach den bösen Erfahrungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit keineswegs im Eiltempo. Vor allem gegenüber dem Dollarraum blieben in den europäischen Ländern die aus der Weltkriegszeit übernommenen Devisenbewirtschaftungssysteme noch jahrelang in Kraft, und auch die Handels- und Zahlungsrestriktionen im Amerikahandel wurden bis auf weiteres prolongiert.
Trotz der einmaligen weltwirtschaftlichen Schönwetterlage, die in den 50er und 60er Jahren herrschte, zeigte sich recht schnell, daß das in Bretton Woods beschlossene System fester Wechselkurse auf einer alles andere als felsenfesten Grundlage errichtet worden war. Selbst in den Hochzeiten des weltweiten fordistischen Booms wurde es immer wieder von Krisen erschüttert. Schon bei der Festlegung der Währungsparitäten im Dezember 1946 kam zunächst einmal eine äußerst prekäre und keineswegs im Gleichgewicht befindliche Währungsordnung zustande. Die von den jeweiligen Regierungen vorgeschlagenen und vom IWF fraglos akzeptierten Wechselkurse entsprachen auch nicht im entferntesten den Kaufkraftparitäten und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen Länder. Irreal waren insbesondere die Austauschrelationen zum Dollar. Um ihre Dollar-Schulden zu bedienen und die notwendigen Importe aus den USA zu begleichen, mußten die europäischen Länder umso geringere Exportmengen in den USA absetzen, je höher ihre Währungen bewertet wurden. Da es unter den Bedingungen der Devisenbewirtschaftung möglich war, eine Importschwemme zu verhindern, die die Zahlungsbilanzdefizite hätte anwachsen lassen, setzten die europäischen Regierungen allesamt den Außenwert ihrer Landeswährungen grotesk hoch an. Auf Dauer konnte das allerdings nicht gutgehen. Vor allem die britische Währung geriet sehr schnell unter Druck. Da ausländische Besitzer von Sterling-Guthaben, insbesondere die Rohstofflieferanten, in großem Umfang auch unter dem Kurs Dollars eintauschten, überschwemmten Pfundmassen die Geldmärkte. Nach dem Beschluß der italienischen (1947) und der französischen Regierung (1948), neben dem offiziellen auch noch einen freien Dollarkurs einzuführen, waren das Pfund und mit ihm auch die übrigen überbewerteten europäischen Währungen nicht mehr zu halten, und es kam zu heftigen Währungswirren. Angesichts des permanenten Zustroms europäischer Währungen, die deren Besitzer in Dollars tauschen wollten, erzwang die amerikanische Regierung am IWF vorbei schließlich eine Korrektur der Wechselkursparitäten. Als am 18.9.1949 die britische Regierung das Pfund um 30% abwertete, löste dieser Schritt eine Kettenreaktion von Wechselkursänderungen aus. Bis zum Ende des Jahres folgten mit Ausnahme der Schweiz und Japans fast alle wichtigen kapitalistischen Staaten dem britischen Vorbild und werteten gegenüber dem Dollar massiv ab.(24)
5.
Auf dem neuen Niveau blieben die Wechselkurse vergleichsweise stabil. Am Ende der 50er Jahre herrschten zwischen dem Dollar und den übrigen westlichen Währungen nach wie vor die gleichen offiziellen Paritäten wie zu Beginn des Jahrzehnts.(25) Diese Konstanz bedeutet allerdings keineswegs, daß sich unter dem erstarrten Währungsdach keine grundlegenden Veränderungen in den monetären und realwirtschaftlichen internationalen Beziehungen vollzogen hätten. Im Gegenteil, der fordistische Boom in der westlichen Welt mit seiner historisch einmaligen Wachstumsdynamik und der Übergang zu einer von Massenproduktion, Massenkonsum und der beschleunigten Expansion des internationalen Güteraustauschs gekennzeichneten Ära(26) hatte eine nachhaltige Verschiebung der wirtschaftlichen Gewichte geradezu zur zwingenden Voraussetzung. Zwar konnten nur die politisch und ökonomisch übermächtigen USA den Startschuß für das globale Wachstumsrennen abgeben, denn allein sie taugten, da sie keinerlei Konkurrenz zu fürchten hatten, als unbedingter Garant des freien Güter- und Kapitalverkehrs; die Mitwettbewerber wären jedoch gleich in den Startlöchern steckengeblieben, hätten die Vereinigten Staaten sie nicht mit dem nötigen Weltkapitaltreibstoff versorgt und ihnen den Anschluß an das wirtschaftliche Niveau der USA ermöglicht. Der Dollartransfer, der die Dollarlücke, die monetäre Erscheinungsform der unbedingten Überlegenheit der US-Wirtschaft, schloß, erfolgte zwar in der Anschubphase auf dem Wege billiger Kredite und von Aufbauhilfen, und der Vorsprung der US-Wirtschaft blieb erst einmal erheblich; die Verstetigung des Wachstums war indes allein deshalb möglich, weil einerseits amerikanisches Privatkapital nach Europa und Japan floß und dort produktive Anlage fand, während andererseits die Juniorpartner der USA dem Promotor zusehends Weltmarktanteile abnahmen und ihre ehemals stark defizitäre Zahlungsbilanz ausgleichen konnten. Der relative Abstieg der USA war notwendig für den Aufschwung der Weltwirtschaft. Auf Dauer mußte er jedoch den auf die USA zentrierten weltwirtschaftlichen Ordnungsrahmen in Frage stellen. Der prononcierteste monetäre Ausdruck dafür ist die Dauermisere des Dollar. Im selben Maße, wie die Integration der Weltwirtschaft voranschritt und den engen Rahmen der Pax Americana sprengte, erwies sich die Weltgeldstellung der amerikanischen Währung als Achillesferse der kapitalistischen Weltvergesellschaftung.
Der sukzessive Abstieg der Vereinigten Staaten begann bereits Anfang der 50er Jahre. Das läßt sich schon an den durchschnittlichen jährlichen Wachstumsziffern ablesen. Die Zuwachsraten beim Bruttosozialprodukt lagen zwar auch in den USA mit 3,2% in den 50er Jahren deutlich über dem in den vorhergehenden Jahrzehnten erreichten Niveau, im Vergleich mit den übrigen späteren OECD-Staaten nehmen sich die amerikanischen Werte allerdings eher bescheiden aus. Von Großbritannien einmal abgesehen, das seinen Kampf um den Erhalt des Pfund Sterling als Weltnebenreservewährung mit erheblichen Abstrichen bei den Wachstumsziffern bezahlen mußte, fielen sie in allen kapitalistischen Kernländern deutlich höher aus. Frankreich brachte es immerhin auf eine durchschnittliche Wachstumsquote von 4,6%, Italien auf 5,8%. In der BRD wuchs das BSP im Durchschnitt um 7,8% und in Japan gar um 9,5%.(27) In der Dekade von 1945 bis 1955 fiel denn auch der Anteil der USA an der Weltindustrieproduktion sukzessive von 50 auf 36 Prozent und sank bis 1965 schließlich auf 30 Prozent. Während die europäische und japanische Industrie auf Hochtouren lief und ihre Kapazitäten fast vollständig nutzen konnte, tat sich in den USA eine wachsende Kluft zwischen potentieller und tatsächlicher Produktion auf. Parallel dazu begannen die Hauptkonkurrenten Japan und BRD auch in Sachen Produktivität die USA einzuholen und zu überholen.(28)
Diese realwirtschaftliche Entwicklung hatte natürlich auch eine monetäre Entsprechung. Die USA fungierten in der Nachkriegszeit permanent als eine Art riesiges Geld- und Kapitalreservoir, das sich sukzessive entleerte und dabei die Weltwirtschaft auf Touren brachte. In der unmittelbaren Nachkriegszeit sorgte die US-Administration mit Krediten für die notwendigen Dollarzuflüsse. Nach dem Auslaufen des Marshallplans waren die Europäer und Japaner imstande, in wachsendem Maße Dollars zu erwirtschaften, und so ergossen sich in der zweiten Hälfte der 50er Jahre die dringend benötigten Weltgeldströme weiterhin – nun ohne politisches Kommando und Regulierung – nach Westeuropa und Fernost. Diese Entwicklung schien das weltwirtschaftliche Gefüge zunächst einmal erst ins Gleichgewicht zu bringen. So wurde es möglich, die im Abkommen von Bretton Woods bereits vorgesehene allgemeine Konvertibilität aller westlichen Währungen tatsächlich umzusetzen. Nachdem sich zwischen 1952 und 1959 die Gold- und Devisenreserven Westeuropas und Japans verdoppelt und 1959 einen Gesamtstand von 22 Mrd. Dollar erreicht hatten(29) und gleichzeitig sich ohne Paritätsänderung die Unterbewertung des Dollar in eine Überbewertung verwandelt hatte, konnten die nationalen Währungen dieser Länder sich der amerikanischen Herausforderung endlich stellen. Im Dezember 1958 gingen die meisten westeuropäischen Länder zur Ausländerkonvertibilität im Leistungsverkehr über, drei Jahre später kamen auch die Inländer in den Genuß dieser Regelung.(30) Damit hatten sich die europäischen Kernländer endgültig vom System der Devisenbewirtschaftung verabschiedet, und die von der amerikanischen Regierung seit der Zeit des Zweiten Weltkriegs anvisierte Welt des freien Geld- und Kapitalverkehrs war endlich Wirklichkeit geworden.
Es dauerte allerdings nicht allzulange, bis diese Ordnung auch schon wieder in die Krise geriet. Einigermaßen störungsfrei funktionierte das glorreiche Bretton-Woods-System genaugenommen gerade einmal zwei Jahre lang.(31) Die permanenten Dollarabflüsse, die die Europäer und Japaner erst in den Stand versetzt hatten, zur freien Konvertibilität überzugehen, verschwanden damit nämlich nicht, sie verstärkten sich vielmehr und unterspülten sehr schnell die Position des goldgebundenen Dollars. Seit dem Ende der 50er Jahre mußten die USA erhebliche Defizite in ihrer Leistungsbilanz verzeichnen, die sich alsbald als chronisch erwiesen und eine entsprechende Auszehrung der Goldreserven zur Folge hatten.(32) Während sich von 1951 bis 1958 die Goldreserven der USA insgesamt vergleichsweise moderat um 1,76 Mrd. Dollar verringert hatten, war die amerikanische Zentralbank schon 1958 genötigt, Gold im Wert von 2,3 Mrd. Dollar abzustoßen, um die Zahlungsbilanz auszugleichen. In den folgenden Jahren setzte sich diese Entwicklung fort. Zwar erzielten die USA im Güter- und Dienstleistungsverkehr auch noch Ende der 50er Jahre bescheidene Überschüsse(33), angesichts der negativen Salden beim Kapitalverkehr(34) und den vornehmlich aus der Weltpolizistenrolle resultierenden staatlichen Transaktionen(35) ließ sich damit aber kein außenwirtschaftliches Gleichgewicht mehr herstellen, und die USA begannen, ihren über Jahrzehnte aufakkumulierten Besitzstand an Währungsgold beschleunigt abzuschmelzen. Die Situation verschlechterte sich in der Folgezeit weiter. Unter der Präsidentschaft von Johnson mußten die USA zum ersten Mal in diesem Jahrhundert eine negative Handelsbilanz verzeichnen. Die Folgen ließen nicht auf sich warten. Zwischen 1959 und 1964 schrumpften die amerikanischen Bestände um Gold im Gegenwert von 6,3 Mrd. Dollar, und in den folgenden vier Jahren wanderten noch einmal 4 Mrd. Dollar an Edelmetallreserven vor allem nach Europa ab. Dieser permanente Verlust mußte aber das Vertrauen in die Goldkonvertibilität des Dollar, die Basis des gesamten Bretton-Woods-Systems, erschüttern und Spekulationsbewegungen hervorrufen, die die strukturelle Misere in aktuelle Schwierigkeiten verwandelten. Im Oktober 1960 spitzte sich die Situation ein erstes Mal zu. Angesichts des amerikanischen Leistungsbilanzdefizits und der Überbewertung des Dollar kam es zu einem »gold-rush«. Kurz vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen kletterte der Goldpreis auf dem freien Goldmarkt auf 40 Dollar pro Unze und lag damit 5 Dollar über der offiziellen Parität. In Kooperation mit sieben anderen Ländern gelang es den USA noch einmal gegenzusteuern. Der neu gegründete Goldpool intervenierte in großem Stil auf dem freien Goldmarkt, und auf diese Weise gelang es, den freien Goldpreis zwischen Ende 1960 und Ende 1967 auf unter 35,35 Dollar zu drücken.
An den fundamentalen Problemen änderte diese Form von Krisenmanagement aber natürlich gar nichts. Im Gegenteil, die Stützung des Goldpreises trug selber mittelfristig zum weiteren Abbau der amerikanischen Goldbestände bei und mußte schließlich sang- und klanglos aufgegeben werden. Die strukturelle Dollarschwäche löste eine zweite Spekulationswelle aus, die der Goldpool nicht mehr in den Griff bekommen konnte. Da die mit der Eskalation des Vietnamkriegs erheblich gewachsenen US-Defizite die Erwartung nährten, daß die Goldparität des Dollar über kurz oder lang korrigiert werden müßte, häuften sich seit Ende 1967 erneut die privaten spekulativen Goldkäufe. Von Oktober 1967 bis März 1968 summierten sie sich auf 3,1 Mrd. Dollar(36) und lagen damit beim Vierfachen der laufenden Goldproduktion. Die Goldpool-Zentralbanken waren gezwungen, in diesem Zeitraum Gold im Wert von 2,72 Mrd. Dollar auf den Markt zu werfen. Immerhin die Hälfte dieses Verlustes mußten die USA tragen. Von ihren Goldreserven waren 1968 nur mehr 10,8 Mrd. Dollar übrig; damit hatten sich die Goldbestände, die in den Tresoren der amerikanischen Zentralbank lagerten, innerhalb von 10 Jahren halbiert. Da eine Trendumkehr nicht absehbar war, blieb dem Goldpool in dieser Situation keine andere Wahl als die Selbstauflösung und die Kapitulation vor dem spekulativen Druck. Die Zentralbanken überließen den privaten Goldmarkt künftig dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage und koppelten die globalen monetären Goldbestände von der privaten Nachfrage ab. Es gab nun einen doppelten Goldpreis. Während der Goldpreis auf dem freien Markt zu klettern begann, galt im Verkehr der Zentralbanken die alte Gold-Dollar Parität. Von diesem letztlich unhaltbaren Zustand bis zur Aufkündigung der Goldkonvertibilität des Dollar war es nur ein kurzer Weg. Es dauerte denn auch kaum drei Jahre, bis er durchmessen war. Das Ende der Goldkonvertibilität des Dollar bedeutete aber gleichzeitig das Ende des auf die Bretton-Woods-Vereinbarungen zurückgehenden Systems fester, um den Dollar gruppierter Wechselkurse.
6.
Was die realwirtschaftliche Entwicklung betrifft, so erscheint der Zeitraum von 1958 bis zur ersten Ölkrise von 1973 als der kurze goldene Sommer von Fordismus, Massenkonsum und Wohlfahrtsstaat. In dieser Phase erreichte der globale Nachkriegsboom seinen Höhepunkt und Abschluß. Währungspolitisch gesehen, lassen sich diese anderthalb Jahrzehnte allerdings nicht als das goldene Zeitalter kapitalistischer Reife, sondern nur als eine turbulente Übergangsphase fassen.
Wir haben gesehen, daß die Weltgeldrolle des Dollar ursprünglich auf der deutlichen Überlegenheit der US-Wirtschaft und der Position des Landes als universeller Weltgläubiger beruhte. Seit dem Ende der 50er Jahre waren die Vereinigten Staaten jedoch immer weniger imstande diese Rolle weiterzuspielen. Wie schon im vorhergehenden Dezennium traten auch in den 60er Jahren die USA als Nettokapitalexporteur auf, amerikanische Firmen tätigten in erheblichem Umfang Direktinvestitionen in Übersee, US-Banken legten dort ihr Geldkapital an; anders als in der unmittelbaren Nachkriesgszeit reichten die amerikanischen Überschüsse im Güter- und Dienstleistungsverkehr aber nicht mehr hin, um diese Geldabflüsse auszugleichen. Die chronisch negative Zahlungsbilanz der USA mußte auf Dauer aber die Goldkonvertibilität des Dollar gefährden. Sie wurde zum einen durch das Schrumpfen der amerikanischen Goldreserven unterhöhlt, zum anderen durch Aufhäufung von Dollarmassen bei den europäischen Zentralbanken. Die Dollarschwemme der 60er Jahre machte das Versprechen der USA, die amerikanische Währung jederzeit in Gold einzulösen, im Verkehr der Zentralbanken alsbald zur bloßen Theorie und bereitete der Entkoppelung des Dollar vom Gold sowie dem Übergang zu einem seiner Wertsubstanz nach völlig fiktionalen Weltgeld, wie er sich in den 70er Jahren vollzog, den Boden.
Diese Entwicklung läßt sich an verschiedenen Indikatoren festmachen. Ein entscheidender ist sicherlich in der durch den Abstieg der USA induzierten veränderten Zusammensetzung der internationalen Währungsreserven zu suchen. Wären die USA gezwungen gewesen, ihr gesamtes chronisches Zahlungsbilanzdefizit durch den Abfluß der Goldbestände des Landes zu begleichen, hätte in den Tresoren von Fort Knox bereits Anfang der 60er Jahre gähnende Leere geherrscht. Die jährlichen amerikanischen Nachkriegszahlungsbilanzdefizite summierten sich bis 1969 auf insgesamt 37,4 Mrd. Dollar und übertrafen damit die nach dem Zweiten Weltkrieg ursprünglich in den USA konzentrierten Goldbestände um mehr als ein Drittel. Die Edelmetallreserven der USA lösten sich nur deshalb nicht in Wohlgefallen auf, weil die amerikanische Zentralbank zwischen 1949 und 1969 mit Goldabflüssen lediglich rund die Hälfte der negativen Saldi deckten mußte, während den Rest die von den außeramerikanischen Zentralbanken aufakkumulierten Dollarmassen deckten.
In den 50er Jahren hatte die Vermehrung der außerhalb der USA fluktuierenden Dollarmenge noch keine grundsätzlichen Probleme aufgeworfen. Sie entsprach nur dem mit der Ausdehnung des Welthandels wachsenden Bedürfnis nach zusätzlichen internationalen Zirkulationsmitteln und war insofern durchaus funktional. In den 60er Jahren jedoch vollzog sich die Zunahme der außeramerikanischen Dollarbestände keineswegs mehr im Gleichschritt mit der Expansion der Weltwirtschaft, sondern wurde zu einer abhängigen Variable der amerikanischen Defizitentwicklung. Die beschleunigte Aufblähung der Weltliquidität begann sich von der Ausdehnung der realen Produktion abzulösen. Die rasante Veränderung der Zusammensetzung der Weltwährungsreserven spiegelt diese Umwälzung getreulich wieder. Während in den unmittelbaren Nachkriegsjahren handfester metallischer Reichtum deren Kern bildete, traten an dessen Stelle in wachsendem Umfang Dollars, also letztlich Kredite(37), die durch nichts anderes als das Vertrauen in die künftige amerikanische Reichtumsproduktion gedeckt waren. 1960 bestanden noch 63% aller Weltwährungsreserven aus monetären Goldschätzen. Die Devisenreserven machten hingegen lediglich 31% der Weltwährungsreserven aus, gerade einmal 3% mehr als 1948. In den nächsten 10 Jahren schrumpfte der Anteil des Goldes auf rund 40% zusammen. Auf Devisenguthaben, die im hier betrachteten Zeitraum de facto als Synonym für Dollars gelten können(38), entfielen nun 48%. Am schnellsten von allen Bestandteilen der Weltwährungsreserven aber schwollen die Kreditfazilitäten an. 1955 summierten sich die Reservepositionen im IWF auf 1,88 Mrd. Dollar, was 3,46% der Weltwährungsreserven entsprach. 1970 waren es absolut schon 7,7 Mrd. Dollar und prozentual 8,43%. Hinzu kamen die in diesem Jahr neugeschaffenen Sonderziehungsrechte, die noch einmal 3,12 Mrd. Dollar bzw. 3,42% ausmachten.
Sowohl die Akkumulation von Dollarreserven in Europa und Japan als auch die beschleunigte Schaffung zusätzlicher internationaler Kreditfazilitäten war durch die Entwicklung der amerikanischen Binnenpolitik vermittelt. Seit der Kennedy-Ära vollzog sich in der amerikanischen Geld- und Währungspolitik ein Paradigmenwechsel, der den sukzessiven Abstieg der amerikanischen Vormacht reflektierte und ihn gleichzeitig zu einem internationalen Problem machte. Während der 50er Jahre waren die USA der Hort der Währungsstabilität gewesen. Die US-Administration verzichtete damals weitgehend auf eine aktive binnenmarktorientierte Konjunkturpolitik zugunsten ihrer Funktion als Weltgeldgarant. Die amerikanische Zentralbank steuerte in vieler Hinsicht tatsächlich den Geldmengenkurs, den auch eine fiktive transnationale Weltzentralbank hätte einschlagen müssen, um globale Konjunktur- und Stabilitätsziele zu erreichen. An dieser Linie weltwährungspolitischer Verantwortung hielt die Eisenhower-Regierung selbst noch in ihren letzten Tagen fest. 1960 nahm sie sogar eine Binnenrezession in Kauf, nur um die internationale Position des Dollar zu verteidigen. Obwohl die negativen Folgen für die amerikanische Binnenkonjunktur absehbar waren, betrieb die Eisenhower-Administration nicht nur eine deflationistische Haushaltspolitik, sondern trieb auch die Zinsen in die Höhe, um nach den Rekorddefiziten von 1958 für einen Ausgleich der defizitären Zahlungsbilanz zu sorgen. Zu solchen Opfern waren die nachfolgenden Regierungen nicht mehr bereit.(39) Der Preis für die Sicherung der Goldkonvertibilität des Dollar lag mittlerweile erschreckend hoch, und in den USA wuchsen die Zweifel, ob es sich das Land auch weiterhin würde leisten können, diesem Ziel die Priorität gegenüber einer aktiven Beschäftigungs- und Konjunkturpolitik einzuräumen. Vor diesem Hintergrund folgte die amerikanische Geld- und Währungspolitik im weiteren einem Zickzackkurs. Einerseits unternahmen die einander ablösenden US-Regierungen immer wieder Versuche, das amerikanische Leistungsbilanzdefizit vornehmlich administrativ zu begrenzen. Präsident Johnson suchte 1963, allerdings ohne nennenswerten Erfolg, sogar bei Kapitalverkehrskontrollen Zuflucht, um den weiteren Abfluß von amerikanischem Kapital nach Europa zu bremsen. Andererseits aber setzte mit dem Amtsantritt der Kennedy-Administration eine Wende zu einer keynesianischen Politik ein, die der aus der weltwährungspolitischen Perspektive zweifellos notwendigen rigiden Stabilitätspolitik letztlich den Boden entzog. Das von der neuen Regierung verkündete Konzept einer »great society« war zwar geeignet, den Abstand zwischen den Wachstumsziffern in den USA und denen in Japan und Westeuropa zu verringern; angesichts der aus der Weltpolizistenrolle resultierenden Zusatzlasten mußte dies aber mit einem beschleunigten Anschwellen der amerikanischen Zahlungsbilanzdefizite einhergehen. Der Vietnamkrieg und seine enormen Kosten verschärften dieses Strukturproblem. Die USA konnten diesen Krieg ohne eine restriktive Haushaltspolitik nach innen nur finanzieren, indem sie die westliche Welt mit Dollars überschwemmten. Die Dollarschwemme aber setzte nicht nur weltweit inflationäre Tendenzen frei, sie brachte die amerikanische Währung unter Druck und zerstörte damit das Fundament des Bretton-Wood-Systems, die Gold-Dollar-Bindung.
7.
Lange bevor der Zerfall des Bretton-Wood-Systems in seine entscheidende Phase trat, meldeten sich Kritiker zu Wort. Bereits in den 50er Jahren wies der Ökonom Triffin darauf hin, daß der Gold-Dollar-Standard auf höchst labilen Prämissen beruhe, und sagte dessen baldigen Zusammenbruch voraus. Zu Beginn der 60er Jahre machte er noch einmal deutlich, daß die amerikanische Praxis, die Weltgeldposition des Dollar dazu zu nutzen, ihr chronisches Zahlungsbilanzdefizit zu finanzieren, über kurz oder lang die Golddeckung der amerikanischen Währung in Frage stellen und ein allgemeines Währungschaos herbeiführen werde. Um das zu verhüten, forderte er die Ablösung des Dollar und die Schaffung einer Weltzentralbank. Für die umgekehrte Auflösung der Dollarmisere trat der französische Ökonom J. Rueff ein. Er machte sich für eine Rückkehr zum Goldstandard stark. Dieser Vorschlag schlug einige Wellen, weil er Mitte der 60er Jahre Eingang in die offizielle französische Politik fand. Bei den europäischen Währungsbehörden wuchs zu dieser Zeit nicht ohne Grund die Furcht vor dem inflationären Potential der Dollarschwemme. Die Zentralbanken nahmen nur mehr widerwillig Dollars an. Der französische Präsident Charles de Gaulle zog ganz in Rueffs Sinn die Konsequenz aus dieser Besorgnis. Er protestierte im Februar 1965 nicht nur vehement gegen das »ungeheure Privileg« der USA, »sich ungestraft über die Disziplin zum Zahlungsbilanz-Gleichgewicht hinwegzusetzen«, er machte sich allen Ernstes dafür stark, auf der Grundlage eines deutlich angehobenen Goldpreises das alte metallische Weltgeld zu reetablieren.
Die Tatsache, daß solche Pläne Resonanz fanden, zeigt an, wie schwer die Position der amerikanischen Währung und das Vertrauen in sie Mitte der 60er Jahre bereits erschüttert waren. Als praktische Lösungsvorschläge hingegen hatten beide Optionen keinerlei Chance auf Umsetzung. Die eng an Keynes’ alter Bancor-Idee angelehnten Weltzentralbank-Phantasien von Triffin hingen nicht allein deshalb im luftleeren Raum, weil aktuell weit und breit kein politisches Subjekt im Aufbau begriffen war, das willens und fähig gewesen wäre, die anvisierte globale Währungspolitik zu tragen. Die Konstituierung eines solchen metastaatlichen Subjekts, darauf habe ich weiter oben schon hingewiesen, wäre gleichbedeutend mit der Realisierung einer contradictio in adjecto. Es hat es nie gegeben, es gibt es nicht und es wird es nie geben. Die von de Gaulle propagierte Rückkehr zum Goldstandard wiederum scheiterte nicht allein an dem Umstand, daß gegen den Widerstand der USA keine Neuordnung der internationalen Währungsbeziehungen durchsetzbar war.(40) Sie verbot sich auch, weil die Renaissance der reinen Goldbasis die nach wie vor auf Expansionskurs befindliche Weltwirtschaft in ein viel zu enges Korsett gezwungen hätte und die Weltkonjunktur augenblicklich an fehlender Liquidität erstickt wäre. Nur eine drastische Abwertung aller Währungen gegenüber dem Gold hätte diese Schwierigkeiten überspielen können. Dieser Schritt aber wiederum hätte genau das globale inflationäre Potential freigesetzt, das Rueff mit dem Abschied vom Dollar als Weltgeld auszuhebeln bemüht war.(41)
Die Umwälzung der Weltwährungsordnung, die auf den Kollaps des Bretton-Woods-Systems folgte, lief denn auch in eine Richtung, die mit den Vorschlägen von Triffin und Rueff nichts gemein hatte, ja deren Zielvorstellungen sogar diametral entgegengesetzt war. Während Rueff davon geträumt hatte, das Gold wieder zum Anker des Weltwährungssystems zu machen, erlebte das traditionelle Weltgeld Anfang der 70er Jahre mit der Aufhebung der Goldkonvertibiltät des Dollar seine endgültige Demonetarisierung. Die verschiedenen Formen internationalen Kredits ersetzten vollständig den aufakkumulierten, im Edelmetallschatz geronnenen Reichtum. Auch wenn sich bis heute einige Zentralbanken noch die anachronistische Marotte von Goldreserven leisten: Als Fixpunkt im monetären System spielt das Gold keine Rolle mehr. Seine offizielle Funktion als allgemeine Ware hat es zwischen 1970 und 1973 verloren, und der abgesetzte Monarch der Warenwelt lebt seitdem als Ware unter Waren ein demokratisches Schattendasein.(42) Bis 1978 schrumpfte der Anteil des Goldes an den Weltwährungsreserven auf 12,8%.(43) Genausowenig konnte aber auch davon die Rede sein, daß es gelungen wäre, die Weltwährungsverhältnisse einer wirkungsvollen internationalen politischen Kontrolle zu unterwerfen. Im Gegenteil, im Lauf der 70er und 80er Jahre triumphierte der unreglementierte Geldmarkt zusehends über die monetäre Regulation und ihre Instrumentarien. Seit dem Bruch mit der Bretton-Woods-Ordnung entziehen sich immer größere Teile der beschleunigt anschwellenden Weltliquidität jedem währungspolitischen Zugriff. Die Transnationalisierung des Kapitalverkehrs führte nicht zu einer den nationalstaatlichen Rahmen übergreifenden Politizierung der internationalen Geldverhältnisse, sondern stellte die Wirksamkeit der Zentralbanksteuerung nachhaltig in Frage, ohne einen funktionalen Ersatz zu schaffen.
Dieser für die weitere Entwicklung bestimmende Doppeltrend zeichnete sich keimhaft bereits in den 60er Jahren ab. Er war in dieser Zeit genausowenig wie später Ergebnis der Umsetzung irgendeines ausgeklügelten Konzepts, sondern ergab sich als Resultante vieler Ad-hoc-Entscheidungen, mit denen die zuständigen Instanzen die jeweils akuten Störungen im monetären Überbau in den Griff zu bekommen suchten. Die währungspolitischen Beschlüsse, die sich im Rückblick als die ersten Schritte auf dem Weg zur Demonetarisierung des Goldes erweisen, wurden denn auch bezeichnenderweise gerade zur Verteidigung des Gold-Dollar-Standards gefaßt. Angesichts der permanenten Goldabflüsse aus den USA einigten sich die Vertreter der amerikanischen Zentralbank mit den europäischen Kollegen seit 1960 auf immer neue Maßnahmen, die dazu angetan waren, die Verwandlung von Dollars in Gold nach Möglichkeit zu unterbinden. Parallel dazu schufen sich die Zentralbanken untereinander zusätzliche Kreditmöglichkeiten. Sie sollten vor allem den Druck auf die amerikanischen Goldreserven mindern. Im Gefolge der Dollarkrise von 1961, die mit der Aufwertung der deutschen Mark und des holländischen Gulden ihr vorläufiges Ende fand, wurde das sogenannte Swap-Netz installiert. Die Federal Reserve Bank of New York als Agent der Vereinigten Staaten, neun außeramerikanische Zentralbanken und die Bank für internationalen Zahlungsausgleich gestanden auf einfachen Antrag hin jeder der beteiligten Vertragsparteien kurzfristige Kredite für offizielle Interventionen auf dem internationalen Devisenmarkt zu. Ende 1962 umfaßte das amerikanische Swap-Netz 900 Millionen Dollar, 15 Jahre später waren es bereits 20 Mrd., Summen, die in die verfügbare internationale Geldmenge eingingen. Angesichts der Dollarschwäche vollzogen die USA darüber hinaus eine 180-Grad-Wendung gegenüber dem IWF. Die amerikanischen Regierungen, die bis dahin den IWF zu einer äußerst restriktiven Kreditpolitik genötigt hatten, begannen nun, dessen Instrumentarium zugunsten der Dollarstabilisierung einzusetzen und machten sich vehement für die Erweiterung der über den IWF vermittelten Kredit- und Geldschöpfungsmöglichkeiten stark. Sie setzten insbesondere höhere Länderquoten durch. Die Quoten wurden 1959 um 50%, 1966 um 25% und 1970 abermals um 30% aufgestockt. Die Summe des Generalkontos wuchs von 9,2 Mrd. Dollar im Jahre 1958 auf 20,6 Mrd. 1966 und 21,3 Mrd. 1970.(44) So bescheiden sich diese Summen auch gegenüber der Geldmengenaufblähung ausnehmen, die im folgenden Vierteljahrhundert vonstatten ging: Ein Anfang war gemacht.
In den 60er Jahren begann die weltweite Liquiditätsmenge aber nicht nur über den von der Goldbindung gesetzten Rahmen hinauszuwuchern, weil sich die Zentralbanken und die internationalen Währungsorganisationen die für den Eingriff auf den Devisenmärkten notwendige monetäre Manövriermasse zu sichern suchten. Gleichzeitig entstanden im Gefolge der Dollarverteidigung erstmals in größerem Umfang exterritoriale Geldmassen, Gelder, die sich dem steuernden Zugriff des nationalstaatlich organisierten Zentralbanksystems entziehen. Mit den 60er Jahren begann der unaufhaltsame Höhenflug der berüchtigten Eurodollarmärkte.
Bei den Eurodollarmärkten handelt es sich strenggenommen um kein neues Phänomen. Schon in der Zwischenkriegszeit hielten Londoner internationale Banken Dollarguthaben außerhalb der Vereinigten Staaten. Aus Angst vor Beschlagnahme transferierten die Ostblockregierungen während des Kalten Krieges ihre Dollarguthaben aus den Vereinigten Staaten nach London und ließen sie dort von Korrespondenten anlegen. Nachdem im Dezember 1958 die meisten europäischen Länder die Ausländerkonvertibilität des Dollar hergestellt hatten und alle europäischen Banken frei Dollars kaufen und verkaufen konnten, gewann jedoch der exterritoriale Geldmarkt, auf dem zunächst fast ausschließlich Dollars gehandelt wurden, eine ganz neue Attraktivität. Da die Eurodollargelder keiner der Beschränkungen unterlagen, die das amerikanische Zentralbanksystem den heimischen Banken auferlegte, von den gesetzlichen Deckungsvorschriften über das Zinsverbot für Sichteinlagen bis zu den Zinssatzhöchstgrenzen für Termineinlagen, konnten die auf dem Eurodollarmarkt operierenden Banken nicht nur deutlich niedrigere Sollzinsen anbieten, sondern auch höhere Gewinne einstreichen als auf dem US-Markt. Für amerikanische Banken lag es unter diesen Umständen nahe, in großem Umfang Geldkapital an europäische Tochtergesellschaften zu transferieren; aber auch europäische Anleger, die mit Fremdwährung operierten, trafen auf den Xenomärkten auf deutlich günstigere Bedingungen. Als die USA seit 1963 mit restriktiven Maßnahmen gegen den Kapitalexport ihr Zahlungsbilanzdefizit zu begrenzen versuchten, heizten sie damit das Wachstum der Eurodollarmärkte an. Vor der Zinsausgleichssteuer auf Auslandskredite und den seit 1968 verstärkten Kapitalexportkontrollen wichen insbesondere amerikanische Großanleger massenhaft auf die exterritorialen Geldmärkte aus. Hatte das Nettokreditvolumen des Eurodollarmarktes 1963 noch bei 7,0 Mrd. Dollar gelegen, so erreichte es ein Jahr später schon die 10 Mrd.-Schwelle. 1968 schoß das Kreditvolumen gar auf 25 Mrd. Dollar hoch, und am Ende des Jahrzehnts überschritt es bereits deutlich die 50 Mrd.-Grenze.(45)
Die Herausbildung großer transnationaler, der währungspolitischen Kontrolle entzogener Geldmärkte war für die weitere Entwicklung von zentraler Bedeutung. War in den 60er Jahren die Finanzierung des negativen amerikanischen Leistungsbilanzsaldos noch wesentlich auf Zentralbankebene in der Form der Akkumulation von Währungsreserven außerhalb der USA vonstatten gegangen, so wurde sie nun privatisiert.(46) Die Heranziehung des globalen privaten Geldkapitals zur »Defizitdeckung« ermöglichte es zum einen den USA, über ein Vierteljahrhundert hinweg schwindelerregende, beständig anschwellende Defizite anzuhäufen, eine Praxis, die ansonsten unweigerlich alsbald in eine tiefe weltweite Krise geführt hätte; die Zahlungsbilanzungleichgewichte und ihre kreditäre Deckung wurden gleichzeitig aber auch umgekehrt zu einem entscheidenden Moment in der Expansion des globalisierten fiktiven Kapitals. Das durch das Erlahmen der Realakkumulation freigesetzte, Anlage suchende Geldkapital fand in der privaten und öffentlichen Auslandsverschuldung der USA(47) ein unendlich scheinendes Betätigungsfeld für seine (letztlich fiktive) Selbstverwertung. Bevor das Schauspiel dieser unglaublichen aber wahren Münchhausiade beginnen konnte, mußte allerdings das angegriffene metallisch geerdete System fester Wechselkurse endgültig zerfallen.
8.
Die Turbulenzen, die Mitte der 60er Jahre die internationale Währungsordnung erschütterten, zeigen an, wie weit die Erosion des Bretton-Wood-Systems zu diesem Zeitpunkt bereits fortgeschritten war. Die Notwehrmaßnahmen der westlichen Staatengemeinschaft (die Auflösung des Goldpools, die Einführung eines gespaltenen Goldpreises) und die Franc-Krise von 1968 konnten den Druck auf den Dollar nur vorübergehend mildern. Zwar verzeichneten die USA 1968 und 1969 das erste Mal seit längerer Zeit wieder eine positive Zahlungsbilanz, diese gute Nachricht hatte aber nichts mit einer strukturellen Sanierung zu tun. Sie ging vornehmlich darauf zurück, daß die US-Zentralbank in dieser Zeit größere kurzfristige Kredite auf dem Euro-Dollarmarkt aufnahm. Kaum war das europäische Währungsgefüge mit einer Francabwertung wieder im Gleichgewicht, geriet der Dollar abermals in eine Schieflage. Die europäischen Zentralbanken waren Ende der 60er Jahre dazu übergegangen, Dollarreserven, direkt oder über die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich vermittelt, an den Eurodollarmärkten anzulegen. Die durch den Eingriff der Zentralbanken den Geldmärkten entzogenen Dollars wurden auf diese Weise zumindest teilweise schnurstracks wieder recycelt. Diese Praxis fachte aber natürlich die Spekulation gegen den Dollar, »zuerst zugunsten der Deutschen Mark und des japanischen Yen, bald auch zugunsten anderer europäischer Währungen«(48), zusätzlich an, und die Zentralbanken waren genötigt, erneut Dollarmassen abzuschöpfen. Am 5.5.1971 zog die Deutsche Bundesbank in dieser Situation erstmals die währungspolitische Notbremse. Die Verantwortlichen, die vor allem die inflationäre Wirkung der durch die Dollaraufkäufe vermittelten Aufblähung der heimischen Geldmenge fürchteten, weigerten sich, zusammen mit den holländischen Kollegen, die geltende Dollarparität weiterhin durch Stützungskäufe zu sichern. Die Verschlechterung der amerikanischen Handelsbilanz im ersten Halbjahr 1971 tat das Übrige, um eine allgemeine Dollarflucht in Gang zu setzen. In dieser Situation mußte auch die amerikanische Regierung reagieren. Ohne Absprache mit den internationalen Gremien und den westlichen Partnern hob Präsident Nixon am 15.8.71 die nicht länger haltbare Goldkonvertibilität des Dollar auf, erließ eine vorübergehende außergewöhnliche Steuer auf alle Importe und verlangte vom IWF Vorschläge für eine Neuorganisation des internationalen Währungssystems.
Die eingeklagte Neuorganisation kam aber nie zustande. Zwar einigte sich der »Zehnerclub« im Washingtoner Währungsabkommen vom 18.12.71 (Smithsonian Agreement) noch einmal auf ein System fester Wechselkurse: Die USA verzichteten auf die erlassene Sondersteuer auf Importe, die Währungen der wichtigsten europäischen Industrieländer wurden aufgewertet und auf dieser korrigierten Basis wieder an den Dollar gekoppelt. Eine längerfristige Stabilisierung brachte diese Übereinkunft allerdings ebensowenig wie der Volcker- und der Barber-Plan. All diese Konzepte blieben Makulatur. Zum einen berücksichtigten sie nicht hinreichend den erreichten Stand transnationaler Kapitalmobilität. Zum anderen waren sie darauf ausgerichtet, die bestehenden Defizite durch die Förderung der Wachstumspolitik in den Überschußländern zu vermindern, eine Methode, die notwendigerweise die inflationären Prozesse beschleunigen mußte und daher keine einhellige Zustimmung finden konnte.
Das System fester, aber von jeder Bindung ans Gold gelöster Wechselkurse erwies sich nur innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums als einigermaßen haltbar.(49) Die Rolle des Dollar hingegen wurde schon um die Jahreswende 1972/73 zum wiederholten Male zum Problem. Die im Washingtoner Währungsabkommen offiziell verankerte Dollarabwertung führte nicht zu einem baldigen Ausgleich der amerikanischen Zahlungsbilanz. Von der Last der Goldkonvertibilität befreit, betrieb die amerikanische Führung eine wachstumsfördernde laxe Geldpolitik, und so setzte erneut eine Antidollarspekulation ein. Die Folgen für das gerade erst auf der Basis eines reinen Dollarstandards festgezurrte Währungssystem ließen nicht lange auf sich warten. Schon mit dem Ausscheiden des schwächelnden britischen Pfundes aus der europäischen Währungsschlange im Juni 1973 geriet der europäische Währungsverbund in einen Aufwertungssog. Vom toten Gewicht Großbritanniens befreit, sprachen alle wirtschaftlichen Eckdaten für den um die Deutsche Bundesbank gruppierten Zusammenschluß und gegen den Dollar. Als die eidgenössische Zentralbank im Februar 1973 den Kurs des Schweizer Frankens freigab, schürte dieser Schritt die Spekulation gegen die amerikanische Währung weiter und löste eine Kettenreaktion aus. Die Deutsche Bundesbank beispielsweise mußte allein im Februar 1973 23 Mrd. DM für Stützkäufe aufbringen. Den europäischen Nachbarn und den Japanern erging es nicht besser. Am 10.2.1973 weigerte sich zunächst Japan, weiterhin unbeschränkt Dollars aufzunehmen, und die japanische Regierung löste den Yen vom Greenback. Zwar wurde die amerikanische Währung am 12.2.73 erneut um 10% abgewertet, aber trotz dieser Maßnahme setzte sich die spekulative Bewegung fort. So kam, was kommen mußte. Während die internationalen Devisenmärkte vom 1. bis zum 19.3.1973 geschlossen blieben, beschlossen auch noch die Länder der europäischen Währungsschlange, den Leitkurs aufzugeben und zum kollektiven Floaten überzugehen. Damit begann währungspolitisch eine neue Ära. Der freie Kapitalmarkt hatte über die währungspolitische Regulation gesiegt. Die Weltwirtschaft mußte künftig ohne dezidierte Währungsordnung auskommen.
9.
Der Übergang von einem System fester Wechselkurse zum Floaten war aus der Not geboren und entsprang keinem tiefschürfenden Kalkül. Dennoch erwarteten nicht wenige Ökonomen, insbesondere in Europa, von diesem Schritt einen entscheidenden Beitrag zur Auflösung der weltwirtschaftlichen Disproportionalitäten und zum Kampf gegen den über die Ausdehnung der internationalen Liquidität vermittelten Inflationsimport. Die Deutsche Bundesbank hoffte, ihre »wirtschaftspolitische Autonomie wiederzuerlangen«. Vor allem erwartete man aber von den flexiblen Wechselkursen einen Selbstausgleich der Leistungsbilanzungleichgewichte. Das Sinken des Dollarkurses auf einen den Kaufkraftparitäten entsprechenden Stand, so die selbstverständlich erscheinende Annahme, würde die amerikanischen Exporte fördern, in den USA zur Importsubstitution führen und so für einen Ausgleich der Handelsbilanzungleichgewichte sorgen. Der Abschied vom lange schon ausgezehrten Bretton-Woods-System erweckte jedoch nicht nur Hoffnungen, sondern auch handfeste Befürchtungen. Die Angst ging um, daß sich nun das berühmte von Triffin 1960 formulierte Dilemma realisieren würde. Die Wiederherstellung des Zahlungsbilanzgleichgewichts der USA, so die Horrorvorstellung, werde zu einer Verengung der Weltliquidität führen und die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession stürzen. In einem Punkt waren sich Optimisten wie Pessimisten einig: Der Dollar hat seine von der amerikanischen Regierung zur Defizitfinanzierung benutzte Weltgeldrolle ausgespielt. Die nationale Währung eines Defizitlandes taugt nicht zum Weltgeld, und wenn der Dollar seinen angestammten Platz wieder einnehmen soll, dann nur, wenn die amerikanische Wirtschaft Boden gut macht und sich wieder eine starke Position im Konkurrenzkampf auf den Weltwarenmärkten erobern kann.
Die reale Entwicklung erfüllte in den nächsten zwei Jahrzehnten keine einzige dieser Erwartungen. Es kam ebensowenig zu einer monetären Abkopplung der Überschußländer von den Dollarzuströmen wie zu einer Begrenzung der ausufernden Weltliquidität. Im Gegenteil, die US-Defizite, die den Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems herbeiführten, wären einige Jahre später nur mehr als »peanuts« erschienen. In den frühen 70er Jahren erschütterten US-Leistungsbilanzdefizite von 10 bis 13 Mrd. Dollar das internationale Währungssystem in seinen Grundfesten. Im Laufe der 70er und 80er Jahre schwollen hingegen die Fehlbeträge auf 180 bis 230 Mrd. Dollar an, doch war der globale Finanzüberbau in der Lage, sie zu verdauen. Obwohl sich die auf den nationalen und internationalen Geldmärkten zirkulierenden Geldmengen vervielfachten, wurde dadurch in den westlichen Industrieländern keine Hyperinflation in Gang gesetzt. Der Dollar wiederum büßte seine Weltgeldfunktion nur de jure ein, um sie de facto zu behalten.
Dennoch war die Skepsis, was die künftige Position des Dollar anbelangt, und die Furcht vor der destabilisierenden Wirkung des chronischen US-Zahlungsbilanzdefizits keineswegs aus der Luft gegriffen. Im Gegenteil, die steil ansteigende Verschuldung der westlichen Vormacht sollte die Substanz der Leitwährung in einer Weise weiter aushöhlen, die sich die Dollarkritiker der 60er Jahre noch gar nicht vorstellen konnten. In dem Vierteljahrhundert, das auf die Entbindung des Dollar von der Golddeckung folgte, wurde mit der Aufakkumulation von Defiziten auf allen Ebenen nicht nur die Weltgeldrolle, sondern gleichzeitig sogar die Geldfunktion des Dollar strukturell zum Problem. Der nur mehr kreditär, d.h. durch das letztlich unhaltbare Vertrauen in die amerikanische Zahlungsfähigkeit gedeckte Dollar taugt strenggenommen nicht mehr zum selbstverständlichen Wertaufbewahrungsmittel. Diese Schwäche aber muß zum Vorschein kommen, sobald sich der Himmel des Finanzüberbaus einmal nachhaltig verdüstert und die Heerscharen von Gläubigern aus ihren Besitzansprüchen in die Liquidität auszuweichen versuchen. Die in jeder Finanzkrise übliche allgemeine Flucht aus dem Kredit in die bare Zahlung gewinnt unter den heutigen Bedingungen unweigerlich die zusätzliche Dimension einer allgemeinen Flucht aus dem Dollar. Dieses Damoklesschwert bedroht nicht nur das monetäre System, sondern den weltökonomischen Verflechtungszusammenhang als Ganzen. Wo die mittlerweile globalisierten Zahlungsverpflichtungsketten zerreißen, schlägt einer auf Verschuldung und den guten Glauben an die unbegrenzte Zahlungsfähigkeit gegründeten Leitwährung sofort die Stunde.
Das historisch neuartige Phänomen eines vornehmlich kreditgetragenen Weltgeldes brachte längerfristig gesehen ein bis dato unbekanntes zusätzliches Krisenpotential in das Gefüge der kapitalistischen Weltwirtschaft ein. Kurzfristig betrachtet, sorgte allerdings die Entkopplung des Weltgeldes Dollar von der realen amerikanischen Reichtumsproduktion gerade für das Gegenteil.(50) Statt manifeste Krisen auszulösen, leistete sie einen entscheidenden Beitrag dazu, deren Ausbruch zu verhindern. Wenn in den 70er und 80er Jahren dem Westen einschneidende Kriseneinbrüche erspart blieben, so verdankt er dies nicht zuletzt der bemerkenswerten Elastizität einer von jeder realwirtschaftlichen Erdung freien Währungs(un)ordnung. Das zeigte sich bereits, als im Oktober 1973, also gerade einmal ein halbes Jahr nach dem Übergang zu einem System freier Wechselkurse, die Ölkrise einsetzte. Innerhalb des Bretton-Woods-Systems wären die mit dem Ölpreisschock entstandenen zusätzlichen Zahlungsbilanzungleichgewichte nie und nimmer zu bewältigen gewesen. Es war einfach undenkbar, daß die Steigerung der Exporte in den OPEC-Raum oder eine Änderung der Währungsparitäten die westlichen Länder in absehbarer Zeit in den Stand versetzt hätte, die von 25,2 Mrd. Dollar (1973) auf 98,3 Mrd. (1975) hochgeschnellten Öleinnahmen auszugleichen. Die Herstellung eines auch nur annähernden Zahlungsbilanzgleichgewichts wäre nur über eine rigorose Beschneidung der Ölimporte möglich gewesen. Das hätte aber unweigerlich eine weltweite Rezession nach sich gezogen. In dieser Situation erwies sich die bis dato vielbeklagte Aufblähung der Weltliquidität durch den Dollarüberhang als weltwirtschaftlicher Segen, und die Absicht, die in den 60er Jahren durch die Dollarstützungen angewachsenen Weltwährungsreserven nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems wieder abzuschmelzen, als gefährliches Hirngespinst. Die Dollarmassen, die die Zentralbanken in Europa und Japan gerade noch für überzählig erklärt hatten, wurden nun dringend gebraucht, um die deutlich angewachsenen Erdölrechnungen zu begleichen. Die Weltgeldposition des Dollar war zwar nur mehr finanztechnisch untermauert, dennoch forderte sie auch unter diesen Bedingungen weiterhin ihren Tribut. Da nach wie vor der allergrößte Teil des expandierenden Welthandels in der amerikanischen Währung abgewickelt wurde, wuchs bei steigendem Preisniveau zum einen die für die Abwicklung des internationalen Warenaustauschs benötigte Dollarmenge sprunghaft an. Zum anderen mußten die OECD-Staaten einen beträchtlichen Teil ihrer Dollarreserven in die OPEC-Länder weitertransferieren, um damit ihre deutlich passive Zahlungsbilanz gegenüber den Erdöllieferanten zu finanzieren. Die USA erfüllten in dieser Situation natürlich freudig ihren Job als globaler Geld-Dealer und lieferten freigiebig den Suchtstoff Dollar nach. Die Entwicklung der Weltwährungsreserven spiegelt diese Zusammenhänge wieder. Zum einen stiegen die vornehmlich in Dollar gehaltenen Weltgeldreserven auch nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems beharrlich weiter an. Sie kletterten von insgesamt 97,6 Mrd. Dollar Ende 1970 auf 219,3 Mrd. Dollar Ende 1974.(51) Zum anderen änderte sich deren Verteilung nachhaltig zugunsten der OPEC-Staaten. Ende 1970 hielten diese Länder insgesamt Währungsreserven in Höhe von 5,0 Mrd. Dollar. Vier Jahre später hatte sich diese Summe in absoluten Zahlen gerechnet fast verzehnfacht. Der prozentuale Anteil der OPEC-Länder an den Weltwährungsreserven vervierfachte sich in diesem Zeitraum von 5,4% auf 21,2%. Die Währungsreserven der westlichen Industrieländer wuchsen parallel dazu absolut ebenfalls kräftig (von 74,3 Mrd. Dollar auf 141,2 Mrd.). Allerdings verloren sie relativ deutlich an Gewicht. Ende 1970 hatten diese Staaten noch über 80,3% der Weltwährungsreserven verfügt, Ende 1974 nur mehr über 64,5%. Herman van der Wee resümiert diese Sachverhalte ganz richtig, wenn er schreibt:
»Die heraufgesetzten Ölpreise zusammen mit den gestiegenen Preisen für Rohstoffe und Endprodukte hatten den Dollarwert des Weltimports beträchtlich erhöht, und diese Entwicklung löste plötzlich das Problem des großen Dollarüberflusses. Der Dollarüberhang, der kurz zuvor noch weltweite Schwierigkeiten bereitet hatte, war nun auf einmal ein kostbares Gut geworden. Die Verdopplung der Weltwährungsreserven, die sich Anfang der siebziger Jahre durch die erhöhten Dollarguthaben ergeben hatte, deckte nun großenteils den Mehrbedarf an internationaler Liquidität, der durch die weltweite Inflation und die Ölkrise entstanden war.«(52)
Das durch die plötzlichen Überschüsse der OPEC-Länder aufgeworfene Problem war auf der Ebene von Zentralbanktransaktionen allein nicht zu bewältigen. Auch die Schaffung von zusätzlicher Liquidität durch die neu eingerichteten Sonderziehungsrechte im IWF hatte nur periphere Bedeutung. Den Hauptbeitrag zur Lösung der durch die Ölkrise aufgeworfenen Probleme leisteten stattdessen die jeder nationalen Kontrolle entzogenen Eurodollarmärkte. Sie sorgten für den Rückfluß des in den OPEC-Ländern auflaufenden Geldkapitals, das sogenannte Petrodollar-Recycling, und wirkten darüberhinaus selber noch über die Kreditkettenvermittlung geldschöpfend. Die Neureichen aus Saudi Arabien, den Arabischen Emiraten, Nigeria usw. traten auf den transnationalen Geldmärkten als private Großgläubiger auf und speisten ihre frisch erworbenen Dollars in den Kapitalkreislauf der westlichen Industrieländer wieder ein. Die kreditären Rückflüsse erlaubten es wiederum den westlichen Ländern, ohne Rücksicht auf die Zahlungsbilanzdefizite gegenüber den Öl- exporteuren ihre Wachstumspolitik fortzusetzen.
Die drastische Verteuerung des Rohölpreises war ein vorübergehendes Phänomen. Das OPEC-Kartell brach nach wenigen Jahren auseinander. Die terms of trade verschoben sich wieder zugunsten der Ölimporteure im Norden und die Zahlungsbilanzüberschüsse der OPEC-Staaten verschwanden. Aber der Mechanismus, der es den westlichen Ländern erlaubt hatte, die Rezession von 1974/75 aufzufangen, hatte deshalb noch lange nicht ausgedient. Die Entwicklung der Weltwirtschaft wurde in den nächsten zwanzig Jahren durchgängig von ihm bestimmt. Alle makroökonomischen Schwierigkeiten, die aus dem Auslaufen der fordistischen Wachstumsdynamik entsprangen, wurden nach dem immergleichen Muster überspielt, nämlich durch die Aufstauung von Zahlungsbilanzdefiziten und durch die Aufblähung der Weltliquidität. Selbst als es in den 80er Jahren immer mehr darum ging, die durch den Gebrauch des Universalheilmittels hervorgerufenen Folgeschäden in den Griff zu bekommen, hielt der währungspolitische Medikamentenkoffer immer nur dieses Remedium bereit. Eins hat sich im Laufe der Daueranwendung allerdings gründlich verändert: Die Liquiditätsdosis, die benötigt wird, um noch Wirkung zu erzielen, ist beständig gestiegen. Sie liegt mittlerweile, da der globale spekulative Finanzüberbau längst überreizt ist, in einem Bereich, den in den 70er Jahren jeder Ökonom selbstverständlich als letal betrachtet hätte.
Anhand der aktuellen Krise in Mexiko lassen sich die Verschiebungen in den Proportionen deutlich machen. Im ersten Quartal 1995 mußten die amerikanischen Behörden und ihre internationalen Verbündeten innerhalb weniger Wochen 50 Mrd. Dollar aufbringen und über den Rio Grande del Norte transferieren, nur um den drittklassigen Finanzplatz Mexiko-City vor dem Kollaps zu bewahren. Allein mit dieser »Stützungsmaßnahme« ließ sich verhindern, daß das lokale Desaster weitere Kreise zog und insbesondere die USA sofort mit in dessen Sog gerieten. Zwanzig Jahre vorher lag das durch die Ölpreisexplosion bedingte jährliche Gesamtdefizit sämtlicher OECD-Länder im Handel mit den OPEC-Staaten niedriger als die bei dieser einzelnen Ad-hoc-Intervention eingesetzten Mittel! Das Minus in der Zahlungsbilanz mit den Erdölexporteuren bereitete damals ganzen Heerscharen von Volkswirtschaftlern im OECD-Raum schlaflose Nächte, die westliche Öffentlichkeit geriet in Panik und übte sich hierzulande sogar in der Selbstkasteiung autofreier Wochenenden; heute wird die gleiche Summe quasi en passant geschaffen, und der Wirtschaftspresse ist dieses Ereignis nicht viel mehr als eine Randnotiz wert. Wie im Laufe so mancher Drogenkarriere steigen auch hier mit der Abhängigkeitsdauer die konsumierten Mengen und schwindet das Gefühl für die Gefahr, während die erhoffte Wirkung mit der Gewöhnung nachläßt. Bei keiner anderen Sucht fällt diese Diskrepanz allerdings so krass aus wie bei der Liquiditätssucht der kapitalistischen Weltwirtschaft.
10.
Ein Vierteljahrhundert währungspolitisches Krisenmanagement hat keine der Schwächen des internationalen monetären Systems beseitigt. Von einer Neuordnung kann bis heute nicht die Rede sein. Die aus den Ungleichgewichten resultierenden Gefahren wurden nur dadurch immer wieder vorläufig ausgeschaltet, daß sich diese Ungleichgewichte beständig auf erweiterter Stufenleiter reproduzierten. Das gilt insbesondere für das US-Defizit. Der Weltgeldemittent USA hätte seine passive Zahlungsbilanz nur durch eine deflationäre, alle Importe rigoros beschneidende Politik ausgleichen können. Die US-Administrationen vermieden aber wohlweislich ein solches Vorgehen, das die gesamte Weltwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen hätte. Stattdessen spielten die Vereinigten Staaten zwanzig Jahre lang munter die Rolle einer Wachstumslokomotive.
Der Krisenaufschub forderte jedoch seinen Preis. Er bestand im exponentiellen Wachstum des US-Zahlungsbilanzdefizits und in der Aufakkumulation letztlich fiktiver, weil nicht eintreibbarer Überschüsse in erster Linie in Japan und in zweiter Linie in der BRD. 1969 betrug das Minus in der amerikanischen Zahlungsbilanz 9,8 Mrd. Dollar. Jährliche Fehlbeträge in dieser Höhe brachten das Bretton-Woods-System zum Einsturz. Mit der Aufhebung der Goldbindung des Dollar und dem Übergang zum freien Floaten aber fielen die währungspolitischen Sicherungen fort, die einem Anschwellen der internationalen Liquidität und der Defizitfinanzierung Grenzen gesetzt hatten. Innerhalb der nächsten 18 Jahre versiebzehnfachte sich der Negativsaldo in der amerikanischen Zahlungsbilanz und erreichte 1987 einen Spitzenwert von 167 Mrd. Dollar. In den letzten sieben Jahren kamen zu den aufakkumulierten Außenständen alljährlich neue Defizite hinzu, deren Höhe zwischen 100 und 150 Mrd. Dollar pendeln.(53)
Aber nicht nur die quantitative Zunahme des chronischen amerikanischen Zahlungsbilanzdefizits fällt beeindruckend aus. Gleichzeitig veränderte sich auch dessen Struktur nachhaltig. In den 60er Jahren bot sich noch ein vergleichsweise harmloses Bild. Das amerikanische Zahlungsbilanzdefizit, das die Bretton-Woods-Ordnung schließlich sprengte, beruhte noch vornehmlich auf dem Kapitalexport des Landes. Die Handelsbilanz wies hingegen bescheidene Überschüsse aus oder blieb zumindest ausgeglichen. Die Zahlungsbilanz geriet nur deshalb in die Schieflage, weil der Positivsaldo im Güter- und Dienstleistungsverkehr nicht groß genug war, um den laufenden Kapitalabfluß zu decken. Damit war es in den 70er Jahren schlagartig vorbei. Im Zeitalter des freien Währungsfloatens ließ die auf unbedingtes Binnenwachstum ausgerichtete amerikanische Wirtschaftspolitik auch die Handelsbilanz deutlich in den roten Bereich abrutschen. Gegen Ende des Jahrzehnts lag der Wert der jährlichen amerikanischen Importe bereits beständig um 30 Mrd. Dollar über dem Wert der Exporte.(54) In den 80er Jahren vollzog sich eine weitere tiefgreifende strukturelle Veränderung. Das angeschwollene US-Defizit ließ sich jetzt nur mehr dadurch finanzieren, daß sich die USA, der ehemalige Weltgläubiger, zum größten Kapitalnettoimporteur der Welt wandelten. Die Vereinigten Staaten begannen im Reaganomics-Rausch das globale Geldkapital anzusaugen und verkonsumierten es. 1982 überstiegen erstmals in diesem Jahrhundert die Kapitalzuflüsse in die USA die Kapitalabflüsse. Innerhalb von vier Jahren nahm der Zustrom von privatem Geldkapital einen solchen Umfang an, daß die kumulierte externe Verschuldung die in sieben Jahrzehnten angesammelten amerikanischen Besitztitel gegenüber dem Ausland überstieg.
Diese schwindelerregende Entwicklung läßt sich nur im Kontext tieferreichender Veränderungen begreifen. Der Zerfall des Bretton-Woods-Systems und der Übergang zu freien Wechselkursen markiert den Anfang einer neuen Ära in der Geschichte der Weltwirtschaft. Seit den 70er Jahren beginnt das Primat des Kredits die Vorherrschaft der Realwirtschaft abzulösen. War die Akkumulation von Geldkapital vom Beginn der industriellen Revolution bis in die fordistische Boomphase hinein eine Funktion der industriellen Akkumulation gewesen, so sank die Realakkumulation nun umgekehrt zum bloßen Anhängsel der Anhäufung fiktiven Kapitals herab. Diese Verkehrung hatte traditionell nur in jenen Überhitzungsphasen eine Rolle gespielt, die akuten Finanzkrisen vorangingen, und charakterisierte diese Zustände als Ausnahmesituationen. Nun jedoch wurde aus der Ausnahme die Regel. Die von der Entwicklung der Realakkumulation abgekoppelte Expansion von Kredit und Spekulation bildet seitdem die Grundlage einer neuartigen anormalen kapitalistischen Normalität.
Diese qualitative Umwälzung im Gefüge kapitalistischer Vergesellschaftung äußerte sich in erster Linie in einem hypertrophen, zum Erlahmen der Realakkumulation gegenläufigen Wachstum des globalen Geldkapitals. Von dieser Seite her läßt es sich auch quantitativ relativ leicht fassen. Zwischen 1974 und 1990 verfünfzehnfachte sich allein das Kreditvolumen auf den inter- und transnationalen Geldmärkten. Die Eurodollarmärkte wuchsen bis zur Schuldenkrise von 1982 mit einer jährlichen Durchschnittsrate von deutlich über 20%. Aber nicht nur prozentual sind diese Zahlen beeindruckend, sondern auch absolut:
»Von 55 Mrd. US $ im Jahr 1973 stiegen die Geldanlagen von Nicht-Banken (d.h. Industrie, Handel, Versicherungskonzernen usw.) in den freien Bankzonen auf 603 Mrd. US $ im März 1984 an. Die Anlagen von Banken und die Interbankkredite stiegen von 220 Mrd. US $ (1973) auf 1564 Mrd. Zusammen mit 90 Mrd. US $, die 1984 von den Zentralbanken in den freien Bankzonen deponiert waren, kamen auf diese Weise Brutto-Deposite von über 2250 Mrd. US $ zusammen. Das entsprach dem dreifachen Geschäftsvolumen aller Bankengruppen in der Bundesrepublik Deutschland Ende 1983.«(55)
Diese explosionsartige Selbstvermehrung spekulativer Gelder substituierte die reale Verwertungsbewegung und schuf jenes gigantische Kreditvolumen, das die USA zur Finanzierung ihres Defizits benötigten. Angesichts der spekulativen Dynamik und der schier unbegrenzt anmutenden Möglichkeit, auf den Aktien-, Anleihe-, Rohstoff- und Immobilienmärkten horrende Gewinne zu machen, erschien die Frage nach der verlorenen Wertaufbewahrungsfähigkeit des Weltgeldes als konservative Allüre, und auch das Problem der langfristigen amerikanischen Zahlungsfähigkeit geriet in Vergessenheit. Es öffnete sich der Spielraum für eine sich in Defizitkreisläufen bewegende Weltkonjunktur, in der den USA als Weltgeldemittenten und Megaschuldner die Schlüsselrolle zufiel.
11.
Es ist kein Zufall, daß die explosionsartige Ausdehnung des fiktiven Kapitals mit dem Übergang zum reinen Dollarstandard und dem Anwachsen des amerikanischen Zahlungsbilanzdefizits seit den 70er Jahren koinzidiert. Der Siegeszug der Spekulation, die Fortschreibung der Weltgeldrolle des Dollar – trotz seiner Entlassung aus der Goldbindung – und die Herausbildung globaler, um den amerikanischen Großschuldner organisierter Defizitkreisläufe fallen nicht nur zeitlich in die gleiche Epoche, sie gehören auch logisch zusammen. Als Momente eines Gesamtsyndroms wären diese Entwicklungen ohne einander gar nicht denkbar.
Warum der Abschied vom Gold und vom Bretton-Woods-System für das Ingangkommen der spekulativen Dynamik unabdingbar war, liegt eigentlich auf der Hand. Erst die Emanzipation des amtierenden Weltgeldes von jeder Art metallischer Bindung machte den Weg zu jener schier unbegrenzten Ausdehnung der Weltgeldmenge frei. Ohne diesen Bruch hätte der Prozeß der spekulativen Selbstvermehrung des fiktiven Kapitals alsbald an Liquiditätsmangel ersticken müssen. Dieser Zusammenhang läßt sich aber genausogut umkehren. Wie die Etablierung eines rein kreditär unterfütterten Weltgeldes eine unverzichtbare Voraussetzung für den take off des fiktiven Kapitals war, ebenso sorgte der Vormarsch des fiktiven Kapitals dafür, daß der Dollar auch nach seiner Metamorphose zu einer ungedeckten Währung seine Weltgeldfunktion behalten konnte. Der Greenback war allein deshalb in der Lage, seine Weltgeldposition zu behalten, weil dem vermehrten Dollarangebot dank der vornehmlich in der amerikanischen Währung abgewickelten Spekulationsgeschäfte eine wachsende Dollarnachfrage entsprach. Der Dollar blieb Weltgeld, weil der internationale Finanzüberbau bereitwillig all die Dollarmassen absorbierte, die aus den USA zur »Finanzierung« der horrend wachsenden Zahlungsbilanz- und Haushaltsdefizite auf die Geldmärkte strömten.(56) Dieser zirkuläre Mechanismus begann schon unmittelbar mit dem Abschied vom Festkurssystem zu greifen. In dem Augenblick, als die außeramerikanischen Zentralbanken sich weigerten, den Dollarkurs weiterhin durch automatische Stützungskäufe zu sichern, verlor das Federal Board jenen garantierten Dollarabsatz, der bis dahin die schmerzlose Finanzierung des US-Defizits erlaubt hatte. In diesem Moment stand aber nicht nur die US-Administration ohne die traditionelle Dollarzwangsnachfrage da, gleichzeitig wurde in Europa und Japan privates Geldkapital freigesetzt, das bis dahin von den Zentralbanken für die Stützungskäufe aufgenommen und auf diese Weise in Dollars verwandelt worden war. Diese Gelder strömten nun auf den dank dieser Zuflüsse weiter anschwellenden Eurodollarmarkt. Dort aber fanden das Dollarangebot und die potentielle Dollarnachfrage wieder zusammen.(57)
Die hier angedeutete symbiotische Beziehung zwischen dem entkoppelten Weltgeld und der von der realen Akkumulationsbewegung abgelösten Verwertung fiktiven Kapitals zieht sich als roter Faden durch die Finanz und Wirtschaftsgeschichte der letzten zwanzig Jahre. Allein der internationale Kredit rettete das bedrohte Weltgeld. Das anschwellende Kreditangebot und das Weltgeldprivileg des Dollar sicherten den USA ihren exorbitanten Finanzierungsspielraum, während es die über das amerikanische Defizit vermittelten zins- und kursgewinnträchtigen Geldanlagen den globalen Geldanlegern wiederum ermöglichten, sich reich zu rechnen und aus ihren fiktiven Gewinnen weitere Kredite zu finanzieren. Das ganze System funktionierte nach den Prinzipien eines Kettenbriefs.
12.
Das Zeitalter der Spekulation folgt anderen Regelmechanismen als die von der realwirtschaftlichen Dynamik getragene fordistische Ära und ist daher als historische Einheit zu fassen. Das ändert aber natürlich nichts daran, daß auch dieser historische Abschnitt in der kapitalistischen Entwicklung selber wiederum in verschiedene Phasen auseinanderfällt. Nimmt man die Position des Weltgeldes im internationalen Finanzgefüge als Indikator, so fällt es nicht schwer, drei Hauptabschnitte voneinander abzugrenzen.
Eine erste Phase umfaßt die Jahre 1973 bis 1980. Von der Währungsseite her ist für diesen Abschnitt der beständige Verfall des Außenwerts der amerikanischen Währung kennzeichnend. All die Dollarmassen, die das Federal Board zur Finanzierung des US-Defizits emittierte, wurden durch die Ausdehnung des transnationalen fiktiven Kapitals und die von der Ausdehnung der Dollarliquidität angetriebene weltweite Inflation sukzessive absorbiert; der time lag zwischen der Geldschöpfung und dem Aufsaugen der zusätzlichen Dollarliquidität sorgte allerdings dafür, daß die Leitwährung beständig an Wert verlor. Der effektive Dollarkurs lag nach Berechnungen des IWF(58) am Ende der 70er Jahre um ein Fünftel niedriger als zu Beginn des Jahrzehnts. Gegenüber der D-Mark, die zusammen mit dem Schweizer Franken den US-Dollar als Wertaufbewahrungsmittel partiell abzulösen begann und nun insbesondere bei den Währungsreserven eine größere Rolle spielte(59), fiel der Wertverlust des Dollar noch krasser aus. 1970 lag der Wechselkurs des amerikanischen Dollars zur Deutschen Mark noch deutlich über 3,50 DM, 1974 war er nur mehr 2,75 DM wert, und bis 1979 sank sein Kurs schließlich auf 1,75 DM. Diese Entwicklung verbesserte natürlich die Wettbewerbsposition der US-Wirtschaft(60) und wirkte wie ein Konjunkturprogramm. Sie paßte von daher bestens in die auf die unbedingte Förderung des Binnenwachstums ausgerichtete Politik der US-Regierungen. Diese zeigten dementsprechend über Jahre hinweg wenig Interesse, in irgendeiner Weise gegenzusteuern. Das amerikanische Zinsniveau blieb niedrig, und der amerikanische Wachstumsmotor lief auf Hochtouren.
Gegen diese Vorgehensweise protestierten regelmäßig die Zentralbanken in Europa und Japan. Insbesondere die Währungshüter zu Frankfurt am Main sahen sich in ihren an den Abschied von den festen Wechselkursparitäten geknüpften Hoffnungen enttäuscht. Sie wurden daher nicht nur nie müde, über die permanente Entwertung aller in Dollar gehaltenen Währungsreserven Klage zu führen, sie mahnten die USA sowie die europäischen Defizitländer auch notorisch zur Abkehr von ihrer stabilitätsgefährdenden, weil inflationsträchtigen Wachstumspolitik. Eine Kleinigkeit übersahen die Musterknaben dabei allerdings. Der Erfolg Japans und des »Modell Deutschland«, auf den sich die Herren Kritiker so viel zugute hielten, beruhte außenwirtschaftlich gerade auf jener »unverantwortlichen Praxis«, an der sie gewohnheitsmäßig herummäkelten. Die bundesdeutsche Wirtschaft verdankte ihr »gesundes Wachstum« und die vergleichsweise günstige Beschäftigungslage wesentlich der »ungesunden« Konjunkturpolitik der europäischen Partner, die den innereuropäischen Defizitkreislauf und damit die westdeutsche Exportmaschine am Laufen hielt. Für die japanische Wirtschaft hatten die Überschüsse im Handel mit den USA die gleiche Funktion. Die Defizite der Partnerländer ermöglichten es Japan und der BRD aber nicht nur, auf eigene ausufernde Konjunkturmaßnahmen zu verzichten; der Sinkflug des Dollar wirkte in den exportstarken Aufwertungsländern gleichzeitig wie ein Stabilitätsprogramm, weil das wechselkursbedingte Absinken der Importpreise die Teuerung in ihren Währungsgebieten erheblich dämpfte. Auf diese Weise versetzte überhaupt erst die durch den Dollarfall induzierte Höherbewertung von Yen, Mark und Schweizer Franken das japanische, das deutsche und das schweizerische Währungsgebiet in die Lage, sich als Stabilitätsarchipel im Meer der globalen »Stagflation«(61) zu etablieren. Nur so konnten sie sich einstweilen dem Dilemma weitgehend entziehen, vor dem die Weltwirtschaft als Ganzes nach dem Auslaufen der fordistischen Wachstumsdynamik stand: Rezession oder realwirtschaftlich nicht gedeckte Geldmengenausdehnung (sprich Inflation) – oder eine Mischung aus beiden Übeln.
Die erste Phase der spekulativen Ära ging in der zweiten Hälfte von Carters Präsidentschaft zu Ende. Noch vor dem Amtsantritt von Ronald Reagan sorgte das Federal Board für eine deutliche Erhöhung des amerikanischen Zinsniveaus. Es begann überdies in Absprache mit anderen Zentralbanken den Dollar zu stützen und stabilisierte auf diese Weise den schwächelnden Greenback. Der offizielle Grund für diese Umorientierung der amerikanischen Währungs- und Geldpolitik in der zweiten Hälfte von Jimmy Carters Amtsperiode war das Überhandnehmen der Inflation in den USA. Der Stop des Dollarverfalls sollte die beständige Verteuerung von Importen beenden und damit den inflationären Prozeß insgesamt abbremsen.
Was auf den ersten Blick als Bestandteil eines deflationären Konzepts erscheint und von den Beteiligten zunächst wohl auch so mißverstanden wurde, gewann allerdings sehr schnell einen gänzlich anderen, diametral entgegengesetzten Sinn. Zwar ging die Dollarstabilisierung 1979/80 zunächst mit einer Rezession einher, und im Verlauf dieses konjunkturellen Abschwungs schrumpfte mit dem beschleunigten Rückgang der Importe auch das amerikanische Defizit vorübergehend, diese Entwicklung blieb aber ein kurzes Intermezzo vor dem eigentlichen Spekulationssturm. Nach dem Amtsantritt von Ronald Reagan zeigte sich eins sehr schnell: Die amerikanische Hochzinspolitik war keineswegs dazu angetan, über die Drosselung der Binnenkonjunktur die Außenhandelsungleichgewichte abzubauen, sie wirkte vielmehr umgekehrt als neues Instrument für eine nun in astronomische Bereiche hineinwachsende Defizitfinanzierung. Mit hohen Zinsen, die Anfang der 80er Jahre mit 14,0% fast doppelt so hoch lagen wie die japanischen Zinssätze, saugten die USA das globale Geldkapital an und finanzierten mit diesem Zustrom von Leihkapital den Reaganomics-Boom.
Der Übergang zur Hochzinspolitik entsprang nicht allein den Wechselfällen währungspolitischer Willensbildungsprozesse, er hat auch einen strukturellen Hintergrund. In den 70er Jahren setzte die Wachstumsschwäche der klassischen fordistischen Industrien ein Überangebot von anlagesuchendem Geldkapital frei. In dieser Situation hatten die USA keinerlei Schwierigkeiten, auch zu bescheidenen Zinsen und trotz der beständigen Entwertungsgefahr Geldkapital zur Defizitdeckung anzusaugen und so ihre Auslandsverbindlichkeiten zwischen 1970 und 1978 zu verdreifachen. Am Ende des Jahrzehnts begann sich das Verhältnis von Geldkapitalangebot und Geldkapitalnachfrage jedoch nachhaltig zu verschieben. Die Fortsetzung einer auf Defizitfinanzierung beruhenden Wachstumspolitik war unter diesen veränderten Umständen nur dadurch möglich, daß die USA höhere Zinsen boten als die Mitbewerber.
Steigende Zinsen hätten unter normalen realwirtschaftlichen Bedingungen eigentlich deflationär wirken und zur Senkung des Außenhandelsdefizits beitragen müssen. In jedem anderen Währungsgebiet wäre diese Entwicklung auch unweigerlich eingetreten. Im Land des Weltgeldemittenten war es aber möglich, diese Tendenz dadurch in ihr Gegenteil zu verkehren, daß der äußere Verschuldungskreislauf durch einen inneren komplettiert und verlängert wurde. Die aberwitzige Aufakkumulation privater und öffentlicher Schulden und die niedrige Sparquote in den Vereinigten Staaten sorgten für eine sprunghafte Ausdehnung der Staatsnachfrage und des privaten Konsums und hielten die US-Wirtschaft trotz horrender Zinsen auf Wachstumskurs. Die Kombination aus Hochzins und Kreditrausch führte dazu, daß die amerikanische Wirtschaft trotz angezogener Handbremse noch einmal auf Hochtouren kam und im unproduktiven Bereich sogar Beschäftigungszuwächse zu verzeichnen hatte.
Der neurasthenische Reaganomics-Boom forderte natürlich seinen Preis. Als erste hatten die schwächsten Kettenglieder im kapitalistischen Weltsystem unter der Hochzinspolitik der USA und ihrer Metamorphose zum Geldkapitalstaubsauger zu leiden. Angesichts dieser übermächtigen Konkurrenz auf der Nachfrageseite verknappte sich für die Schwellen- und Entwicklungsländer das verfügbare Leihkapital, und das amerikanische Zinsniveau trieb auch für sie die Geldbeschaffungskosten nach oben. Im gleichen Maße, wie die Politik der Reaganomics Konturen annahm, gerieten diese Staaten, die in der Zeit des billigen Geldes umfängliche Kredite aufgenommen hatten, in die Schuldenklemme. Von Mexiko bis Jugoslawien, von Argentinien bis zu den Philippinen standen ärmere Länder dutzendweise plötzlich am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Nur die gewohnheitsmäßige Aufblähung der internationalen Liquidität verhinderte, daß aus dem Problem der Schuldnernationen auch den Gläubigern eine handfeste Bedrohung erwuchs. Im Verbund mit der gnadenlosen Ausschlachtung der Nationalökonomien dieser Schuldnerländer ermöglichte sie es, den Schuldendienst aufrechtzuerhalten und die Abschreibung fauler Kredite zeitlich zu strecken.
Diese »Randstörung« tat dem Boom in den USA und der darüber vermittelten Exportkonjunktur in Japan und der BRD vorderhand natürlich keinen Abbruch. Der gigantomanische Kapitalzustrom trieb die amerikanischen Aktienkurse nach oben und sorgte so für eine wundersame Selbstvermehrung des zugeflossenen Geldkapitals. Der Dow Jones eilte von historischem Höchststand zu historischem Höchststand, und die fiktiven Wertgewinne lieferten den Geldnachschub für die beschleunigte Fortsetzung der spekulativen Karussellfahrt.
Mittelfristig warf diese Münchhausiade allerdings letztlich unlösbare strukturelle Probleme auf. Die Hochzinspolitik der USA katapultierte den Dollar in ungeahnte, angesichts der realwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der US-Ökonomie nur mehr grotesk anmutende Höhen. In der ersten Hälfte der 80er Jahre verdoppelte der Greenback gegenüber der Deutschen Mark seinen Wert nahezu. 1985 wurde der Dollar zeitweise mit 3,47 DM gehandelt. Dank dieser Kursgewinne konnten sich zwar die ausländischen Geldanleger reich rechnen, für die amerikanische Industrie hatte der Höhenflug des Dollar jedoch mörderische Konsequenzen. Sie war gegenüber den ausländischen Mitbewerbern nicht mehr konkurrenzfähig. Während der Dienstleistungssektor in den USA expandierte, wurde der sekundäre Sektor von einer regelrechten Deindustrialisierungswelle ergriffen. Das jährliche amerikanische Handelsbilanzdefizit spiegelt diese Entwicklung wieder. Es stieg von 25 Mrd. Dollar 1980 auf 160 Mrd. sieben Jahre später. Die Entwicklung der Zahlungsbilanz fiel kaum günstiger aus. In wachsendem Umfang diente die weiter anschwellende Kreditaufnahme nur mehr zur Refinanzierung der bereits aufgelaufenen Schulden. Schon Mitte der 80er Jahre gingen mehr als 10 Prozent des amerikanischen Staatshaushaltes in den Schuldendienst, der damit nach dem Verteidigungssektor den größten Haushaltsposten bildete. In den 70er Jahren hatten die Zinsen und Profite für das im Ausland angelegte amerikanische Kapital noch erheblich zur Begrenzung des Zahlungsbilanzdefizits beigetragen. Im Gefolge der Reaganomics verkehrte sich dieses Verhältnis in sein Gegenteil. Gerade die Zinszahlungsverpflichtungen trugen in zunehmendem Maße zum US-Defizit bei.
Mit dem Minicrash von 1987 wurden die Grenzen des selbsttragenden Aktienbooms und damit einer allein durch die spekulative Bewegung genährten Konjunktur sichtbar. Die zweite Phase der spekulativen Ära näherte sich damit ihrem Ende. Den Währungshütern in den USA, in Europa und Japan dämmerte, daß das unbekümmerte Weitertreiben der Verschuldungsspirale über kurz oder lang in ein währungs- und fianzpolitisches Fiasko führen mußte. In Washington, Tokio und Frankfurt bekundete man nun einhellig den Willen zu einer Trendumkehr, also den Wunsch, die aufgelaufenen Defizite allmählich zurückzuführen.
Es fiel den Währungspolitikern und Währungsbehörden leicht, sich auf diesen Vorsatz zu einigen; sie tun sich allerdings äußerst schwer damit, ihn auch umzusetzen. Seit sieben Jahren ist beständig von Konsolidierung die Rede, doch die Defizitkreisläufe sind allen guten Vorsätzen und Sanierungsprogrammen zum Trotz erhalten geblieben. Das amerikanische Zahlungsbilanzdefizit ließ sich nur vorübergehend unter 100 Mrd. Dollar drücken und steuert mittlerweile wieder auf das Niveau von 1987 zu. Die amerikanische Sparquote liegt mit 4,6% 1993 und 3,9% 1994 noch deutlich niedriger als in der Reaganschen Boomphase.(62) Dagegen wuchsen die aufgehäuften amerikanischen Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland von 1648 Mrd. Dollar im Jahre 1987 auf 2926 Mrd. im Jahr 1993 an. Die »weiche Landung des Dollar«, die nach dem Höhenflug des Greenbacks in der Reaganomics-Phase von den Volkswirtschaftlern beschworen wurde, droht doch noch zur Bruchlandung zu werden.
Dieses für die Währungspolitiker unbefriedigende Ergebnis ist keineswegs nur einer falschen Strategie oder der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit der Verantwortlichen geschuldet. In erster Linie ist ein anderer Umstand dafür verantwortlich. Die entfesselte Eigendynamik des fiktiven Kapitals fordert auch dann ihr Recht, wenn sie nicht mehr wie in der Reagan-Ära alle Wachstumsprobleme quasi automa-tisch aus dem Weg räumt, sondern die Folgelasten der Ehe von Währungspolitik und fiktivem Kapital spürbar werden. Die kreditinduzierte Wachstumsspirale machte die aberwitzige Finanz- und Währungspolitik des Weltgeldemittenten ein halbes Jahrzehnt lang zur Erfolgsstory. Mit dem Auslaufen des Spekulationsbooms beginnt sich dieser Prozeß jedoch umzukehren. Eine Krisenspirale droht in Gang zu kommen, und die Währungspolitik kann sich wenden, wie sie will, sie ist lediglich in der Lage, diesen Prozeß hinauszuzögern, nicht aber zu verhindern.
Für die weltwirtschaftliche Entwicklung sind heute wesentlich die dem Zugriff der Zentralbanken entzogenen transnationalen Geldkapitalflüsse bestimmend. Deren Selbstreproduktion hängt jedoch an der Fortschreibung der Defizitlogik, mit der die amerikanische Währungs- und Finanzpolitik eigentlich doch brechen will. So gesehen befinden sich die USA und mit ihr die Währungspolitik überhaupt in einer klassischen Double-bind-Situation. Einerseits zerstören die Vereinigten Staaten die Weltgeldposition des Dollar und damit ihre eigene Zahlungsfähigkeit, wenn sie weiterhin unbegrenzt Handels- und Zahlungsbilanzdefizite aufhäufen. Andererseits sind sie nach wie vor auf Geldkapitalzuflüsse aus dem Ausland angewiesen, Geldkapital, das seine Entstehung gerade den amerikanischen Defiziten verdankt. Die Vormacht USA kann mittelfristig nicht überleben, wenn sie ihre horrenden Fehlbeträge insbesondere im Handel mit Japan nicht abbaut. Sollte sie damit aber Erfolg haben, schneidet sie sich die eigene Geldkapitalzufuhr ab, weil sie damit Japans Position als allzeit liquider Kreditgeber untergräbt.
Dieses grundlegende Dilemma findet auch auf der Ebene der Zinssätze und der Währungsparitäten seinen Niederschlag. Um die amerikanische Binnenkonjunktur leidlich in Schwung zu halten und die zinsbedingten Defizite zu begrenzen, sind die amerikanischen Währungsbehörden genötigt, niedrige Zinsen anzusteuern. Gleichzeitig darf das amerikanische Zinsniveau jedoch niemals unter den international üblichen Level sinken, weil das sofort einen Massenabfluß von Geldkapital zur Folge hätte. Die US-Administration sucht diese Schwierigkeit dadurch zu lösen, daß sie die Partner und Konkurrenten dazu drängt, ihrerseits die internen Zinsen zu senken. Der Spielraum dafür erweist sich aber zusehends als äußerst beschränkt. In Japan, dem Hauptgläubigerland, sank das Zinsniveau von 1990 bis 1994 bereits von 7,7% auf 2,2%. Es läßt sich daher kaum mehr tiefer drücken. Zu einer Vermehrung des auf dem internationalen Markt verfügbaren Geldkapitals führte diese den Amerikanern eigentlich entgegenkommende Politik nicht. Die nur mühsam aufgefangene Krise des japanischen Bankensystems seit 1992, die im übrigen auch der eigentliche Grund für diese japanische Niedrigstzinspolitik ist, limitiert die Möglichkeiten der japanischen Geldinstitute zur externen Kreditvergabe stark. Sollte es zu einer auch nur partiellen Wertberichtigung der innerhalb Japans aufgelaufenen faulen Kredite kommen, so werden die japanischen Banken sogar gezwungen sein, ihre amerikanischen Guthaben in erheblichem Umfang abzuziehen. Dieser Schritt würde die weiterschwelende amerikanische Misere erst wirklich offenbar machen.
Vom traditionell zweitwichtigsten Gläubigerland, der BRD, haben die US-Währungshüter erst recht keine Schützenhilfe zu erwarten. Seitdem sich Westdeutschland in den Fallstricken der Wiedervereinigung(63) verheddert hat und die immensen Folgekosten der Osterweiterung kreditär finanziert, ist aus dem weltweiten Kapitalexporteur Nummer 2 ein Nettoimporteur geworden. Als Kapitalgroßnachfrager tritt die Bundesrepublik auf den Geldmärkten aber in Konkurrenz zu den USA und ist genötigt, die amerikanischen Zinsen zu überbieten, um den eigenen Kapitalbedarf zu decken.(64)
Die Kursentwicklung des Dollar hängt nicht nur eng mit dem eben angedeuteten Zins(abstands)dilemma zusammen, sie wirkt gleichzeitig als eine Art Resonanzboden auf diese Problematik zurück. Im Zeitalter der Spekulation hat sich die Wechselkursentwicklung von den Kaufkraftparitäten weitgehend emanzipiert. Sie ist stattdessen zu einer Ableitungsfunktion (x-ten Grades) der Zinsgefälle und der erwarteten Zinsentwicklung geworden. Bietet ein Land bei gleicher Sicherheit und Inflationsrate höhere Zinsen und attrahiert deswegen in großem Umfang internationales Geldkapital, so führt die steigende Nachfrage nach Anlagen in der Landeswährung auch zu einer steigenden Nachfrage nach dieser Währung. Im umgekehrten Fall ist mit einem Absinken zu rechnen. Die Teilnehmer am globalen Geldkapitalmarkt antizipieren diese Trends, und so kommt es angesichts der Umsatzvolumen auf den internationalen Finanzmärkten bei den kleinsten Anlässen sehr schnell zu wilden Kursausschlägen, die die Zentralbanken kaum kontrollieren können.
Mit dem relativen Sinken des amerikanischen Zinsniveaus in der Nach-Reagan- Ära setzte auch der Dollar zum Sinkflug an. Schon 1990 lag er nur mehr bei 1,66 DM. Diese Entwicklung kam zwar der Wettbewerbsfähigkeit der US-Industrie zugute, für das weltwirtschaftliche Gefüge ist diese Verschiebung in den Konkurrenzbeziehungen aber nur von peripherer Bedeutung. Wichtiger ist etwas anderes: Über den USA und damit über der gesamten Weltwirtschaft hängt bei niedrigen US-Zinsen und sinkendem Dollarkurs das Damoklesschwert einer Massenflucht aus der amerikanischen Währung. Die Weltgeldfunktion des Dollar wurde nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems nur durch die spekulative Bewegung und die durch sie bedingte Ausdehnung der Weltgeldliquidität gerettet. Sobald diese sich erschöpft hat, steht die Weltgeldrolle erneut zur Disposition.
Die Rückwirkungen der Mexikokrise auf den Dollar, wie sie im Frühjahr 1995 zu verzeichnen waren, werfen ein Licht auf das, was sich da zusammenbraut. Für den transnationalen Geldmarkt war klar, daß die Fed, nachdem sie im Januar gerade 50 Mrd. Dollar für die Stützung des südlichen Nachbarn organisiert hatte, erst einmal weiterhin auf niedrige Zinsen setzen würde. Jede Zinserhöhung in den USA hätte nämlich unweigerlich dafür gesorgt, daß die eben nach Mexiko gepumpten Geldkapitalien wieder abgeflossen wären. Diese Marginalie war für das frei fluktuierende Geldkapital Anlaß genug, die auf Niedrigzins festgelegten USA nun zu meiden und in die Deutsche Mark auszuweichen. Der Greenback stürzte gegenüber den Ausweichwährungen Yen und D-Mark auf historische Tiefststände. Die fernöstlichen Zentralbanken begannen in Erwartung weiter sinkender Dollarkurse bereits klammheimlich, Dollarreserven gegen Yen und D-Mark einzutauschen.
Sobald dieses Beispiel, aus welchem Anlaß auch immer, Schule macht, ist der Finanz- und Währungs-GAU nicht mehr zu verhindern. Ebenso wie das Platzen der Spekulationsblase früher oder später eine Wertberichtigungsspirale auslösen muß, wird die sukzessive Freisetzung der in der internationalen Liquidität und den Devisenreserven gebundenen Dollarmassen zu einem sich selber verstärkenden Krisenprozeß führen. Die Ehe des Weltgeldes Dollar und der globalen Spekulation kann nur mit dem gemeinsamen Tod beider Partner enden.
Fußnoten
(1) Selbst wenn es gelingen sollte, den Dollarabsturz noch einmal durch finanztechnische Operationen einstweilen aufzufangen, so würde dies an den grundsätzlichen Schwierigkeiten nichts ändern. Die nächste Dollarkrise wäre nur eine Frage der Zeit.
(2) Vergleiche Wilhelm Hankel, Dollar und ECU, Frankfurt 1992.
(3) Hier tritt eine grundsätzliche Schwäche der Wirtschaftswissenschaften zu Tage. Dank ihrer durch und durch ahistorischen, rein modellplatonischen Perspektive kennen die Ökonomen nur eine »falsche« oder eine »richtige« Wirtschafts- bzw. Währungspolitik, sie sind aber vollkommen blind für den realen Bedingungszusammenhang, von dem es abhängt, ob ökonomische Konzepte greifen können oder nicht. Hankel und Konsorten zeigen sich nur als würdige Vertreter dieses zusammenhanglosen Denkens, wenn sie heute Konzepte präsentieren, mit denen schon Keynes in den 40er Jahren und Triffin in den 60ern hausieren gegangen sind, ohne auch nur auf die Idee zu kommen, daß die neuen alten Pläne damals schon nicht nur am mangelnden politischen Umsetzungswillen scheiterten, sondern aus strukturellen Gründen.
(4) Ich erwähne die dem Golddeckungssystem inhärenten Grenzen nur stichpunktartig. Das kann hier genügen, weil dieser Zusammenhang in der wirtschaftshistorischen Literatur schon vielfach dargestellt wurde und im wesentlichen unstrittig ist.
(5) Frankreich konnte seine Kriegskosten gerade einmal zu 2 Prozent aus Steuereinnahmen finanzieren, das Deutsche Reich zu 6 Prozent!
(6) Selbst die USA verabschiedeten sich Anfang der 30er Jahre vorübergehend von der Goldbindung des Dollar.
(7) Jede Abwertung hätte den auf Gold- und Dollarbasis berechneten Schuldenstand entsprechend erhöht.
(8) Angesichts von massiver Kapitalflucht sah sich Belgien schon im März 1935 genötigt, seine Währung um 25% abzuwerten. Mit der gemeinsamen Deflationspolitik und angesichts schwindender Goldreserven gerieten aber auch die anderen Beteiligten in die Bredouille, und so verabschiedeten sich die Mitgliedstaaten im September 1936 von der Goldparität; die meisten von ihnen hoben sogar die Konvertiblität ihrer Währungen auf. Vgl. dazu Charles Kindleberger, Die Weltwirtschaftskrise, München 1984, S. 257 ff.
(9) Die Vergleichsziffern sind allesamt dem Aufsatz von Sidney Pollard, »Probleme der europäischen Integration im 19. und 20. Jahrhundert«, entnommen. Dieser Beitrag findet sich in dem von Helmut Berding herausgegebenen Bändchen »Wirtschaftliche und politische Integration in Europa im 19. und 20. Jahrhundert«, Göttingen 1984, S. 13 ff.
(10) Die der kapitalistischen Entwicklung inhärente Ungleichgewichtigkeit macht schon die Abstimmung der auseinanderlaufenden währungspolitischen Orientierungen der verschiedenen Regierungen zu einer Sisyphusarbeit. Sie verunmöglicht aber erst recht von vornherein den Übergang zu einer einheitlichen von einer Weltzentralbank kontrollierten Weltwährung. Eine transnationale Währung, die nicht dem gegenüber staatlichem Handeln autonomen Goldautomatismus, sondern politischer Regulation unterliegen soll, ist eine ebenso schlechte Utopie wie die Vision vom Weltstaat. Ebenso, wie die von politischen Grenzen befreite Weltgesellschaft nur eine vom Staat befreite Gesellschaft sein kann, und Staaten ex definitione im Plural existieren müssen, läßt sich eine bewußte globale Vergesellschaftung nur jenseits monetärer Vermittlung herstellen.
(11) Vgl. Handbuch der europäischen Wirtschafts und Sozialgeschichte, Band 6, Stuttgart 1987, S. 357.
(12) Die monetären Goldreserven lagen in der unmittelbaren Nachkriegszeit bei 34,36 Mrd.$. Die USA verfügten über 24,42 Mrd. $.
(13) Herman van der Wee, Geschichte der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert, Band 6, S. 392.
(14) A.a.O., S. 32.
(15) In Japan lag die Inflationsrate 1946 bei 346% und 1947 immerhin noch bei 196%.
(16) In Frankreich bespielsweise hatte sich die Geldmenge während des Krieges vervierfacht, die Industrieproduktion war hingegen auf 45% des Niveaus von 1937 gesunken. Diese schreiende Diskrepanz sorgte für eine enormes – nur partiell realisiertes – Inflationspotential.
(17) Die Kombination von Goldanbindung und automatischer Kreditgewährung war äußerst problematisch. Aller Wahrscheinlichkeit nach wäre der »bancor« durch eine kreditbedingte Aufblähung der Geldmenge sehr schnell zu einer schwächelnden Währung geworden, einer Währung, die alle Geldbesitzer nach Möglichkeit gemieden hätten. Die vorgesehene Weltgeldrolle des »bancors« wäre angesichts dieser Fluchttendenz nur im Rahmen einer internationalen Administrativwirtschaft durchzusetzen gewesen.
(18) Diesen Zusammenhang übersehen natürlich diejenigen, die sich heute im Namen von Keynes für die Schaffung eines transnationalen Weltgeldes einsetzen.
(19) Während das Verschuldungspotential des Keynes-Plans bei 25 Mrd. Dollar lag, sah der White-Plan nur 5 Mrd. vor.
(20) So sah der Keynes-Plan bezeichnenderweise vor, daß nicht nur die Schuldner eine Abgabe von 1% bzw 2% entrichten sollten, wenn sie ihre Bancor-Quote zu mehr als einem Viertel bzw. mehr als der Hälfte ausschöpften. Auch die Gläubiger sollten zu entsprechenden Zahlungen verpflichtet werden, wenn ihre Bancor-Guthaben mehr als ein Viertel bzw. die Hälfte ihrer Länderquote überstiegen.
(21) In Erinnerung an den Abwertungswettlauf der 30er Jahre und die verheerenden Folgen dieser beggar-my-neighbor-Politik galten den Vätern des Bretton-Woods-Systems feste Wechselkursverhältnisse als Voraussetzung für eine weltweite wirtschaftliche Erholung. Die Währungsbehörden der Länder wurden daher verpflichtet, die Schwankungen der Kurse auf den Devisenmärkten auf eine Bandbreite von 2% zu beschränken. Die Paritäten sollten nur bei »fundamentalen Zahlungsbilanzungleichgewichten« geändert werden. Der IWF war in solchen Fällen allerdings gehalten, Wechselkursänderungen bis zu 10% automatisch zustimmen. Wann ein »fundamentales Ungleichgewicht« im Einzelfall jeweils vorlag, war aber natürlich Interpretationssache, und so bot jede Wechselkursmodifikation Gelegenheit zu endlosen Streitigkeiten zwischen den nationalen Währungsbehörden.
(22) Die Gesamthöhe der vom IWF gewährten Ziehungen fällt dementsprechend nicht gerade besonders beeindruckend aus. Im Gründungsjahr 1947 lagen die Bruttoziehungen der Mitgliedsstaaten immerhin noch bei 468 Millionen Dollar, in den folgenden Jahren sanken sie erst einmal. 1948 gewährte der IWF 208 Millionen Dollar, 1949 101 Millionen und 1950 gar nichts. 1951 kletterten die Bruttoziehungen auf 35 Millionen und 1952 auf 85 Millionen. Hinzu kamen in diesem Jahr erstmals 55 Millionen Dollar an Beistandskrediten. Erst in der Suezkrise im Herbst 1956 ging der IWF zu einer anderen Finanzpraxis über. 1956 und 1957 floßen erhebliche IWF-Mittel nach Frankreich und Großbritannien (Die Zahlen sind entnommen: Herman van der Wee, Geschichte der Weltwirtschaft, Band 6, München 1984, S. 495).
(23) A.a.O., S. 488.
(24) Die am Pfund orientierten skandinavischen Staaten und das Commonwealth mit Ausnahme von Pakistan hielten sich an die britische Vorgabe. Die Landeswährungen wurden ebenfalls um 30% abgewertet. Frankreich begnügte sich mit einer Berichtigung von 22%, die BRD mit einer von 20%. Während die italienische Lira gegenüber dem Dollar lediglich 8% ihres Werts einbüßte, verlor der österreichische Schilling gleich 53%. Die Welle erfaßte auch die außereuropäische Staatenwelt. Argentinien bespispielsweise wertete um 47% ab, Kanada um 9%.
(25) Eine Ausnahme macht da nur der französische Franc. Er wurde im Laufe des Jahres 1958 um volle 40% abgewertet.
(26) Der Welthandel schwoll während des fordistischen Booms noch weit stärker an als die Industrieproduktion. Zwischen 1953 und 1977 stieg die weltweite Produktion an Industriegütern insgesamt um 420%, der Welthandel hingegen verachtfachte sich im gleichen Zeitraum und wuchs damit fast doppelt so schnell.
(27) Die Differenz fällt noch drastischer aus, wenn wir nicht das absolute Wachstum der Bruttosozialprodukte miteinander vergleichen, sondern das pro Kopf erzielte BSP. Aufgrund ihrer migrationsbedingten Bevölkerungsgewinne brachten es die USA nach diesem Maßstab lediglich auf ein Wachstum von 1,6%, die BRD dagegen auf 6,5%, und selbst Großbritannien rangiert mit 2,2% noch vor den Vereinigten Staaten.
(28) In der BRD stieg die Arbeitsproduktivität zwischen 1949 und 1959 durchschnittlich um 5,7% pro Jahr.
(29) Weltweit summierten sich Gold- und Golddevisenreserven 1959 auf 57 Mrd. Dollar.
(30) In der BRD und in Großbritannien erfolgte dieser Schritt bereits 1958.
(31) Vergleiche dazu Hans H. Glismann u.a., Weltwirtschaftslehre, München 1980, S. 234.
(32) Die Währungsreserven der USA bestanden nach dem Krieg zu 100% und auch noch 1962 zu 99% aus Goldbeständen. Der Goldanteil an den Gold- und Devisenreserven der amerikanischen Zentralbank verringerte sich drastisch erst nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems. Er lag selbst 1969 noch bei 81%.
(33) 1958 lagen sie bei 2,4 und 1959 nur mehr bei 0,3 Mrd Dollar.
(34) Der Negativsaldo belief sich 1958 auf 3,3 und 1959 auf 3,6 Mrd. Dollar.
(35) Dabei handelt es sich nicht zuletzt um die Kosten für die Stationierung amerikanischer Truppen im Ausland.
(36) Auf die industrielle Nachfrage dürften davon etwa 0,5 Mrd. Dollar entfallen sein. Der Rest war spekulationsbedingt.
(37) »Devisenguthaben entstehen meistens aus Zahlungsbilanzdefiziten der Reservezentren. Jedem Devisenguthaben steht eine Devisenverbindlichkeit gegenüber. Daß trotzdem die Entstehung eines Devisenguthabens eine Vermehrung der gesamten Reserven bewirkt, ist der üblichen Anwendung des ›Bruttoprinzips‹ zuzuschreiben: Während die betreffenden Guthaben den Reserven des Besitzers zugerechnet werden, werden die Verbindlichkeiten des Reservewährungslandes von seinen Reserven nicht abgezogen.« (Franz E. Aischinger, Das Währungssystem des Westens, Frankfurt 1971, S. 89).
(38) »Praktisch die ganze Vergrößerung der Devisenreserven in der Nachkriegszeit fiel den offiziellen Dollarguthaben zu, die von 4,16 Mrd. $ (Ende 1951) auf 17,76 Mrd $ (Ende September 1970) anstiegen. Die Zunahme der Dollarreserven war von 1958 bis Ende 1968 mit 8,3% im Jahresmittel besonders ausgeprägt« (a.a.O., S. 98).
(39) Wären sie dazu bereit gewesen, so hätte dies auf Dauer die Weltgeldfunktion des Dollar aber auch nicht retten können. Nicht nur die Zahlungsbilanzdefizite der USA mußten die Position des goldgebundenen Dollar untergraben, genauso verheerend hätte auf mittlere Sicht auch ein beschleunigter Abstieg der USA gegenüber Japan und der um die BRD gruppierten EWG gewirkt. Genau dieses Resultat hätte aber der Verzicht auf eine keynesianische Politik zeitigen müssen. Die US-Regierungen standen also vor einem unauflöslichen Dilemma.
(40) Den Plänen de Gaulles konnten nicht nur die USA, gegen deren privilegierte Position sie gerichtet waren, wenig abgewinnen. Sie waren auch für all die Länder völlig inakzeptabel, die über vergleichsweise geringe Goldreserven verfügten. Frankreich, das 1965 noch 86% seiner Reserven in Gold hielt, hätte von der de Gaulleschen Neuorganisation natürlich reichlich profitiert. Die Position der Bundesrepublik hätte sich ebenfalls verbessert, da der Goldanteil hier immerhin bei 69 % lag. Von Japan läßt sich das allerdings nicht gerade sagen. In diesem Land machte der Anteil des Goldes an den Währungsreserven nur 17% aus.
(41) Vgl. in diesem Zusammenhang: van der Wee, Geschichte der Weltwirtschaft, Band 6, S. 517 ff.
(42) Sobald die Krise der Waren- und Gelddemokratie in ihre akute Phase tritt, ist allerdings durchaus damit zu rechnen, daß der Warenroyalismus noch einmal fröhliche Urständ feiert. Die nostalgische Strömung hin zum gediegenen Edelmetall kann jedoch in dem gründlich demokratisierten Umfeld kaum mehr in die Reinthronisierung des Goldes einmünden. Das postkreditäre Heimweh nach dem festen Wert des Goldes wird daher wahrscheinlich lediglich als ein zentrales Moment in einer allgemeinen Fluchtbewegung in die Sachwerte greifbar werden und in einem rasanten Anstieg des Goldpreises seinen Niederschlag finden.
(43) Berechnet zum offiziellen Preis von 35 Sonderziehungsrechten pro Unze.
(44) Geschichte der Weltwirtschaft im 20.Jahrhundert, Band 6, München 1984, S. 521.
(45) Die Zahlen sind den BIZ-Jahresberichten von 1963/64 bis 1970/71 entnommen.
(46) Vom Übergang zum Floaten im April 1973 bis zum April 1980 wuchsen die Währungsreserven der deutschen Bundesbank, die in den 60er Jahren permanent Dollar annehmen mußte, zwar um 19 Mrd DM. Dieser Zufluß war aber ausschließlich eine Folge des Fixparitätensystems in Europa und kam allein durch die Stützung europäischer Währungen zustande. »Gegenüber dem übrigen Ausland, also im Bereich des Floatens, ergab sich in diesen 7 Jahren ein Netto-Devisenabgang« (Otmar Eminger, »Internationale Währungsentwicklung und Stabilitätspolitik«, in: Probleme der Währungspolitik, Berlin 1981, S. 21).
(47) Neben den USA gab es natürlich auch andere Schuldnerländer, die in den Genuß erheblicher Geldkapitalzuflüsse kamen. In den 70er Jahren gilt das insbesondere für die sogenannten Schwellenländer. Im Gegensatz zu diesen Staaten, die sich alsbald in der Schuldenfalle wiederfanden, schien die Kreditfähigkeit der USA nicht zuletzt aufgrund der Weltgeldfunktion des Dollar lange Zeit unbegrenzt.
(48) Geschichte der Weltwirtschaft, Band 6., S. 540.
(49) Und auch das gilt nur mit Abstrichen. Als Großbritannien am 23.6.73 aus dem Washingtoner Währungsabkommen austrat, verließ das Land gleichzeitig auch, zusammen mit Dänemark und Irland, die europäische Währungsschlange. Da Italien und Frankreich, die sich angesichts ihrer wirtschaftlichen Lage keine Hartwährungspolitik leisten konnten, im Februar 1973 bzw. 1974 den gleichen Schritt vollzogen, und nur Norwegen, Schweden und Dänemark dem europäischen Währungsverbund (wieder)beitraten, degenerierte er zu einer Deutsche-Mark-Zone, mit den skandinavischen Staaten und den Beneluxländern im Gefolge der Bundesrepublik.
(50) Das ist wohl auch der Grund dafür, warum die Bedenken der Dollarskeptiker der 60er Jahre aus der heutigen Perspektive etwas weltfremd und anachronistisch wirken. Letztlich gab es gar keine Alternative zur kreditären Lösung, es sei denn, man hätte den Ausbruch einer tiefen Rezession in Kauf genommen und die Fortschreibung der realwirtschaftlichen Wachstumspolitik der volkswirtschaftlichen Dogmatik geopfert.
(51) Diese Zahlen sind entnommen: Rainer Jonas, Horst Minte, Petrodollar, Bonn-Bad Godesberg 1975, S. 74. Sie berücksichtigen die Ostblockreserven nicht mit.
(52) Geschichte der Weltwirtschaft, Band 6, S. 562.
(53) Aus dem Rahmen fällt allein das Jahr 1991. Damals gelang es den USA, ihr Zahlungsbilanzdefizit für ein Jahr auf 8,3 Mrd. Dollar zu drücken. Das verdankten sie aber nur den Geldern, die sie bei den Verbündeten zur Finanzierung des Golfkriegs einstrichen.
(54) Das Zahlungsbilanzdefizit lag nur halb so hoch. Das war vornehmlich den Überschüssen in der Dienstleistungsbilanz geschuldet. Den größten Aktivposten bildete dabei der Gewinntransfer aus den amerikanischen Auslandsinvestitionen. Während der Kapitalexport in der Zahlungsbilanz auf der Passivseite erscheint, schlagen die heimgeführten Profite aus den Auslandsgeschäften auf der Habenseite zu Buche.
(55) Alexander Schubert, Die internationale Verschuldung, Frankfurt 1985, S. 37.
(56) Es ist kein historischer Zufall, daß die USA im Zeitalter des fiktiven Kapitals zum Megaschuldner aufstiegen, während Japan und die BRD Zahlungsbilanzüberschüsse aufhäuften. Die Position eines Großschuldners, der unbekümmert Außendefizite ansammelt, kann nur dem Weltgeldemittenten zufallen. Für jede andere Währung wäre ein vergleichbares Defizit auch während der spekulativen Ära schon zum Verhängnis geworden.
(57) Vgl. Schubert, a.a.O, S. 26.
(58) Vgl. dazu Wolfgang Schröder, »Das Problem der defizitären US-Zahlungsbilanz«, in: Hans-Bernd Schäfer (Hrsg.), Gefährdete Weltfinanzen, Bonn 1980, S. 71.
(59) Mit der Abwertung des Dollar verloren auch die in dieser Währung gehaltenen Devisenreserven an Wert. Es lag daher für die Zentralbanken nahe, vor dieser partiellen Enteignung nach Möglichkeit in Hartwährungen auszuweichen.
(60) Das Handelsbilanzdefizit wuchs dennoch unbekümmert weiter.
(61) Der Begriff der »Stagflation« kam in den 70er Jahren auf und bezeichnet das neuartige, in den landläufigen ökonomischen Theorien nicht vorgesehene Nebeneinander von Geldentwertung und Wachstumsschwäche. Dieses Phänomen resultiert unmittelbar aus dem Auslaufen der fordistischen Dynamik und dem Versuch, diesem Auslaufen durch die Anwendung des keynesianischen Steuerungsinstrumentariums zu begegnen.
(62) OECD-Wirtschaftsausblick, Dezember 1994, S. A28.
(63) Ökonomisch gesehen spielt die Wiedervereinigung für Deutschland die gleiche Rolle wie für die USA das Star-Wars-Programm. Sie bedeutet eine explosionsartige Ausdehnung des unproduktiven Staatskonsums und der Staatsverschuldung, die nur durch den Rückgriff auf den internationalen Kapitalmarkt »finanziert« werden kann.
(64) Der deutsche Kreditbedarf hat das gesamte europäische Zinsniveau nach oben verschoben.