31.12.2002 

Des Proletariats neue Kleider

Vom Empire zurück zur Zweiten Internationalen

Michael Hardt/Antonio Negri, Empire, deutsche Übersetzung von Thomas Atzert und Andreas Wirthensohn, Campus Verlag, Frankfurt / New York 2002, 480 S.

Anselm Jappe

In der New York Times, bekanntlich ein Sprachrohr kritischer Gesellschaftstheorie, feierte Slavoy Zizek das im April 2000 in den USA erschienenem Empire letzten Sommer als das Kommunistische Manifest des 21. Jahrhunderts. Das Buch sei ein „epochemachendes“ Werk, das den Protest wieder in Mode gebracht habe. Ähnlich äußerten sich Time und andere große bürgerliche Organe.Zwar bekamen die Autoren nach dem 11. September in den amerikanischen Medien auch ein wenig Prügel. Aber das Feuilleton haben sie jedenfalls gründlich in Aufregung versetzt.

Der kleine deutsche Ableger der New York Times, die Jungle World, wollte da nicht zurückstehen. Ein gewisser Tobias Rapp rezensierte dort im März die deutsche Ausgabe ungefähr in den Tönen, mit denen um 1950 die Prawda ein neues Werk von Stalin vorgestellt hätte. In weiten linken Kreisen, in Deutschland wie anderswo, ist bereits in jeder Bemerkung, die theoretisch sein will, ein Hinweis auf dieses Buch so obligatorisch wie einst ein Maozitat. Auch in Die Zeit wurde Empire als „grandiose Gesellschaftsanalyse“ vorgestellt; es sei „der erste ernsthafte Versuch, über das dumpfe und begriffslose Unbehagen an dem, was Globalisierung heißt, hinauszugehen und die Verhältnisse mit der Strenge des – soziologischen, philosophischen und politischen – Begriffs in den Blick zu nehmen“.

Sehen wir uns diesen Fund näher an, wie Marx sagen würde. Hardt ist ein US-amerikanischer Literaturprofessor und Negri ein italienischer Professor für Staatswissenschaften. Als Mentor der italienischen Autonomenbewegung in den siebziger Jahren mußte Negri für seine erträumte Rolle als Revolutionsführer mit jahrelanger Haft und Exil bezahlen. Aber er hat weiterhin, oder mehr denn je, einen unbestreitbaren Einfluß auf die Linke verschiedener Länder. In der Tat verbreiten Negris Jünger überall das Wort des Meisters, zum Beispiel durch die seit zwei Jahren erscheinende französische Zeitschrift Multitudes (Nachfolger von Futur anterieur ), die bereits in ihrem Titel eine Zentralkategorie von Empire aufgreift. Deren deutscher Ableger ist die Jungle World – Beilage Subtropen .

Im Grunde präsentiert das Buch lediglich eine postmodern veredelte Neuversion des italienischen Operaismus der siebziger Jahre, der seinerseits schon nichts anderes als eine Neuversion des Traditionsmarxismus, vor allem in seiner zweitinternationalistischen und leninistischen Version, war. Wie wir sehen werden, versteckt sich hinter dem neumodischen Wortgeklingel die alte Vorstellung von der lebendigen Arbeit, die das parasitäre Kapital abschütteln wird.

Bevor vom Inhalt des Buchs die Rede ist, sollte erst einmal erwähnt werden, wovon die Autoren nicht sprechen: weder Wert noch Ware, weder Geld noch Arbeit werden jemals als kritische Kategorien eingeführt. Deshalb sind von vorneherein alle Analysen wenig wert in einem Buch, das beansprucht, in einem großen geschichtlichen Bogen alles Wesentliche über Aufstieg und Fall der kapitalistischen Gesellschaftsform zu sagen. An Marx’ – bei allen Marxisten so unbeliebte – Unterscheidung von produktiver und unproduktiver Arbeit zu erinnern würde alleine schon ausreichen, um das ganze theoretische Gerüst des Buchs zusammenstürzen zu lassen. Und dann bliebe nicht mehr viel übrig, denn zur Ausstopfung ihres Schemas haben sich Negri und Hardt darauf beschränkt, eklektisch aus den verschiedensten Quellen zu schöpfen, ohne auch nur zu beanspruchen, im Detail irgend etwas Neues zu sagen. In das Buch ist alles eingearbeitet, was zur Zeit auf dem Theoriemarkt gängig ist, von Foucault und Deleuze bis zu Debord, Adorno, Bloch und sogar bis hin zu Kurz, der flüchtig zitiert wird, von Lenin bis zum Feminismus, von Spinoza bis zum garantierten Mindesteinkommen, von Fanon bis zum Postmodernismus. Die riesigen Literaturlisten führen aber fast ausschließlich Werke von linken Akademikern an, was bereits zeigt, von welchem Milieu die Autoren anerkannt werden wollen. Die Rezensenten staunen pflichtgemäß die „Gelehrsamkeit“ an, mit der das Buch protzt; unwahrscheinlich, daß sie oder die meisten Leser eine Vorstellung davon haben, wer z. B. Duns Scotus war.

Die Methode bleibt unklar. Hardt und Negri polemisieren ständig gegen die „Dialektik“, aber ohne sie je zu definieren. Sie sei für die Moderne konstitutiv und sei „transzendent“. Ihre eigene Kritik hingegen will absolut „immanent“ sein und die hegemonische Sprache und Sozialstruktur dekonstruieren – aber im Rahmen eines „kritischen und materialistischen Dekonstruktivismus“, um auf diese Weise eine „ontologische Grundlage“ in der „schöpferischen und produktiven Praxis der Menge“ zu finden (S. 61). Bescheidenderweise verkünden sie, die von Marx vorgesehenen, aber nicht geschriebenen Kapital-Bände über den Staat und den Weltmarkt schreiben zu wollen – was aber nicht sehr leicht ist, wenn man neben Marx Deleuze und Guattari als Hauptreferenten benutzt (S. 421, Endnote 4).

Ihr Begriff des Empire ist nicht schwer zu verstehen. Der Niedergang der Nationalstaaten in den letzten drei Jahrzehnten bedeute keinen Niedergang der „Souveränität“ (mit diesem Schlüsselwort sind einfach kodifizierte Herrschaftsformen gemeint) als solcher, sondern habe zur Entstehung eines die ganze Welt umfassenden Empire als dezentralisiertem und deterritorialisiertem Regierungsapparat geführt. Das Empire sei nicht mit dem klassischen Imperialismus identisch und bedeutet keine absolute Vorherrschaft der USA, denn heute hingen auch die dominierenden Länder vom Weltssystem ab, und die Dichotomie von dominierenden und dominierten Ländern oder von Nord und Süd gebe es nicht mehr.

Negri und Hardt definieren zunächst den Begriff des supranationalen Empire auf der juristischen Ebene. In diesem Zusammenhang weisen sich auf die Rolle der Vereinten Nationen bei seiner Entstehung hin.

Das Empire wird ständig von den Konfliktparteien in verschiedenen Weltgegenden dazu aufgefordert, den Frieden wiederherzustellen: es ist wesentlich Ausnahmezustand und Polizeimacht, die sich bei ihrem Wirken auf universelle Werte („Menschenrechte“) beruft. Sodann behaupten sie unter Berufung auf Foucault, daß der Übergang vom modernen Imperialismus zum postmodernen Empire mit der Ersetzung der Disziplinargesellschaft durch die immer „demokratischere“ Kontrollgesellschaft einhergehe, die in den Hirnen und Körpern der „Bürger“ (Negri und Hardt gebrauchen tatsächlich so ein Wort umstandslos) verankert sei.

Das Empire ist für Negri und Hardt die historisch jüngste Reaktion der Souveränität auf den Druck der „Menge“ („Multitude“). Dieser Begriff bezeichnet bei Hobbes (negativ) und bei Spinoza (positiv) die nicht homogene Gesamtheit der Singularitäten, die sich nicht zum „Volk“ zusammenfügen. Es ist die Macht, welche die Menge zum Volk konstituiert, das dann wiederum die Macht legitimiert. Das Auftauchen der Menge als die keiner transzendenten Macht unterworfene Gesamtheit der Einzelnen in der Renaissance, also die bereits mit Duns Scotus und Dante beginnende „humanistische Revolution“, war ein Emanzipationsprojekt im Namen einer radikalen Diesseitigkeit. Es rief als Gegenreaktion den modernen Staat und alle späteren Restaurationen der Transzendenz hervor. In den Augen der Macht darf sich die Menge nicht selbst konstituieren: „Oberstes Ziel war es, ein Verständnis der Menge à la Spinoza zu vermeiden, nämlich in direkter, unmittelbarer Beziehung zu Göttlichkeit und Natur, als ethischen Schöpfer von Leben und Welt. Im Gegensatz dazu sollte der Komplexität menschlicher Beziehungen auf jeden Fall eine Vermittlungsinstanz aufgezwungen werden“ (S. 92) – hier verwechseln die Autoren also die historisch spezifische und aufhebbare fetischistische Form, welche die gesellschaftliche Vermittlung im Kapitalismus angenommen hat, mit der unaufhebbaren Tatsache, daß es igendeine Form gesellschaftlicher Vermittlung geben muß. Interessant ist die These, zu dieser Gegenrevolution würden auch die Aufklärung und ihre Vorläufer gehören: „Die Politik findet sich im Zentrum der Metaphysik, weil die moderne europäische Metaphysik als Antwort auf die Herausforderung durch die befreiten Einzelnen und auf die revolutionäre Konstituierung der Menge entstanden ist“ (S. 97). Bereits mit Descartes begann die Wiederherstellung des Transzendentalen. Negri und Hardt erkennen, wenngleich sehr summarisch, daß die Aufklärung nicht unbedingt emanzipativ war, sondern zu einer dem Kapitalismus angebrachteren Form von Herrschaft geführt hat: „In der Politik wie in der Metaphysik ging es deshalb vor allem darum, die mittelalterliche Form der Transzendenz, die Produktion und Konsum nur behindert hätte, zu eliminieren und gleichzeitig an den Folgen der Transzendenz für die Herrschaft festzuhalten, und zwar in einer Form, die den Vereinigungs- und Produktionsformen der neuen Menschheit angemessen war“ (S. 97).

Deswegen kritisieren sie Rousseau, dessen Konzept am Ende dem von Hobbes ähnele: jedes Mitglied der Gemeinschaft veräußert seine Rechte völlig an diese. Auch Kant wird in diesem Zusammenhang wesentlich weniger positiv gesehen, als es, zumal in den letzten Jahren, bei linken Autoren üblich ist: „Kant gelingt es, das Subjekt in den Mittelpunkt des metaphysischen Horizonts zu stellen und es gleichzeitig mit den drei oben genannten Mitteln unter Kontrolle zu halten: die Abwertung von Erfahrung zu bloßen Phänomenen, die Reduktion von Erkenntnis auf verstandesmäßige Vermittlung und die Neutralisierung moralischen Handelns durch den Schematismus der Vernunft […] das Leitmotiv von Kants Philosophie lautet: Notwendigkeit des Transzendentalen, Unmöglichkeit jeder Form von Unmittelbarkeit, Austreibung alles Lebendigen aus dem Erkennen und Handeln des Seienden […] Schopenhauer erkennt, dass der Kantianismus der humanistischen Revolution endgültig den Garaus macht“ (S. 95). Hegel hat dem nicht wirklich abgeholfen: Die Immanenz, die Hegel „wieder herstellt … ist in Wahrheit eine blinde Immanenz, in der die Möglichkeiten der Menge geleugnet und unter die Allegorie der göttlichen Ordnung subsummiert werden“ (S. 96).

Diese äußerst knapp umrissene Geschichtsphilosophie trägt zwar, ganz im Gegensatz zu den Ankündigen ihrer Urheber, dialektische und teleologische Züge, aber sie enthält – vielleicht deswegen – einige interessante Aspekte. Leider machen die Autoren nichts daraus, und sie könnten es auch gar nicht angesichts ihrer theoretischen Ausgangs- und Zielpunkte. Sie nähern sich ihrem eigentlichen Anliegen, wenn sie sich weitgehend (sie wünschen nur eine stärkere Berücksichtigung der „Produktivität der Körper“ und des „Werts der Affekte“ [S. 44]) die Position zu eigen machen: Die zentrale Rolle bei der Produktion des Mehrwerts, die früher der Arbeitskraft der Fabrikarbeiter, dem ‚Massenarbeiter’, zukam, spielt heute überwiegend die intellektuelle und kommunikative Arbeit“ (S. 43). Die Analyse der sozialen und unmittelbar kommunikativen Dimension der neuen Formen der lebendigen Arbeit führe zur Frage nach den neuen Figuren der Subjektivität, in ihrer Ausbeutung wie in ihrem revolutionären Potential: „Nach einer neuen Werttheorie bedarf es also einer neuen Theorie der Subjektivität, deren erste Ausgangspunkte Wissen Kommunikation und Sprache sind“ (S. 44). Damit sind wir schon beim Zentralpunkt angelangt: die Autoren – wie die ganze postoperaistische Denkschule – registrieren erstens die Tatsache, daß die sogenannte immaterielle Arbeit stark zugenommen hat (aber auf Weltebene längst nicht so sehr, wie man oft glauben machen will – es sollte gelegentlich an die Tatsache erinnert werden, daß auch im Zeitalter der postmodernen Globalisierung und der Nanosekundenkultur der auf der Welt am meisten verbreitete Beruf nach wie vor der des Bauern ist1) und erkennen zweitens, daß dieser Umstand die traditionellen Parameter der kapitalistischen Produktionsweise durcheinanderbringt. Das wird von ihnen aber in keinster Weise mit der Werttheorie in Verbindung gebracht; stattdessen gehen sie, ohne irgendeine Begründung für notwendig zu halten – denn die versprochene „neue Werttheorie“ wird nirgendwo auch nur angedeutet – davon aus, daß die neuen Arbeitsweisen gleichfalls Mehrwert schaffen, weil „Ausbeutung“ vorliege. Die Autoren interessiert einzig und allein, ob dabei eine neue revolutionäre Subjektivität entsteht, also eine Nachfolgerin der alten Arbeiterklasse als ontologisches Gegensubjekt zum Kapital. Marxens These, das Kapital sei kein Ding, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis, wird von Hardt und Negri ausdrücklich so aufgefaßt, daß eine Seite dieses antagonistischen Verhältnisses vom „produktiven Leben der Menge“ bestimmt werde (S. 424, Endnote 28).

Nicht umsonst wiederholen sie beständig eine alte fixe Idee der Operaisten: die Kämpfe der Arbeiter, der Kolonialisierten und der anderen Ausgebeuteten seien der einzige wirkliche Motor gewesen, der die Entwicklung des Kapitalismus vorangetrieben hat, indem er diesen zu politischen Reformen und technologischen Umstrukturierungen zwang. Nicht die innere Logik des Konkurrenzmechanismus führe zu Neuerungen, sondern die äußere Bedrohung durch die Ausgebeuteten: „So wie sich das Kapital nur als Antwort auf die Bedrohung durch den organisierten Widerstand der Arbeiter dazu bewegen lässt, die Produktion neu zu gestalten und neue Technologien einzuführen, so hätte das europäische Kapital auch die Sklavenproduktion nicht aufgegeben, wenn nicht organisierte Sklaven seine Macht“ – durch Aufstände am Ende des 18. Jahrhunderts – „bedroht hätten“ (S. 136). Die große Krise am Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts sei nicht Teil der objektiven Akkumulationszyklen gewesen, sondern ein Ergebnis der antikapitalistischen und antiimperialistischen Kämpfe2. Auch die Entstehung des Empire sei eine Antwort auf die Kämpfe der Menge, die von ihrer Kreativität und ihrem Wunsch nach Freiheit und „Deterritorialisierung“ getrieben werde. Diese „Wünsche“ werden – gegen alle Evidenz – einfach der Menge, der heutigen wie der vor fünfhundert Jahren, als anthropologische Gegebenheit zugeschrieben, die dann als Gegenreaktion Kapital, Staat und Empire hervorriefe. Von einer Zirkularität, einer wechselseitigen Produktion der Institutionen und der Subjekte ist hier keine Rede; im Gegenteil heißt es ausdrücklich: „In dieser Ankündigung und Vorwegnahme kapitalistischer Entwicklung durch die Massenkämpfe gibt es keine Dialektik oder Teleologie“ (S. 65).

Die „Menge“ ist nichts weiter als das liebe, alte Proletariat. Nur wird dieses nicht mehr mit dem Industrieproletariat, also den Fabrikarbeitern, identifiziert: „Wir verwenden einen weiten Begriff von Proletariat und fassen in diese Kategorie all jene, deren Arbeitskraft direkt oder indirekt ausgebeutet wird und die Produktion und Reproduktion kapitalistischen Normen unterworfen sind“ (S. 66) – vager geht es wohl nicht mehr. Dieses neue Proletariat ist einfach die lebendige Arbeit3. Die Kämpfe der Menge seien „Ausdruck der Kraft der lebendigen Arbeit“ (S. 65). Die „neuen Subjektivitäten“ (also, ohne Umschweife gesagt, die Computersklaven) „ringen um die Befreiung der lebendigen Arbeit, sie schaffen Situationen mächtiger Singularitäten“ (S. 74). Ausbeutung und Herrschaft betreffen allerdings laut Empire nicht mehr nur die produktiven Tätigkeiten, sondern überhaupt die ganze Fähigkeit zu produzieren. Negris und Hardts Ideen sind in der Hinsicht so traditionell wie nur möglich: „Die Arbeitskraft ist das innerste Element, die unabdingbare Quelle des Kapitals. Gleichzeitig repräsentiert die Arbeitskraft auch das Äußere des Kapitals, das heißt den Ort, an dem das Proletariat seinen eigenen Gebrauchswert, seine eigene Autonomie erkennt und auf den es seine Hoffnung auf Befreiung gründet“ (S. 220). Das Proletariat repräsentiert also ganz klassisch die „gute“, die Gebrauchswertseite der Produktion, die von dem ihm polar entgegengesetzten akkumulierten Tauschwert ausgebeutet wird.

In der Tat ist in Empire von eigentlicher, kategorialer Arbeitskritik keine Rede. Was dort gelegentlich unter diesem Namen figuriert, ist bloß der Widerstand gegen die kapitalistischen Arbeitsbedingungen, wie er vor allem im italienischen Fabrikproletariat der siebziger Jahre verbreitet war. Erst recht ist die Umwandlung von Arbeit in Wert kein Gegenstand der Kritik, sondern wird vielmehr ausdrücklich als neutral-ontologisch oder direkt positiv betrachtet. Die Autoren lassen implizit erkennen, Marx’ Werttheorie für überholt zu halten, weil es heute unmöglich sei, zwischen produktiver, reproduktiver und unproduktiver Arbeit zu unterscheiden. Schon deshalb seien nunmehr fast alle Menschen Proletarier. „In dem Maße, in dem die Arbeit die Fabrikgebäude verläßt, wird es immer schwieriger, an der Fiktion irgendeines Maßes für den Arbeitstag fest zu halten und somit die Produktionszeit von der Reproduktionszeit bzw. die Arbeitszeit von der Freizeit zu trennen. Auf dem Feld biopolitischer Produktion gibt es keine Stechuhren; das Proletariat produziert in seiner Gesamtheit überall den ganzen Tag lang“ (S. 409). Diese richtige Erkenntnis bringt die Autoren aber nur dazu, die Wertkategorie überhaupt für überholt zu halten. Die Behauptung, die Kategorien der politischen Ökonomie, wie die Unterscheidungen zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, Produktion und Reproduktion, variablem und konstantem Kapital, Basis und Überbau seien veraltet, und nun sei nichts mehr „draußen“, ist nur die halbe Wahrheit: obwohl diese Kategorien objektiv von der Entwicklung der Produktivkräfte überholt worden sind, wirken sie weiter als Realkategorien. Außerdem verkünden Negri und Hardt zwar, daß es kein „Draußen“ mehr gebe, aber ihre ganze Analyse setzt genau diesen der Menge äußerlichen Charakter des Kapitals bzw. Empire voraus. Nicht zufälligerweise zählen sie zu den „überholten“ Kategorien nicht die der toten und der lebendigen Arbeit.

Mit dem Begriff der abstrakten Arbeit können die Autoren gar nichts anfangen, und sie verwechseln diese, wie es heute Mode ist, mit der „immateriellen Arbeit“, also dem „empirischen Abstraktwerden der Arbeit“ (vgl. Kurz: Die verlorene Ehre der Arbeit, Krisis 10): „Die Computerisierung der Produktion verschiebt die Arbeit in Richtung abstrakte Arbeit“ (S. 304). Zwischen konkreter und abstrakter Arbeit wird nicht unterschieden, und das Werteschaffen der konkreten Arbeit zugeschrieben: „Arbeit erscheint schlicht und einfach als die Macht zu handeln […] Wir können somit die virtuelle Arbeitskraft als eine Macht der Selbstverwertung definieren, die über sich selbst hinausreicht, auf den anderen überfließt und dadurch eine expansive Gemeinsamkeit ausbildet“ (S. 365 f.). Dank dem „General Intellect“ (einer den Grundrissen entlehnten Kategorie) verwirkliche sich der Wert von Arbeit „von einer neuen universellen und konkreten Arbeitskraft mittels Aneignung und freiem Gebrauch der neuen Produktivkräfte […] Arbeit wird zunehmend immateriell und schöpft ihren Wert aus einem einzigen, fortwährenden Innovationsprozeß in der Produktion“ (S. 372 f.).

Die Kooperation, so Negri und Hardt, sei der immateriellen Arbeit völlig immanent, sie trete nicht von außen hinzu. Deshalb könne diese Arbeit sich selbst verwerten und sei kein variables Kapital. „Die Hirne und Körper brauchen auch weiterhin die anderen, um Wert zu produzieren, doch die anderen, die sie brauchen, stellen nicht mehr notwendigerweise das Kapital und seine Fähigkeit, die Produktion zu orchestrieren […] Indem sie ihre eigenen schöpferischen Energien ausdrückt, stellt die immaterielle Arbeit das Potenzial für eine Art des spontanen und elementaren Kommunismus bereit“ (S. 305). Der Computer mache also den Kommunismus möglich, da sich dank ihm der alte Traum von einer Arbeit verwirkliche, die ohne das Zutun des Kapitals Wert schafft4.

Die „Selbstverwertung, die kooperative Konvergenz der Subjekte und das proletarische Produktionsmanagement“ müßten „zu einer konstituierenden Macht werden“ (S. 417), weil die „kapitalistische Vorgeschichte dann zu Ende“ sei, „wenn soziale und subjektive Kooperation nicht mehr Produkt, sondern Voraussetzung ist“ (S. 374), also die Arbeit das Kapital nicht mehr nötig hat. Natürlich ist die Feststellung richtig, es seien neue Produktivkräfte herangereift, die nicht mehr mit den Produktionsverhältnissen kompatibel sind. Aber das wird nicht auf das Gehäuse von Wert, Arbeit und Geld bezogen – die vielmehr bejaht werden – sondern nur auf die Frage der Eigentumsverhältnisse.

Das Loblied der lebendigen Arbeit zieht natürlich die Vorstellung mit sich, diese werde von der ihr äußerlichen, toten Arbeit ausgebeutet. Negris und Hardts ganzes Manifest für das 21. Jahrhundert beruht auf diesem Urgestein des Traditionsmarxismus. Das Empire sei nur ein Vampir, akkumulierte tote Arbeit, die die lebendige aussauge, eine parasitäre Maschine (S. 75). Damit es weniger marxistisch klingt, wiederholen sie diese Behauptung sofort in der Form, die Menge sei absolute, ontologische Positivität, das Empire hingegen reine Leere, Abwesenheit von Sein und Produktion. Das ist offensichtlich das genaue Gegenteil jeder Fetischismus- oder Entfremdungsanalyse. Auf den Satz: „Ist einmal das globale Niveau erreicht, sieht sich die kapitalistische Entwicklung ohne Vermittlung direkt der Menge gegenüber“ (S. 248) folgt wenige Zeilen weiter die Behauptung: „Kapital und Arbeit stehen sich direkt antagonistisch gegenüber. Das ist die Grundvoraussetzung jeder politischen Theorie des Kommunismus“ (S. 249). Empire und Menge sind also nur Verkleidungen des subjektiv gefaßten Gegensatzes von Arbeit und Kapital.

Dieselben Kräfte, von denen das Empire lebt und die es ausbeutet, bedrohen ständig dessen Existenz: „Das Empire erkennt die Tatsache und zieht daraus Profit, dass die Körper in Kooperation mehr produzieren und in der Gemeinschaft glücklicher sind, aber es muss gegen diese kooperative Autonomie vorgehen und sie kontrollieren, denn andernfalls wird das Empire von ihr zerstört“ (S. 398 f.) Es muß die ihm nötige Subjektivität ständig auf einem für es erträglichen Niveau halten – womit wir bei der alten Vorstellung angelangt sind, der Kapitalismus sei nicht in der Lage, die Produktivkräfte weiter zu entwickeln. Negri und Hardt sind nicht über Lenins altes Theorem vom „verfaulten Kapitalismus“ hinausgekommen (was bei ihnen unter dem Namen „Korruption“ im Sinn von „Verfall“ fungiert), der nichts mehr schaffe, und vor allem keine Werte mehr, sondern sich auf reine Finanzspekulation verlegt habe: „Dazu gehört, dass die Werte, die sich aus der kollektiven Arbeitskooperation ergeben, ausgebeutet werden und dass das, was im Biopolitischen ab origine öffentlich war, privatisiert wird […] wenn der Kapitalismus sein Verhältnis zum Wert verliert, (und zwar sowohl als Maß individueller Ausbeutung wie auch als Norm kollektiven Fortschritts), erscheint er unmittelbar als Korruption. Seine zunehmend abstrakte Funktionsweise (von der Akkumulation des Mehrwerts bis hin zur Finanz- und Währungsspekulation) erweist sich als machtvoller Marsch in Richtung generalisierter Korruption“ (S. 397).

Es werden Hardt und Negri zufolge nicht die inneren Widersprüche des Kapitals sein, die dieses in Schwierigkeiten bringen. Der Kapitalismus sei zur Zeit sowieso „auf wundersame Weise gesund und die Akkumulation kräftig wie nie“ (S. 281), so wie es auch immer mehr Arbeit gebe. Für das Kapital, wie für die Moderne überhaupt, sei die Krise „eine normale Voraussetzung, die nicht sein Ende bedeutet, sondern seine Entwicklungsrichtung und sein Prinzip anzeigt“ (S. 234) – Michael Heinrich hätte es auch nicht anders gesagt. Der Begriff der Krise wird ins Allgemeine verwässert durch die Behauptung, daß, da das Empire keinen Ort mehr habe, seine Krise überall sei und seinen Dauerzustand bilde – aber eben deswegen ist sie auch nirgends und nie da. Es fehlt jede konkrete Krisenanalyse in Empire. Immerhin geben die Verfasser, unter Bezug auf Rosa Luxemburg, zu, daß sich das Kapital aufgrund der Unterkonsumtion ständig nach außen ausdehnen müsse. Andererseits sei das Kapital gezwungen, diese Außenwelt zu integrieren, um den gewonnenen Mehrwert zu kapitalisieren. Die für seine Existenz unverzichtbare Außenwelt müsse es gleichzeitig aufheben, und das sei der „Grundwiderspruch kapitalistischer Expansion“ (S. 239), die deswegen ständig weitergehen müsse. Aber während, wie Negri und Hardt erwähnen, Rosa Luxemburg daraus schlußfolgert, der Widerstand komme von außen (in Negris und Hardts Diktion liest sich das so: er komme von den ***„nichtkapitalistischen Gebrauchswerten der Menge“), kommt er für Lenin aus dem Inneren der Krise der modernen Souveränität – und daran knüpfen unsere Postoperaisten an.

Man dürfe nicht nur die inneren Widersprüche in der Entwicklung des Kapitals betrachten, meinen die Autoren, und in Wirklichkeit betrachten sie die überhaupt nicht. Statt dessen fühlen sie sich viel eher in ihrem Element, wenn sie davon schwadronieren, die „Subjektivität im Klassenkampf verwandelt den Imperialismus zum Empire“ und sei der Motor der Globalisierung (S. 247). Denn darauf läuft ihre Vorstellung von der Überwindung des Empire hinaus. Es sei der Befreiungskampf der Menge selbst gewesen, der das postmoderne Empire an die Stelle des alten Nationalstaats gesetzt habe, und jetzt würde diese Subjektivität der Menge das Empire aufheben. „Die deterritorialisierende Macht der Menge ist die Produktivkraft, die das Empire erhält, und zugleich die Kraft, die nach seiner Zerstörung ruft und diese möglich macht“ (S. 74), heißt es, oder: „Das imperiale Kommando ist vielmehr Ergebnis eines gesellschaftlichen Ausbruchs, der die alten Verhältnisse, welche die Souveränität konstituierten, umgewälzt hat“ (S. 352) oder sogar: „Gleichwohl bildete das Empire ein Ziel, auf das sich das Bestreben und die Bürgertugend [!] der Menge und ihrer Möglichkeiten, Geschichte zu machen, richteten“ (S. 379). Das Empire wäre also nur ein Durchgangsstadium bei der Befreiung der Menge und habe durch die Zerstörung der alten Herrschaftsformen einen Teil von deren Anliegen bereits verwirklicht. Die vor allem in den letzten Jahrzehnten aufgrund des Zusammenbruchs der kapitalistischen Peripherie zahllosen Menschen und ganzen Völkern aufgezwungene „Mobilität“ verwandelt sich in dieser Perspektive zu einer, wenngleich noch etwas unausgereiften, Realisierung des „deterritorialisierenden Wunschs der Menge“. Dieser von Deleuze verkündete „Nomadismus“ ist offenbar einer Art ontologischer Wandertrieb.

Da man den Übergang zum Empire nur schwer als Verbesserung der Lebensbedingungen für den Großteil der Menschheit darstellen kann, Negri und Hardt aus dem Empire aber unbedingt (ganz unteleologisch natürlich) eine Stufe der Selbstfindung der Menschheit machen wollen, verlegen sie sich auf die These, die neuen Bedingungen würden mit dem System unvereinbare Wünsche hervorrufen. Die Bauern zum Beispiel, die Arbeiter werden, seien nicht freier geworden, aber hätten ein neues Bedürfnis nach Freiheit. „Die Mobilität hat … für das Kapital einen hohen Preis: den wachsenden Wunsch nach Befreiung“ (S. 265), meinen die Autoren optimistisch – aber oft stimmt das Gegenteil: in den Emigrantenkolonien, seien es die der Italiener in Berlin oder die der Pakistaner in London, blühen reaktionäre Ideologien und Verhaltensmuster ganz besonders. „Die Globalisierung der Märkte war, weit entfernt davon, bloß bittere Frucht kapitalistischen Unternehmertums zu sein, tatsächlich Ergebnis des Begehrens und der Forderungen taylorisierter, fordistischer und disziplinierter Arbeitskraft weltweit. In diesem Sinne antizipierten die Prozesse der formellen Subsumtion die reele Subsumtion und ließen sei reifen; letztere waren nicht das Produkt der ersteren (wie Marx zu glauben schien), sondern in den erstgenannten fanden sich Bedingungen der Befreiung und des Kampfes, die nur unter den letztgenannten zu kontrollieren waren“ (S. 267). Wir haben hier also wieder die Vorstellung, die kapitalistische Entwicklung sei nichts als eine parasitäre und repressive Verdrehung dessen, was das Proletariat in seinem Freiheitswunsch spontan von selbst schafft. Explizit heißt es: „Tatsächlich erfindet das Proletariat die gesellschaftlichen Formen und die Formen der Produktion, die das Kapital für die Zukunft zu übernehmen gezwungen ist“ (S. 279; Hervorheb. im Original). Dann ist es durchaus folgerichtig, zu meinen, die US-amerikanische Hegemonie sei der Macht und Kreativität des amerikanischen Proletariats zu verdanken, dessen Kampf für eine neue Lebensform die Entwicklung der immateriellen Arbeit vorangetrieben habe (ebd.). Das Empire ist Hardt und Negri zufolge nicht mit Amerika identisch. Aber Amerika sei von Anfang an der Ort gewesen, an dem sich die imperiale Logik am reinsten entwickelt habe, und zwar in ihrer ganzen Zwiespältigkeit. Deshalbloben die Verfasser die „offene“ amerikanische Verfassung und ihre „Freiheitsidee“ und wollen offenbar zu dieser Quelle zurückkehren. Genauso begeistern sie sich für Roosevelts New Deal: „Im Modell des New Deal […] gab es zum ersten Mal einen Hinweis auf eine starke Subjektivität, die in Richtung des Empire tendierte“ (S. 254).

Negri und Hardt erkennen den Zusammenhang zwischen den neuen Subjektformen in den Protestbewegungen ab 1968 und der postfordistischen Produktionsweise an, aber sehen diesen Zusammenhang einseitig positiv: die Protestbewegungen lehnten die Massenfabrik und die Kernfamilie ab; sie schätzten hingegen immateriellere Formen der Produktion und setzten auf „Mobilität, Flexibilität, Wissen, Kooperation, Affektivität“ (S. 285). Die Studentenbewegung habe zur Aufwertung der intellektuellen Arbeit beigetragen, der Feminismus zur Aufwertung der affektiven Tätigkeiten im Reproduktionsbereich. Die ökonomische Bedeutung dieser kulturellen Bewegungen sei bis jetzt unterschätzt worden, denn ohne sie hätte das Kapital einfach immer auf dieselbe Weise weitergemacht. Keineswegs habe das Kapital sie hervorgerufen oder seien sie in einer dialektischen Wechselwirkung zwischen den Subjekten und ihrem fetischisierten Zusammenhang entstanden; das Kapital ist in dieser Perspektive nur eine äußerliche Beherrschung dieser offenbar ständig aus einem Urborn hervorquellenden rebellischen Kreativität. „Das Problem des Kapitals bestand vielmehr darin, eine neue Zusammensetzung zu beherrschen, die autonom entstanden war und die ein neues Verhältnis von Natur und Arbeit definierte, ein Verhältnis autonomer Produktion“ (S. 286) und nur die Kapitalformen, die sich an diese neuen Umstände angepaßt haben, blühten heute (S. 286 f.). Dementsprechend originell ist Negris und Hardts Erklärung für den Zusammenbruch der UdSSR: diese „mag … immer noch in der Lage gewesen sein, mit ihren Gegnern unter militärischen und technologischen Gesichtspunkten Schritt zu halten, doch gelang es dem System nicht, den Wettbewerb auf der Seite der Subjektivitäten durchzustehen“, da die neuen Kommunikationstechniken nur funktionieren, wenn „produktive Subjektivität sie belebt“ (S. 287 f.). Was die Sowjetunion zum Einsturz gebracht habe, sei die Repression dieser neuen Energien gewesen, also des Ansturms auf die Computer.

Mit das Erstaunlichste ist, daß die „Multitude“ und ihre Schöpfungen seit der Renaissance einfach umstandslos positiv bewertet werden und nur die Aneignung ihrer Erfindungen durch das Kapital bzw. das Empire beklagt wird. So sprechen die Autoren von der „Akkumulation expressiver und produktiver Fähigkeiten, welche die Globalisierungsprozesse im Bewusstsein jedes Einzelnen und jeder gesellschaftlichen Gruppe verankert haben“ (S. 225). Die Frage nach dem Inhalt dieser Kreativität taucht nicht einmal am Rande auf. Damit werden implizit Technik und Wissenschaft, so wie sich seit der Renaissance entwickelt haben, und die modernen Produktivkräfte in Bausch und Bogen gutgeheißen. Aber was hat denn der ständig beschworene General Intellect, was hat denn die Intelligenz und Kreativität der Menge in den letzten Jahrzehnten an Glanzvollem geleistet dank der „Konzentration der produktiven Arbeit auf das formbare und fließende Terrain der neuen kommunikativen, biologischen und mechanischen Technologien“ (S. 230)? Hauptsächlich Informatik und Gentechnologie (die im Buch nie erwähnt wird), schrecklichere Waffen und schrecklichere Häuser denn je, Cyberpunk und Trashliteratur, neue Kontrolltechnologien und Kabelfernsehen. Es mag sein, daß diese Erfindungen, ganz abstrakt gesehen, von einem hohen Maß an technischen Kenntnissen zeugen (selbst das jedoch nur bei einer kleinen Minderheit). Aber bereits die Tatsache, daß dieses „Kreativitäts“potential widerstandslos in diese statt in andere Schöpfungen geflossen ist, zeigt, welch tiefes Niveau die wichtigste Produktion, nämlich die der Subjekte selbst, erreicht hat. Die neuen Subjekte haben die warengesellschaftlichen Kriterien völlig verinnerlicht, und ihre Schöpfungen sehen dementsprechend aus. Wenn Negri und Hardt schreiben: „Die Menge benutzt nicht nur Maschinen zur Produktion, sondern wird auch selbst zunehmend zu einer Art Maschine, da die Produktionsmittel immer stärker in die Köpfe und Körper der Menge integriert sind“ (S. 413), kann man dazu nur das sagen, was Marx in einem Manuskript als Kommentar zu einem Zitat schreibt: „Wie scheen“. Fast alles, was der Kapitalismus heute materiell und immateriell erzeugt, ist Schrott. Diesen gälte es abzuschaffen, statt ihn mit dem Geschrei „Das gehört uns“ dem Kapitalismus zu entreißen. Von all dem sehen natürlich Negri und Hardt in ihrer Begeisterung für die schöne neue Welt nichts. Und wenn sie ständig von der Schaffung neuer „Gemeinschaften“ reden, bleibt es rätselhaft, wie diese sich, wenn sie mehr als zufällige Aggregate von Monaden sein sollen, auf der Grundlage von Individuen bilden sollen, die bereits völlig von kapitalistischen Kriterien geformt sind und nie etwas anderes kennengelernt haben.

Ob von einer Ausweitung von Kenntnissen und Fähigkeiten auf immer weitere Bevölkerungskreise überhaupt die Rede sein kann, hängt von der Wahl des Maßstabes ab. Nimmt man als Maßstab die Fähigkeit, Gedichte auswendig zu können oder altgriechisch zu lesen, einen Dialekt wirklich zu sprechen oder einen Stier einfangen zu können, „bibelfest“ zu sein oder ohne Waschpulver ein Hemd sauber zu kriegen, sich an den Sternen zu orientieren oder Hausmusik zu betreiben, dann muß man eher von einem Rückgang der Fähigkeiten sprechen. Bestenfalls ist eine Fähigkeit durch eine andere ersetzt worden. Wer eine heutige Massenintellektualität einem angeblichen früheren Stumpfsinn entgegensetzt, begeht eine tautologische petitio principii und unterstellt, die heute verbreiteten Fertigkeiten seien die wichtigeren.

Empire ist offenbar geschrieben, um den neuen Mittelschichten im „kreativen“ Sektor (Informatik, Werbung, Kulturindustrie usw.) und den jungen Rebellen, die noch zu diesen Mittelschichten stoßen wollen, zu schmeicheln und ihnen einzureden, sie seien das neue revolutionäre Subjekt, oder, zeitgemäßer, die Hoffnung der Menschheit. Und natürlich bieten sich die Verfasser von Empire als ihre Wortführer und Vertreter an. Man kann vermuten, daß sich im No-Global-Volk eine Hierachie der Lektüren herausbilden wird: Naomi Kleins No Logos für die ganz Anspruchslosen, Pierre Bourdieu für diejenigen, die etwas mehr zu wissen glauben, und Empire für diejenigen, die sich für Intellektuelle halten.

Vom Postmodernismus wollen Negri und Hardt sich allerdings abgrenzen. Das postmoderne und postkoloniale Bestehen auf Differenz, Flüssigkeit und Hybridisierung bekämpfe die Binaritäten und den Essentialismus der modernen Souveränität, in der es den einzigen Gegner sehe, aber stehe durchaus im Einklang mit den neuen Machtstrategien. „Die Ideologie des Weltmarkts etwa war schon immer der gegen Letztbegründungen und Essenzialismus gerichtete Diskurs schlechthin. Zirkulation, Mobilität, Diversität und Vermischung sind unabdingbar, damit es ihn überhaupt geben kann“ (S. 163). Der Weltmarkt multipliziere die Differenzen und reiße alle festen Schranken nieder, und je differenzierter und hybrider die Bevölkerung ist, desto mehr Marktchancen biete sie. „Der Imperialismus ist eine Maschine globaler Einkerbung, Kanalisierung, Kodierung und Territorialisierung der Kapitalströme, die bestimmte Ströme blockiert und andere möglich macht. Der Weltmarkt braucht hingegen den glatten Raum unkodierter und deterritorialisierter Ströme“ (S. 341); schon deshalb sei die neue Unternehmenskultur gegen Rassismus und Sexismus traditioneller Prägung. Die postmodernen Diskurse seien durchaus marktkompatibel und zögen die Gewinner der Globalisierungsprozesse an, die Fundamentalismen die Verlierer.

Mit dem Postmodernismus teilen Negri und Hardt allerdings die Begeisterung für das Neue und den Haß auf die Erinnerung an frühere Lebensweisen. Das Empire gilt ihnen als eindeutiger geschichtlicher Fortschritt. Keine der früheren Herrschaftsformen, zum Beispiel der Nationalstaat, stelle eine positive Alternative dar. „Das Empire ist also in dem Sinne besser, in dem Marx darauf bestand, dass der Kapitalismus besser sei als die Gesellschaftsformationen und Produktionsweisen, die ihm vorausgingen“ (S. 57): das Befreiungspotential sei in beiden Fällen größer. Empire will sich der Herausforderung des Empire stellen und kritisiert deshalb die Linke von heute, die auf lokale Kämpfe und auf soziale, nationale und regionale Identitäten setze. Die Logik dieser Linken sei rein reaktiv, nach dem Schema: „Wenn sich kapitalistische Herrschaft zunehmend globalisiert, dann muß der Widerstand dagegen das Lokale verteidigen und Barrieren gegen die beschleunigten Ströme des Kapitals errichten“ (S. 58). Das sei laut den beiden Professoren schon deshalb falsch, weil die Globalisierung nicht nur homogenisiere, sondern gleichzeitig auch Differenzierungen und Identifizierungen schaffe. Die lokalen Realitäten stünden nicht außerhalb der Kapitalflüsse und des Empire; ihre Verteidigung verneine deshalb die Befreiungsmöglichkeiten innerhalb des Empire. „Aus einer Perspektive betrachtet, die sich auf die Tätigkeit der Menge, die Produktion von Subjektivität und Begehren konzentriert, läßt sich erkennen, wie die Globalisierung, da sie eine Deterritorialisierung früherer Ausbeutungs- und Herrschaftsformen bewirkt, für die Menge zur tatsächlichen Bedingung der Befreiung wird.“ (S. 65). Dieser Freiheitswunsch habe den Nationalstaat zertrümmert und den Übergang zum Empire bestimmt. „Der Übergang zum Empire und die damit verbundenen Globalisierungsprozesse bieten neue Möglichkeiten der Befreiung […] Im schöpferischen Vermögen der Multitude, der Menge, die das Empire trägt, liegt gleichermaßen die Fähigkeit, ein Gegen-Empire aufzubauen, den weltweiten Strömen und Austauschverhältnissen eine andere politische Gestalt zu geben“ (S. 13). Die Menge und das Empire sind also gewissermaßen dasselbe, oder letzteres ist die pervertierte Form von ersterem. Im Grunde soll die Menge das von ihr sowieso schon in Wirklichkeit konstituierte Empire auch offiziell übernehmen, so wie für die Marxisten der Zweiten Internationalen das Proletariat die bereits als direkte Vorläufer des gesellschaftlichen Eigentums verstandenen Großbetriebe und Aktiengesellschaften übernehmen sollte. Allerdings ist das in Empire nicht mehr im Sinne einer Machtübernahme gedacht, sondern als ein Auszug, eine Flucht aus den Strukturen des Empire: „Während im Zeitalter der Disziplin Sabotage als Grundform von Widerstand galt, ist es im Zeitalter imperialer Kontrolle die Desertion“ (S. 224). Heute greifen, so behaupten Hardt und Negri, alle Kämpfe, auch wenn sie lokal verankert sind, das Empire als solches an, da es kein Zentrum und keine Peripherie mehr gebe. Sie seien gleichzeitig politisch, ökonomisch und kulturell und schüfen neue öffentliche Räume und Formen der Gemeinschaft. Die verschiedenen Kämpfe auf der Welt seien nicht horizontal verbunden, wie im Zeitalter des Internationalismus, „sondern jeder einzelne reicht vertikal direkt ins virtuelle Zentrum des Empire“ (S. 71), das von überallher angegriffen werden könne. Ohne diese Angriffe würde es gar keine Globalisierung geben.

Mit dem Übergang zum Empire verschwinde zwar angeblich die Autonomie des Politischen (nicht die Politik als solche); trotzdem bleibt aber für Negri und Hardt die „Wirtschaft“ eine Sondersphäre, die politischen Eingriffen guter und schlechter Art zugängig sei. Die ökonomischen Beziehungen sind für sie nur Teil „politischer Herrschafts- und Machtbeziehungen“ (S. 240). Das Geld beruhe einzig und allein auf den politischen Notwendigkeiten des Empire, ist also in dieser Perspektive nicht der tautologische Selbstzweck der Gesellschaft, sondern ein reines Herrschaftsinstrument: es ist, neben der „Atombombe“ und dem „Äther“ (Beherrschung der Kommunikation), eines der „drei globale(n) und unumschränkte(n) Mittel“, die das „imperiale Kommando besitzt“ (S. 353). Das Herz der imperialen Produktionsweise sei die Kommunikation, und diese läge bereits in Wirklichkeit in den Händen der Menge. Die Kommunikation sei an sich demokratisch, schon deshalb, weil sie völlig deterritorialisiert sei. „Die Kommunikation ist das zentrale Moment, auf dem die Produktionsverhältnisse gründen, sie dirigiert die kapitalistische Entwicklung und transformiert selbst die Produktivkräfte. Diese Dynamik produziert eine extrem offene Situation: Die zentralisierte Macht muß sich hier der Macht produktiver Subjektivitäten stellen, der Macht all jener, die an der interaktiven Produktion der Kommunikation mitwirken“ (S. 355 f.). Denn: „Was die Virtualität der Menge angeht, so wirkt die imperiale Regierung wie eine Schale ohne Kern oder wie ein Parasit“ (S. 367). Die imperiale Regierung sei nicht konstitutiv, sondern rein negativ, sei reine Reaktion auf die virtuelle konstitutive Aktion der Menge. Die neuen Proletarier schaffen bereits alles, nicht mehr mit schwieliger Faust, sondern mit feinem Hirn, und sie müssen nur noch die Regierung übernehmen: „Die Zyklen produktiver Kooperation“ haben „die Arbeitskraft insgesamt in die Lage“ versetzt, „sich selbst an Stelle einer Regierung zu konstituieren“ (S. 358). August Bebel hätte sich über solche Jünger gefreut.

Die große Frage bleibt natürlich: wie wird das geschichtliche Todesurteil über den Kapitalismus vollstreckt werden? Negris und Hardts Antwort ist zumindest originell: durch eine neue Religion, eine Religion des Militantismus: „Widerstand gegen das Empire lässt sich nicht durch ein Projekt leisten, das auf eine begrenzte, lokale Autonomie abzielt […] Der Globalisierung muß mit Gegen-Globalisierung begegnet werden, dem Empire mit einem Gegen-Empire. In dieser Hinsicht können wir uns von der Vision des Heiligen Augustinus inspirieren lassen, nämlich von seinem gegen das dekadente Römische reich gerichteten Projekt“ (S. 218 f.). Der Begriff des Empire legt den Autoren, obwohl sie den Gedanken historischer Zyklen ablehnen, immer wieder Parallelen zum Untergang des römischen Reichs nahe, und der schließliche Triumph der Menge wird als eine Art Neuauflage des langsamen, aber unaufhaltsamen Siegeszugs des Christentums in der Spätantike gedacht, offenbar mit Negri in der (hübsch postkolonialen) Rolle des afrikanischen Kirchenvaters. Nebenbei sei darauf hingewiesen, daß Sankt Augustin keinesfalls das untergehende römische Reich „bekämpfen“ wollte, sondern dieses als Verwirklichungsbedingung des Christentums auffaßte, und bekanntlich diente das zur Staatsreligion gewordene Christentum als neue Stütze des zerfallenden Empire; keineswegs hat es diesem den Todesstoß versetzt.

Natürlich soll diese neue Religion streng immanent sein, und ein Modell wird gleich in Gestalt der großen amerikanischen Gewerkschaft des Anfangs des 20. Jahrhunderts angeboten: „Unter diesem Gesichtspunkt sind die Industrial Workers of the World (IWW) das große Augustinische Projekt der Moderne“ (S. 219) gewesen – als reelle Gegengemeinschaft, also als „sichtbare Kirche“. Negri und Hardt wollen eine „materielle Religion der Sinne, welche die Menge von jedem Rest souveräner Macht und jedem ‚langen Arm’ des Empire scheidet“ (S. 403) und deren erste Schritte ein Weltbürgerrecht und ein Bürgereinkommen für alle seien5. Auf der letzen Seite singen sie dann ein Loblied auf die Figur des Militanten, dessen perfekte Figur Franz von Assisi sei.

Wem das noch nicht genug ist, der sei hier auf die historische Rolle der Bettelorden verwiesen: im Mittelalter drückte sich das Unbehagen an den gesellschaftlichen Zuständen bekanntlich in religiöser Gestalt aus. Zu deren wichtigsten Formen gehörte die Forderung nach apostolischer Armut der Kirche. Diese Forderung brachte die real existierende Kirche in arge Bedrängnis, und da die Repression allein nicht ausreichte, erlaubte die Kirche schließlich die Einrichtung des Franziskanerordens. Dieser griff eigentlich ketzerische Themen wie das Armutsgebot auf, aber verband sie mit gleichzeitiger Unterwerfung unter die Kirche. So wurde schließlich dieses subversive Verlangen in für die herrschenden Mächte ungefährliche Bahnen gelenkt. Die Franziskaner sollten die verirrten Schafe auf dem sanften Weg wieder in den Schoß der Kirche bringen, so wie der gleichzeitig gegründete Orden der Dominikaner, der später mit der Inquisition beauftragt wurde, sie notfalls mit Gewalt dahin führen sollte. Wer weiß, warum der Heilige Franziskus jetzt das letzte Wort einer Gesellschaftskritik ist, die radikale Losungen mit einer Lobpreisung der Substanz der gegenwärtigen Weltordnung verbindet.

Das Buch ist endlos lang und voller Wiederholungen und Abwandlungen derselben Themen. Deshalb schließen wir mit Morgenstern: „Und in ebensoviel Sätzen / Läßt sich Bandwurmweisheit schwätzen“.

11995 waren 71 % der „Erwerbstätigen“ in China, 62 % in Indien, 53 % in Indonesien, 48 % in Pakistan und 62 % in Bangladesh in der Landwirtschaft beschäftigt; in diesen fünf Ländern lebt fast die Hälfte der Menschheit (Calendario Atlante De Agostini, 1998)

2 In Wirklichkeit war diese Krise weder das eine noch das andere, sondern ein Teil des nichtzyklischen Ausbrennens der Wertmasse.

3So äußerten sich Hardt und Negri in einem früheren gemeinsamen Werk namens Die Arbeit des Dionysos : „Doch Arbeit, wie wir sie meinen, muss auf einer anderen Ebene begriffen werden, in einer anderen Zeitlichkeit. Die lebendige Arbeit (re)produziert das Leben und die Gesellschaft in einer Zeit, die eine vom Arbeitstag auferlegte Einteilung durchkreuzt, die zugleich innerhalb und außerhalb der Gefängniszellen des kapitalistischen Arbeitstags und seines Lohnverhältnisses liegt, zugleich im Reich der Arbeit und der Nicht-Arbeit. Einer Aussaat unter dem Schnee vergleichbar, ist das lebendige Vermögen immer schon in den dynamischen Netzwerken sozialer Kooperation aktiv, in der Produktion und Reproduktion der Gesellschaft, die innerhalb und außerhalb der Zeitlichkeit verläuft, die das Kapital auferlegt. Dionysos ist der Gott der lebendigen Arbeit, schöpferische Kraft ihrer eigenen Zeit. Im Verlaufe unserer Untersuchungen werden wir unser Augenmerk darauf richten, was an Praxis sich entwickelt und an Theorie wirkt, wenn es dem Kapital gelingt, die wilden Energien der lebendigen Arbeit zu bändigen und zu zäumen, um sie im Arbeitsprozeß einzuspannen.“ S.5 – GENAUER TITEL USW.

4In einem Artikel spricht Negri tatsächlich unverhohlen davon, bei den Demonstrationen in Genua im Juli 2001 habe sich ein neues Proletariat gezeigt „oder, wie man heute sagt, eine Menge, eine Menge mit kurzen Haaren und dem PC im Gepäck (der PC als autonome Arbeitsfähigkeit, als ins Hirn integriertes Werkzeug, ohne einen Chef nötig zu haben, der es im Austausch zur Arbeit verleiht)“ („Ainsi commença la chute de l’Empire“, Multitudes Nr. 7, S. 17). Hier wird ganz deutlich, daß Negri den neuen Elendsunternehmern einreden will, ihre „selbständige Arbeit“ sei eine wirkliche Freiheit – die neoliberale Propaganda tut genau dasselbe.

5Ein Lob der Religion und der No-Global-Priester findet sich auch in dem erwähnten Artikel Negris in Multitude.