01.06.2004 

Das Notwehrheer (Rezension von DMW)

Blattschüsse auf Arbeitsplatzhirsche: Ein Sammelband der Krisis-Gruppe

Erschienen in: junge Welt vom 27.7.04

Tobias Peschke

Nach allgemeiner Auffassung haben nur diejenigen einen Anspruch auf Wohlstand, die etwas zu seiner Herstellung beitragen. Dieser Beitrag wird gewöhnlich »Arbeit« genannt. Aber Arbeit wird knapp. Überall liegt die Drohung von Entlassungen und Betriebsschließungen in der Luft. In dieser Situation werden Arbeitszeitverlängerungen und Lohnverzicht durchgesetzt. Propagiert werden Flexibilität, Mobilität und die bedingungslose Verfügbarkeit der abhängig Beschäftigten. Trotzdem gelten immer mehr Menschen als zu alt, zu unerfahren oder werden schlichtweg unbrauchbar. Gleichzeitig wird ein harter politischer Kurs gegen Arbeitslose gefahren: Jede nur denkbare Gelegenheit zur Streichung von Leistungen wird genutzt. Wer beim Arbeitsamt nicht permanent nachweist, sich intensiv um Arbeit zu bemühen und nicht an jeder verordneten Zwangsmaßnahme teilnimmt, sei sie auch noch so unsinnig, wird zumindest zeitweise aus dem Leistungsbezug ausgeschlossen.

Die Krise deklassiert die Leute schneller, als es die meisten für möglich halten. Nach den neuesten »Arbeitsmarktreformen« wird das noch schlimmer. Die Autoren des vorliegenden Buches reagieren mit einem bewußten Tabubruch: Sie sprechen der Arbeit ihren Rang als unhinterfragbare Grundlage des Lebens ab. Sie sind Angehörige der Nürnberger »Krisis«-Gruppe, die 1999 mit ihrem »Manifest gegen die Arbeit« erstmals an die Öffentlichkeit getreten ist. Wer Kritik an der Notwendigkeit zu arbeiten äußert, gilt im allgemeinen als weltfremder Spinner. Dabei war es vor langer Zeit selbst unter renommierten bürgerlichen Wissenschaftlern ein Allgemeinplatz, daß die Arbeit im Zuge der technischen Revolution verschwindet. Offenbar ist das völlig in Vergessenheit geraten. Den Krisis-Autoren ist klar, daß die Menschen Dinge für ihr Überleben herstellen müssen und dies nicht immer ohne Mühsal möglich ist. Sie kritisieren aber den Umstand, daß es beim Einsatz von Arbeit nicht in erster Linie um die Herstellung nützlicher Dinge, sondern vor allem um deren Verkäuflichkeit geht. Arbeit wird nur nachgefragt, wenn sich mit ihrem Einsatz Geld verdienen läßt. Dieser Zusammenhang hat zur Folge, daß viele lebenswichtige Dinge kaum noch hergestellt werden, weil hinter ihnen keine zahlungskräftige Kundschaft steht.

Wer sich auf diesen Kritik-Ansatz einläßt, gelangt zu überraschenden Einsichten. Vieles erscheint als völlig irrwitzig. Auch die gegenwärtige Krise: Obwohl sich an den konkreten Produktionsbedingungen nichts verschlechtert hat, werden immer mehr Menschen vom Wohlstand ausgeschlossen. Berge von Gütern liegen in den Läden und finden keinen Absatz. Es ist, als wäre über Nacht eine unsichtbare Mauer zwischen Menschen und Dingen errichtet worden. Die Autoren betrachten Arbeitskritik als Akt der sozialen Notwehr. Da das System von Arbeit und Geld zunehmend unser Leben in Frage stellt, ist es höchste Zeit, das System von Arbeit und Geld in Frage zu stellen. Auch eine von »Arbeit« befreite Gesellschaft sähe nicht aus wie das Schlaraffenland, aber es würde weniger unnötiges Leid geben. Die prägnanten Texte der Gruppe »Krisis« waren bisher vor allem theoretischer Natur. Das vorliegende Buch enthält darüber hinaus ein breites Spektrum an Erlebnisberichten. So kann man leicht erfahren, wie die eigene Situation mit grundlegenden gesellschaftlichen Entwicklungen zusammenhängt.

* Ernst Lohoff, Norbert Trenkle, Karl-Heinz Lewed, Maria Wölfingseder (Hrsg.): Dead Men Working. Gebrauchsanweisung zur Arbeits- und Sozialkritik in Zeiten kapitalistischen Amoklaufs. UNRAST-Verlag, Münster 2004, 304 S., 18 Euro