29.12.2007 

Arbeit ohne Wert

Peter Samol

Über das Scheitern der „Dienstleistungsgesellschaft“ und wie es mit der Unterscheidung von produktiver und unproduktiver Arbeit zusammenhängt

Einleitung

Die klassische Arbeit im produzierenden Gewerbe wird von einem rapiden Schwund heimgesucht. Damit verschwindet der Löwenanteil der produktiven und mithin wertschöpfenden Arbeit. Ganz offensichtlich kann das Kapital immer weniger Arbeitskraft in sich einsaugen. Aber um zu wachsen, ist es auf eine systematische Ausdehnung der Unterordnung von Arbeitskräften unter die kapitalistischen Produktionsbedingungen angewiesen. Gelingt das nicht mehr, werden also immer mehr Menschen aus dem Produktionsprozess ausgespuckt und nicht mehr wieder in ihn zurückgeholt, dann beginnt das Siechtum des Kapitalismus. Die Einzelkapitale wiederum reagieren darauf mit einer Verschärfung des Problems. Um sich seinen Anteil an den verbleibenden Absatzmöglichkeiten zu sichern, reduziert jedes Unternehmen so weit wie eben möglich die Preise. Das erfolgt in der Regel über die Reduzierung der Wertmasse, d.h. der vernutzten Arbeitskraft. Die einzelnen Kapitale verschaffen sich auf diese Weise zwar kurzfristig größere Absatzmöglichkeiten, aber die Gesamtsumme der Realisierungschancen, sprich der Nachfrage für die produzierten Waren nimmt stetig ab, da immer weniger Menschen Geld erhalten, um als Käufer aufzutreten. So wird der Kuchen der Gesamtwertmasse immer kleiner.
In dieser Situation sollen Arbeiten, die im so genannten Dienstleistungssektor verrichtet werden, als Retter in der Not auftreten. Angeblich können solche Jobs neue Werte schaffen und so verhindern, dass der weltweite Prozess von Wertproduktion und Äquivalententausch zum Erliegen kommt. Aber handelt es sich bei den neu entstehenden Arbeitsmöglichkeiten wirklich um „wertproduktive Arbeit“? Oder werden lediglich Felder für „unproduktive Arbeit“ geschaffen, die nur vom Wert, der woanders geschaffen wurde, zehrt? Ist Zweiteres der Fall, dann hätte sich das Kapital, statt seine Probleme zu lösen, nur ein weiteres aufgehalst, denn unproduktive Arbeit schafft keineswegs neuen Wert, sondern beansprucht lediglich Teile des Werts, der in bereits produzierten Waren steckt, für sich – etwa in Form von Kreditzinsen, Bearbeitungs- bzw. Maklergebühren, Steuern und ähnlichen Transferzahlungen. Derartige „tote Kosten“ bringen die kapitalistische Geld- und Warenzirkulation noch schneller zum Erliegen und heizen sie keineswegs an.
Vor diesem Hintergrund spielt die Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit für die Analyse der Entwicklungsperspektiven der kapitalistischen Gesellschaft eine Schlüsselrolle. Für den Nachweis, dass der Kapitalismus zwangsläufig auf sein definitives Ende zusteuert, ist sie sogar unentbehrlich. Der entsprechende Gedankengang funktioniert folgendermaßen: Wenn 1) die Masse der produktiven Arbeit durch das Wirken des Kapitals fortlaufend und unwiederbringlich immer geringer wird und wenn 2) produktive Arbeit die Substanz ist, aus welcher der Kapitalismus seine „Lebenskraft“ bezieht, dann folgt daraus logisch, 3) dass der Kapitalismus sich selbst notwendig erstickt und somit vernichtet. Er stößt an eine unüberwindliche innere Schranke. 4) Die Verheißungen auf neue Beschäftigungsmöglichkeiten in den „Dienstleistungsbranchen“, die in ihrer Gesamtheit einen neuen Wirtschaftsaufschwung tragen sollen, sind trügerisch, denn sie bewegen sich fast ausschließlich auf Tätigkeitsfeldern für unproduktive Arbeit. 5) Schlussfolgerung: Der viel beschworene Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft kann den Kapitalismus nicht retten.
Dieser Text versucht zu einer möglichst präzisen Bestimmung der Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit zu gelangen sowie deren Zusammenhang mit der gescheiterten „Dienstleistungsoffensive“ aufzuzeigen.

Smith und Marx über die Unterscheidung von produktiver und unproduktiver Arbeit

Adam Smith

Heutzutage wird der Begriff „produktive Arbeit“ im allgemeinen Sprachgebrauch schlichtweg mit Effizienz gleichgesetzt. Noch vor wenigen Jahren dagegen verstand das Gros der unbedarften Alltagsmenschen unter „produktiver Arbeit“ Arbeit, die „greifbare“ Ergebnisse zeitigt, also zur Schaffung von materiellen Gegenständen führt.1 Nach der älteren Auffassung weist der Umstand, dass am Ende Menschen ein Produkt in der Hand halten, die bei dessen Herstellung aufgewandte Arbeit als „produktive Arbeit“ aus. Arbeit im Dienstleistungssektor dagegen erfülle dieses Kriterium in der Regel nicht und falle deswegen nicht unter die Rubrik „produktive Arbeit“. Kein Produkt gleich keine Produktivität, also wurde „unproduktive“ Arbeit geleistet, so der simple Umkehrschluss.
Diese Sichtweise ähnelt der Auffassung des wirtschaftstheoretischen Klassikers und Gründervaters der bürgerlichen Wirtschaftstheorie Adam Smith (1723-1790). Gleich zu Beginn seines Kapitels über „Bildung von Kapital oder produktive und unproduktive Arbeit“ schreibt er:
„Es gibt eine Art Arbeit, die den Wert eines Gegenstandes […] erhöht, und es gibt eine andere, die diese Wirkung nicht hat. Jene kann als produktiv betrachtet werden, da sie einen Wert hervorbringt, diese hingegen als unproduktiv. So vermehrt ein Fabrikarbeiter den Wert des Rohmaterials, das er bearbeitet, im allgemeinen um den Wert des eigenen Lebensunterhaltes und um den Gewinn seines Unternehmers. Die Arbeit eines Dienstboten dagegen erzeugt nirgendwo einen solchen Wert. Zwar hat der Fabrikbesitzer den Lohn des Arbeiters vorgestreckt, in Wirklichkeit entstehen ihm aber dadurch keinerlei Kosten, da der Wert des Lohns, zusammen mit dem Gewinn, in der Regel durch den erhöhten Wert des bearbeiteten Werkstücks ersetzt wird. Hingegen wird der Unterhalt eines Dienstboten niemals auf diese Weise reproduziert. […] (Es) manifestiert sich die Arbeit des Fabrikarbeiters in einem einzelnen Werkstück oder einer käufliche Ware, so dass sie auch noch eine Zeitlang nach der Bearbeitung fortbesteht. Dadurch wird es möglich, eine bestimmte Menge Arbeit gleichsam anzusammeln und zu speichern […]. Mit Hilfe eines solchen Gutes oder, was das gleiche ist, seines Wertes oder Preises, können späterhin, falls nötig, ebenso viele Arbeiter beschäftigt werden, wie es ursprünglich erzeugt haben. Umgekehrt wird die Arbeit eines Dienstboten nirgends sichtbar, weder in einem Werkstück noch in einem käuflichen Gut. Im allgemeinen geht seine Leistung im selben Augenblick unter, in dem er sie vollbringt, ohne eine Spur oder einen Wert zu hinterlassen, mit dem man später wieder eine entsprechende Leistung kaufen könnte.“2
Im Unterschied zu den Physiokraten, die nur die in der Landwirtschaft geleistete Arbeit als wertproduktiv betrachteten, kann für Smith jede Art von Arbeit Wert schaffen, solange sie sich nur überhaupt in einem handfesten Produkt niederschlägt. Entscheidend ist bei ihm allerdings, dass der Arbeiter nicht den vollen Ertrag seiner Arbeit erhält.3 Der Wertzuwachs, der dem Werkstück durch seine Bearbeitung zuteil wird, muss den gezahlten Lohn übersteigen. Die Differenz macht den Gewinn des Fabrikbesitzers aus – Marx hat diese Differenz später als „Mehrwert“ bezeichnet.4 Beschäftigt der Fabrikbesitzer dagegen für sein Geld einen Dienstboten (beispielsweise einen Butler oder Chauffeur), so wird dessen Arbeit schon während ihrer Ableistung endgültig verbraucht und der Fabrikbesitzer hält keinen entsprechenden Wert in den Händen. Er hat sein Geld einfach nur ausgegeben und sein Vermögen entsprechend vermindert. In diesem Sinne ist die Arbeit des Butlers oder Chauffeurs unproduktiv. Während im einen Fall ein Werkstück entstand, das die geleistete Arbeit in Form des Wertes über eine längere Zeitspanne aufbewahrt, erlischt die Leistung eines Dienstboten im Moment ihrer Verausgabung. Das gilt auch für die Arbeit vieler angesehener Berufsstände – Herrscher, Justizbeamte, Soldaten etc.5 Keiner von ihnen liefert dem Kapitalisten ein Produkt, das er später mit Gewinn weiter verkaufen könnte, während er bei dem Produkt eines Fabrikarbeiters – nach dem Verkauf des bearbeiteten Werkstückes – mehr Geld als zuvor in den Händen hält. Damit kann der Kapitalist dann beispielsweise weitere Fabrikarbeiter beschäftigen. Für Smith ist der Fall klar: Produktive Arbeit geht in das bearbeitete Werkstück ein und erhöht seinen Wert, oder in der Marx‘schen Lesart von Smith: Nur produktive Arbeit verleiht dem Produkt Mehrwert.
Wie man sieht, setzt Smith produktive Arbeit mit Arbeit gleich, bei der ein materielles Produkt entsteht, während er unproduktive mit immaterieller gleichsetzt. Ein Beispielfall, in dem ein Dienstbote materielle Gegenstände hervorbringt, kommt bei Smith nicht vor. So ein Fall wäre etwa ein privat beschäftigter Gärtner, der Pflanzen für seinen Dienstherrn züchtet. Erst an solch einem Beispiel würde deutlich, ob Smith die Produktion materieller Güter lediglich als Voraussetzung für produktive Arbeit ansieht oder ob ihm dieses Kriterium bereits völlig genügt, um die geleistete Arbeit als produktive Arbeit anzusehen. Wäre letzteres der Fall, dann wäre der besagte Privatgärtner ein produktiver Arbeiter, selbst wenn sein Dienstherr die Pflanzen nur selbst verbrauchen würde. Im ersten Falle dagegen wäre der Gärtner nur dann ein produktiver Arbeiter, wenn sein Arbeitgeber die Pflanzen gewinnbringend weiterverkaufte. Als Beispiele für unproduktive Arbeiter führt Smith jedoch durchgehend solche an, die keine materiellen Produkte liefern:
„Als unproduktiv können, zum Beispiel die Tätigkeit des Herrschers samt seiner Justizbeamten und Offiziere, ferner das Heer und die Flotte angesehen werden. […] In die gleiche Gruppe muss man auch Geistliche, Rechtsanwälte, Ärzte und Schriftsteller aller Art, zum anderen Schauspieler, Clowns, Musiker, Opernsänger und Operntänzer.“6
Smith nennt nur Beispiele, bei denen „[…] die Arbeit […] in dem Moment unter(geht), in dem sie entsteht.“7 Außer durch direkte Beschäftigung und Bezahlung von produktiven Arbeitern kann gespartes Geld laut Smith dadurch produktiv und folglich zu Kapital gemacht werden, indem man es an andere verleiht, die selber wiederum produktive Arbeiter beschäftigen. Der an den Geldverleiher fallende Anteil des durch die produktive Arbeit geschaffenen Wertes wird für gewöhnlich als „Zins“ bezeichnet:
„Was jemand von seinem Einkommen spart, fügt er seinem Kapital hinzu, wenn er entweder selbst damit neue Arbeitskräfte beschäftigt oder einem anderen einen solchen Einsatz ermöglicht, indem er es ihm gegen einen Zins, also einen Teil des Gewinns, leiht.“8
Wie man sieht, hat Adam Smith den Begriff der produktiven Arbeit sehr eng gefasst. Für ihn schafft produktive Arbeit handfeste Waren, während unproduktive Arbeit Dienste leistet. Erstere führt zur Herstellung eines verkaufbaren Dings, Zweitere wird bereits während ihrer Verausgabung verzehrt. Damit fällt für Smith die Trennungslinie zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit mit der Unterscheidung von materieller und nichtmaterieller Produktion zusammen. Man darf nicht vergessen: Für Smith ist der produktive Charakter der Arbeit an den materiellen Charakter des Enderzeugnisses gekoppelt, weil nach seiner Auffassung bei der materiellen Produktion einem Werkstück durch die Arbeit Wert zugesetzt wird, von dem ein Teil über den Umweg der Wertaufbewahrung im Produkt und des anschließenden Verkaufs dieses Produktes zur Vermehrung eines Kapitals beiträgt.

Karl Marx

Heutzutage findet auch nicht-materielle Produktion mehr und mehr in einem einzelkapitalistisch organisierten Rahmen statt. Kapitalistische Verwertung ist offenbar nicht zwangsweise, wie Smith meinte, an die Existenz handfester und über längere Zeit haltbarer Produkte gebunden. Bei sehr vielen, wenn nicht den meisten Dienstleistungen fallen Erzeugung und Verbrauch zusammen, eine Wertaufbewahrung findet also nicht statt. Aber dass die Zeit der Wertaufbewahrung (in Form eines Produkts) gegen Null tendiert, steht nicht unbedingt im Widerspruch zum produktiven Charakter einer Dienstleistung. Denn indem die Erzeugung direkt mit dem Verbrauch – für den im Kapitalismus selbstverständlich zu bezahlen ist – verbunden ist, wird dem jeweiligen Kapital auch in diesem Fall durch Arbeit Wert hinzugefügt. Auch hier gilt der allgemeine Grundsatz:
„Das Kapital […] ist gegen das eigentliche Resultat seiner Produktion […] absolut gleichgültig, wenn es nur als Wert einen Mehrwert einschließt“.9
Ob das Produkt bereits während der Tätigkeit der Arbeitskraft erlischt oder nicht, ist dabei unerheblich. Schon Marx hat die Auffassung von Smith kritisiert, wonach es unabdingbar sei, dass sich der Wert in einer handfesten Ware manifestiert:
„Produktive Arbeit tauscht sich direkt mit Geld als Kapital aus. […]
Der kapitalistische Produktionsprozess ist nicht bloß die Produktion von Waren. Er ist ein Prozess, der unbezahlte Arbeit absorbiert, die Produktionsmittel zu Mitteln der Einsaugung unbezahlter Arbeit macht.
Aus dem bisherigen geht hervor, dass produktive Arbeit zu sein eine Bestimmung der Arbeit ist, die an und für sich absolut nichts zu tun hat mit dem bestimmten Inhalt der Arbeit, ihrer besonderen Nützlichkeit oder dem eigentümlichen Gebrauchswert, worin sie sich darstellt.
Arbeit desselben Inhalts kann produktiv und unproduktiv sein.“10
Für Marx besteht der wesentliche Unterschied darin, für welchen Zweck der Arbeiter bezahlt wird. Produktive Arbeiter werden dafür bezahlt Waren herzustellen, die an jemand Dritten verkauft werden. Die Einkünfte aus diesem Prozess – der aus den Schritten Kapitaleinsatz, Wertzusatz durch Arbeit, Verkauf (ausgedrückt in der bekannten Kurzformel G-W-G‘) besteht – dienen dem Anwender der Arbeitskraft zur Vermehrung des eingesetzten Kapitals. Diese Vermehrung beruht letztlich auf „der Einsaugung unbezahlter Arbeit“.11 Unproduktive Arbeiter erhalten dagegen ihr Salär ohne die Dazwischenkunft eines Kapitals direkt vom Endkonsumenten. Leistungen der unproduktiven Arbeiter werden also nicht wieder durch Weiterverkauf zu Geld gemacht12, sondern direkt verbraucht. Demnach wäre also jede Art von Arbeit potentiell produktiv. Die Dazwischenschaltung eines Kapitals, das sich einen Teil der geleisteten Arbeit – den Mehrwert – aneignet und sich dadurch vergrößert, macht nach dieser Lesart Arbeit zu produktiver Arbeit.
Marx beschränkte seine Analyse der produktiven bzw. unproduktiven Arbeit allein auf die Frage, welche Arbeit im kapitalistischen Wirtschaftssystem produktiv ist. Denn jedes System von Produktionsverhältnissen, sprich jede Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, hat nach seinem Verständnis jeweils einen eigenen Begriff von produktiver Arbeit.13 In diesem Sinne fällt allein die nach kapitalistischen Grundsätzen organisierte Arbeit unter die Kategorie der produktiven Arbeit. Und umgekehrt sind alle Tätigkeiten, die sich nicht in einem kapitalistisch reglementierten Unternehmen vollziehen, nicht als produktive Arbeit zu betrachten. Allerdings konnte sich Marx zu seiner Zeit noch nicht vorstellen, dass sich Dienstleistungen in einem so enormen Umfang wie heutzutage üblich in produktive Arbeit verwandeln würden. Das ist keiner ideologischen Borniertheit geschuldet, sondern völlig verständlich, wenn man sich den historischen Entwicklungsstand bzw. die Erscheinungsform des Kapitalismus anschaut, mit der Marx zu tun hatte. Seinerzeit war die kapitalistische Produktion stofflich nur als hochgradig zentralisierte Fabrikproduktion vorhanden und andere Formen waren schlichtweg noch nicht vorstellbar. So war damals beispielsweise selbst der Durchkapitalisierung der Herstellung von leicht verderblichen Waren wie z.B. Bier oder Milch und deren Unterwerfung unter das kapitalistische Verwertungsregime noch sehr enge Grenzen gesetzt:
„Je vergänglicher eine Ware, je unmittelbarer nach ihrer Produktion sie daher verzehrt, also auch verkauft werden muss, desto geringrer Entfernung von ihrem Produktionsort ist sie fähig, desto enger also ihre räumliche Zirkulationssphäre, desto lokalerer Natur ihr Absatzmarkt. Je vergänglicher daher eine Ware, je größer durch ihre physische Beschaffenheit die absolute Schranke ihrer Umlaufzeit als Ware, desto weniger eignet sie sich zum Gegenstand der kapitalistischen Produktion. Letzterer kann sie nur anheimfallen an volkreichen Plätzen, oder in dem Maß, wie die lokalen Abstände durch die Entwicklung der Transportmittel zusammenrücken. Die Konzentration der Produktion eines Artikels in wenigen Händen und an einem volkreichen Platz kann aber relativ großen Markt auch für solche Artikel schaffen, wie z.B. bei großen Bierbrauerein, Milchereien usw.“14
Das galt natürlich erst recht für Arbeiten, die gar nicht erst in einer materiellen Ware ihren Niederschlag finden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es schlechthin noch nicht denkbar, dass die Kapitalisierbarkeit von Dienstleistungen solche großen Ausmaße wie heute annehmen würde. Diese Kapitalisierbarkeit ergibt sich daraus, dass Produktionsort und Konsumtionsort sowie Produktionszeit und Konsumtionszeit identisch sein können. Marx selbst hat dies bereits am Beispiel eines Clowns illustriert, der in einem kapitalistischen Zirkus-Unternehmen arbeitet:
„Ein Schauspieler z.B., selbst ein Clown, ist hiernach ein produktiver Arbeiter, wenn er im Dienst eines Kapitalisten arbeitet […], dem er mehr Arbeit zurück gibt, als er in der Form des Salairs von ihm erhält, während ein Flickschneider, der zu dem Kapitalisten ins Haus kommt und ihm seine Hosen flickt, ihm einen bloßen Gebrauchswert schafft, ein unproduktiver Arbeiter ist.“15
Der Clown ist dann ein produktiver Arbeiter, wenn er dem Unternehmen mehr Arbeit gibt, als er in Form des Arbeitslohnes von ihm erhält. Seine „Scherze“ sind die rasch vergänglichen Produkte, die er zum Wohle der Kapitalvermehrung erzeugt. Sie werden im Augenblick der „Produktion“ durch das belustigte Publikum „verzehrt“, das für diesen Genuss zuvor an der Zirkuskasse bezahlt hat. Ein Schneider, der einem Kapitalisten (oder sonst jemandem) die Hosen flickt, ist dagegen unproduktiv, sofern kein Kapital zwischengeschaltet ist, das durch diese Arbeit anwächst. Die Zahlung des Hosenbesitzers verwandelt sich vielmehr direkt und zu 100 Prozent in Einkommen des Schneiders16, das dieser für seinen privaten Bedarf ausgeben wird.
Alles in allem gilt: Dieselbe Sorte Arbeit kann einmal produktiv, einmal unproduktiv sein, je nachdem, ob sich zwischen den Arbeiter und den Konsumenten ein kapitalistischer Produktionsprozess schiebt oder nicht. Mit anderen Worten: Produktive Arbeit ist Arbeit, die Kapital vermehrt. Da Kapital nur eingesetzt wird, wenn mit dessen Vermehrung zu rechnen ist, bedeutet das wiederum, dass nur Mehrwert schaffende Arbeit produktiv ist. Mit welcher Sorte von Arbeit das geschieht und der stoffliche Inhalt der Produktion sind dabei völlig gleichgültig.
Allerdings gibt es mindestens zwei Gründe, warum das Kriterium, wonach lediglich ein Kapital zwischengeschaltet werden muss, damit Arbeit sich in produktive Arbeit verwandelt, allein noch nicht ausreichend ist:
Erstens ist dieses Kriterium inhaltlich fast deckungsgleich mit dem, was heutzutage die Vertreter des neoliberalen Mainstreams anstreben. Deren Zielsetzung läuft bekanntlich auf nichts anderes hinaus, als das gesamte Leben von der Wiege bis zur Bahre zu monetarisieren, sprich: so weit wie irgend möglich jede menschliche Tätigkeit in Arbeit und die Erfüllung jedes menschlichen Bedürfnisses in zu bezahlenden Konsum zu verwandeln. „Vom Standpunkt der kapitalistischen Produktion ist jede nicht ‚produktiv‘ verwandte Arbeitskraft ein Reichtumsverlust“.17 Das neoliberale Projekt geht dahin, solche „Reichtumsverluste“ auszumerzen. In Übereinstimmung mit diesem Projekt müsste man also lediglich jede menschliche Tätigkeit in kapitalgebundene Arbeit verwandeln, dann würde die Gesellschaft über riesige Mengen an produktiver Arbeit verfügen und schon wäre die momentane tiefe Wirtschaftskrise überwunden. Die umfangreiche Privatisierung bisher staatlicher Aufgaben ist in diesem Sinne nichts anderes als der Versuch, gesellschaftliche Bereiche in die Warenproduktion unmittelbar einzubinden, die es zuvor nicht waren. Aber bisher haben alle Schritte in diese Richtung, sämtliche Deregulierungs- und Entstaatlichungsmaßnahmen etc. die gegenwärtige Krise nur verschärft – ein deutlicher Hinweis darauf, dass irgendetwas an diesem Ansatz nicht stimmen kann.
Zweitens könnte man mit dem bisher entwickelten Kriterium im Kopf einfach jede Menge zusätzlicher, aber überflüssiger Arbeiten schaffen. Man könnte z.B. Zollhäuschen an jedem Weg und Steg aufstellen oder für nahezu jede Transaktion enorme bürokratische Hürden aufbauen. Damit könnte man ganze Horden von Zöllnern und Bürokräften beschäftigen, die dann nur noch von Privatunternehmern beschäftigt werden müssten, damit es sich bei ihrer Betätigung auch um produktive Arbeit handelt.18 Eine noch schlimmere Variante: In vielen Ländern, z.B. in Argentinien, Tschetschenien oder im Irak floriert derzeit Kidnapping in Zusammenhang mit Lösegelderpressung. Wenn hinter solchen Aktivitäten jeweils privates Kapital steckt (was in der Tat häufig der Fall ist), dann müsste es sich per Definition bei jeder gelungenen Lösegelderpressung um einen Akt produktiver Arbeit handeln.
Mit diesen Einwänden sind die bisherigen Überlegungen keineswegs widerlegt. Aber es müssen noch weitere Kriterien hinzutreten, um die genannten Fälle auszuschließen sowie das Scheitern des neoliberalen Projekts zu erklären. Im entwickelten Kapitalismus bzw. den daraus resultierenden „Dienstleistungsbranchen“ existieren sehr viele verschiedene Felder für unproduktive Arbeit. Für sie gibt kein Generalkriterium, das sich mit wenigen Worten wiedergeben ließe. Vielmehr ist es erforderlich, jedes Feld mit seinen jeweils eigentümlichen Formen von unproduktiver bzw. produktiver Arbeit gesondert abzuhandeln. Das soll im folgenden Abschnitt geschehen.

Die verschiedenen Tätigkeitsfelder der „Dienstleistungsgesellschaft“

Letztlich ist „Dienstleistung“ ein Kunstbegriff der bürgerlichen ökonomischen Theoriebildung. In ihm sind sehr verschiedene disparate Betätigungsfelder zusammengefasst. Einige dieser Felder beinhalten ausschließlich unproduktive Arbeit, andere dagegen Mischformen. Und in wieder anderen Feldern wird zwar produktiv gearbeitet, aber die produktiven Arbeiten müssen entweder durch große Mengen unproduktiver Arbeit flankiert werden, um für das Kapital dauerhaft verwertbare Waren zu produzieren, oder aber die Verwandlung von vormals unproduktiver Arbeit in produktive Arbeit beinhaltet einem hohen Preis für die Gesellschaft und letztlich sogar für das Kapital – auch sie ist daher im Endeffekt unrentabel im kapitalistischen Sinne.

a) Die Zirkulationssphäre als Feld unproduktiver Arbeit

Unter einem leicht veränderten Blickwinkel kann man den bisherigen Stand der Überlegungen folgendermaßen zusammenfassen: Im Kapitalismus hält produktive Arbeit das Kapital am Leben. Produktive Arbeit ist ihm gewissermaßen Nahrung und Herzblut zugleich, ohne sie würde es jämmerlich zugrunde gehen. Dabei ist die Aneignung der Mehrarbeit und die daraus folgende ständige Kapitalvergrößerung Selbstzweck. Das primäre Ziel des kapitalistischen Produktionsprozesses ist daher auch nicht die Herstellung nützlicher Dinge oder die Bereitstellung brauchbarer Dienstleistungen. Sein einziges Ziel ist vielmehr die Verwandlung von Wert in mehr Wert. Steht das nicht zu erwarten, dann wird der jeweilige Produktionsprozess gar nicht erst in Gang gesetzt.
Es gibt allerdings auch Arbeiten, die sich zwar in kapitalistischen Unternehmen abspielen und diesen sogar Profit einbringen, aber trotzdem nicht produktiv sind. Bei den erzielten Profiten handelt es sich vielmehr um Werte, die in den betreffenden Unternehmen nicht selbst geschöpft, sondern von anderen Unternehmen (wo sie durch produktive Arbeit geschöpft wurden) übertragen wurden. Solche Transaktionen vergrößern natürlich den Gesamtwert aller beteiligten Kapitale um keinen Deut. Die richtige Begriffsbestimmung der produktiven Arbeit verlangt also eine Abgrenzung gegen Arbeit, die dem Gesamtkapital (der Summe aller Kapitale) – selbst wenn sie für ein Einzelkapital Gewinne einbringt – keinen Wert zusetzt.
In Anlehnung an Marx führt der russische Theoretiker Isaak Iljitsch Rubin folgendes Kriterium zur Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit ein:
„(Laut Marx) durchläuft das Kapital im Reproduktionsprozess drei Phasen: Geldkapital, Produktivkapital und Warenkapital. Die erste und die dritte Phase repräsentieren den ‚Zirkulationsprozess des Kapitals’, die zweite den ‚Produktionsprozess des Kapitals’. […] Das Kapital im Zirkulationsprozess organisiert […] die ‚eigentliche Zirkulation’, den Kauf und Verkauf und so z.B. die Übertragung von Eigentumsrechten, unabhängig vom tatsächlichen Gütertransfer. […] Obwohl es an den Prozess der Herstellung von Gebrauchsgütern gebunden ist, tritt es jeweils vor oder nach diesem Prozess in Aktion. Die ‚Produktion des Kapitals’ und die ‚Zirkulation des Kapitals’ sind im Marxschen System voneinander unabhängige Prozesse und werden als solche behandelt, obwohl Marx nie die Einheit des Reproduktionsprozesses aus den Augen verliert.“19
Bei den drei Phasen, die das Kapital im Prozess seiner Reproduktion durchläuft, repräsentieren die erste Phase (Geldkapital) und die dritte Phase (Warenkapital) den „Zirkulationsprozess des Kapitals“, die zweite Phase (Produktivkapital) den „Produktionsprozess des Kapitals“. Nur der Produktionsprozess setzt den Waren Wert zu, nur hier findet also produktive Arbeitsverausgabung statt. Aber durch sein Eintreten in den Produktionsprozess hat das Kapital seine Gestalt als Geld verloren und kann sie nur im Zirkulationsprozess wiedergewinnen. Erst wenn die in der zweiten Phase hergestellten Waren wieder gegen Geld eingetauscht wurden, nimmt das Kapital eine Form an, mit der es wieder in die Produktion eingehen kann:
„Das Produkt muss ausgetauscht werden, um Geld zu erhalten. Wenn dieser Prozess scheitert, so hat sich das Geld des Kapitalisten am Ende in ein wertloses Produkt verwandelt.“20
„Das Kapital erscheint als eine prozessierende Einheit von Produktion und Zirkulation. Eine in sich selbst zurückgehende, sich selbst reproduzierende Bewegung.“21
Marx zufolge sind die Phasen der Produktion und der Zirkulation für die Reproduktion des Kapitals gleichermaßen unerlässlich. Im Gesamtprozess der kapitalistischen Produktion entsteht der Wert zwar nur in der Produktionssphäre, aber zu seiner Realisierung und zur Wiedererneuerung des ganzen Prozesses muss er die Zirkulation durchlaufen. Dies hebt jedoch die jeweilige Besonderheit dieser beiden Phasen keineswegs auf.22
Im Zirkulationsprozess ereignet sich der Warentausch, der bekanntlich lediglich ein Austausch von Äquivalenten ist und damit die Möglichkeit der Wertvergrößerung ausschließt:
„Wenn zwei sich begegnen und ihre Waren austauschen wollen, dann fügt die Zeit, die sie zum Handeln, Anpreisen ihrer Waren etc. oder auch zum schlecht machen der Ware des anderen benötigen, ihren Produkten nicht die geringste Menge an Wert zu. Jeder der beiden verliert genauso viel Zeit im Austausch wie der andere. Keiner kann sie dem anderen als Arbeitszeit und damit als Wertsteigerung anrechnen. Würde der eine dem anderen die in Anspruch genommene Zeit anrechnen, so würde ihn der andere für irrenhausreif erklären.“23
Das kann man sich auch an dem folgenden Beispiel klar machen. Würde die Zirkulation Wert schöpfen, dann müsste eine Ware umso mehr Wert erlangen, durch umso mehr Hände sie gegangen ist. Faktisch ist aber eine Ware, die sagen wir fünf Mal ihren Besitzer gewechselt hat, nicht mehr wert als die gleiche Ware, die nur zwei Mal ihren Besitzer gewechselt hat. Austausch fügt der Ware keinen Wert hinzu und ist damit unproduktiv. Anders verhält es sich dagegen, wenn eine Ware Schritt für Schritt bearbeitet wird. Ein fünffach destillierter Wodka beispielsweise ist erheblich mehr wert als ein nur zweifach destillierter. Wie man sieht, sind Zirkulationskosten nicht in produktive Arbeit auflösbar.
Auf jeden Fall muss das Kapital nach der Vollendung der Produktionsphase in der Zirkulationsphase hausen, was auch Zeit kostet.24 Diese Zeit stellt einen Abzug vom Maximum der Verwertung dar. Je kürzer sie ist, umso länger kann das Kapital in der produktiven Phase verwendet werden. Es gibt bestimmte Dienstleister (Makler, Zwischenhändler, Terminbroker etc.), deren Geschäft allein darin besteht, die Zirkulationszeit zu verkürzen. Sie setzen der Ware keinen neuen Wert hinzu, ermöglichen aber indirekt die Schaffung von größeren Wertmengen, indem sie helfen, das Kapital schneller wieder in die Produktion zu bringen. Der Ersatz ihrer Kosten und ihr Lebensunterhalt wird jedoch aus dem Mehrprodukt aus der Produktionsphase bestritten, stellt also eine Übertragung von anderswo geschaffenem Wert dar.25
Ähnliches gilt auch für die im Bank-, Finanz- oder Versicherungswesen anfallenden Arbeiten. Ein Kreditsachbearbeiter etwa leistet durchaus Arbeit, wenn er Kredite vermittelt (und dabei telefoniert, Belege prüft, Bewilligungen ausarbeitet und unterschreibt etc.). Aber er schöpft keinen Wert. Er organisiert lediglich die Weitergabe von Kapital, das dann in einem Betrieb produktiv eingesetzt wird und dort den materiellen Reichtum erhöht. Andernfalls würde dieses Geld unproduktiv herumliegen.26
„Durch Geld wird der andere befähigt, sich Mehrwert anzueignen. Es ist also in Ordnung, dass der Kreditgeber einen Teil des Mehrwerts erhält.“27
Die Kreditzinsen, die der Bankbetrieb des Sachbearbeiters einnimmt und von denen unter anderem dessen Gehalt bezahlt wird, bestehen aus weitergegebenem Wert, der im Schuldnerbetrieb geschöpft wurde. Zins ist ein Teil des Profits und die Arbeit des Kreditsachbearbeiters ist unproduktive Arbeit.
Die Illusion, dass es sich bei den Verrichtungen von Bankangestellten, Verkäufern, Vertretern etc. um produktive Arbeit handelt, wird übrigens durch den Umstand begünstigt, dass sie nicht die vollen Einnahmen erhalten, die sie einbringen, sondern nur die Reproduktionskosten ihrer Arbeitskraft. Dieses Prinzip gilt für alle Personen, die in einem Kapitalverhältnis stehen, mithin auch für unproduktive Arbeiter. Auch hier eignet sich das Kapital Mehrarbeit an – wenn auch nur unproduktive, die letztlich von anderswo verrichteter produktiver Arbeit alimentiert wird.28
Halten wir also fest: Allein in der Produktionsphase geleistete Arbeit ist produktiv und setzt den Waren Wert hinzu. Um einem Irrtum zu begegnen, dem man leicht aufsitzen könnte: Unter „Zirkulation“ versteht Marx nur die Bewegung von Geld und die damit verbundene Änderung von Eigentumstiteln. Er bezeichnet das als „formelle Metamorphose der Ware“. Diese ist nicht zu verwechseln mit der räumlichen Verteilung der Waren.29 Die Herstellung von Konsumgütern und damit die produktive Arbeit schließt sämtliche Arbeiten ein, die zur Bereitstellung der Güter für den Konsum erforderlich sind, auch Aufbewahrung, Transport, Verpackung usw.30 Um eine Ware dem Konsum zuzuführen, ist in der Regel eine Ortsveränderung derselben nötig. Das geschieht in dem zusätzlichen Produktionsprozess der Transportindustrie. Da es sich um einen Produktionsprozess handelt, wird der Ware Wert zugesetzt. Transport, einpacken, auspacken etc. sind Produktionsprozesse, die gewissermaßen in der Zirkulationsform „versteckt“ sind. Arbeit nimmt immer dann produktiven Charakter an, wenn das Produkt selbst in irgendeiner Form betroffen ist, nicht aber sein Eigentumstitel. Das Kapital im Zirkulationsprozess organisiert dagegen die Übertragung von Eigentumsrechten, unabhängig vom tatsächlichen Gütertransfer.31 Die Phase der Zirkulation des Kapitals beinhaltet also keine Ortsveränderung der Produkte. Die Waren werden dabei keinen Millimeter bewegt und es wird auch nichts an ihnen verändert.
Bleibt am Ende festzustellen: Die eigentlichen Zirkulationskosten können nicht dem Wert der Arbeit zugeschlagen werden.32 Durch sie reduziert sich also die Profitrate. Der Ersatz dieser Kosten muss aus dem Mehrprodukt geschehen, das in der produktiven Phase erzeugt wurde und bildet einen Abzug von Mehrwert bzw. Mehrprodukt.33 Unproduktive Arbeiter können folglich immer nur in dem Maße herangezogen werden, wie produktive Arbeit ausgebeutet werden kann. Unternehmen, in denen ausschließlich unproduktive Arbeit vernutzt wird (z.B. Makler, Versicherungen oder Banken), erhalten einen Teil des woanders erzeugten Mehrwerts, ohne direkt an dessen Produktion beteiligt zu sein. Daraus ergibt sich, dass der Wert aus der Sicht des Gesamtkapitals quantitativ unverändert bleibt, ob er nun durch die Hände von Versicherungssachbearbeitern, Bankangestellten, Vermögensberatern etc. geht oder auch nicht. „Die im Zirkulationssektor angelegten individuellen Kapitale nehmen nicht an der Produktion des Mehrwerts teil, sondern werden vielmehr daraus alimentiert. Durch komplizierte Transaktionen und Verteilungsprozesse wird ein Mehrwertanteil auf sie übertragen“.34

Ein wichtiger Exkurs: Kapital und Arbeiter in Personalunion

Wie aus dem bisher Gesagten hervorgeht, heißt „produktiver Arbeiter“ sein als Lohnarbeiter unter der Ägide eines Kapitals arbeiten, und zwar außerhalb der Zirkulationssphäre. Nun gibt es aber gesellschaftliche Schichten von Produzenten, die einfach von ihrer eigenen Arbeit leben, ohne ihre eigene Arbeitskraft an ein Kapital zu verkaufen. Nach gängiger marxistischer Lesart sind die Betreffenden im Sinne des Kapitals entweder als unproduktiv aufzufassen, da sie nur sich selbst am Leben halten35, oder – sofern sie nicht durch Arbeit in der Zirkulationssphäre von weitergereichtem Wert leben (in diesem Fall sind sie unproduktiv) – weder produktiv noch unproduktiv, sondern schlicht neutral aus der Sicht des Kapitals.36
Aber verrichtet jemand, der Dinge oder z.B. Scherze (wie der Clown) produziert und dafür Geld nimmt, wirklich keine produktive Arbeit, nur weil es keine anderen Personen gibt, die ihm einen Teil des erarbeiteten Wertes (eben den Mehrwert) vorenthalten? Schon Marx nannte den folgenden Fall:
„Z.B. der selfemploying laborer ist sein eigener Lohnarbeiter, seine eigenen Produktionsmittel treten ihm als Capital in der Vorstellung gegenüber. Als sein eigener Kapitalist wendet er sich selbst als Lohnarbeiter an.“37
Man kann also buchstäblich „sein eigener Chef sein“. Folgerichtig schöpft z.B. die handwerklich tätige „Ich-AG“ Hans-Peter Meier Mehrwert, wenn ihr Betreiber – Herr Hans-Peter Meier – einen Teil der Lohnes des Arbeiters Hans-Peter Meier zurückhält, der z.B. dazu verwendet wird, die Arbeitsmittel zu vermehren oder gegen bessere auszutauschen.
Ein-Personen-Klitschen sind als embryonales Stadium eines Einzelkapitals aufzufassen. Sie befinden sich in einem ungewissen Zwischenstadium. Werden alle Einkünfte von Hans-Peter Meier als Person aufgebraucht, dann handelt es sich nicht um produktive Arbeit, sondern (mit Rubin) weder um produktive noch um unproduktive Arbeit. Wird jedoch Selbstausbeutung betrieben, um einen Teil der Einkünfte im laufenden Betrieb zu belassen, dann stellt der Ein-Personen-Betrieb bereits ein kleines Kapital mit nur einem Arbeiter dar. Allerdings sind immer wieder Rückfälle in das frühere Stadium möglich, z.B. wenn der Betreiber kurzfristig entscheidet, die Betriebskasse für persönliche Bedürfnisse zu plündern. Das definitive Stadium eines Kapitals ist mit der Einstellung lohnabhängigen Personals erreicht. Es wird wahrscheinlich auch in Zukunft nur ein kleines Nischenkapital bleiben. Aber immerhin: Wenn jetzt immer noch ein Teil der Einnahmen in die Akkumulation fließt, dann ist endgültig ein Einzelkapital entstanden. Für den Eigentümer gilt weiterhin: Soweit er – wenn auch als Eigentümer der Produktionsmittel – weiterhin selbst im Arbeitsprozess tätig bleibt, ist er bloßer Lohnarbeiter und der Wert seiner Arbeit geht als solcher mit ein in den Wert des Produkts. Als kapitalistischer Leiter dagegen ist er kein produktiver Arbeiter.38
In dem Maße, in dem sich das Kapital die historisch vorgefundenen Produktionsverhältnisse unterordnet hat, wurden zunehmend alle anderen Existenzformen vernichtet bzw. in Arbeitslieferanten für das Kapital verwandelt. Zur Zeit erfolgt allerdings eine gegenläufige Bewegung. Unter dem Stichwort „Eigenverantwortung“ wird eine zunehmende Selbstentlassung des Kapitals und des Staates aus der Bereitstellung der notwendigen Lebensbedingungen für die Menschen betrieben. Das Bestreben, eine massenhafte Gründung von „Ich-AGs“ und anderen „Selbstunternehmern“ zu ermutigen, ist nichts anderes als der Versuch, denjenigen, die das Kapital ausgespuckt hat, die Verantwortung für eine eigene Existenzweise aufzudrücken, für die sich weder Staat noch Kapital zuständig erklären. Diese Menschen sollen eiskalt aus der öffentlichen Zuständigkeit abgeschoben werden. Die meisten von ihnen werden scheitern und sich, beschwert mit einem Schuldenberg, wieder an die Restbestände der staatlichen Daseinsfürsorge wenden müssen. Andere werden sich mehr schlecht als recht als Randexistenzen betätigen und Aufgaben erledigen, die sich auf Feldern der Resteverwertung bzw. der vernachlässigten unattraktiven Tätigkeiten bewegen. Einige wenige werden vielleicht sogar „zündende Geschäftsideen“ verwirklichen. Dann laufen sie allerdings Gefahr, von mächtigen Kapitalen verdrängt zu werden. Selbst erfolgreiche selbständige Existenzen stehen dauernd in der Gefahr, in den Abgrund der Vernichtung zu stürzen.

b) Staatstätigkeit: Führung der allgemeinen Gattungsgeschäfte und Infrastrukturgüter

Führung der allgemeinen Gattungsgeschäfte
Ein Bereich, in dem besonders viel unproduktive Arbeit geleistet wird, ist der Staatsapparat. In dessen Zuständigkeitsbereich fällt unter anderem die „Führung der allgemeinen Gattungsgeschäfte“, wie Marx sie nennt. Damit sind Tätigkeiten im Zusammenhang mit der staatlich organisierten Herrschaftssicherung gemeint, die – neben dem Selbsterhalt des Staates – vor allem die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die Warenproduktion, mithin für die Verrichtung produktiver Arbeiten sicherstellen. Dazu gehören Verwaltung, Justiz, Polizei, Militär usw.39 Die entsprechenden Kosten bilden „tote Kosten“, denn die „Dienste“ der öffentlichen Angestellten, Beamten, Polizisten und Soldaten werden aus Übertragungen von Wert bezahlt, der ursprünglich aus produktiver Arbeitsvernutzung stammt. Diese Wertübertragungen geschehen in Form von Steuern, Abgaben und Gebühren. Sie verursachen tote Kosten, weil ihre Ausgabe nicht zur Kapitalvermehrung führt, sondern im Gegenteil Kapital vermindert. Daher rühren auch die gegenwärtigen Versuche, die Staatsausgaben auf ein Minimum zu reduzieren. Da der Staat jedoch gleichzeitig die Aufgabe hat, einen optimalen Lebensraum für das Kapital bereitzustellen und abzusichern – z.B. durch die Sicherung und Regulierung von Eigentumsverhältnissen durch Verwaltung, Polizei, Justiz etc. –, fallen diese Kostenreduzierungen letztlich wieder auf das Kapital zurück, etwa in Form von privaten Sicherheitsdiensten oder erhöhtem Kontrollaufwand.
Die Tätigkeiten zur „Erledigung der allgemeinen Gattungsgeschäfte“ lassen sich praktisch nicht der Funktionsweise des Kapitals unterwerfen. Geschieht dies doch, dann verändern sie dabei ihren Charakter bis zur Unkenntlichkeit. Eine „Privatisierung“ auf diesem Sektor würde z.B. die Tätigkeit von Finanzbeamten in Schutzgelderpressung, Gesetzgebung in Despotismus (etwa in die Willkürentscheidungen eines Warlords oder Mafia-Paten) und Polizeitätigkeit in Bandenkriminalität verwandeln. Privatisierung bedeutet hier also nichts anderes, als den Staat aus seiner Funktion als Garanten für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu entlassen, weswegen selbst Erzliberale davor zurückschrecken. Damit einher ginge die Preisgabe des staatlichen Gewaltmonopols40 und der staatlichen Befriedungsfunktion, was früher oder später zu so genannten „failed States“ oder „Staatsleichen“ wie beispielsweise Somalia, Afghanistan oder dem Irak führt.

Infrastrukturgüter
Auch auf einem anderen Gebiet, nämlich dem der infrastrukturellen Staatstätigkeiten, z.B. in den Bereichen öffentliches Verkehrswesen, Post oder Straßennetz, werden woanders erzeugte Werte ausgegeben. Im Bereich dieser allgemeinen infrastrukturellen Rahmenbedingungen kann man allerdings nicht prinzipiell sämtliche zu verrichtenden Arbeiten als unproduktiv auffassen, nur weil sie auf der Basis des öffentlichen Rechts und nicht in Form kapitalistischer Unternehmen organisiert sind.41 Die Rechtsform allein gibt noch keinen Aufschluss darüber, ob produktive oder unproduktive Arbeit geleistet wird42, denn Infrastrukturgüter, die sich als abgemessene Waren (Strom, Wasser, Gas) bzw. als konkret zuordenbare Dienstleistungen (z.B. Bus- oder Bahnfahrten) absetzen lassen, weisen einen ganz speziellen Charakter auf. Sie sind nicht einfach aufgrund der Rechtsform schematisch in simples produktiv-unproduktiv-Raster einzuordnen. Bestimmte Funktionen der Waren- bzw. Dienstleistungsproduktion im Rahmen von staatlichen Versorgungseinrichtungen werden vielmehr in einem kapitalähnlichen Verhältnis erbracht. Auch hier kann eine Selbstbewegung des Geldes stattfinden, bei der es zum Zwecke der Vernutzung abstrakter Arbeit eingesetzt wird, um als mehr Geld wieder aus dem Prozess hervor zu gehen. Insofern kann Geld also auch unter staatlicher Regie als Kapital eingesetzt werden.
Staatsbetriebe, die auf diese Weise Umsätze machen, befinden sich in ähnlicher Weise in einer embryonalen Form des kapitalistischen Betriebes wie Ein-Personen-Betriebe, z.B. die oben diskutierte „Ich-AG“ von Hans-Peter Meier. In beiden Fällen drohen nämlich ständig kapitalfremde Motive zum Tragen zu kommen. Der Inhaber eines Ein-Personen-Betriebes will in erster Linie von den Betriebseinkünften leben und wenn überhaupt erst in zweiter Linie das Betriebsvermögen mehren; in ähnlicher Weise ist ein Staatsbetrieb zuerst anderen Zielen gegenüber verpflichtet – etwa seinem Versorgungsauftrag Genüge zu tun – und dann erst der Gewinnmaximierung. Produktive Arbeit bedeutet in diesem Zusammenhang also die Ausrichtung der Arbeit auf die betriebswirtschaftliche Gewinnmaximierungslogik, unproduktive Arbeit dagegen, die betriebswirtschaftliche Rentabilität anderen Zwecken unterzuordnen. Im Falle der Staatsbetriebe laufen solche anderen Zwecke letztlich auf die Sicherung des gesamtgesellschaftlichen Rahmens hinaus. Staatsbetriebe, die mit Gütern der öffentlichen Infrastruktursicherung handeln, sind in aller Regel politischen Vorentscheidungen unterworfen. Je mehr diese in das Tagesgeschäft hineinspielen, um so geringer wird der Anteil der produktiven Arbeiten. Solche Vorentscheidungen sind beispielsweise der öffentliche Versorgungsauftrag mit Energie und Wasser sowie Verkehrs- und Postanbindung. Der öffentliche Versorgungsauftrag beinhaltet die flächendeckende Versorgung, Erschwinglichkeit auch für Geringverdiener bzw. staatlich Alimentierte sowie das Vorhalten von Kapazitäten für Katastrophen- und Krisenfälle. Nicht zuletzt besteht sein Zweck auch darin, einen reibungslosen Ablauf ökonomischer Transaktionen für die Privatkapitale zu gewährleisten. All diese Motive laufen dem Rentabilitätskalkül der Versorgungsbetriebe zuwider und drohen ständig, es auszuhebeln.
Man sieht: Produktive und unproduktive Arbeit sind in den Infrastrukturbetrieben stark miteinander vermischt. Ständig droht produktive Arbeit wieder in unproduktive Arbeit umzuschlagen. Die Privatisierung von staatlichen Funktionen läuft darauf hinaus, produktive und unproduktive Arbeit zu entmischen und die produktive Arbeit vor einem Rückschlag ins Unproduktive sowie vor „sachfremden“ Zugriffen zu schützen. Diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahren enorm beschleunigt, unter anderem weil die Staatstätigkeit zunehmend unter Finanzierungsvorbehalt steht. Der Staat bleibt abhängig vom Marktprozess und damit von der Bereitstellung genügender Erträge aus produktiver Arbeit. Weil diese aber immer geringer werden, versucht das Kapital, sich immer mehr Reproduktions- und Strukturkosten zu ersparen und drängt den Staat dahin, immer mehr öffentliche Dienste zu beschneiden oder zu privatisieren – nicht selten wird beides zugleich betrieben. Man darf gespannt sein, welche Staatsaufgaben in Zukunft einer Privatisierung unterliegen werden. Der Kreativität bei der Ausgliederung von bisherigen Staatsaufgaben sind keine Grenzen gesetzt.
Dass die Unterordnung der Versorgungsbetriebe unter die Kapitalvermehrung den Charakter ihrer Dienste massiv verändern wird, dürfte klar sein. Die Nutznießung wird dann zum Privatkonsum, der bezahlt werden muss. Damit wäre es aber um den flächendeckenden Charakter der gesellschaftlichen Infrastruktur endgültig geschehen. Nicht nur, weil eine Privatisierung der öffentlichen Infrastrukturgüter automatisch dahin führt, dass sich die Privatkapitale die profitablen Bereiche herauspicken, so dass die Unterversorgung bestimmter Stadtviertel oder abgelegener ländlicher Gebiete droht. Wo sich die Marktlogik den Infrastrukturgütern aufzwingt, sind außerdem periodische Zusammenbrüche vorprogrammiert, da das Vorhalten von Reserven für besondere Vorfälle der betriebswirtschaftlichen Logik zuwiderläuft. Vor allem aber wären große Teile der Bevölkerung aufgrund mangelnder Geldmittel vom Gebrauch ausgeschlossen. Um aber als Verkäufer von Arbeitskraft auftreten zu können, sind die Menschen auf die besagten infrastrukturellen Voraussetzungen angewiesen. Ohne Straßen kein Individualverkehr, ohne Bildungsinstitutionen fehlen die Voraussetzungen für die meisten der heutigen Arbeiten etc. Je höher der Produktivitätsstandard einer Gesellschaft, um so unverzichtbarer sind diese Voraussetzungen. Während die Herausgefallenen vom Nutzen der Infrastruktur in dem Maße ausgeschlossen werden, in dem sie privatwirtschaftlich betrieben wird, werden sie den Noch-Beschäftigten zunehmend nur noch in dem Maße zugestanden, in dem sie ihrer „Employability“ dienen. Die Folge sind verheerende Ausdünnungen und Vereinseitigungen der Versorgung mit Infrastrukturgütern.43

c) „Wissensarbeit“44
In der öffentlichen Debatte wird seit den achtziger Jahren ein Bereich gehandelt, in dem sich künftig angeblich enorme Felder für produktive Arbeit auftun sollen. Es handelt sich um die Verheißungen der so genannten „Wissensgesellschaft“, in welcher Wissen zur wichtigsten Produktivkraft und zum Hauptfeld der Reichtumsproduktion werden soll. Angeblich gibt es hier viel Arbeit zu verrichten und große Scharen von Konsumenten warteten nur darauf, den Herstellern die entsprechenden Produkte aus den Händen zu reißen. Hier, so glaubt man, eröffnet sich ein Feld für enorme, „unbedingt nötige Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung, um die notwendigen mentalen Produktivkräfte zu entwickeln“ – so und ähnlich lässt es sich häufig vernehmen.
Eine wesentliche Eigenschaft der entsprechenden Produkte besteht allerdings darin, dass sie entweder gar nicht an materielle Träger gebunden oder sehr einfach und schnell auf lächerlich billige Trägermedien (Disketten, CDs, DVDs etc.) zu übertragen sind. Auch der räumliche Transport entfällt dank Internet. Zugegebenermaßen kostet die Erstellung etwa von Software viel Zeit. Aber im Verhältnis zu den Möglichkeiten der nahezu kostenlosen Vervielfältigung, ihrer raschen Verbreitungsmöglichkeit und ihrer hohen Anwendungsbreite sind die Entstehungskosten immer noch unglaublich gering. Der Anteil der Arbeit an der einzelnen Kopie wird dadurch nahezu homöopathisch. Eine jeweils einzelne Kopie weist mit anderen Worten einen Wert auf, der praktisch gegen Null tendiert.45
Im Grunde wird Wissen nie wirklich ausgetauscht oder verkauft, da derjenige, der es weitergibt, es nicht tatsächlich hergibt. Der „Austausch“ von Wissen ist in Wirklichkeit das Anfertigen einer Kopie (sei es im Kopf, sei es auf einem Trägermedium). Anschließend können sowohl der Hergebende wie auch der Empfangende neue Kopien anfertigen und weitergeben. Wissen kann auf diese Weise mit exponentieller Geschwindigkeit weiter verbreitet werden. Einmal auf den Markt gebracht neigt Wissen daher dazu, diesen in Windeseile zu überfluten und dabei jeden Wert zu verlieren. Um überhaupt weiter handelbar zu bleiben, erzwingt die Warenförmigkeit von Wissen die künstliche Herstellung von Knappheit:
„Technisch durch verschiedene Möglichkeiten, die Kopierbarkeit von Wissen zu beeinträchtigen, bzw. zu verunmöglichen. Juristisch durch den permanenten Schrei nach dem Staat, der die Warenform per Jurisdiktion durchsetzen soll – eine ziemlich paradoxe Angelegenheit vom Standpunkt der herrschenden Marktideologie aus betrachtet.“46
Durch solche Barrieren werden immaterielle Güter in Scheinkapital verwandelt. Faktisch wird kein reeller Warentausch mehr betrieben. Vielmehr wird gegen Zahlung die Gunst gewährt, am Wissen teilzuhaben.47 Eine solche Monopolisierung von Wissen verlangt eine viel größere Investition in Zugangsbarrieren, Kontrollen und Sanktionsmöglichkeiten als die Produktion des Wissens selbst. Große Mengen unproduktiver Arbeit werden hier verrichtet: Im Rahmen der Zirkulationssphäre, um die unentgeltliche Weitergabe zu unterbinden und nur bezahlten Konsum zuzulassen; im Rahmen der Staatstätigkeit, um mit Kontrollen und Strafen zu drohen. Und trotzdem sind solche Begrenzungen immer nur vorübergehend wirksam. Hacker, Codeknacker und Raubkopierer überwinden die Barrieren spielend und bei den Anwendern will einfach kein Unrechtsbewusstsein mit Bezug auf die Nutzung kopierten Wissens aufkommen.
Während der Warenwert eines Wissensgutes auf diese Weise schnell zerrinnt, ist sein gesellschaftlicher Nutzen jenseits von der Wertform um so größer, je weiter es verbreitet ist. Stefan Meretz sieht hier bereits eine mögliche „Keimform“ für eine Gesellschaft, die mit der Warenform bricht.48 Das macht er insbesondere an der freien Software-Bewegung fest, wo das Wissen von seiner Warenform abgelöst wird und sich für alle leicht zugänglich verbreitet. Dort kann es besser vermehrt und optimiert werden als unter einem Kapitalverhältnis. Dabei entzieht sich die freie Software der Befehlsgewalt des Kapitals sowie den Waren- und Geldbeziehungen. Hier zeichnet sich nach Meretz die Chance auf eine Gemeinwesenökonomie ab, in der nichts mehr im Hinblick auf die Vermarktung produziert würde.
Das Konzept hat allerdings den Haken, dass man freie Software nicht essen kann. Man kann in ihr nicht wohnen und sie hat auch keinen Heizwert. Die Mittel zur Erfüllung solcher Bedürfnisse muss man sich weiterhin auf dem Markt besorgen. Im Grunde ähnelt das Verhältnis zwischen dem Kapital, das in der Wissensproduktion neue Betätigungsfelder sucht und den Produzenten freier Software einer wechselseitigen Geiselhaft: Jede Seite verfügt über das, was die andere zum „Überleben“ braucht. Sie ist aber nur bereit es herzugeben, wenn die andere ihre eigene Daseinsweise aufgibt. Zur Zufriedenheit der freien Softwareentwickler kann diese Situation erst aufgelöst werden, wenn es sehr großen anderen Teilen der Gesellschaft gelingen sollte, sich aus der Wertform lösen und dabei gleichzeitig den stofflichen Reichtum weitgehend zu erhalten – eine Perspektive, die sich zur Zeit leider nicht abzeichnet.
Auf der anderen Seite sind aber auch die Hoffnungen der Softwareindustrie trügerisch. Die Rettung der Warengesellschaft in Form eines neuen Arbeitsfeldes für produktive Arbeit harrt ganz gewiss nicht auf dem Feld der so genannten Wissensproduktion. Das Gegenteil ist der Fall. Denn die Wissensproduktion
„kann [..] sehr viel mehr Arbeit einsparen, als sie kostet und das in gigantischen, noch vor kurzem unvorstellbaren Ausmaßen. Das bedeutet, dass das formale Wissen unermesslich viel mehr ‚Wert‘ zerstört, als es zu schöpfen erlaubt. Anders gesagt, es Unmengen von bezahlter gesellschaftlicher Arbeit und verkleinert folglich den (monetären) Tauschwert einer wachsenden Anzahl von Produkten und Dienstleistungen […] Früher oder später muss es zu einer Senkung des (Geld)Wertes, des insgesamt produzierten Reichtums sowie zu einer Schrumpfung des Profitvolumens kommen – unter Umständen zu einem Zusammenbruch der auf dem Tauschwert basierenden Produktion.“49
Statt eines neuen Feldes zur Rettung der kapitalistischen Produktionsweise zu sein, wohnt der „Wissensproduktion“ also vielmehr das Potential eines Totengräbers eben dieser Produktionsweise inne.

d) Jobs in Gesundheitsbereich, Bildung, Kultur etc.?

Glaubt man den Alarmrufen von Bildungsexperten (man denke nur an die berüchtigten PISA-Studien), Demoskopen („Überalterung“) und ähnlichem Personal „vom Fach“, dann harren enorme Beschäftigungsmöglichkeiten für produktive Arbeit auf dem Feld der so genannten „personennahen Dienstleistungen“, vor allen in den Bereichen Bildung, Kultur, Pflege, Medizin etc., die eigentlich nur noch auf eine Erschließung durch findige Unternehmer warten. Auf diese Tätigkeitsfelder setzt die neoliberale Krisenverwaltung besondere Hoffnungen.50 In der Tat sind bei den personennahen Dienstleistungen alle bisherigen Kriterien erfüllt: Die Arbeiten könnten fern von jeder staatlichen Betätigung auf der Grundlage eines Kapitalverhältnisses verrichtet werden; sie würden auch nicht in der Zirkulationssphäre stattfinden; nicht zuletzt verbrauchen sich die Arbeitsergebnisse und bleiben – anders als Produkte, die aus „Wissensarbeit“ resultieren – knapp. Eigentlich müsste also alles zum Besten bestellt sein. Ein Blick auf die Empirie zeigt jedoch, dass sich auch in diesem Bereich kein Jobwunder abzeichnet. Wo liegt diesmal das Problem?
Zur Zeit werden Erziehungs-, Bildungs- sowie Gesundheitseinrichtungen noch weitgehend über Steuern und Sozialabgaben finanziert. Das führt bei hohen Ausgaben des Staates zu einer nicht zu vernachlässigenden Beschäftigungsquote in den genannten Bereichen. Dadurch handelt es sich aber bei den betreffenden Arbeiten um Staatstätigkeit, die weitgehend unproduktiv ist, da die betreffenden Schulen, Universitäten, Krankenhäuser etc. nicht gewinnorientiert arbeiten, sondern (bisher noch) in erster Linie vorgegebenen politischen Zielen wie z.B. der Bereitstellung gut ausgebildeter Schul- und Universitätsabsolventen dienen. Es handelt sich mithin, wie oben mit Bezug auf die Infrastrukturgüter gezeigt wurde, vorwiegend um unproduktive Arbeit.51 Ferner wird ein erheblicher Teil der Erziehungs- und Pflegetätigkeiten durch Familienmitglieder – in der Regel von Frauen – in den privaten Haushalten verrichtet. Auf diese Weise werden entsprechende Verrichtungen gar nicht erst zu „Arbeit“ im Sinne des Kapitalismus.
Um die entsprechenden Tätigkeiten in produktive Arbeit zu verwandeln, müsste also dahingehend gewirkt werden, dass der Staat keine kostenlosen bzw. transferfinanzierten personennahen Dienstleistungen mehr zur Verfügung stellt. Ferner müssten die privaten Haushalte ihre Bedeutung als „Produzenten unbezahlter Dienstleistungen“52 verlieren; vielmehr müssten sie sich personelle Unterstützung auf dem Arbeitsmarkt kaufen und auf diese Weise ein Heer relativ schlecht bezahlter häuslicher Dienstboten bzw. Beschäftigter der Serviceindustrie in Niedriglohn und Trockenbrot bringen.
Tatsächlich würde eine solche Verwandlung von Erziehung, Pflege, Bildung, Gesundheit etc. in käufliche Waren die entsprechenden Tätigkeiten in produktive Arbeit verwandeln. Aber solche Dienste sind ihrer Natur nach nur sehr bedingt als Kapitalverwertung zu betreiben. Es fehlt vor allem die kaufkräftige Nachfrage. Haushalte und Einzelpersonen müssen selbst relativ gutverdienend sein, um als Kunden einer breit angelegten Dienstleistungsindustrie in Erscheinung zu treten. Das bedeutet in der Konsequenz nichts anderes, als dass sich die entsprechenden Anbieter allein auf zahlungskräftige Zielgruppen konzentrieren würden. Im Hinblick auf die breite Masse der Bevölkerung würden dagegen Pflege, Gesundheitsleistungen, Bildung etc. schlichtweg unbezahlbar. Da kann sich dann ein findiger Unternehmer noch so sehr ins Zeug legen, es wird von den betreffenden Personen kein Geld zu ihm hinfließen, weil diese ganz einfach nicht genügend davon besitzen. Findig, wie so ein Unternehmer ist, hat er dementsprechend auch schon längst im Wellness- und Fitnessbereich investiert, wo sich die zahlungskräftige Kundschaft noch tummelt. Für das Gros der vermeintlichen Kunden bleibt dagegen nichts anderes übrig, als die betreffenden Leistungen so gut es geht in Eigentätigkeit zu erbringen (Pflege und Erziehung) und ansonsten ohne Versorgung (also ohne Gesundheitsleistungen und höhere Bildung) zu bleiben.53 Auch die zunehmende Automatisierung von Dienstleistungen (selbst im personennahen Bereich) darf nicht außer Acht gelassen werden. Sie verschlingt am Ende auch noch die letzten Arbeitspotenziale, die durch die breite Erschließung der entsprechenden Tätigkeitsfelder eigentlich gewonnen werden sollten. „Intelligente Rollstühle“, Bedienroboter, Lernsoftware und ähnliche Produkte stecken zwar noch in den Kinderschuhen, sind aber erst der Anfang einer Entwicklung, bei der selbst im personennahen Tätigkeitsbereich zunehmend lebendige Arbeit durch Maschinen ersetzt wird. Eine zunehmende Vermarktwirtschaftlichung würde entsprechende Industrialisierungsprozesse noch weiter beschleunigen.
Alles in allem hätte die Transformation der betreffenden Dienstleistungen von öffentlich bereitgestellten Gütern in privat zu bezahlende einen sehr hohen Preis. Durch Privatisierung der entsprechenden Leistungen verlieren basale individuelle Voraussetzungen zur Betätigung im Kapitalismus – wie Gesundheit und Bildung – ihren allgemeinen Charakter. Dabei schrumpfen zwar auf der einen Seite die Gemeinkosten, dafür explodieren auf der anderen Seite aber die Reproduktionskosten, die die betroffenen Menschen nun selbst zu entrichten hätten. Diese Kosten tauchen dann unmittelbar als Reproduktionskosten der Arbeitskraft wieder auf, sprich Löhne und Gehälter müssten im Grunde entsprechend stark ansteigen. Geschieht dies – wie zu erwarten ist – nicht, geht der Umstand, dass Gesundheit und Bildung usw. als Ware gekauft werden müssen, auf Kosten des Verkaufs anderer Waren. Wenn also bei gleichbleibendem Arbeitsentgelt der Beschäftigten Lehrer, Ärzte, Pflegekräfte etc. zu produktiven Arbeitern umgewidmet werden, dann werden woanders produktive Arbeiter freigesetzt, weil der Verkauf ihrer Produkte zurückgeht. Gesamtgesellschaftlich gesehen geht dann die neue Akkumulation von kapitalistischen Bildungs- und Gesundheitsproduzenten auf Kosten anderer Kapitalien. So oder so fallen dem Kapital die eingesparten Staatsabgaben wieder auf die Füße. Und nicht zuletzt führt ein Riesenheer von völlig Unversorgten und Ungebildeten zu einer Kostenexplosion bei der Nachsorge und den Sicherheitsausgaben, ganz zu schweigen davon, dass diese Menschen als Kunden völlig ausfallen.

Schlussbetrachtung

Produktive Arbeit ist das Lebenselixier des Kapitalismus. Wo nicht produktiv gearbeitet wird, da gibt es auch keine Produktion von Wert, und ohne Wert gibt es keinen Kapitalismus. Der Durchgang durch die verschiedenen Felder der so genannten Dienstleistungsgesellschaft hat ergeben, dass Arbeit im Kapitalismus die folgenden Bedingungen erfüllen muss, um „produktive Arbeit“ zu sein:
1) Sie muss im Rahmen eines Kapitals geleistet werden und zu dessen Vermehrung beitragen. Das geschieht dadurch, dass ein Teil des durch Arbeit geschaffenen Wertes zurückbehalten wird, der zum Wachstum des betreffenden Kapitals (und damit auch des Gesamtkapitals) beiträgt.
2) Außerdem muss die Arbeit in der Phase der Produktion verrichtet werden. Arbeit in der Zirkulationsphase setzt hingegen keinen Wert hinzu, sondern veranlasst lediglich zu Übertragungen von Wert, der aus produktiver Arbeit stammt, die woanders geleistet wurde.
3) Es darf sich auch nicht um Arbeit handeln, die der Führung der „allgemeinen Gattungsgeschäfte“ dient. Diese sorgt dafür, dass das Umfeld, gewissermaßen der „Lebensraum“ des Kapitals erhalten bleibt. Die entsprechende Arbeit ist notwendig, trägt aber nichts zum Wert der Waren bei.
4) Das Kapital, zu dessen Vermehrung die Arbeit dient, muss in aller erster Linie der eigenen Selbstvermehrung dienen. Daher muss es vor anderen Begehrlichkeiten, etwa von Einzelpersonen (Kleinstunternehmer, „Ich-AGs“ etc.) oder von Seiten des Staates (Staatsbetriebe) abgeschirmt sein. Genau genommen handelt es sich bei Kleinstunternehmern und Staatsbetrieben um kapitalähnliche Verhältnisse bzw. embryonale Formen von Kapital, die erst zu vollwertigem Kapital werden, wenn sie auf reine Selbstvermehrung des Kapitalstocks umgestellt sind (wenn also andere Begehrlichkeiten auf den erwirtschafteten Profit ausgeschaltet wurden).
5) Das Arbeitsprodukt muss sich über kurz oder lang verbrauchen. Sonst wird das Kriterium der Knappheit nicht erreicht und der Wert der Arbeit unterliegt einem rapiden Verfall. Dieser Wertverfall ist besonders dramatisch, wenn sich das Produkt wie im Falle der Wissensproduktion nicht nur nicht verbraucht, sondern sogar ohne Zusatz von Arbeit weitervermehren und -verbreiten lässt.
6) Personennahe Dienstleistungen schließlich sind produktive Arbeit, sofern sie zum Zweck der Kapitalvermehrung verrichtet werden. Durch Privatisierung wird das Gros solcher Dienstleistungen aber nur noch für eine relativ kleine Gruppe zahlungskräftiger Personen erschwinglich. Das ersehnte „Arbeitsparadies“ wird es auch hier nicht geben, da die entsprechenden Tätigkeitsfelder aufgrund von mangelnder zahlungskräftiger Kundschaft, die Verrichtung in Eigentätigkeit (sofern möglich) sowie durch fortschreitende Automatisierung enorm klein ausfallen werden.
Alles in allem werden die Betätigungsfelder für produktive Arbeit infolge der enormen Effizienzsteigerung von Technologie und Arbeitsorganisation immer weniger bzw. immer kleiner. Gleichzeitig existieren sehr große Bereiche unproduktiver Arbeit, auf die das Kapital nicht verzichten kann. Es handelt sich dabei vor allem um den Bereich der Warenzirkulation und der Staatstätigkeit. Hier wird die Menge der zu verrichtenden unproduktiven Arbeit eher größer, was wiederum dazu führt, dass die toten Kosten nicht nur relativ, sondern sogar absolut immer weiter ansteigen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Auf der Seite der Zirkulation vergrößert sich etwa der Aufwand für Werbung, Marketing, Verkaufstrainings54, ferner steigen die Kosten für Mahnverfahren, Inkassobüros, Umschuldungsverfahren etc. Auch der Staat wird durch wachsende Kosten belastet, z.B. durch steigenden Regelungs- und Verwaltungsbedarf oder die Bekämpfung der steigenden Kriminalität.
Dieser zusätzliche und wachsende Finanzierungsbedarf für Zirkulation und Staatstätigkeit muss aus dem stetig schrumpfenden Kern der Verrichtung produktiver Arbeit bestritten werden. Dadurch wird es immer schwieriger, Kapital profitabel einzusetzen. Aber Kapital, das nicht weiter profitabel verwertet wird, verliert seinen Wert über kurz oder lang völlig. Die betreffenden Unternehmen können dann schon nach kurzer Zeit die laufenden Kosten (Gehälter, Arbeitsmittel, Mieten usw.) nicht mehr bezahlen und gehen pleite. Um dem drohenden Totalbankrott des Systems so lange wie möglich zu entgehen, wird nach dem Prinzip „das Hemd sitzt näher als der Rock“ die Sphäre der Staatstätigkeit aufs Korn genommen. Nach dem Selbstverständnis, das dieser Haltung gegenüber dem Staat zugrunde liegt, wird einfach nicht mehr genug Wert geschöpft, um den Staat und seine Institutionen noch an den Früchten der kapitalistischen Produktionsweise beteiligen zu können. Auf die Zirkulation dagegen kann das Kapital schlechthin gar nicht verzichten, da es nur hier seine Geldgestalt wieder annimmt.55 Die Sphäre der Staatstätigkeit erscheint dagegen in der kapitalistischen Logik als reiner Konsum, genauer als Staatskonsum, der vom Kapital durch Steuern, „Lohnnebenkosten“ und andere Abgaben alimentiert wird. Im Hinblick auf die geplanten Kostenentlastungen bleiben die Tätigkeiten zur Erledigung der Gattungsgeschäfte (Gesetzgebung, Rechtsprechung, staatliche Gewaltausübung etc.) vorerst noch weitgehend unangetastet.56 Ins Visier geraten ist vor allem – neben den Sozialtransfers – die von staatlicher Seite gewährleistete Bereitstellung von Infrastrukturgütern sowie von personennahen Dienstleistungen. Bildung, Gesundheitswesen, das öffentliche Transportwesen und Verkehrsnetz werden zunehmend privaten Investoren zugänglich gemacht. Bei der Telekommunikation, der Stromversorgung und der Post ist dieser Prozess nahezu abgeschlossen.
Beim Schul- und beim Gesundheitssystem ist neben einem Trend zur Privatisierung eine wachsende Tendenz zur Vereinseitigung sowie zum Verfall festzustellen. Zunehmend sollen auf dem Gebiet der Bildung aus Ersparnisgründen nur noch die unmittelbar und unabdingbar für die Arbeitsaufnahme notwendigen Qualifizierungen gewährleistet werden. Die technokratischen Schul- und Hochschulreformen (Abitur nach zwölf Schuljahren, Umstellung von Magister- bzw. Diplom- auf Bachelor- und Master-Abschlüsse, Konzentration der Bildungsinhalte auf die Vermittlung von wirtschaftsrelevanten „Skills“ etc.) sind in diesem Zusammenhang zu sehen, ferner die zusehends verfallende Bausubstanz an den Schulen. Betroffen ist auch die medizinische Versorgung. Hier werden die Menschen zunehmend in die Selbstzahlung gedrängt, Ärzte sehen sich immer mehr als Unternehmer, die ihren Patienten notgedrungen Zusatzleistungen andrehen müssen, um ihre teuren medizinischen Geräte auszulasten, und Krankenhäuser werden von einer rollenden Privatisierungswelle erfasst.
Im Zuge dieser Entwicklung unterliegt der Prozess der Wertverwertung einer zunehmenden Zentralisierung, wobei immer mehr Menschen herausfallen und bestenfalls auf eine immer schlechtere Ersatzversorgung verwiesen werden. So wie ein Blutkreislauf im Falle von kritischen Situationen (z.B. bei extremer Kälte oder hohem Blutverlust) zentralisiert wird und nur noch die lebenswichtigen Organe im Körperkern versorgt werden (wobei es durchaus passieren kann, dass periphere Körperteile absterben), so geschieht Ähnliches mit den Menschen, von denen immer mehr aus dem Kreislauf von Arbeit, Ware und Geld herausfallen. Sie befinden sich gewissermaßen im peripheren Bereich des Wertverwertungsprozesses, der zunehmend schlechter bzw. gar nicht mehr versorgt wird. Aktuelle Beispiele für diesen Zentralisierungsprozess sind das sukzessive Zurückfahren von Gesundheitsleistungen für große Teile der Bevölkerung, die Einrichtung von so genannten Eliteuniversitäten bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Breitenbildung, die Konzentration von öffentlichen Infrastrukturgütern auf gut gehende Zentren bzw. zahlungskräftige Kundschaft und nicht zuletzt die zunehmende Verschlechterung von staatlichen Transferleistungen wie etwa Altersrenten und Arbeitslosengeld.
In dieser Situation geht die Verwandlung verschiedenster Tätigkeiten und Dienste in produktive Arbeit einher mit der Vernichtung des allgemeinen Charakters von Daseinsvorsorge. Das wiederum ist identisch mit der Vernichtung gesellschaftlichen Reichtums, wenn man sich die absehbaren Folgen vor Augen hält, wie etwa Seuchen oder den Verlust von intellektuellen und kulturellen Fähigkeiten auf breiter Front, die allgemeine Verunsicherung des Lebens etc. In älteren krisis-Veröffentlichungen wurden die Privatisierungs- bzw. Zentralisierungsprozesse, die zur Zeit im Gange sind, im Grunde für unmöglich erklärt. Über dieses „nicht möglich“ setzt sich der zeitgenössische Kapitalismus momentan auf breiter Front hinweg. Offenbar muss man mit apodiktischen Aussagen über die Unmöglichkeit bestimmter Verläufe sehr vorsichtig sein. So zeigt es sich leider immer wieder, dass man die Macht der (Denk-)Gewohnheiten und die Leidensfähigkeit der Menschen nicht unterschätzen darf. In dem Bewusstsein, dass ich mich auf das Feld der Spekulation begebe, möchte ich abschließend das folgende, leider nicht unwahrscheinliche Horrorszenario skizzieren:
Staat und Kapital entledigen sich in zunehmendem Maße der „toten Kosten“, an denen die kapitalistische Reproduktion zu ersticken droht. Selbst wenn dann immer größere Teile der Infrastruktur für immer mehr Menschen unerschwinglich werden, kann es noch eine gewisse Zeit so weitergehen. Verarmende Massen geben ihre letzten Ersparnisse aus, halten sich noch eine Zeit mit Improvisationen über Wasser und bleiben fürs erste unauffällig. Die anschwellende Kriminalität sowie die sich mehrenden Amokläufe werden bis auf weiteres als bloße Einzelfälle verharmlost. Während die öffentliche Versorgung weiter privatisiert und ausgedünnt wird, sorgt eine noch zahlungsfähige „Kundschaft“ für privatwirtschaftliche Erlöse. Es mag sogar noch eine Weile der Eindruck vorherrschen, dass alles bestens gestellt ist, weil sich ökonomische Oberflächenindikatoren (Staatsverschuldung, Unternehmensneugründungen, Geschäftsklimaindex usw.) zum „Besseren“ entwickeln, während die tickende Zeitbombe, auf der das alles sitzt, ignoriert wird. Diese Ignoranz ändert natürlich nichts an der grundlegenden Gesamttendenz: Nicht die Dienstleistungsgesellschaft steht bevor, sondern der endgültige Zusammenbruch der Arbeitsgesellschaft.

Literatur

Altvater, Elmar; Huisken, Freerk: Produktive und unproduktive Arbeit als Kampfbegriffe, als Kategorien zur Analyse der Klassenverhältnisse und der Reproduktionsbedingungen des Kapitals. In: SOPO 6/7 (1969), S. 47-92.
Behrens, Fritz: Alte und neue Probleme der politischen Ökonomie. Eine theoretische Studie über die produktive Arbeit im Kapitalismus. Berlin 1948.
Bender, Christiane; Graßl, Hans: Woher kommen die Jobs. Arbeitsmarktpolitik in Deutschland: Ein Beschäftigungszuwachs ist nur noch im sozialen Dienstleistungssektor zu erwarten. In: Frankfurter Rundschau, 31. Januar 2006, S. 26.
Bischoff, Joachim; Ganßmann, Heiner; Kümmel, Gudrun; Löhlein, Gerhard: Produktive und unproduktive Arbeit als Kategorien der Klassenanalyse. In: SOPO 6/7 (1969), S. 69-89.
Bischoff, Joachim; Ganßmann, Heiner; Kümmel, Gudrun; Löhlein, Gerhard: Mystifikation und Klassenbewusstsein. In: SOPO 6/7, S.15-45.
Frisch, Max: Graf Öderland. In: Stücke 1. Frankfurt am Main 1980, S. 259-344.
Gorz, André: Wissen, Wert und Kapital, Zürich 2004.
Kurz, Robert: Die Himmelfahrt des Geldes. In: krisis, Nr. 16/17, 1995, S. 21-76.
Lohoff, Ernst: Out of Area – Out of Control. Warengesellschaft und Widerstand im Zeitalter von Deregulierung und Entstaatlichung. Teil I: Der fatale Endsieg der Ware. In: Streifzüge 31/2004a, S. 8-12 sowie http://www.balzix.de/htmlsrc/e-lohoff_out-of-area_str-04-31.html.
Lohoff, Ernst: Out of Area – Out of Control. Warengesellschaft und Widerstand im Zeitalter von Deregulierung und Entstaatlichung. Teil II: Fight Back. In: Streifzüge 32/2004b, S. 15-20 sowie http://www.balzix.de/htmlsrc/e-lohoff_fight-back_nov-2004.html.
Lohoff, Ernst, Meretz, Stefan: Unveröffentlichtes Seminarmanuskript, o.O. 2003.
Lutz, Burkart: Der kurze Traum immerwährender Prosperität. Eine Neuinterpretation der industriell-kapitalistischen Entwicklung im Europa des 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main/New York 1989.
Marx, Karl: Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses. Frankfurt am Main 1969.
Marx, Karl: Das Kapital Bd. I. Berlin 1983 [1894].
Marx, Karl: Das Kapital Bd. II. Berlin 1983 [1893].
Marx, Karl: Ökonomische Manuskripte 1863–1867. Teil 1 in: MEGA II 4.1, Berlin 1988.
Marx, Karl: Grundrisse der politischen Ökonomie. Berlin 1983.
Marx, Karl: Theorien über den Mehrwert Bd. I. Berlin 1974.
Marx, Karl: Theorien über den Mehrwert Bd. III. Berlin 1968.
Meretz, Stefan: Zur Theorie des Informationskapitalismus. In: Streifzüge 1/2003 und 2/2003.
Produktive Arbeit und Krise. Krise und Zusammenbruch bei Karl Marx und der Gruppe krisis: http://www.left-action.de/wkl/prokrise.html 02.06.2004.
Rosdolsky, Roman: Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen „Kapital“, Bd. II, Frankfurt am Main 1968.
Rubin, Isaak Iljitsch: Studien zur Marxschen Werttheorie. Frankfurt am Main 1973 [1924].
Samol, Peter: Wechselseitige Geiselhaft – Die Beziehung von Kapital und freier Software. In: Streifzüge 34/2005, S. 34 sowie http://www.streifzuege.org/druck/str_05-34_samol_kapital-freie-software.html.
Smith, Adam: Der Wohlstand der Nationen. München 2003 [1789].

Endnoten:

1 Insbesondere ältere Jahrgänge aus handwerklichen, bäuerlichen oder aus Arbeitermilieus erkennen als „wahre“ produktive Arbeit nur solche an, bei denen der arbeitende Mensch einen „Hammer“ eine „Schippe“ oder ein anderes – vorzugsweise grobes – Werkzeug in den Händen(!) hält.
2 Smith 1789, S. 272f. Wo nicht anders vermerkt, stammen sämtliche Klammern in den Zitaten von mir, Peter Samol.
3 Siehe auch in: Produktive Arbeit und Krise. Krise und Zusammenbruch bei Karl Marx und der Gruppe krisis. http://www.left-action.de/wkl/prodkrise.html 02.06.2004, S. 2.
4 Der Begriff „Mehrwert“ stammt von Marx selbst. In seinen „Theorien über den Mehrwert“ (MEW Bd. 26.1-26.3) hat er ihn seinen Vorläufern und Zeitgenossen im Zuge der Wiedergabe und Begutachtung ihrer ökonomischen Theorien quasi „untergeschoben“ („Sämtliche Ökonomen teilen den Fehler, dass sie den Mehrwert nicht rein als solchen betrachten, sondern in den besonderen Formen von Profit und Rente.“, Marx: Theorien über den Mehrwert I, 1974, S. 6). Beim Lesen der „Theorien“ kann leicht der falsche Eindruck entstehen, als hätten die Betreffenden selber schon mit dem Mehrwertbegriff hantiert. Andererseits hat diese Darstellungsform den Vorteil, dass der gesamten Untersuchung ein roter Faden eingezogen wurde, der das Verständnis der ohnehin komplizierten Materie enorm erleichtert. Aus Gründen der Verständlichkeit werde ich es ebenso wie Marx halten, auch wenn Smith selbst den Begriff „Mehrwert“ nicht gekannt hat. Übrigens bezeichnet auch der Übersetzer der deutschen Ausgabe von Adam Smith‘ Hauptwerk, Horst Claus Recktenwald, in einer dem Buch vorangestellten „Würdigung“, dessen Theorie unter anderem als „Mehrwerttheorie“ (Recktenwald 1978, S. XLIII). Und dies, obwohl sich Recktenwald entschieden von der Marx‘schen Deutung distanziert.
5 Siehe Smith 1789, S. 273.
6 Ebd.
7 Ebd.
8 Ebd., S. 278.
9 Behrens 1948, S. 89.
10 Ökonomische Manuskripte 1863–1867. Teil 1 (Marx 1988), S. 112f.
11 Ebd.
12 Produktive Arbeit und Krise. Krise und Zusammenbruch bei Karl Marx und der Gruppe krisis. http://www.left-action.de/wkl/prodkrise.html 02.06.2004, S. 2.
13 Genau genommen gibt es eigentlich nur im Kapitalismus Arbeit. Von daher ist die kapitalistische Gesellschaft logischer Weise die einzige Gesellschaft, die überhaupt einen Begriff von produktiver Arbeit hat. Marx selbst war dagegen bekanntlich Anhänger eines unhaltbaren überhistorischen Arbeitsbegriffes, dieser Umstand tut jedoch der Richtigkeit seiner Analyse in dem Zusammenhang, um den es hier geht, keinen Abbruch.
14 Kapital II (Marx 1983b), S. 130.
15 Theorien I (Marx 1974), S. 127.
16 Produktive Arbeit und Krise. Krise und Zusammenbruch bei Karl Marx und der Gruppe krisis. http://www.left-action.de/wkl/prodkrise.html 02.06.2004, S. 2.
17 Behrens 1948, S. 99.
18 In der Tat benutzen z.B. kleine bewaffnete Banden in Somalia den Ausdruck „sich mit einer Straßensperre selbständig machen“, wenn es darum geht willkürliche Wegezölle zu erheben.
19 Ebd. 1924, S. 248. Anführungsstriche im Original.
20 Grundrisse (Marx 1983), S. 306.
21 Ebd., S. 513f.
22 Rubin 1924, S. 254. Es gibt von verschiedener Seite Bemühungen, die Zirkulationssphäre vollständig aus der Kritik zu nehmen, um sie damit dem Verdacht einer „vermeintlich schmarotzenden Vermittlungstätigkeit der Zirkulationssphäre“ zu entziehen und dadurch antisemitischen Tendenzen (im Zusammenhang mit dem unsäglichen und gefährlichen Stereotyp vom „raffenden Kapital“, das sich angeblich im Gegensatz zu einem positiv aufgefassten „schaffenden Kapital“ befindet) schon sehr früh zu begegnen. Es ist völlig klar, dass solche antisemitischen Tendenzen mit aller Schärfe zurückgewiesen werden müssen. Allerdings kommt man auf eine solche üble Trennung nur, wenn man produktive Arbeit als positive Kategorie fasst, die sich darüber hinaus auch noch problemlos von derjenigen der unproduktiven Arbeit trennen ließe. Aber Produktion und Zirkulation können nur als untrennbare Einheit gefasst werden – ohne das eine verliert das andere seine Funktion. Eng damit zusammen hängt die Tatsache, dass die gesamte Veranstaltung nichts positives darstellt. Produktive Arbeit ist keine positive Kategorie, sondern nicht mehr und nicht weniger als ein lebenswichtiges Element für ein krankmachendes, destruktives und immer gefährlicher werdendes Gesamtsystem: „Nur wer denkt, es bestünde Identität zwischen produktiver Arbeit und Herstellung nützlicher Dinge, könnte vertreten, dass produktive Arbeit anders definiert werden könnte als ‚Kapital vermehrend‘“ (Produktive Arbeit und Krise. Krise und Zusammenbruch bei Karl Marx und der Gruppe krisis. http://www.left-action.de/wkl/prodkrise.html 02.06.2004, S. 5).
23 Grundrisse (Marx 1983), S. 526.
24 Rosdolsky 1968, S. 398.
25 Siehe auch Grundrisse (Marx 1983), S. 519.
26 „Mein Geld arbeitet für mich“, pflegen unbedarfte Anleger daherzusagen und liegen damit voll daneben. Geld vermehrt sich nur, wenn es in Rohmaterialien und Produktionsmitteln angelegt und, durch produktive Arbeit veredelt, zur Ware wird, die schließlich durch Verkauf in Geld zurückverwandelt wird. Der höhere Wert, der am Ende dieses Prozesses vorhanden ist, wird nur an der Stelle zugesetzt, an der die Arbeit geleistet wurde. Nicht Geld arbeitet, sondern immer nur reale Menschen: „[…] mit eigenen Augen gesehen habe ich es nie, wie das Geld arbeitet. Entweder habe ich Geld gesehen oder Arbeiter“, sagt der tumbe Bankkassierer, der in Max Frisch‘ Stück „Graf Öderland“ (1980, S. 313) zum Mörder wurde, und kommt damit der Wahrheit ziemlich nahe.
27 Theorien III (Marx 1968), S. 447f.
28 Dieser Gedanke stammt von Bischoff, Ganßmann, Kümmel, Löhlein,1969, S. 84.
29 Siehe in Theorien über den Mehrwert I (Marx 1974), S. 250.
30 „Transportkosten sind Produktionsprozesse, die nur in der Zirkulation fortgesetzt werden“ (Kapital II, S. 69).
31 Rubin 1924, S. 248.
32 Wäre es anders, könnte man in der Tat den Wert der Waren erhöhen, indem man unzählige Zollhäuschen errichtet oder Bearbeitungsgebühren für einen künstlich geschaffenen Verwaltungsaufwand erhebt.
33 Kapital II (Marx 1983b), S. 150.
34 Altvater, Huisken 1969, S. 73ff.
35 Siehe z.B. Behrens 1948, S. 86.
36 Rubin 1924, S. 243: „Selbständige „Handwerker und Bauern gehören weder in die Kategorie der produktiven noch der unproduktiven Arbeiter“.
37 Ökonomische Manuskripte 1863–1867. Teil 1 (Marx 1988), S. 111.
38 Siehe auch Theorien III (Marx 1968), S. 563f.
39 Siehe Behrens 1948, S. 101. Leider ergeht sich Fritz Behrens anschließend in klassenkämpferischen Deutungsmustern, die im Zusammenhang einer wertkritischen Betrachtungsweise nicht weiter interessant sind.
40 Faktisch gibt es selbst hier Privatisierungstendenzen. Es sind bezeichnender Weise gerade solche, die eng mit direkter Gewaltausübung zusammenhängen, nämlich private Sicherheitsdienste und Söldnerarmeen. Deren Arbeit bleibt trotzdem unproduktiv, denn hier bestehen die Zugewinne nur aus anderswo erzeugtem Wert. Die „Arbeit“ dient lediglich dazu, dafür zu sorgen, dass der Besitz in den „richtigen“ Händen bleibt. Sollten gar Raubzüge verübt werden, dann geschieht die Aneignung von woanders erzeugtem Wert gänzlich unverhüllt.
41 An den folgenden Überlegungen hat Ernst Lohoff einen maßgeblichen Anteil. Sie beruhen auf einer intensiven Debatte, die größtenteils auf dem Wege der elektronischen Post erfolgte.
42 Rubin (1924, S. 243) bezieht sich allein auf die Rechtsform und macht es sich damit etwas zu leicht.
43 Mehr dazu im Schlusskapitel.
44 Dieser Abschnitt entspricht inhaltlich weitgehend meinem Artikel „Wechselseitige Geiselhaft“, den ich in den Streifzügen (Streifzüge 34/2005, S. 34) veröffentlicht habe. Siehe zum gleichen Thema auch das Buch von André Gorz: „Wissen, Wert und Kapital“, Zürich 2004.
45 Das gilt nicht nur Wissen in Form von Software, sondern auch für Produkte der Musik- und der Filmindustrie. Daraus erklärt sich auch die hysterische Kampagne, die zur Zeit gegen so genannte „Produktpiraten“ geführt wird.
46 Lohoff, Meretz 2003 S. 7.
47 Die Geldäquivalente spiegeln ein Kräfteverhältnis und nicht ein Äquivalenzverhältnis (Gorz 2004, S. 66).
48 Siehe z.B. Meretz 2003.
49 Gorz 2004, S. 41. Eckige Klammern von mir, runde Klammern und Hervorhebungen im Original.
50 Nachdem die Nachfrage an Personal im IT- und Finanzbereich nicht nur gesunken ist, sondern sogar wiederholt Entlassungswellen über diesen Bereich hereingebrochen sind, beschränken viele Experten ihre Hoffnungen nunmehr kleinlaut auf den Bereich der personennahen Dienstleistungen. Dieser erscheint geradezu als letzter Rettungsanker (Siehe etwa Bender und Graßl 2006, S. 26).
51 Änderungstendenzen bestehen zur Zeit darin, die Universitäten einer stärkeren Gewinnorientierung zuzuführen, indem ihre Finanzierung zunehmend auf Studiengebühren und die Einwerbung von privatwirtschaftlichen Forschungsmitteln umgestellt wird.
52 Diese Formulierung stammt von den bürgerlichen Ökonomen Bender und Graßl 2006, S. 26.
53 Faktisch treten bekanntlich erst einmal zunehmende Verschlechterungen ein, bevor es letztlich zum völligen Fortfall der Leistungen kommt.
54 Es handelt sich im Prinzip um nichts anderes als um hochprofessionalisiertes Anpreisen der Ware. Wie beim Gefeilsche auf einem Basar wird auch in diesem Fall die angebotene Ware um keinen Deut besser oder wertvoller: Das Anpreisen der Waren ist keine produktive Arbeit.
55 In der Zirkulationssphäre stehen gerade die definitiv unproduktiven Dienstleistungsberufe der Bankangestellten, Börsenmakler und Finanzdienstleister sehr hoch im Kurs. Das hängt nicht nur mit dem systematischen Blackout der bürgerlichen Ökonomie zusammen, die nicht imstande ist, zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit zu unterscheiden. Ein wesentlicher Grund liegt vor allem darin, dass die besagten Tätigkeiten eng mit einer ganzen Reihe von nicht-realwirtschaftlichen Kapitalvermehrungsprozessen verknüpft sind, in denen unter Umgehung der Produktion fiktives Kapital geschaffen wird. Es handelt sich um Kredite und vor allem um spekulative Besitztitel wie Aktien, Anteile, Derivate etc., die das Versprechen in sich tragen, für Werte zu stehen, die erst in der Zukunft geschaffen (d.h. produktiv erarbeitet) werden. Sie stellen ein fiktives Kapital dar, das in der Marktwirtschaft längst keine Randerscheinung mehr darstellt. Seit den 80er Jahren hängt die gesamte reale Produktion am Tropf des fiktiven Kapitals. Das ist insbesondere von Kurz (1995) beschrieben worden. Diese fiktive Werterzeugung funktioniert zwar seit dem New-Economy-Crash, der im März 2000 begann, nur mehr schlecht als recht, aber trotzdem war dieser Crash nur ein Bruchteil einer großen Wertberichtigung, die immer noch aussteht.
57 Allerdings wird auch hier bereits gespart. So werden z.B. Gehälter von Polizisten gekürzt und auch Stellenabbau ist bei der Polizei kein Tabu mehr. Ferner werden Parlamente verkleinert und nicht zuletzt ist im Bereich der Justiz die Zusammenlegung von Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit sowie von Arbeits- und Amtsgerichten geplant.