Henryk M. Broders Krisenerektion als Prototyp
Andreas Exner
In der österreichischen “Kleinen Zeitung” vom 8. Oktober war Henryk M. Broder am Wort, seines Zeichens “Spiegel”-Reporter und Buchautor. “Warum aus dem Mann ein Sitzpinkler wurde” fragt Broder im Untertitel und weiß eine unterdrückte Mannheit hinter sich. Das harmlose Fäkalproblem dient Mann Broder dazu, die aktuelle Krise als Potenzmittel für die schlaffe Machoklasse anzupreisen.
Broder versteht sein Handwerk. So beruft er sich auf eine angebliche Feministin namens Fay Weldon, die vor kurzem den “Rollenwechsel” zwischen Mann und Frau beklagte. Ganze Nationen, so Broder, seien “feminisiert”. Den Islam greife man nicht an, sondern versuche ihn zu verstehen. Broder versteht die Welt nicht mehr. Doch versteht Broder gut, wo der Hund begraben liegt:
“Kaum ein Mann, der nicht gepierct wäre, keine Drogerie oder Parfümerie, die nicht spezielle Produkte für den Mann anbieten würde. Die Cafes sind voll mit parlierenden Männern, die offenbar weder einer geregelten Arbeit nachgehen noch eine Familie ernähren müssen.”
Wahrlich, wie kann sich der deutsche Mann da ernsthaft gegen Mullahs wehren?
“Dass die Feminisierung des Alltags in Deutschland sich dermaßen flächendeckend durchsetzen konnte, hat mit der deutschen Sprache zu tun”
weiß Broder. Das Binnen-I ist nämlich schuld. Was ihn daran stört ist weniger, dass es nun PolitikerInnen und deren WählerInnen gibt. Vielmehr klagt Broder:
“Die sprachlichen Verrenkungen finden dort eine Grenze, wo es um ein sozial verwerfliches Verhalten geht. Spekulanten und Verbrecher bleiben exklusiv männlich, ebenso Antisemiten und Kinderschänder.”
Da ist Schluss mit lustig. Dass sich an der Börse nicht SpekulantInnen, sondern vor allem Spekulanten tummeln, ist Broder offenbar entgangen. Auch von KapitalistInnen zu sprechen, macht wenig Sinn, detto von KinderschänderInnen. Lediglich die AntisemitInnen und VerbrecherInnen dieser Welt dürften dem Gleichverhaltensgrundsatz Broders nahe kommen.
Dass Broder sich über “Latzhosen” und “Piercing” beklagt ist freilich nur das Vorspiel. Denn jetzt geht’s um’s Ganze. Endlich ist die Krise da. Echte Männer, handelt.
“Eine Gesellschaft, in der mit großer Leidenschaft über das Kilometerpauschale diskutiert wird, kann sich solche Eskapaden leisten – so lange, wie sie nicht mit existenziellen Problemen konfrontiert wird. Dann aber stehen die Sitzpinkler aller Disziplinen auf und erklären das Ende der Gemütlichkeit.”
Also wird Broder ungemütlich. Keinen Spaß versteht die Krise. Da muss man schon unterscheiden können zwischen harten Zahlen und dem Wohlgefühl der Kuschler. Weicheier, Warmduscher und Latzhosenträger, Gepiercte und Parfümierte, kurz: alles was echten Männern wie Broder seit den Siebzigern ein Dorn im Auge ist – blamiert sich nun vor dem unbarmherzigen Urteil der Ökonomie. Man könnte sicher sein, dass der echte Mann sich daran erigiert, wäre da nicht das Binnen-I:
“Die Krise rast auf den Abgrund zu, nur die politisch korrekte Idiotie bewegt sich nicht von der Stelle.”
Mit Broder lässt sich illustrieren, was angesichts der historischen Gesellschaftskrise droht: Der monotone Heteromann, angeknackst, aber noch lange nicht Vergangenheit, wird versuchen, verlorene Positionen wieder einzunehmen. Er will die Krise nicht als Resultat des Kapital und Arbeit gewordenen Männertums begreifen, sondern projiziert sie auf ihr genaues Gegenteil. Plötzlich sollen die Befreiung von öden Rollenbildern, der Kampf gegen die geregelte Arbeit und die Flucht aus der Familie Schuld am Elend haben.
Tatsächlich gibt es davon nicht zuviel, sondern zuwenig. Die Befreiung ging nicht weit genug. Sie kam über erste Schritte nicht hinaus. Vor allem aber konnte sie keine tragfähige Perspektive entwickeln, die ein Leben jenseits von Lohnarbeit, Geld, Ware, Staat und Kapital möglich macht. Und genau das ist der Grund, warum nun die Krise kommt.
In der Krise von Mann-Kapital wird eine umfassende Befreiung möglich. Das heißt aber noch lange nicht, dass diese Chance auch genutzt wird. Der autoritäre Charakter sucht Halt für sein schwaches Ich in der Identität mit einem phantasierten Kollektiv und eingebildeter Natürlichkeit. Die Stehpinkler aller Länder holen aus zum Gegenschlag, sobald die Gelegenheit sich bietet. Schon ist etwa abzusehen, wie echte Männer versuchen werden, ihren Herrschaftsanspruch mit einer “natürlichen Arbeitsteilung” zu begründen.
Das wird klar, wenn man James Howard Kunstler liest. Kunstler gelang in den USA ein Buch-Hit mit dem Titel: “The Long Emergency. Surviving the End of Oil, Climate Change, and Other Converging Catastrophes of the Twenty-First Century”, sinngemäß übersetzt: “Der lange Notfall. Wie wir das Ende des Öls, den Klimawandel und die Katastrophen des 21. Jahrhunderts überleben.” Kunstler begreift die große Krise in vielen Punkten richtig als die Krise eines Zivilisationsmodells, das nicht zuletzt auf unbeschränktem Ressourcenverbrauch beruht. Doch wo Kunstlers politischer Horizont sichtbar wird, schlägt seine Analyse um in Ideologie.
Mehrmals betont Kunstler, dass seine katastrophische Sicht der kommenden Entwicklung in den USA nicht seinem Wunsch entspreche. Er beschreibe lediglich das wahrscheinliche Szenario. Da wird man stutzig. Kann es sein, dass Kunstler das Bild, das er malt, vielleicht insgeheim gar nicht so schlecht gefällt?
Der Verdacht erhärtet sich, wenn Kunstler gegen Ende plötzlich gegen Schwarze schimpft. Als Vorbereitung dient ihm dazu, ähnlich wie bei Broder, der Angriff auf das, was er “politische Korrektheit” nennt. Und dann kommt es dick. Gegen Black Power gewandt, schreibt Kunstler
“Weiße ‘Progressive’ haben tragischerweise diese Ideologie unterstützt, zusammen mit einer Ablehnung der Mainstream-Kultur selbst, und zwar vor allem um die Assimilation in diese Kultur zu entwerten. Das Resultat war extrem unglücklich.”
Folglich, so Kunstler, sei es nicht verwunderlich, dass Schwarze nicht mehr in die Mittelklasse aufsteigen wollten und deshalb in der Armut hängen blieben. Das Problem liegt für Kunstler auf der Hand:
“Es gibt wirkliche politische Probleme hinsichtlich der schwarzen Unterklassen-Minderheit in Amerika, und das bedeutendste davon scheint zu sein, wie lange es noch für eine signifikante Zahl von ihnen leistbar sein wird, es abzulehnen, erwachsen zu werden.”
Denn die Schwarzen sind im Grunde Kinder, muss man daraus schließen. Bis jetzt füttere der US-Staat sie durch, meint Kunstler. Aber nach Peak Oil nicht mehr lange. Dann müssen sie endlich arbeiten.
“Der Lange Notfall wird in Hinblick auf persönliche Verantwortlichkeit, zivile Kooperation und die Fähigkeiten eines Erwachsenen derart viel von den Individuen verlangen, sodass eine große Zahl von Menschen nicht in der Lage sein wird, damit umzugehen, und der Rest wird nicht dazu geneigt sein, die Grausamkeit oder das Fehlverhalten jener, die das nicht können, zu entschuldigen. Sie werden zu beschäftigt sein für ihr Essen zu arbeiten und dafür, es warm zu haben.”
Kunstlers Krisenkonservativismus tritt, wie bei Broder, zusammen mit dem Haß gegen die Fahnenflüchtigen der Arbeit auf:
“Im Langen Notfall wird niemand etwas für nichts bekommen.”
Und für den Fall, dass jemand dennoch auf dumme Gedanken kommt, warnt Kunstler gleich im Anschluss:
“Erwartet nicht mehr soziale Gleichheit – erwartet davon sehr viel weniger.”
Und weiter:
“Moralische Standards werden das therapeutische Gejammer ersetzen. Wir werden nicht mehr an den ‘Grundursachen’ von Fehlverhalten interessiert, sondern rasch bei der Hand damit sein, mit Fehlverhalten praktisch umzugehen, was nichts anderes heißt als dass die Gerechtigkeit wahrscheinlich hart und schnell sein wird.”
Als sprächen Katastrophen-Kunstler und Ureto-Broder über den großen Teich hinweg aus einem Mund, heißt es im “Langen Notfall”:
“Wiedereingeführte traditionelle Arbeitsteilungen dürften viele der vermeintlichen Siege der feministischen Revolution zunichte machen. Im Kontext der gewandelten Umstände werden diese veränderten Beziehungen als normal und unausweichlich angesehen werden.”
Also: Frauen, zurück an den Herd und auf das Feld. Nur Kinder dürft ihr keine kriegen. Da sieht Herr Kunstler nämlich ein Bevölkerungsproblem. Nichts anderes als der enttäuschte Spießbürger spricht da aus dem Ex-Rolling Stones-Journalisten, der, wie er sagt, “nominell Teil der Hippie-Bewegung war” und natürlich demokratisch wählt. Kein “wirkliches Geld” gibt es mehr in den USA, und auch keine “wirkliche Arbeit”, klagt er. Das wird die Krise endlich wieder richtig stellen. Echtes Geld für echte Arbeit von echten Männern. Man kann sich vorstellen, wie Broder dazu nickt.
Dieser Weg ist falsch. Der Kapital- und Arbeits-Mann ist der Krise tiefste Wurzel. Für einen Ausweg muss diese Charaktermaske fallen. Schwule und Lesben, Transgenders und Anti-Männer aller Länder, vereint und vereinigt Euch, parliert. Für eine freizügige Ökologie jenseits der Sittenwächter.