Ernst Lohoff
Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) hat dieser Tage das Wort „Finanzkrise“ zum Wort des Jahres 2008 gekürt – kein Wunder angesichts der Turbulenzen auf den transnationalen Geldkapitalmärkten. Mit dieser Wahl blieb sie allerdings schon wieder hinter der aktuellen Entwicklung zurück: die vom Platzen der Immobilien-Blase ausgelöste Krise tobt längst nicht mehr nur auf den Finanzmärkten, sondern hat mittlerweile längst die so genannte Realwirtschaft erreicht. Das erste prominente Opfer ist die Automobilindustrie. Nachdem das Jahr 2008 dieser Branche in Deutschland die schlechtesten Absatzziffern seit der Wiedervereinigung bescherte, sank im November die Zahl der Neuzulassungen noch einmal um 18 Prozent. Die hiesigen Autobauer lassen seit Wochen kurzarbeiten und ihre Zulieferer melden Land unter. Für das kommende Jahr ist mit Entlassungswellen zu rechnen. Noch schlimmer sieht es freilich auf dem US-Markt und für die US-amerikanische Konkurrenz aus. Allein im November schrumpfte der Autoabsatz in den USA noch einmal um ein Drittel. Dabei hatten die seit Jahren defizitär wirtschaftenden „Großen Drei“, General Motors, Ford und Chrysler, schon im dritten Quartal auf Halde produziert und dabei Barreserven in Höhe von 18 Milliarden Dollar verbrannt. Legt man diese Ziffern zugrunde, dann reicht das 17 Milliarden Dollar schwere „Rettungspaket“ der Bush-Administration gerade mal aus, um den Exitus um einige Wochen hinauszuschieben.
Angesichts der gigantischen Überkapazitäten auf dem globalen Automarkt ist ein großes Konzernesterben überfällig und GM und Chrysler sind dazu prädestiniert als erste über die Klinge zu springen. Gemessen an den Unsummen, die notwendig wären, um diese Konzerne von den Spitzenplätze der Sterbeliste zu kriegen, handelt es sich bei der jetzt gewährten Staatshilfe nur um Peanuts. Rechnet man freilich die Sterbehilfe auf die einzelnen Arbeitsplätze um, so ergeben sich beeindruckende Zahlen. In den USA sind derzeit noch ein halbe Million Menschen in der Automobilindustrie beschäftigt. Wenn der amtierende Präsident 17 Milliarden Dollar zusammenkratzt, um das symbolträchtige Ende der automobilen heiligen Dreifaltigkeit in die Amtszeit seines Nachfolgers zu verschieben, dann sind das immerhin 34000 Dollar pro Job. Ein ganz schöner Preis für eine symbolische Aktion.
Es kommt weder von ungefähr, dass die Zweite Weltwirtschaftskrise vom Immobiliensektor ihren Ausgang nahm noch dass die beim einsetzenden Branchensterben die Automobilindustrie als erste über den Jordan geht. Beides hängt unmittelbar mit der Architektur des gerade kollabierenden Wirtschaftsregimes zusammen. Allgemein betrachtet beruht die weltwirtschaftliche Dynamik seit drei Jahrzehnten auf der Schaffung von Kreditketten und fiktiven Kapitalwerten. Der primäre Bezugspunkt dieses Treibens hat sich allerdings im Laufe der Zeit verlagert. In den 1990er Jahren verdankte die Weltwirtschaft ihre Dynamik vor allem der Kapitalisierung der in die so genannten Zukunftsindustrien gesetzten Hoffnungen. Damals befeuerte das im Zeichen der New Economy auf den Finanzmärkten kreierte fiktive Kapital die Weltwirtschaft direkt, indem es für Investitionen in die neuen Bereiche verausgabt und dabei zum größten Teil verbrannt wurde und indirekt, indem mit den wachsenden Aktienvermögen auch zusätzliche zahlungsfähige Nachfrage für die klassischen Industriegüter entstand. Nach dem New Economy-Crash von 2001 hielt dagegen vor allem die über den pazifischen Defizitkreislauf vermittelte Spekulation auf immer weiter steigende Immobilienpreise in den USA und die explosionsartige Ausdehnung der dortigen privaten Konsumentenkredite die Weltwirtschaft auf Touren. Die Schlüsselrolle des privaten Kredits verteilt sich dabei aber nicht in gleichem Maße auf alle Konsumgüter, sie erreicht vielmehr bei jenen die mit Abstand höchste Konzentration, die Langlebigkeit mit einem hohen Preis verbinden. Neben dem mit der Immobilienspekulation zum Pseudoinvestionsgut aufgestiegenen Eigenheim ist das aber vor allem das Auto. Selbstredend muss dann freilich auch der Rückschlag, die Kontraktion des privaten Konsumentenkredits, die Produzenten dieser Güter als erste mit voller Wucht treffen. Das werden nicht die letzten Verkehrsopfer der Krisenfahrt sein.