… und der Widerstand gegen RFID
Streifzüge 42/2008
Stefan Meretz
RFID ist die Abkürzung von Radio Frequency Identification. Es handelt sich um eine Funktechnik zur kontaktlosen Erkennung von elektronischen Chips. Mit Hilfe von speziellen Lesegeräten können solche Funkchips auf eine bestimmte Entfernung ausgelesen werden – unabhängig davon, worauf oder worin sie angebracht wurden. Auf diese Weise kann der Weg von Gütern oder auch Lebewesen verfolgt (“getrackt”) werden. Die RFID-Technik ist in jüngster Zeit durch die neuen elektronischen Reisepässe in der EU bekannt geworden. Die Technik ist jedoch wesentlich älter. Unter dem Slogan “Internet der Dinge” vollzieht sich die eigentliche Revolution im Bereich der Logistik.
Die Leistungsfähigkeit von RFID-Chips umfasst ein großes Spektrum – je nach Anwendungsfall. Sie können Miniaturformat haben und nur passiv ausgelesen werden oder handtellergroß und mit Batterie versorgt auch wieder beschreibbar sein. Sie werden eingesetzt zur Kennzeichnung von elektronischen Bauteilen, die nach Gebrauch automatisch recycelt werden können, zur Identifikation gefährlicher Güter, zur Rückverfolgung von Produkten an ihren Ursprung, zur Archivierung in Bibliotheken, zur Optimierung von Fertigungsprozessen usw. Und selbstverständlich setzen Kontrollfanatiker und Militärs auf die RFID-Technik – lassen sich doch Gegenstände orten, Personen identifizieren, militärische Operationen steuern, Bewegungsprofile erstellen usw.
Die wesentliche Leistung der RFID-Technologie ist die Möglichkeit der informationalen Verdopplung realer Produktbewegungen. Jedes einzelne Gut kann – logistische Kapazitäten vorausgesetzt – an bestimmte Ziele dirigiert werden. Unter den Bedingungen der Verwertungslogik erfährt die “Bewegung von Sachen” (Marx) eine sinnlich nachvollziehbare Daten-Repräsentation im Computersystem. Gleichwohl ist es weiterhin so, dass wir unter “deren Kontrolle … stehen, anstatt sie zu kontrollieren”. Der Fetischismus ist nicht aufgehoben, er ist aber aufhebbar.
Setzen wir eine a priori gesellschaftliche Produktion voraus, so kann diese informational geplant und simuliert werden, noch bevor die reale Bewegung in Gang gesetzt wird. Planung bedeutet in diesem Fall jedoch nicht Zentralplanung, sondern dezentral gesteuerte Sammlung der Bedürfnisse. Die Kollektion der Bedürfnisse kann dabei sowohl eine automatische Registrierung der Produktabflüsse per RFID-Chip wie auch eine explizite Eingabe individueller und kollektiver Wünsche und Vorhaben sein. Auf höherer Ebene können diese Informationen aggregiert und transparent für alle dargestellt werden. Erst auf diese Weise ist eine Einschätzung und soziale Vereinbarung darüber notwendig, welche Ziele auf welche Weise in welchen Zeiträumen umgesetzt werden können und sollen.
Die Sachen werden sich also weiter bewegen, der Antrieb der Bewegung ist jedoch nicht mehr der Verwertungsimperativ, sondern es sind die vielfältigen Bedürfnisse, deren Unterschiedlichkeit der gesellschaftlichen Vermittlung bedürfen – allerdings bevor die Umsetzung beginnt. Auf diese Weise können automatische Prozesse real eine entlastende Funktion erfüllen. Der Einzelne muss sich nicht um alles kümmern, sondern um genau das, was ihm/ihr liegt und wo er/sie auch wirklich fachlich kompetent ist. Der Kommunismus der Dinge hilft, die Dinge gemäß den allgemeinen Bedürfnissen zu bewegen.
Diese Ideenskizze bleibt weit hinter den realen Möglichkeiten zurück, die sich entfalten könnten, wenn erst einmal die destruktive Ex-Post-Logik der Marktwirtschaft abgeschaltet wurde. Vorerst haben wir es jedoch noch eine Weile genau damit zu tun. Jenseits des bornierten Geldvermehrungszwecks sinnvoll einsetzbare Vermittlungstechnologien wie RFID bekommen so jedoch eine völlig andere Funktion: Profitmaximierung, Kontrolle, Repression.
Wie nahezu jede Technologie, so dient auch RFID dazu, den Einsatz lebendiger Arbeit einzusparen. Das ist grundsätzlich sinnvoll, unter Verwertungsbedingungen jedoch doppelt problematisch. Zum einen wird die Existenz jener Menschen angegriffen, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben. Zum anderen wird die Reproduktionsfähigkeit des warenproduzierenden Systems insgesamt unterminiert, wenn immer weniger Arbeitskraft verwertet werden kann.
Nach der Logistik im Hintergrund kommt der Verkauf an die Reihe. Kassen werden abgeschafft, Waren beim Ausgang automatisch registriert, das Geld vom Konto abgebucht – natürlich mit Bonus für die Kunden. Die vorbereitende Dressur mit Payback-Karten war erfolgreich (Mangelhaft Dressierte sehen unter payback.de nach.) Profile der Warenmonaden gibt es per Mausklick, der Werbemüll kann zielgenau abgeworfen werden.
RFID wird zunehmend auch dafür eingesetzt, Kontrollfunktionen auszuführen: von der Gesundheitskarte, über das Fußball-Ticket und den ÖPNV-Fahrschein bis hin zum Geldschein. Obwohl ursprünglich geplant, ist allerdings der RFID-Euro-Schein dann doch nicht gekommen. Das wäre zu schön gewesen, hätten doch die Sicherheitsbehörden eine ideale Methode zum Personen-Tracking zur Verfügung gehabt.
Wenig spaßig ist die Implantation von Funkchips unter die Haut, um auf diese Weise die Beschäftigten eines Unternehmens registrieren und kontrollieren zu können. Durch Piercing bereits konditioniert, finden manche allerdings auch nichts dabei, die Eintrittskarte für die Disko unter der Haut zu haben. Vielleicht erscheint bald die “elektronische Fußfessel” wie ein Relikt aus einer grauen Vorzeit. Zum staatlichen und privaten Kontrollwahn passen die aktuellen Gesetze zu Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchung von Computern.
Brisant sind die gelungenen Cracking-Demonstrationen. Durch manipulierte Chips können die Daten im Zielsystem verfälscht, Geldbewegungen ausgelöst, Systemabstürze provoziert und Viren in die RFID-Serversysteme eingeschleust werden. RFID-Chips und verarbeitende RFID-Server bilden eine Systemeinheit, wobei jeder RFID-Scanner eine Dateneingabestelle darstellt. Während die Schnittstellen herkömmlicher IT-Systeme minimiert werden, um sie besser schützen zu können, ist jeder zusätzliche Scanner im RFID-System ein neues potenzielles Angriffsziel.
Horror und Befreiung liegen eng beieinander, doch die Befreiung nehmen uns die Dinge nicht ab: Das Internet der Dinge wird nur zum Kommunismus der Dinge, wenn wir es tun.
Mehr: kurzlink.de/rfid-fiff, kurzlink.de/rfid-verdi, stoprfid.de