09.11.2009 

Gedoptes Wachstum

Tomasz Konicz

Konjunkturprogramm läßt Chinas Wirtschaft trotz Krise zulegen. Deutliche Zeichen spekulativer Blasenbildung am Finanz- und Immobilienmarkt

China boomt weiter, der Immobilienmarkt bricht alle Rekorde. 56,6 Millionen US-Dollar erzielte die Firma Henderson Land beim Verkauf einer Hochhauswohnung in Hongkong, berichtete die New York Times (NYT) Mitte Oktober. Das Unternehmen sprach von einem Quadratmeterpreis, der in dieser Höhe bislang »nirgendwo sonst« erzielt wurde. Ein weiterer Wohnungsverkauf aus dem September macht deutlich, welcher Wahnsinn derzeit auf Teilen des chinesischen Immobilienmarktes dominiert. So habe laut NYT ein »lokaler Geschäftsmann« ein Luxusappartement von knapp 76 Quadratmetern für 25,4 Millionen US-Dollar gekauft – Quadratmeterpreis rund 322000 US-Dollar. Mitte Oktober warnte der Chef der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong, Donald Tseng, vor spekulativen Tendenzen auf dem Immobilienmarkt der Metropole. Er sprach von der »Möglichkeit einer Immobilienblase«. Dabei bildet Hongkong keine Ausnahme in China. Alle chinesichen Megacitys – kaum eine hat unter zehn Millionen Einwohner – verzeichnen einen rasanten Anstieg der Grundstücks- und Immobilienpreise. Der private Nachrichtendienst Strategic Forcasting (Stratfor) bezeichnet in einer Analyse vor allem die vier Städte »ersten Ranges« (Peking, Shenzhen, Guangzhou und Schanghai), sowie 20 weitere Provinzhauptstädte und Küstenmetropolen als Zentren eines enormen Immobilienbooms. Dessen Ursprünge können bis zu den Kürzungen beim sozialen Wohnungsbau 1998 sowie der Legalisierung von privatem Wohnungseigentum zurückverfolgt werden.

Die Privatisierung habe »die chinesische Wahrnehmung von persönlichen Eigentum geändert und so einen wichtigen Einfluß auf den Immobiliensektor ausgeübt«, so Stratfor. Wohnungen seien auch in China eine finanzielle Investition. Nun drohe eine ähnliche Entwicklung, wie sie sich auch bei der Blasenbildung in den USA vollzog: »Die steigenden Landpreise würden schließlich die Immobilienpreise außerhalb der Reichweite der Bevölkerung« katapultieren. Stratfor nennt als Beispiel die Stadt Guangzhou (Kanton), in der der Quadratmeterpreis zwischen 2003 und 2007 um 700 Prozent gestiegen ist. Das Lohnwachstum im selben Zeitraum betrug nur 24 Prozent. Der Nachrichtendienst zitiert auch aus einer 2006 durchgeführten Studie der Nationalen Kommission für Reformen und Entwicklung, die sich den Disproportionen zwischen Immobilienpreisen und Einkünften widmete. In vielen Städten lag demnach die Relation zwischen dem Wachstum der Haus- und Wohnungspreise und dem der Löhne bei 21 zu eins, in Peking betrug sie sogar 27 zu eins.

Einen ersten kurzen Einbruch erlebte der Immobilienmarkt Ende 2007. Doch seit die Staatsführung Anfang 2009 ein gewaltiges Konjunkturpaket aufgelegt hat, sind die Wohnungspreise wieder auf einem Höhenflug. Umgerechnet 586 Milliarden US-Dollar wendet Peking insgesamt zur Stützung der Wirtschaft auf, das sind etwa 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der drittgrößten globalen Wirtschaftsmacht. Inzwischen treten Phänomene auf, die an jene US-»Flipper« erinnern, die auf dem Höhepunkt der dortigen Immobilienspekulation einen schnellen Dollar zu machen versuchten. Einem Report des Immobilienforschungsinstituts Shanghai Yiju Real Estate zufolge sind in Peking 16,6 Prozent aller neuerbauten Wohnimmobilien ungenutzt, wobei der Leerstand in einigen Stadtteilen sogar 30 Prozent erreicht. Es sind bereits verkaufte Objekte, deren Besitzer sie einzig und allein aus spekulativen Erwägungen erworben haben. Während immer weniger Menschen sich den Kauf eines Hauses leisten könnten, bestehe weiter exzessive Nachfrage nach »Investitionswohnimmobilien«, so Stratfor.

Den größten Anschub dieser Bonanza lieferte die expansive Geldpolitik der Notenbank. Die Geldmenge (M1) wuchs offiziellen Angaben zufolge in diesem Jahr um 24 bis nahezu 30 Prozent. Im September stieg sie im Vergleich zum Vorjahresmonat um 29,5 Prozent, in Juni lag dieser Wert bei 28,5 Prozent. Dabei wuchs die Wirtschaft im dritten Quartal »nur« um 8,9 Prozent.

In den vier Boomjahren bis 2008, als China zweistellige Zuwachsraten beim BIP verzeichnete, pendelte das Geldmengenwachstum zwischen 14 und 18 Prozent. Mehr Geld im Umlauf heißt natürlich auch enormes Kreditwachstum. Allein im ersten Halbjahr 2009 vergaben die chinesischen Banken Darlehen in Höhe von umgerechnet 736 Milliarden Euro – eine Verdreifachung des Kreditvolumens im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Ende September warnte der Internationale Währungsfonds Peking vor einer allzu laxen Geldpolitik, da hierdurch »Exzesse an den Finanzmärkten« befördert würden.

Die aufgenommenen Schulden wurden nicht nur für die Immobilienfinanzierung genutzt. Auch der Aktienmarkt profitierte von dem Geldstrom. So stieg z. B. der Shanghai-Stock-Exchange-Composite-Index von gut 1800 Punkten im Oktober 2008 auf inzwischen 3200 Zähler. Der Publizist und frühere Morgan-Stanley-Analyst Andy Xie geht davon aus, daß die chinesischen Aktien um etwa 50 Prozent überbewertet sind und prophezeite kürzlich eine substantielle Marktkorrektur im »vierten Quartal dieses Jahres«.

Auch der private Konsum konnte von der »exzessiven Geld- und Kreditmengenausweitung« profitieren, wie der Web-Blog »Wirtschaftsquerschuß« anhand des »explodierenden« Absatzes von Autos erläuterte. Demnach sind die Pkw-Verkäufe im September um 18,3 Prozent gegenüber dem Vormonat und um 83,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen. Derzeit sei das Wachstum in China »zu vier Fünfteln auf staatliche Stützungsmaßnahmen zurückzuführen«, gab die Frankfurter allgemeinen Zeitung (FAZ) die Meinung der Weltbank wieder. »Das war ein Wachstum mit Hilfe von Steroiden«, erklärte Michael Pettis, Professor für Finanzen an der Universität Peking, gegenüber der FAZ. Die Frage sei nun, so Pettis, »wie können sie aufhören, so viel Geld ins System zu pumpen, ohne das Wachstum stark zu drücken«.

Dieser Text ist erschienen in“Junge Welt” vom  24.10.2009