Der DGB veranstaltet einen Kapitalismuskongress und ruft zu einer Großdemonstration auf. Doch auch in der Krise träumen die Gewerkschaften weiterhin vom „Markt für die Menschen“.
jungle world 18/2009
Lothar Galow-Bergemann
In der Marktwirtschaft gilt das eherne Gesetz des Äquivalententausches: Was gibst du mir, was gebe ich dir? Die Waren werden zu einem bestimmten Wert getauscht. Schon Karl Marx hatte seine liebe Not damit, diesen Sachverhalt Leuten klarzumachen, die zutiefst davon überzeugt waren, der Kapitalismus beruhe auf Betrug. Wenn in Zeiten der mikroelektronischen Ausweitung der Produktivkraft immer größere Warenberge immer weniger Arbeit erfordern und folglich den auf Lohneinkünfte Angewiesenen die Löhne flöten gehen, ohne dass eine Alternative zum Lohnsystem in Sicht wäre, so lässt sich zwar mit Fug und Recht von beschissenen Zuständen reden. Aber Beschiss ist deswegen noch lange nicht im Spiel, handelt es sich doch um einen in der kapitalistischen Logik durchaus gerechten Äquivalententausch: Denn – so will es nun mal der Markt – wer nichts Brauchbares zu bieten hat, darf er auch nicht erwarten, etwas zu bekommen. Der gemeine oder von seinem Gefühl gesteuerte Antikapitalist hingegen glaubt innig daran, man könne den »betrügerischen Kapitalismus« in eine »menschliche Marktwirtschaft« verzaubern, ginge es nur endlich »gerecht« zu.
Auch der DGB-Vorsitzende Michael Sommer hängt diesem Irrglauben an. »Der Markt ist für die Menschen da«, überschrieb er jüngst einen Gastkommentar in der Financial Times Deutschland und warb dort auch gleich um »neue Werte für unternehmerisches Handeln« und dafür, »dass nachhaltiges, Beschäftigung schaffendes und ökologisches Wirtschaften kurzfristige Renditeerwartungen ersetzt«. Dafür müsse »ein starker Staat« sorgen. Wer solche Ausführungen gutheißt, wird den »Kapitalismuskongress«, den der DGB für Mitte Mai angekündigt hat, sicher kaum noch erwarten können. Ein Blick in das Programm bestätigt jedenfalls alle Befürchtungen. Um »Verantwortung statt Gier« und »Investition statt Spekulation« soll es dort gehen. Das lässt Analysen erwarten, die denen von Sommer an Tiefgründigkeit durchaus in nichts nachstehen dürften.
Mancher war trotzdem überrascht, als Sommer in der vergangenen Woche mit der Warnung vor »sozialen Unruhen« Schlagzeilen machte. Dabei waren die vermeintlich aufmüpfigen Worte des DGB-Vorsitzenden nicht neu. Bereits Ende März hatte er in der Wirtschaftswoche gewarnt: »Das soziale Klima kann sich sehr schnell drehen. (…) Die Gewerkschaften können auch anders.« Indes besteht kein Grund, Sommers Worte als »Aufstachelung zum Klassenkampf« zu interpretieren. Der bekennende Anhänger der Marktwirtschaft sorgt sich wohl eher, die Stimmung an der Basis könne irgendwann der Kontrolle entgleiten. Und die hektischen Reaktionen aus Politik und Medien, in denen jeden Tag aufs Neue betont wird, wie absurd Sommers Prognose sei, machen auch den Dümmsten darauf aufmerksam, dass der DGB-Vorsitzende mit dieser Sorge keineswegs allein steht.
Doch es handelt sich eher um präventive Überlegungen. Selbst wenn die Gewerkschaften wirklich anders wollten – wofür es herzlich wenig Anzeichen gibt – bliebe fraglich, ob sie es denn überhaupt könnten. Bisher jedenfalls verhalten sich die deutschen Lohnempfängerinnen und Lohnempfänger wie gewohnt und machen es ihrer Führung leicht. Ob Gewerkschaftsmitglied oder nicht, an der Basis ist es ruhig, die herrschende Krisenbewältigungsstrategie heißt: wegducken und ignorieren.
Diese Erfahrung mussten auch diejenigen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter machen, die Ende März zu zwei Demonstrationen in Berlin und Frankfurt am Main aufgerufen hatten. Zieht man von den etwa 55000 Teilnehmern (andere Schätzungen lagen teils deutlich unter dieser Zahl) alle ab, die von Attac bis zur Interventionistischen Linken dabei waren, so können die Demonstrationen kaum als Zeichen eines verbreiteten Kampfeswillens gedeutet werden. Sollte dieser jedoch wirklich einmal erwachen, muss er keineswegs zu begrüßen sein. Zwar waren auf den Demonstrationen mit der platten Losung »Wir zahlen nicht für eure Krise« durchaus auch Stimmen zu vernehmen, die darauf verwiesen, dass weder gierige Manager noch die USA schuld an der Krise seien, sondern vielmehr die Marktwirtschaft selbst die Ursache sei. Aber in vielen laut beklatschten Reden wimmelte es von Heuschrecken, Ackermännern, Zumwinkels, Zetsches und Schaefflers, die als »Täter«, »Umverteilungswölfe« und »Brandstifter« ausgemacht wurden.
»Die Profiteure sollen zahlen«, lautet eine beliebte Parole, die auch am 16.Mai zu hören sein wird, wenn der DGB im Rahmen eines europäischen Aktionstags zu einer bundesweiten Demonstration in Berlin lädt. Zwar liegt auf der Hand, dass man die gigantischen Summen, die die Krisenverwalter aufbringen, selbst mit sämtlichen Managerboni der Welt nicht annähernd bezahlen kann. Aber auch in den Gewerkschaften sitzt der Glaube tief, dass sich die Krise des Kapitalismus mit den Mitteln des Kapitalismus lösen lässt.
Ein anderer Glaubenssatz lautet, das Leben müsse und könne »nach der Krise« so weitergehen wie bisher. Niemand kommt auf den Gedanken, man könne sich vielleicht sogar ein besseres Leben machen. Losungen wie »Nie wieder Vollzeit arbeiten« oder »Schön, dass weniger Autos produziert werden« sucht man bisher jedenfalls vergeblich. Und nicht auszuschließen ist das Aufkommen eines Volkszorns, dessen Protagonisten nicht etwa das gute Leben für alle verlangen, sondern mit Schaum vor dem Mund einfordern, dass »die da oben« ebenfalls den Gürtel enger schnallen sollen. Dabei wäre es gerade derzeit bitter nötig, für umfassende Arbeitszeitverkürzungen, gegen die Rente mit 67 und für Mindestlöhne zu kämpfen.
Doch es tut sich hin und wieder auch Ermutigendes in den Gewerkschaften. Exemplarisch dafür ist der Streit um das ursprünglich von Sommer und anderen Funktionären zur »optionalen Verwendung« empfohlene Plakat zum 1. Mai: Auf diesem wurde dazu aufgefordert, »1a deutsche Muskelarbeit« gegen einen billigen »EU-Sonderpreis« zu verteidigen. Nach Protesten aus verschiedenen Gewerkschaftsgliederungen musste das Plakat zurückgezogen werden. Dass es anders geht, zeigt die Verdi-Jugend: Ihr Flugblatt mit dem Titel »Zur Lage des Systems« kommt tatsächlich nicht nur ohne Personalisierungen und »Heuschrecken« aus. Denjenigen, die »Schuldige« suchen, wird sogar bescheinigt, auf »dem Holzweg« zu sein. Und anders als Sommer halten die Autoren »die Zeit für eine andere Gesellschaft« als die kapitalistische für reif.