Warum der Islamismus nicht aus der Religion erklärt werden kann
Norbert Trenkle
Wie immer nach einem islamistischen Terrorakt, kreiste auch nach dem Massaker in der Redaktion von Charlie Hebdo und in dem jüdischen Supermarkt in Paris die öffentliche Debatte sogleich um die Frage, was denn nun „der Islam“ damit zu tun habe. Immerhin wurde diese Frage auf offizieller politischer Ebene und in den Massenmedien diesmal deutlich weniger aggressiv gestellt als bei vorangegangenen Anlässen. Es überwog der Tenor, die Gesellschaft dürfe sich nicht spalten lassen, und terroristische Gewalt sei von keinem religiösen Standpunkt aus zu rechtfertigen. Doch das klang ein wenig wie das berühmte Pfeifen im Walde. Denn es ist leider ziemlich klar, dass die Wahnsinnstaten von Paris Wasser auf die Mühlen des rassistischen und nationalistischen Fundamentalismus in ganz Europa sind, der immer lautstarker verkündet, der Islam sei seinem Wesen nach mit den Werten der „abendländischen Zivilisation“ nicht vereinbar und Muslime hätten daher hier nichts zu suchen.
Gegenüber dieser bis weit in die sogenannte gesellschaftliche Mitte verankerten Vorstellung erscheinen die Harmoniebekundungen der offiziellen Politik ziemlich hilflos. Das liegt nicht nur daran, dass rassistische Einstellungen gegenüber rationalen Argumenten ohnehin weitgehend immun sind, sondern am Bezugsrahmen des Diskurses selbst. Wenn Regierungspolitik und ein Großteil der Medien auf den von Le Pen, Pegida und UKIP ganz offen propagierten „Kampf der Kulturen“ mit der Forderung nach einem „Dialog der Kulturen“ antworten, übernehmen sie stillschweigend die Konfliktdefinition ihrer Gegner. Wie die Kulturkämpfer gehen sie davon aus, dass es um das Verhältnis von unterschiedlichen Religionsgemeinschaften und den darauf beruhenden „Kulturen“ gehe. Behaupten die einen, der Islamismus im Allgemeinen und der islamistische Terror im Besonderen seien im Islam angelegt, so beharren die anderen darauf, es handle sich hier um die falsche Interpretation einer Religion, die in ihrem „wahren Kern“ nicht mit Gewalt und Intoleranz vereinbar sei. Wer sich jedoch auf diesen diskursiven Bezugsrahmen einlässt, ist bereits gewollt oder ungewollt in die Falle des Kulturalismus getappt (vgl. Lohoff 2006).
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Phänomen des islamischen Fundamentalismus erfordert einen Standpunktwechsel und eine konsequente Kritik der kulturalistischen Imaginationen. Um es auf den Punkt zu bringen: Den Islamismus aus dem Islam erklären zu wollen, ist ungefähr genauso sinnvoll, wie der Versuch, den Nationalsozialismus aus der Nibelungensage oder den Edda-Liedern abzuleiten. Natürlich berufen sich die islamistischen Eiferer mit ebenso aufreizender wie ermüdender Penetranz auf den Koran und den Propheten, tatsächlich aber scheren sie sich einen feuchten Kehricht um theologische Diskussionen und Spekulationen; für sie ist der Islam das, was sie daraus machen, also genau das, was ihrem subjektiven, identitären Bedürfnis entspricht . Die überlieferten religiösen Erzählungen sind für sie nichts anderes als kulturelle Chiffren und Codes, deren sie sich bedienen, um ihren prekären Subjektstatus abzusichern. Die Islamisten sind alles andere als religiöse Traditionalisten, die den Zug in die Moderne verpasst hätten oder sich weigerten, auf ihn aufzuspringen. Es handelt sich vielmehr um höchst moderne, kapitalistisch geprägte Individuen, die gerade als solche den Halt in einem scheinbar mächtigen Kollektiv suchen, mit dem sie sich identifizieren können.
Dieser Drang zur Identifikation mit einem Kollektivsubjekt ist alles andere als neu. Er gehört zur konstitutiven Grundausstattung des modernen, für die Warengesellschaft formatierten Individuums und begleitet die Geschichte der Modernisierung seit dem frühen 19. Jahrhundert. Verwundern kann das nicht. Denn die Zumutung, sich gesellschaftlich als vereinzeltes Partikularsubjekt betätigen zu müssen, stets darauf bedacht, seine Privatinteressen durchzusetzen und die anderen Gesellschaftsmitglieder letztlich nur als Instrumente dieses Zwecks zu betrachten, diese Zumutung erzeugt das dringende Bedürfnis, in einer imaginierten Gemeinschaft aufzugehen, in der diese Vereinzelung und wechselseitige Instrumentalisierung scheinbar aufgehoben ist. Diese Identifikation mit einem Großsubjekt besänftigt zugleich das Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem eigenen Gesellschaftszusammenhang, der dem Einzelnen als versachlichtes Zwangsaggregat gegenübertritt, denn es bietet die ideale Projektionsfläche für kompensatorische Allmachtsphantasien. Standen dabei im Verlauf der kapitalistischen Durchsetzungsgeschichte zunächst die klassischen Großsubjekte Nation, Volk und Klasse im Vordergrund, so sind seit gut drei Jahrzehnten jedoch die Religionsgemeinschaften wieder groß im Kommen – und zwar keinesfalls nur im sogenannten islamisch geprägten Raum, sondern ebenso in Gestalt des protestantischen Fundamentalismus, der evangelikalen Sekten in Lateinamerika und Afrika, oder des Hindunationalismus. Makrogesellschaftlich liegen die Ursachen dieses globalen „Megatrends“ sicherlich im Niedergang der großen Säkularreligionen des bürgerlichen Zeitalters, insbesondere des Sozialismus und des Nationalismus, begründet. Denn im Zuge der krisenhaften Globalisierung ist der Staat als regulatives Gegengewicht zu den Imperativen des Marktes weitgehend entmachtet oder – wie in vielen Regionen der ehemaligen Dritten Welt – gleich ganz zermahlen worden, während gleichzeitig der quasi-religiöse Fortschrittsglaube des früh- und hochkapitalistischen Zeitalters tagtäglich von den sich verschärfenden ökologischen Katastrophen und dem zunehmenden sozialen Ausschluss dementiert wird.
Angesichts dessen erscheint vielen Menschen die Flucht in religiöse Jenseitsphantasien zunehmend als gangbarer Ausweg; aber das hat mit einer vermeintlichen Rückkehr zu traditionellen Formen der Religiosität rein gar nichts zu tun, auch wenn dies oft so interpretiert wird. Vielmehr haben wir es mit einer ganz und gar modernen Erscheinung zu tun, die man als Religionismus bezeichnen kann, eben weil sie den Platz der großen –Ismen einnimmt, die das bürgerliche Zeitalter bestimmt und geprägt haben (vgl. Lohoff 2008). Dieser grundlegend moderne Charakter kommt insbesondere auch im Verhältnis der Individuen zu den entsprechenden Identitätsangeboten zum Ausdruck. Ihre Zugehörigkeit zu einer religionistischen Gemeinschaft wird durch nichts anderes bestimmt als durch den persönlichen Willensakt der Individuen – mag dieser auch nicht unbedingt bewusst und rational vollzogen worden sein. Es ist genau dieser Akt, in dem sich die Individuen als moderne Willenssubjekte betätigen. Sie werden nicht in ein vorausgesetztes Universum bestimmter traditioneller und religiöser Werte, Überzeugungen und Praktiken hineingeboren, die sie dann wie selbstverständlich übernehmen; vielmehr müssen sie sich für oder gegen ein bestimmtes Identitätsangebot entscheiden – oder auch dafür, sich diesem Zwang zur Identifizierung zu verweigern.
Daher lautet die Frage, die angesichts des islamistischen Terrors gestellt werden muss, also nicht, was das mit „dem Islam“ zu tun habe, sondern warum unter all den Religionismen, die in den letzten Jahrzehnten entstanden und großgeworden sind, der Islamismus die Gestalt eines besonders aggressiven Gegenwurfs zu den sogenannten westlichen Werten angenommen und einen so starken terroristischen Flügel hervorgebracht hat. Diese Frage lässt sich aber nur beantworten, wenn wir sie aus dem Himmel windiger theologischer Spekulationen auf den Boden gesellschaftskritischer Analyse zurückholen und die spezifischen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, unter denen der Islamismus entstanden und wirkmächtig geworden ist, näher betrachten.
Zu diesen Bedingungen gehört ganz wesentlich das Projekt der nachholenden kapitalistischen Modernisierung in großen Teilen des Nahen und Mittleren Osten, ein Projekt, das nach dem Zweiten Weltkrieg unter den Vorzeichen des Befreiungsnationalismus, des Sozialismus und des Panarabismus zunächst mit großen Hoffnungen verbunden war, dann jedoch spätestens mit dem weltwirtschaftlichen Kriseneinbruch der 1970er Jahre scheiterte. Auch in anderen Weltregionen (vor allem in großen Teilen Afrikas und Lateinamerikas) hat dieses Scheitern ein ideologisches und identitäres Vakuum hinterlassen, das zum Teil religionistisch gefüllt wurde (so insbesondere in Gestalt der evangelikalen Sekten). In den muslimisch geprägten Ländern wurde jedoch eine spezifische Form des Religionismus entwickelt, die aufgrund ihres universalistischen Anspruchs (Bezug auf die globale Umma) eine hohe gesellschaftliche Bindekraft entfalten und an die Stelle der desavouierten Diesseitsreligionen des Nationalismus und des Sozialismus treten konnte. Damit verbunden war auch das Versprechen einer Erneuerung der Staatlichkeit jenseits der Verfallsformen der delegitimierten laizistischen Regime und ihrer nationalen Grenzziehungen, ein Versprechen, das sich zudem auf die angeblich göttlich begründete Gesetzesgrundlage der Scharia stützte (die freilich völlig willkürlich ausgelegt werden kann). Dieser politisch-universalistische Zug des Islamismus verschaffte ihm eine Anziehungskraft, Synthesefähigkeit und Wirkmächtigkeit, die den Religionismen in anderen Weltregionen abging. (Vgl. Lewed 2008 und 2010)
Gegenüber diesen anderen Religionismen hatte der Islamismus darüber hinaus noch den grandiosen ideologischen Vorzug, dass er sich gegen „den Westen“ in Stellung bringen und sich daher nicht nur durch die Konstruktion eines kollektiven Feindbilds absichern ließ, sondern außerdem neben dem Nationalismus und dem Sozialismus auch noch den Antiimperialismus beerben konnte. Das ist ein ideologischer Konkurrenzvorteil, den z.B. die evangelikalen Sekten in Lateinamerika und Afrika nicht haben, nicht nur, weil diese zum großen Teil von Predigern aus den USA und Europa ins Leben gerufen wurden, sondern weil sie sich ja gerade als Teil der sogenannten „christlichen Wertgemeinschaft“ definieren. Der Islamismus hingegen konnte in seiner Identitätskonstruktion mit Leichtigkeit auf die vorgängige historische Frontstellung zwischen „Abendland“ und „Morgenland“ zurückgreifen, die eine konstitutive Rolle bei der Formierung des „Westens“ spielte und daher als Projektionsfolie wunderbar geeignet war und ist, eine kollektive Identität in Abgrenzung von diesem „Anderen“ zu definieren. Verschärfend kam noch hinzu, dass auch im „Westen“ diese kulturalistische Frontbestimmung begierig aufgegriffen wurde, teils um das Scheitern der nachholenden Modernisierung zu „erklären“, das natürlich nichts mit der inneren Logik des grandiosen kapitalistischen Weltsystems zu tun haben durfte, das im Zuge seines fundamentalen Krisenprozesses ganze Weltregionen und ihre Bevölkerungen für „überflüssig“ erklärt; teils bestand aber auch schlicht der ideologische Bedarf, die eigene Kollektividentität nach dem Ende des Kalten Krieges durch die Erfindung eines neuen Weltfeindes abzusichern (vgl. dazu Trenkle 2008 und 2010). Nicht zufällig fällt die Veröffentlichung der paradigmatischen Hetzschrift von Samuel Huntington mit dem programmatischen Titel „Clash of Cultures“ in die ersten Jahre nach dem Zusammenbruch des sogenannten Realsozialismus, der ja selbst ein zentrales Kettenglied im Prozess des Scheiterns der nachholenden kapitalistischen Modernisierung darstellt (übrigens sind auch im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion die Religionismen sowohl in islamistischer wie in russisch-orthodoxer Gestalt heftig aufgeblüht).
Diese identitäre Frontstellung erfuhr zusätzliche Bestärkung noch dadurch, dass große Teile der muslimisch geprägten Weltregion in besonderem Maße von Krieg und Gewalt überzogen wurden, weil sie im Zentrum geostrategischer Interessen lagen und liegen. Das betraf natürlich insbesondere die Ölvorkommen, aber in Zeiten des Kalten Krieges auch den Kampf der Großmächte um Einflusszonen wie im Fall von Afghanistan, das in den Mühlen des Ost-West-Konflikt förmlich zermahlen wurde und in der Folge zu einem Hotspot des militanten Islamismus wurde. Hinzu kam noch der Israel-Palästina-Konflikt, der weit über seinen eigentlichen Charakter als relativ kleine, territorial begrenzte Auseinandersetzung hinaus in der arabischen Welt und der antiimperialistischen Ideologie mit einer ungeheuren symbolischen Bedeutung aufgeladen und zu einer Projektionsfläche des antisemitischen Ressentiments wurde, dessen Erbe der Islamismus ebenfalls antrat. Gerade an diesem Punkt wird noch einmal besonders deutlich, dass der Islamismus nichts mit dem traditionellen Islam, der gar keinen Antisemitismus oder Antijudaismus kannte, zu tun hat; dieser stellt vielmehr einen Import aus dem „aufgeklärten Westen“ dar und konnte im sogenannten muslimischen Raum erst im Zuge der nachholenden kapitalistischen Modernisierung Fuß fassen. (Vgl. Holz 2005)
Die ständigen Kriege und Bürgerkriege im Nahen und Mittleren Osten, verbunden mit entsprechenden Interventionen der Großmächte, trugen nicht nur dazu bei, die ganze Region extrem zu destabilisieren und die Voraussetzungen für eine einigermaßen kohärente kapitalistische Entwicklung und Weltmarktintegration zu zerstören, womit sie den Boden für die Attraktivität islamistischer Heilsversprechen bereiteten, sondern sie führten zugleich auch zu einer Brutalisierung von Generationen vor allem junger Männer, die im Zustand des permanenten, teils offenen, teils latenten Krieges sozialisiert wurden und eine entsprechende Bereitschaft zur Gewalt internalisiert hatten. Und schließlich war dies der Rahmen für die Erschaffung mystifizierter Heldengestalten, mit denen sich vor allem junge Männer (nicht nur aus den betreffenden Regionen) identifizieren konnten und können. Wurde schon Bin Laden weithin wie ein neuer Che Guevara gefeiert, so hat der IS die mediale Inszenierung und Heroisierung seiner Gräueltaten perfektioniert. Der militante Islamismus hat es auf diese Weise geschafft, den Status einer radikalen Protestkultur zu erlangen, was ihm einen ungeheuren Zulauf von opferbereiten Anhängern aus aller Welt beschert (vgl. Roy 2005).
Gerade hierin zeigt sich noch einmal deutlich der höchst moderne und keinesfalls traditionell-religiös bedingte Charakter dieser Bewegung. Sie liefert das Material für eine abgrenzende Identitätskonstruktion von durch und durch kapitalistisch formatierten Menschen (vor allem, aber nicht ausschließlich, jungen Männern), die häufig nicht einmal einen irgendwie gearteten familiären oder kulturellen Bezug zum Islam haben und sich durch ihre „Konversion auf regressive Weise gegen ihr Umfeld auflehnen. Freilich stellen, trotz einer großen Zahl von solchen „Konvertiten“, immer noch junge migrantische Männer mit familiären Wurzeln im sogenannten islamischen Krisenbogen die größte Gruppe der islamistischen Anhängerschaft in den kapitalistischen Kernländern dar. Aber das hängt nicht damit zusammen, dass sie aus einer bestimmten religiösen Tradition kommen würden, die sie nun wiederentdecken würden, sondern es lässt sich zumeist als Reaktion auf soziale und rassistische Ausgrenzung erklären.1 Das heißt nicht, dass es sich dabei um lauter chancenlose Marginalisierte handelt, die ohnehin nichts mehr zu verlieren hätten. Ausgrenzung verläuft häufig sehr viel subtiler und wird gerade von denjenigen als besonders kränkend empfunden, die durchaus die persönlichen Voraussetzungen für einen wie auch immer definierten sozialen Aufstieg in der Konkurrenz mitbringen, dabei aber immer wieder an nicht direkt sichtbare, von der Mehrheitsgesellschaft errichtete Schranken stoßen, die zu überwinden sehr viel Mühe erfordert. Ähnlich verhält es sich in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, wo es oft gerade die enttäuschten Mittelschichten sind, die sich dem Islamismus zuwenden, weil ihre gesellschaftlichen Aufstiegshoffnungen enttäuscht worden sind. Entscheidend ist also nicht, ob sich jemand in einer Situation „objektiver Armut“ befindet, sondern das subjektive Gefühl, zu den Verlierern zu gehören oder vom sozialen Abstieg bedroht zu sein. Und diese Ängste, die die kapitalistische Konkurrenz ohnehin permanent erzeugt, werden unter den Bedingungen des globalen Krisenprozesses in besonderem Maße geschürt.
Genau darin liegt eine grundlegende Gemeinsamkeit zwischen den islamistischen Eiferern und ihren militanten Feinden von Pegida und Front National begründet. Treibende Kraft ist in beiden Fällen der regressive Impuls, den durch die Krise erzeugten sozialen Druck durch die Abgrenzung von einem imaginierten Feind abzuführen (vgl. Bierwirth 2015). Demgegenüber führt es völlig in die Irre, eine „interkulturelle“ und „interreligiöse“ Verständigung zu fordern; denn wir haben es hier nicht mit einem Konflikt zwischen verschiedenen „Kulturen“ zu tun, sondern mit einer aggressiven Polarisierung zwischen verschiedenen regressiven Kollektividentitäten innerhalb der kapitalistischen Weltgesellschaft, eine Frontstellung, die übrigens selbst zu einem Moment der globalen Krise gerät, indem sie eine Art permanenten Kriegszustand herbeiführt. Hilflos ist es demgegenüber auch, die republikanischen bzw. demokratischen Werte Freiheit und Gleichheit hochzuhalten. Denn diese Werte haben ihre Strahlkraft längst verloren, weil sie durch soziale und rassistische Ausgrenzung, die Ökonomisierung aller Lebensbereiche und die zunehmend kontrollstaatlichen Züge auch in den westlichen Demokratien ausgehöhlt worden sind. Nötig ist vielmehr eine neue emanzipative Orientierung, die auf eine Aufhebung der kapitalistischen Logik und ihrer irrsinnig werdenden Subjektivität zielt.
Fußnote:
1 In der Zusammenfassung einer Fachtagung zum Salafismus heißt es über die Jugendlichen, die sich dieser Strömung anschließen: „Jugendliche bewundern an salafistischen Predigern, dass sie sich nicht von der offenen Ablehnung einschüchtern lassen, die ihnen entgegenschlägt. Im Gegenteil: Sie verteidigen offen ihre Standpunkte und lassen sich nicht den Mund verbieten.“ Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Abgrenzung von der eigenen Elterngeneration, die sich, so die Wahrnehmung der Jugendlichen, defensiv zu einer Situation der gesellschaftlichen Marginalisierung und des verweigerten sozialen Aufstiegs verhält. Der Salafismus bietet hier eine Möglichkeit, wieder in die Offensive zu kommen, Handlungsfähigkeit zu erlangen und damit das Ohnmachtsempfinden auf regressive Weise zu überwinden. Vgl. Alevitische Gemeinde 2013
Literatur:
Alevitische Gemeinde Deutschland e.V. (2013): Salafismus in Deutschland, Köln 2013
Julian Bierwirth (2005): Irrationalismus und Verschwörungswahn
Klaus Holz (2005): Die Gegenwart des Antisemitismus, Hamburg 2005
Karl-Heinz Lewed (2010), Erweckungserlebnis als letzter Schrei, Krisis 33, 2010
Karl-Heinz Lewed (2008), Finale des Universalismus, Krisis 32, 2008
Ernst Lohoff (2008): Die Exhumierung Gottes, Krisis 32, 2008
Ernst Lohoff (2006): Gott kriegt die Krise
Olivier Roy (2005): Wiedergeboren, um zu töten. Der terroristische Islamismus ist keine traditionelle, sondern eine höchst moderne Glaubensrichtung. Sie wurzelt in Europa, in: DIE ZEIT 21. Juli 2005
Norbert Trenkle (2010): Feuer und Flamme für Demokratie und Aufklärung. Thesen zum Fundamentalismus der ,westlichen Werte‛ in Zeiten ihres Zerfalls
Norbert Trenkle: Kulturkampf der Aufklärung, Krisis 32, 2008