Warum die Aufhebung des „Wachstumszwangs“ nicht ohne die Aufhebung der Warenproduktion zu haben ist.
Vortrag von Norbert Trenkle im Rahmen von MOVE UTOPIA am 22. Juni 2017
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Ankündigungstext
Glaubt man den Wirtschaftswissenschaften, ist der Mensch seinem Wesen nach auf Konkurrenz, Leistung und unendlichen Konsumdrang programmiert und verfolgt zuallererst immer seine eigenen privaten Interessen. Daher müsse eine funktionierende Gesellschaft immer auf Marktwirtschaft und Warenproduktion beruhen. Doch diese Vorstellung ist verkehrt. Sie entsteht erst mit der modernen kapitalistischen Gesellschaft, die sich damit zur ewigen Notwendigkeit erklärt. Erst im Kapitalismus treten sich die Menschen als isolierte Privatproduzenten gegenüber, die sich über Ware, Geld und abstrakte Arbeit miteinander in Beziehung setzen. Ware und Geld sind dabei nicht bloß technische Mittel, um die gesellschaftliche Arbeitsteilung zu organisieren und zu erleichtern. Vielmehr schaffen sie versachlichte Zwänge, welche die Gesellschaft beherrschen und den Menschen als scheinbare Naturzwänge gegenübertreten. Marx nennt das den Fetischismus der Warenproduktion.
Zu diesen Zwängen gehört nicht zuletzt auch jener berüchtigte „Wachstumszwang“, der als eine Art religiöses Dogma quer durch die gesamte Gesellschaft angebetet und befolgt wird. Er ist nichts anderes als die Erscheinungsform der kapitalistischen Akkumulationsdynamik, deren einziger Zweck darin besteht, aus Geld mehr Geld zu machen. Der stoffliche Inhalt der Reichtumsproduktion ist dabei immer nur gleichgütiges Mittel, um den abstrakten Reichtum (ausgedrückt im Geld) zu vermehren. Die daraus resultierende ökologische Zerstörung nimmt im laufenden, fundamentalen Krisenprozesses des Kapitalismus immer extremere Züge an. Immer rücksichtloser werden die natürlichen Lebensgrundlagen vernichtet, um die Kapitalakkumulation doch noch irgendwie in Gang zu halten, auch wenn dadurch der ökonomische und gesellschaftliche Kollaps nur hinausgeschoben wird.
Radikale Wachstumskritik muss diesen Zusammenhang in den Blick rücken. Eine grundlegende Transformation des gesellschaftlichen Reichtums ist ohne die Aufhebung der abstrakten Reichtumsproduktion und damit auch der Warenproduktion nicht zu haben. Hingegen laufen alle Vorstellungen über eine Herabdimensionierung von Warenproduktion und Marktwirtschaft auf kleine regionale Kreisläufe darauf hinaus, die bestehenden Zwänge fortzuschreiben und durch neue, moralisch sanktionierte, zu ergänzen. Ohnehin sind sie in der Praxis allenfalls denkbar als Luxus-Nische einerseits oder als Armutsökonomie im fortschreitenden Krisenprozess andererseits. Eine emanzipatorische Perspektive stellen sie daher nicht dar.