Hauptvortrag auf der internationalen Konferenz
“Rethinking the Future of Work”
27. – 28. April 2018 – ICUB Research Institute of the University of Bucharest
Norbert Trenkle
Link zum Video (englisch): Part 1 / Part 2 english Ελληνική
1.
Als Siemens-Chef Josef Kaeser im November 2017 ankündigte, dass der Konzern weltweit rund 7.000 Stellen streichen und einige Produktionsstandorte in Deutschland schließen wolle, löste das erwartungsgemäß heftige Proteste und Kritiken aus. Warum diese Einschnitte, so wurde gefragt, wo doch die Gewinne kräftig sprudeln? Überall erhob sich die hinlänglich bekannte Klage, dass sich hier wieder ein Konzern dem „Diktat der Finanzmärkte und der Aktienbesitzer“ unterwerfe und die „ehrliche Arbeit“, die das Unternehmen doch erst groß gemacht habe, nichts mehr zähle. Manch liberal gesinnten Journalisten trieb angesichts dessen sogar die Sorge um, der Siemens-Boss beschädige mit seinem Handeln die Legitimität des kapitalistischen Systems. „Wenn man will, dass die Leute endgültig an Marktwirtschaft, Kapitalismus und Globalisierung verzweifeln“, so Detlef Esslinger in der SZ vom 24.11.2017, „dann muss man es so anstellen wie Kaeser & Co. Sie nähren die schlimmsten Klischees über Gierschlünde, denen der Börsenkurs (oder auch die eigene Tantieme) nie hoch genug sein kann“.
Tatsächlich wirft der Fall Siemens ein Schlaglicht auf den Stellenwert der Arbeit und auf das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit in der aktuellen Epoche des kapitalistischen Weltsystems. Es ist offensichtlich, dass sich die Dynamik der Kapitalakkumulation in den letzten drei Jahrzehnten zu den Finanzmärkten verlagert hat und dass dies drastische Konsequenzen für die gesellschaftlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen nach sich zog. Doch das liegt nicht an der Gier irgendwelcher global agierenden Manager, Banker und Investoren, sondern hat strukturelle Gründe, die sich aus der versachlichten historischen Dynamik der kapitalistischen Gesellschaft erklären lassen. Um zu verstehen, wieso die Arbeit in den letzten drei Jahrzehnten zunehmend degradiert worden ist, müssen wir daher zunächst diese historische Dynamik betrachten.
Vorangeschickt werden soll, dass die historische Dynamik, der die kapitalistische Gesellschaft unterliegt, einen historisch-spezifischen Charakter hat. Ich spreche hier also nicht von einer überhistorischen Logik geschichtlicher Entwicklung, wie es der traditionelle Marxismus tat – und sich damit ganz in die Tradition der Aufklärung stellte. Ich spreche von einer Dynamik, die aus einem inneren Selbstwiderspruch der kapitalistischen Gesellschaft resultiert und daher auch nur für diese Gesellschaft gültig ist. Das erste Moment dieses Widerspruchs ist der Zwang zur unaufhaltsamen Akkumulation von Kapital. Kapital ist nichts anderes als Wert, der verwertet – also vermehrt – werden muss. Empirisch erscheint der Wert im Geld, und insofern lässt sich seine Verwertung mit der berühmten Marx‘schen Formel G – W – G’ veranschaulichen. Geld – Ware – mehr Geld oder einfach ausgedrückt: aus Geld soll mehr Geld werden. Wir können hier von einer Selbstzweckbewegung sprechen, denn am Anfang und am Ende dieses unaufhörlichen Kreislaufs der Vermehrung steht immer dasselbe: Geld. Der Wert bezieht sich also – in der Gestalt des Geldes – immer wieder nur auf sich selbst, und der einzige Zweck dieser Bewegung ist die permanente Anhäufung von zusätzlichem Wert. Ihrer inneren Logik nach kennt diese Selbstzweckbewegung keine Grenzen. Da sie einen rein abstrakt-quantitativen Charakter hat, muss sie im Prinzip endlos fortgesetzt werden. Das ist der Grund für den unaufhörlichen Wachstumsdrang der kapitalistischen Gesellschaft – der, wie wir alle wissen, längst dabei ist, die natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören.
Diesem Drang zur unaufhörlichen Akkumulation von Kapital steht nun aber ein zweites Moment gegenüber. Es handelt sich dabei um den Zwang zur ständigen Entwicklung der Produktivkraft, oder wie man heute eher sagt: zur permanenten Steigerung der Produktivität. Dieser Zwang, der durch die Konkurrenz der Kapitalien untereinander erzeugt wird, steht aber in einem inneren Widerspruch zur endlosen Selbstzweckbewegung der Verwertung des Werts. Denn Erhöhung der Produktivität führt immer zur Reduktion des Arbeitsaufwands pro Ware und damit auch zur Verringerung des in jeder einzelnen Ware dargstellten Wertanteils. Denn die Verwertung des Werts geschieht ja nicht im luftleeren Raum, sondern beruht darauf, dass Arbeitskraft in der Produktion von Waren verausgabt wird. Das Kapital kauft Arbeitskraft an, um sie in der Produktion von Waren anzuwenden und den Mehrwert abzuschöpfen, Mehrwert, der daraus resultiert, dass die Reproduktion der Ware Arbeitskraft weniger kostet, als sie während der Arbeitszeit an zusätzlichem Wert produziert. Wird daher der Arbeitseinsatz pro Ware aufgrund von Produktivitätssteigerungen reduziert, sinkt auch der pro Ware dargstellte Wertanteil. Das aber stellt eine gegenläufige Tendenz zur Selbstzweckbewegung der Kapitalverwertung dar, die nur in Gang bleibt, wenn immer mehr Wert produziert wird.
2.
Historisch betrachtet stellte dieser, im Wesen der kapitalistischen Logik angelegte Selbstwiderspruch jedoch kein grundsätzliches Hindernis für die Kapitalverwertung dar. Die Produktivitätseffekte konnten durch eine beschleunigte Expansion in neue Märkte und die Erschließung neuer Produktionssektoren für die Massenproduktion kompensiert und überkompensiert werden. Die Wertminderung bei den einzelnen Waren wurde also ausgeglichen durch ein beschleunigtes Gesamtwachstum, so dass unterm Strich immer mehr Wert abgeschöpft werden konnte. Eine besondere Kraft entwickelte diese Dynamik in der relativ kurzen Epoche des Fordismus, insbesondere während der rund dreißig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Zeit gilt in den kapitalistischen Zentren als eine Art Goldenes Zeitalter, weil hier erstmals auch die lohnabhängige Mehrheit der Bevölkerung in nennenswerter Weise am kapitalistischen Reichtum beteiligt wurde. Doch diese Epoche – die übrigens im Rückblick sehr verklärt wird – ging Mitte der 1970er-Jahre zu Ende, als der fordistische Boom an seine Grenzen stieß und ein neuer Produktivitätsschub einsetzte, der auf den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien beruhte: die Dritte industrielle Revolution.
Die Dritte industrielle Revolution stellt einen qualitativen Einschnitt in der Geschichte der Produktivitätsentwicklung dar. Denn auf der Grundlage der Mikroelektronik konnte die gesamte Produktion radikal reorganisiert werden, sodass die Arbeit ihre bisherige zentrale Bedeutung verlor und das Wissen – genauer gesagt: die Anwendung des Wissens auf die Produktion – zur Hauptproduktivkraft wurde. Dieser Umbruch zog aber verheerende Konsequenzen für die Kapitalverwertung nach sich. Denn mit der massenhaften Verdrängung von Arbeitskraft aus der Produktion versiegte auch die Quelle des Mehrwerts, die bis dahin die Selbstzweckbewegung der Verwertung des Werts gespeist hatte. Empirisch ablesen lässt sich dies daran, dass seit den 1980er-Jahren der stoffliche Produktionsausstoß – also die Masse an produzierten Waren – weltweit um ein Vielfaches gesteigert wurde, während gleichzeitig aber die Zahl der Arbeitskräfte in den Kernsektoren der Weltmarktproduktion deutlich zurückgegangen ist. Daran änderte auch die Erschließung neuer Produktionssektoren für den Massenkonsum nichts, denn diese wurden von vorneherein nach den Vorgaben der Prozessautomatisierung organisiert. In der Konsequenz wurde nun zwar die Welt in einer rasant wachsenden Flut an Waren ertränkt – mit der Folge einer beschleunigten Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen – Waren, die aber eine immer geringere Masse an Wert repräsentieren, weil sie mit immer weniger Arbeitskraft produziert werden können.
Aus diesem Grund wuchs sich die Krise des Fordismus zu einer fundamentalen Krise der Kapitalverwertung aus, eine Krise, die nicht mehr auf die gleiche Weise gelöst werden konnte wie die vorherigen großen Krisen in der Geschichte des Kapitalismus. Die Erschließung neuer Wachstumsfelder für die Anwendung von Arbeitskraft in der Warenproduktion war und ist auf dem gegebenen Produktivitätsniveau nicht mehr möglich. Auch die keynesianischen Methoden der Konjunkturbelebung, wie sie in den 1970er-Jahren überall angewandt wurden, liefen ins Leere und führten nur zu einer Aufblähung der Staatsverschuldung, weil sie nicht in der Lage waren, die strukturellen Ursachen der Krise zu beheben. Damit war der klassische Kapitalismus bereits in den 1980er-Jahren an eine historische Grenze gestoßen, die sich nicht mehr überwinden ließ.
Allerdings fand sich nach einigen Suchbewegungen ein anderer – wenn auch nur vorübergehender – Ausweg aus der Krise der Kapitalverwertung: Das Kapital, das in der sogenannten Realwirtschaft keine ausreichenden Anlagemöglichkeiten mehr fand, wich in großem Stil auf die Finanzmärkte aus. Dort setzte es seine Selbstzweckbewegung der Geldvermehrung fort, die aber nun nicht mehr auf der Anwendung von Arbeitskraft in der Produktion von Waren, sondern auf der Akkumulation von fiktivem Kapital beruhte. Diese Form der Kapitalakkumulation bestimmt seitdem den Entwicklungsverlauf der kapitalistischen Gesellschaft. Und sie hat dazu geführt, dass die Arbeit ihren bisherigen Stellenwert für die kapitalistische Dynamik verloren hat. Wir müssen daher hier zunächst danach fragen, was den spezifischen Charakter der Akkumulation von fiktivem Kapital ausmacht und inwiefern sie sich von der Kapitalverwertung durch die Anwendung von Arbeitskraft in der Produktion von Waren unterscheidet.
3.
Der Begriff des fiktiven Kapitals entstammt der Marx‘schen Kritik der Politischen Ökonomie, wurde dort allerdings – im dritten Band des Kapitals – nur sehr fragmentarisch entwickelt. In unserem Buch Die große Entwertung haben Ernst Lohoff und ich an diese Fragmente angeknüpft und den Versuch unternommen, sie für eine Analyse der gegenwärtigen Krise des Kapitalismus weiterzudenken und fruchtbar zu machen. Die Quintessenz will ich hier kurz vorstellen.
Fiktives Kapital stellt, kurz gesagt, Vorgriff auf zukünftigen Wert dar. Aber was bedeutet das und welche Konsequenzen hat es für die Akkumulation des Gesamtkapitals? Beginnen wir mit der ersten Frage. Grundsätzlich betrachtet, entsteht fiktives Kapital immer dann, wenn ein Geldbesitzer einer anderen Person sein Geld überlässt und im Gegenzug dafür einen Eigentumstitel (Anleihe, Aktie etc.) erhält, der den Anspruch auf dieses Geld und seine Vermehrung (etwa in Form von Zinsen oder Dividenden) repräsentiert. Auf diese Weise verdoppelt sich die ursprünglich vorhandene Geldsumme. Sie existiert nun zweimal und kann von beiden Parteien genutzt werden. Der Empfänger kann das Geld für Konsum, Investitionen oder auch Finanzanlagen verausgaben, und für den Geber ist sein Geld zu Geldkapital geworden, das einen Gewinn abwirft. Durch den simplen Akt der Emission eines Finanztitels wurde also Kapital vermehrt – anders gesagt: es wurde Kapital akkumuliert – obwohl keinerlei Produktion stattgefunden hat. Das neu geschaffene Geldkapital besteht aber aus nichts weiter als aus einem verbrieften Anspruch, der den Vorgriff auf zukünftigen Wert repräsentiert. Ob dieser Wert auch tatsächlich einmal geschaffen wird, stellt sich erst im Nachhinein heraus.
Nun gehört der Vorgriff auf zukünftigen Wert in der Gestalt fiktiven Kapitals zum kapitalistischen Normalbetrieb dazu. Doch in der fundamentalen Verwertungskrise im Gefolge der Dritten industriellen Revolution erhielt er eine grundlegend neue Bedeutung. Diente die Schöpfung von fiktivem Kapitals bislang im Wesentlichen dazu, den Prozess der Kapitalverwertung zu flankieren und unterstützen (etwa durch die Vorfinanzierung großer Investitionen), so fand nun, da die Grundlage dieses Prozesses wegbrach, ein Rollenwechsel statt. Die Kapitalakkumulation beruhte fortan nicht mehr maßgeblich auf der Vernutzung von Arbeitskraft in der Produktion von Gütern wie Autos, Hamburgerbrötchen und Smartphones, sondern auf der massenhaften Emission von Wertpapieren wie Aktien, Anleihen und Finanzderivaten. Auf diese Weise wurde das fiktive Kapital selbst zum Motor der Kapitalakkumulation, während die Produktion von Gütermarktwaren zur abhängigen Variablen herabsank.
Diese Form der Kapitalakkumulation unterscheidet sich freilich in einem entscheidenden Punkt von der bisherigen Form kapitalistischer Selbstzweckbewegung. Da sie auf dem Vorgriff auf zukünftig zu produzierendem Wert beruht, handelt es sich um Kapitalakkumulation ohne Kapitalverwertung. Ihre Grundlage ist nicht die gegenwärtige Vernutzung von Arbeitskraft in der Wertproduktion, sondern die Erwartung künftiger realwirtschaftlicher Gewinne, die in letzter Instanz der zusätzlichen Vernutzung von Arbeitskraft entstammen müssten. Da diese Erwartung jedoch angesichts der Produktivkraftentwicklung nicht eingelöst werden kann, müssen die Ansprüche immer wieder erneuert, und der Vorgriff auf zukünftigen Wert muss zeitlich immer weiter in die Zukunft gestreckt werden. Das hat zur Konsequenz, dass die Masse der Finanztitel einem potenzierten exponentiellen Wachstumszwang unterliegt. Aus diesem Grund übertrifft schon seit Jahrzehnten das aus Finanztiteln bestehende Kapital längst den Wert der produzierten und gehandelten Gütermarktwaren um ein Vielfaches. In der öffentlichen Meinung wird dieses „Abheben der Finanzmärkte“ meist als vermeintliche Krisenursache kritisiert; tatsächlich kann jedoch die Kapitalakkumulation, nachdem die Grundlagen der Verwertung verloren gegangen sind, überhaupt nur noch in dieser Weise weiterlaufen.
Wir sprechen deshalb in unserem Buch von der Ära des inversen Kapitalismus, um die aktuelle Epoche von der des klassischen Kapitalismus, der auf der Anwendung von Arbeitskraft in der Warenproduktion beruhte, abzugrenzen.
Allerdings bedeutet die Dominanz der finanzindustriellen Akkumulation keine völlige Entkoppelung der Kapitalakkumulation von der Realwirtschaft. Auch die finanzindustrielle Kapitalbildung bleibt auf ihre Weise immer auf realwirtschaftliche Größen bezogen. Sie setzt zwar keine bereits stattgefundene Verwertung voraus, nimmt aber Gewinne aus der Zukunft vorweg. Daher ist sie abhängig von Erwartungen und Hoffnungen auf zukünftige Gewinnsteigerungen auf den Gütermärkten oder jedenfalls auf bestimmten Gütermärkten. Jeder Immobilienboom beruht auf der Perspektive steigender Immobilienpreise, und jede Hausse an den Börsen bezieht ihre Dynamik aus der Hoffnung auf künftige Unternehmensgewinne.
Diese Abhängigkeit von realwirtschaftlichen Hoffnungsträgern, auf die sich die Gewinnerwartungen beziehen, erklärt die spezifische Krisenanfälligkeit der Epoche des fiktiven Kapitals. Immer wenn sich solche Erwartungen als Illusionen erweisen und Spekulationsblasen platzen, verliert das angehäufte fiktive Kapital nachträglich seine Gültigkeit, und die Bildung von neuem fiktivem Kapital gerät ins Stocken. Wie zuletzt in der globalen Krise von 2008, droht dann eine wirtschaftliche Abwärtsspirale, in welcher der durch die Aufblähung des Finanzüberbaus überspielte basale Krisenprozess manifest wird. Verhindern lässt sich das nur auf einem Weg: durch die Schaffung neuer, noch größerer Mengen an fiktivem Kapital, dessen Akkumulation durch Gewinnerwartungen an andere Felder der Realwirtschaft genährt wird. Doch je länger die Epoche des fiktiven Kapitals andauert, desto schwerer fällt es, neue Felder realwirtschaftlicher Hoffnungsträger zu erschließen. Die finanzindustrielle Akkumulation kann also keineswegs endlos fortgesetzt werden. Auch sie hat ihre inneren Schranken, die mittlerweile immer näher rücken. Doch will ich hier nicht näher auf diese inneren Schranken eingehen, sondern danach fragen, welche Konsequenzen sich aus der Akkumulation des fiktiven Kapitals für die Arbeit ergeben – und damit für die Masse der Menschen, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen sind.
4.
Zunächst ergibt sich, dass die Arbeit, ökonomisch betrachtet, einen ganz grundsätzlichen Bedeutungsverlust erfährt, wenn das Kapital sich nicht mehr maßgeblich dadurch vermehrt, dass es Arbeitskraft in der Produktion von Waren vernutzt und den entsprechenden Mehrwert aneignet, sondern sich direkt auf sich selbst bezieht. Wenn Kapital in der Gestalt von Eigentumstiteln als Ware verkauft wird, und in eben diesem Verkaufsakt eine (wenn auch zeitlich befristete) Verdoppelung des Ursprungskapitals stattfindet, dann ist der Kapitalfetisch in seine vollendete Form gebracht. Aus der Bewegung G – W – G’ ist die abgekürzte Bewegung G – G’ geworden, in der das Kapital sich ohne den lästigen Umweg über die Warenproduktion vermehrt. Damit ist aber die direkte Beziehung der Kapitalakkumulation zur Welt der materiellen Güter und Dienstleistungen gekappt; deren Produktion war zwar immer nur ein Mittel für den Selbstzweck der Geldvermehrung, musste aber dennoch stattfinden, um den Kreislauf der Verwertung in Gang zu halten. Gleichzeitig verliert damit die Ware Arbeitskraft ihre zentrale Bedeutung für die Akkumulation des Kapitals.
In der Epoche des klassischen Kapitalismus, der auf der Verwertung des Werts beruhte und mit der Krise des Fordismus zu Ende ging, war die Arbeitskraft die Basisware der Kapitalakkumulation. Denn sie stellt die einzige Ware dar, deren Gebrauchswert darin besteht, mehr Wert zu produzieren als dessen Wiederherstellung kostet. Diese Sonderstellung bedeutete für die Verkäufer der Ware Arbeitskraft zwar einerseits, sich täglich in den Dienst des Kapitals stellen zu müssen und sich den Zwängen der Wertproduktion zu unterwerfen; andererseits verschaffte sie ihnen jedoch auch eine relativ starke Verhandlungsposition gegenüber dem Kapital, die es ihnen ermöglichte, zumindest in den kapitalistischen Zentren deutliche Verbesserungen bei der Bezahlung, den Arbeitsbedingungen und der sozialen Absicherung durchzusetzen. Hinzu kam, dass die spezifischen Produktionsbedingungen der standardisierten Massenarbeit vor allem in der Epoche des Fordismus eine breite gewerkschaftliche Organisierung begünstigten.
Mit dem Ende des klassischen Kapitalismus geriet diese Konstellation eines relativen Kräftegleichgewichts zwischen Kapital und Arbeit allerdings vollkommen aus den Fugen. Nicht nur führten die Automatisierung der Produktion und die Etablierung der neuen transnationalen Arbeitsteilung, bekannt als Globalisierung, seit den 1970er und 1980er-Jahren zu einer erheblichen Schwächung der Verhandlungsposition der Arbeitskraftverkäufer. Hinzu kamen noch die Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse und die gezielte Schwächung der Gewerkschaften durch die neoliberale Politik. Ausschlaggebend für die langfristige und nachhaltige Verschiebung im Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit war jedoch, dass sich der Schwerpunkt der Kapitalakkumulation von der Vernutzung der Arbeitskraft in der Warenproduktion hin zu den Finanzmärkten verschob. Denn damit verlor die Ware Arbeitskraft ihren Status als Basisware der Kapitalakkumulation und wurde zur abhängigen Variable der Dynamik des fiktiven Kapitals.
Denn auch wenn die Akkumulation des fiktiven Kapitals sich nie ganz von der güterwirtschaftlichen Produktion entkoppeln kann, ist ihr Bezug auf diesen Sektor doch ein anderer als bei der klassischen Kapitalverwertung. Realwirtschaftliche Aktivität erfüllt in der Ära des inversen Kapitalismus, wie oben schon gesagt, nur noch eine Funktion für die Kapitalakkumulation: Sie kann Hoffnungsträger für Zukunftserwartungen bereitstellen. Wachstum oder Wachstumshoffnungen in bestimmten Regionen oder Sektoren sind Anknüpfungspunkte für die Schaffung von neuen Finanztiteln oder für die Kurssteigerung von existierenden Finanztiteln und befördern so die Geldvermehrung an den Finanzmärkten. Gleichzeitig hängt aber der Fortbestand der realwirtschaftlichen Aktivitäten grundsätzlich und strukturell vom permanenten Zufluss von fiktivem Kapital ab. Das gilt für den Konsum von Gütern und Dienstleistungen, die mit Einkommen und Krediten aus dem Finanzsektor bezahlt werden; aber es gilt genauso für Investitionen im Industrie-, Rohstoff- und vor allem im Bausektor, die nur getätigt werden, solange die Dynamik an den Finanzmärkten in Gang bleibt. In allen Fällen wird zwar Arbeitskraft in Bewegung gesetzt, doch hängt sie voll und ganz von den Konjunkturen des fiktiven Kapitals ab.
Grundsätzlich gesprochen, gilt in der Ära des inversen Kapitalismus die Devise, dass stoffliche Produktion (und damit die Verausgabung von Arbeitskraft) nur stattfindet, soweit sie direkt oder indirekt durch die Akkumulation des fiktiven Kapitals induziert wird. Die realwirtschaftlichen Sektoren boomen also nur, solange sie aus im Finanzsektor geschöpftem Geld gespeist werden, das sich allerdings auf diese Weise zugleich die Bezugspunkte für die Fortsetzung seiner selbstreferentiellen Dynamik schafft. Wird dieser Zirkel aus dem einen oder anderen Grund unterbrochen, kommt es sogleich zu einer schubartigen Richtungsumkehr der Spiralbewegung und zur massenhaften Entwertung von Finanztiteln, und dies mit unmittelbaren Rückwirkungen auf die realwirtschaftliche Aktivität. Sehr direkt ist dieser Bezug insbesondere im Bausektor zu sehen, weil sich hier die Spekulation auf steigende Immobilienpreise direkt kurzschließt mit dem Bau von Gebäuden und dem Ausbau von Infrastrukturen. Hinzu kommt, dass der Bausektor immer noch relativ arbeitsintensiv ist, weil er nicht in dem gleichen Maße automatisiert werden kann wie die Industrieproduktion. Deshalb ist er in allen Boomregionen zum wichtigsten Nachfrager für Arbeitskräfte und zur größten Einzelposition in der BIP-Statistik avanciert. Allerdings ist er aus diesem Grunde auch besonders anfällig für Krisen des fiktiven Kapitals, wie sich zuletzt in der großen Krise von 2008 gezeigt hat.
Aber auch der Industrie- und Rohstoffsektor ist heute, vor allem in den auf Export orientierten Ländern, grundsätzlich und strukturell von der Dynamik des fiktiven Kapitals abhängig. Das ist besonders offensichtlich im Fall von China, das als Gegenwert für den Export seiner Waren in die ganze Welt massenhaft Finanztitel vor allem aus den USA aufkauft. Ohne diesen Mechanismus hätte niemals die rasante industrielle Aufholjagd gelingen können, die notwendigerweise mit einem riesigen Exportüberschuss einhergehen musste. Daher ging die chinesische Führung nach dem Crash von 2008 auch dazu über, das ausbleibende fiktive Kapital aus dem Ausland durch die Schöpfung von fiktivem Kapital im Inland zu kompensieren – hauptsächlich durch eine gewaltige Kreditschöpfung durch die staatlich kontrollierten Banken. In der Folge ist die interne Verschuldung Chinas ins Gigantische angeschwollen und stellt heute selbst ein gewaltiges globales Krisenrisiko dar.
5.
Die extreme Abhängigkeit der Arbeit vom fiktiven Kapital bekommen die Verkäufer der Ware Arbeitskraft aber nicht nur bei schweren Krisen zu spüren, sondern auch im ganz normalen Verlauf der Akkumulationsbewegung. Ungeheuren Druck üben vor allem die hohen Renditeerwartungen aus, deren Maßstab die Gewinne im Finanzsektor sind und die weit über dem liegen, was im klassischen Kapitalismus üblich war. Um sie zu erfüllen, werden die Lohn- und Arbeitsbedingungen immer weiter herabgedrückt und die Arbeitszeiten rücksichtslos ausgedehnt. Von dieser weltweiten Dumpingkonkurrenz bleibt kein Standort und kein Unternehmen verschont. Sich ihr zu entziehen wird mit dem Abzug von Kapital bestraft, das, weil es seinen Schwerpunkt im Finanzsektor hat, nahezu unendlich beweglich geworden ist. Auch die großen transnationalen Unternehmen und Weltmarkt-Player sind diesem Druck ausgesetzt. Das eingangs zitierte Beispiel der Firma Siemens ist typisch dafür; es zeigt, wie das Verhältnis von Arbeit und Kapital in der Ära des inversen Kapitalismus auf den Kopf gestellt wurde. Hätte vor vierzig Jahren eine Weltfirma angekündigt, einige durchaus rentable Standorte zu schließen und mehrere tausend Mitarbeiter zu entlassen, wäre die Geschäftsführung von den Anteilseignern sofort wegen Sabotage an der Verwertung des Firmenkapitals hinausgeworfen worden. Zwar gab es auch damals selbstverständlich schon Standortschließungen und Massenentlassungen, aber nur, wenn eine Fabrik dauerhaft Verluste abwarf und durch Rationalisierungsmaßnahmen nicht mehr konkurrenzfähig gemacht werden konnte. Letztlich ging es aber immer darum, die Anlagemöglichkeiten für das Kapital in der Produktion von Gütermarktwaren zu erweitern.
In der Ära des fiktiven Kapitals gilt diese Logik nicht mehr. Denn hier kommt es nicht mehr darauf an, die Produktion zu erweitern, um neue Verwertungsmöglichkeiten für das Kapital zu schaffen; was zählt, ist vielmehr die fortlaufende Vermehrung von Finanztiteln, die Ansprüche auf zukünftigen Wert repräsentieren. Die aktuelle Gewinnsituation eines bestimmten Produktionsstandorts ist dafür nur ein äußerlicher Bezugspunkt. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint eine mittlere Rentabilität, wie sie einige der jetzt bedrohten Siemens-Standorte aufweisen, als einfach nicht hoch genug, weil sie nicht mit den an den Finanzmärkten erzielbaren Gewinnen mithalten kann und weil sie keine „Phantasien“ auf zukünftige Gewinnsteigerungen erzeugt. Deshalb treibt ihre Schließung den Aktienkurs des betreffenden Unternehmens nach oben, obwohl sie einer Vernichtung von Kapital gleichkommt. Dass die produktive Basis des Unternehmens geschmälert wird, spielt keine Rolle; denn für die Akkumulation des fiktiven Kapitals sind die tatsächlichen realwirtschaftlichen Konsequenzen sekundär; entscheidend ist vielmehr, dass Erwartungen auf möglichst hohe Zukunftsgewinne geschaffen werden, die heute schon realisiert werden können.
Erfüllen sich aber diese Erwartungen nicht, können die Aktien oder Anteilsscheine in Sekundenschnelle abgestoßen und durch andere Finanztitel ersetzt werden. Deshalb ist auch die Aufsplittung von Unternehmen in verschiedene Bestandteile, die dann separat an der Börse platziert werden, so beliebt – eine Disziplin, die der Siemens-Chef Josef Kaeser übrigens auch gut beherrscht. Das Kriterium für solche Aufsplittungen ist dabei nicht, ob sie produktionstechnisch und organisatorisch für das Unternehmen sinnvoll sind oder nicht. Worauf es ankommt, ist auch hier wieder, dass mit jedem Unternehmensteil, das an die Börse geschickt wird (möglichst noch mit einem phantasievollen Namen), neue Anknüpfungspunkte für die Akkumulation von fiktivem Kapital geschaffen werden. Der gleichen Logik folgte und folgt auch der breit angelegte Ausverkauf öffentlicher Infrastrukturen und Versorgungseinrichtungen. Diese sind bekanntlich durch die Privatisierung, anders als es die neoliberalen Ideologen behaupten, keinesfalls „effizienter“ geworden, sondern in der Regel schlechter und teurer; aber auch hier wurden neue Anknüpfungspunkte für die Akkumulation von fiktivem Kapital geschaffen.
6.
Dass nun aber die Arbeit in der Ära des inversen Kapitalismus zum bloßen Anhängsel des fiktiven Kapitals geworden ist, hat ihrem moralischen Status in der Gesellschaft keinesfalls geschadet. Ganz im Gegenteil – gerade weil die Arbeit zunehmend unter Druck geriet und an ökonomischer Bedeutung sowie sozialer und politischer Verhandlungsmacht einbüßte, hat sie in den letzten dreißig Jahren für die individuelle wie kollektive Identitätsstiftung wieder massiv an Bedeutung gewonnen. In den 1970er und 1980er-Jahren war unter dem Eindruck der damals breit diskutierten „Krise der Arbeit“ und im Gefolge der Kulturrevolution von 1968 die kapitalistische Arbeitsmoral und die Identifikation mit der Arbeit als Lebensinhalt in die Kritik geraten. Doch mit dem politischen Umschwung zum Neoliberalismus, der die Ära des inversen Kapitalismus einleitete, fand eine ideologische Wende statt. Es waren dabei zunächst die neoliberalen Eliten und die neoliberal gewendeten Sozialdemokraten, die ein Zurück zur Arbeits- und Leistungsethik predigten und damit vor allem die Flexibilisierung und Deregulierung der Arbeitsbeziehungen sowie den Kahlschlag des Sozialstaats legitimierten. Nachdem dann aber die verheerenden sozialen Auswirkungen dieser Politik unübersehbar wurden, kam es zu einer erneuten ideologischen Wende. Die Identifikation mit der Arbeit wurde nun in breitem Ausmaß zum Bezugspunkt für eine regressive, nationalistische Kritik am Neoliberalismus und der Finanzialisierung des Kapitalismus. Rechte und linke Populisten berufen sich nun auf das Konstrukt des „ehrlich arbeitenden Volkes“ und versprechen, dieses wieder in den Mittelpunkt der Gesellschaft zu stellen. Gelingen soll das angeblich mit einer Rückkehr in eine auf der Massenarbeit beruhende „Markwirtschaft“, die von einem wieder erstarkten Nationalstaat zum allgemeinen Wohl reguliert wird.
Was hier im Gestus der radikalen Kritik auftritt, ist aber in Wirklichkeit nichts anderes als eine gefährliche politische Regression. Schon ganz grundsätzlich betrachtet, ist die Anrufung der Arbeit identisch mit einem affirmativen Verhältnis zu dem Wesenskern der kapitalistischen Gesellschaft. Denn es macht gerade die historische Spezifik der kapitalistischen Gesellschaft aus, dass sie sich in Unterschied zu allen anderen bisher existierenden Gesellschaften um die Arbeit zentriert. Denn allgemeine Warenproduktion bedeutet immer auch zugleich, dass die gesellschaftlichen Beziehungen sich über die Arbeit vermitteln. Diese Form der Vermittlung hat aber notwendigerweise einen verdinglichten und damit herrschaftlichen Charakter. Sie stellt sich hinter dem Rücken der handelnden Personen dar, welche nicht direkt miteinander in Beziehung treten, sondern immer nur über den Umweg ihrer Arbeitsprodukte (also der Waren) und den Verkauf ihrer Arbeitskraft. Auf diese Weise gewinnen die Arbeitsprodukte Macht über ihre Produzenten und herrschen ihnen ihre versachlichten Zwänge auf. Marx hat das den Fetischismus der warenproduzierenden Gesellschaft genannt. Diese fetischistischen Zwänge wirken jedoch nicht nur äußerlich auf die Menschen ein, sondern formen und prägen sie auf grundlegende Weise. Zugespitzt kann man sagen, dass die Menschen im Kapitalismus zu Subjekten werden, indem sie sich über das Medium der Arbeit zu allen anderen Gesellschaftsmitgliedern, zur Gesellschaft als Ganzer und auch zu sich selbst als Objekten verhalten. Die Arbeit ist daher aufs Engste mit der modernen Subjektkonstitution verknüpft. Und deshalb erscheint die Identifikation mit der Arbeit auch als so selbstverständlich und unhinterfragbar.
Freilich ist dieser Zusammenhang den modernen Individuen keineswegs bewusst, denn es handelt sich ja um eine fetischistische Konstitution. Ihnen erscheint die Arbeit als eine überhistorische Konstante, die das Wesen „des Menschen“ ausmacht. So gesehen kann es nicht verwundern, dass auch die Kritik am Kapitalismus fast immer mit einem positiven Bezug auf die Arbeit einherging. Der Mensch wird zum Menschen durch die Arbeit: Das ist das Credo nicht nur des Liberalismus, sondern ebenso das des traditionellen Marxismus, dessen Bezug auf die Arbeit geradezu religiöse Züge annahm. Die Arbeiterklasse galt ihm als das wahre Subjekt der Geschichte und daher auch als prädestinierter Träger der gesellschaftlichen Emanzipation. Dieser traditionell-marxistischen Vorstellung zufolge bedeutete Emanzipation im Kern die Herstellung einer auf allgemeiner Arbeit beruhenden Gesellschaft, in der es jedoch kein Kapital mehr geben sollte. Es ging also, mit anderen Worten, um die Befreiung der Arbeit vom Kapital und nicht um die Befreiung der Menschen von der Arbeit.
Diese Vorstellung ist aber ein Widerspruch in sich. Denn eine Gesellschaft, in der die gesellschaftlichen Beziehungen sich um die Arbeit zentrieren, ist ihrem Begriff nach eine Gesellschaft von Warenproduzenten. Und allgemeine Warenproduktion setzt neben der Arbeit als gesellschaftlicher Vermittlung immer schon Kapital und Staat voraus. Deshalb war der sogenannte Realsozialismus auch nichts anderes als eine Variante des Kapitalismus, in welcher der Staat – mehr schlecht als recht – die Funktion des Gesamtkapitalisten übernommen hatte. Das Kapital ist keine äußerliche Macht, die sich die „an sich“ positive Arbeit unterwirft, sondern Kapital und Arbeit gehören beide gleichermaßen zum Wesen der auf Warenproduktion beruhenden Gesellschaft.
So betrachtet war also auch die gute alte Arbeiterbewegung in ihrer großen Mehrheit keine Bewegung gegen den Kapitalismus, sondern eine Bewegung für die Arbeit innerhalb des Kapitalismus. Also solche hat sie allerdings in ihrer Epoche ganz wesentlich dazu beigetragen, das Leben innerhalb der bestehenden Ordnung erträglicher zu gestalten und gesellschaftliche Freiräume zu erschließen. Zugleich hat sie durch ihre Kämpfe die Vorstellung einer gesellschaftlichen Emanzipation am Leben erhalten, an die wir heute allerdings nur noch in der Form der Kritik anknüpfen können. Demgegenüber hat die Verklärung der Arbeit im neuen Populismus einen ganz anderen Charakter. In der alten Arbeiterbewegung war die Identifikation mit der Arbeit noch ein Bezugspunkt für praktische Kämpfe um die gesellschaftliche Anerkennung, um die Verbesserung der Arbeits- und Lebensverhältnisse und um die politische Partizipation innerhalb der auf Massenarbeit beruhenden Epoche der Kapitalverwertung. Im neuen Populismus hingegen stellt sie eine Reaktion auf die grundsätzliche Entwertung der Arbeit durch die kapitalistische Krisendynamik dar und wird angetrieben von dem nostalgischen Wunsch, in eine längst vergangene Epoche des Kapitalismus zurückzukehren.
In diesem Sinne ist der Populismus der Arbeit heute – egal ob in seiner rechten oder linken Variante – im strengen Sinne des Wortes regressiv. Dass eine Rückkehr in den früheren Zustand des Kapitalismus unmöglich ist, macht ihn nicht weniger gefährlich; denn gerade das lässt die populistische Politik auf zunehmend unberechenbare Weise aggressiv werden (man denke nur an Trump). So verschärfen sich weltweit die Tendenzen zur nationalistischen Abschottung, während gleichzeitig nach innen die autoritäre Formierung voranschreitet. Überall, wo die neuen Populisten an die Macht kommen, demontieren sie systematisch den liberal-demokratischen Rechtsstaat, indem sie die klassische Gewaltenteilung und die tradierten Checks and Balances abschaffen; dies alles natürlich immer im „Namen des Volkes“ und zur angeblichen „Wiederherstellung der Demokratie“.
Der Kampf gegen diese politische Regression ist heute die vorrangige Aufgabe aller derjenigen, die noch an der Möglichkeit einer befreiten Gesellschaft festhalten. Aber dieser Kampf kann nur gewonnen werden, wenn die Kritik am Kapitalismus geschärft wird. Denn der autoritäre Populismus von rechts wie von links ist nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil er sich auf ein verbreitetes Unbehagen am Kapitalismus bezieht. Doch auch wenn dieses Unbehagen auf ein diffuses Bewusstsein verweist, dass die kapitalistische Gesellschaft an ihre Grenzen stößt, kanalisiert es sich derzeit überwiegend in dem verzweifelten Wunsch, die bestehende Gesellschaftsordnung gegen die Schwerkraft ihre eigenen Krise zu bewahren. Die Anrufung der Arbeit als Stütze der Identität ist dabei ein zentrales Motiv. Da sich aber die „Ehre der Arbeit“ im altehrwürdigen Sinne nicht mehr herstellen lässt, bleibt von dieser Identität nur noch ihr Beitrag zum sozialen und rassistischen Ausschluss sowie zur nationalistischen Abgrenzung übrig.
Daher ist eine fundierte Kritik an der Arbeit als dem Zentralprinzip der kapitalistischen Gesellschaft keine intellektuelle Fingerübung, sondern von zentraler Bedeutung für die Eröffnung einer neuen Perspektive gesellschaftlicher Emanzipation. Die Aufhebung der Arbeit ist dabei keinesfalls eine utopische Vorstellung. Immerhin hat der Kapitalismus die Arbeit auf negative Weise ja schon längst aufgehoben. Er hat sie nämlich einerseits durch die Produktivkraft Wissen weitgehend überflüssig gemacht und andererseits zum bloßen Anhängsel der Akkumulation des fiktiven Kapitals degradiert. Hinter diesen Stand der Dinge zurückzugehen, ist nur noch möglich in Gestalt einer gesellschaftlichen Katastrophe. Dagegen gilt es, die ungeheuren produktiven Potentiale, die der Kapitalismus geschaffen hat, endlich zu nutzen, um allen Mensachen auf der Welt ein gutes Leben zu ermöglichen. Das ist allerdings ohne eine grundlegende gesellschaftliche Transformation nicht zu haben.
Die Bedingungen der Möglichkeit für eine Befreiung von der Arbeit und für die Herstellung einer Gesellschaft, in der jede und jede nach seinen und ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten tätig wird, sind längst gegeben. Es gilt aber, diese Möglichkeit auch zu verwirklichen.