19.02.2020 

Jeder Mensch ist wertvoll – Mangelware Organe

von Moni Schmid

Nachdem im Januar das Transplantationsgesetz neu gefasst wurde, fiel mir auf, dass massiv Werbung fürs Organspenden gemacht wird, beispielsweise mit Plakaten in Bushaltestellen und ähnlichem.

Die seit dem neuen Gesetz geltende Lösung, dass eine explizite Entscheidung dazu getroffen werden soll, finde ich noch akzeptabler als die Widerspruchslösung. Hier würden alle zu Organspendern, die nicht ausdrücklich widersprochen haben – auch Menschen mit geistiger Behinderung, Demenz, vielleicht sogar Menschen die sich nicht legal in Deutschland aufhalten und verunglücken. Ab 16 Jahren darf man in Deutschland Organe spenden.

Mein Unbehagen betrifft nicht so sehr die Organspenden von lebenden Personen (Blut-, Nieren- oder Teile der Leber), sondern vor allem die ganze Situation um die Spenden, die Toten entnommen werden.

In den meisten Ländern ist hier der Hirntod das ausschlaggebende Kriterium, teilweise auch noch der Herztod. Die Definitionen, wann der Hirntod eingetreten ist, haben sich im Lauf der Zeit verändert. Je nach Mangelsituation der benötigten Organe sind sie nicht starr.

Zum Zeitpunkt der Todesfeststellung schreibt Wikipedia:

„Erst durch die Verschärfung des Organmangels kommt es seit den 1990er Jahren auch in einigen anderen Staaten (z. B. USA, Niederlande) wieder vermehrt auch zu Entnahmen nach einem irreversiblen Kreislaufstillstand ohne Feststellung des Hirntods. In der Schweiz und seit Ende 2013 in Österreich muss der Hirntod auch vor einer Entnahme nach einem irreversiblen Kreislaufstillstand festgestellt werden. In Deutschland ist eine Organexplantation nach Herztod verboten.”

https://de.wikipedia.org/wiki/Organspende

Simon Hofmann schreibt in seinem Buch Umstrittene Körperteile (Transcript Verlag) zu den Grundlagen des Verfahrens:

„Sie bestehen zunächst in einem Paradoxon. Der Spender muss zwar tot sein, um seinen Körper zu öffnen und dessen Teile entnehmen zu können. Dieser Körper und seine Teile müssen aber zwingend noch lebendig und funktionstüchtig sein.“

Simon Hofmann: Umstrittene Körperteile. Transcipt-Verlag.

In seinem Buch beschreibt er die Geschichte der Organspende in der Schweiz. Er berichtet, dass 1985 von Vertretern der Transplantationsmedizin eine Stiftung gegründet wurde, deren Hauptzweck es war, die Organbeschaffung zu intensivieren. Die Organ-Ressourcen sollten längerfristig sichergestellt werden.

Dies führt mich zum zentralen Punkt, der mir beim Lesen der verschiedenen Gegenargumente aufgefallen ist. Angehörige beklagten sich, dass der Sterbende nur noch als Organ-Pool gesehen wird: Welche Teile können wiederverwendet werden, welche kann man beispielsweise an eine Knochenbank weitergeben? Die Verwertbarkeit der Einzelteile des Sterbenden. Die Verwandlung der Menschen in ein Warenlager.

Nochmals Wikipedia:

„Organhandel ist in den meisten Staaten verboten. Ausnahme bilden hier der Iran und die Philippinen, die einen regulierten Organmarkt institutionalisiert haben. Guyana hat keine Gesetze gegen Organhandel, sodass es zu Organkäufen kommt. Außerdem werden auch Bolivien, Pakistan, Peru und Albanien häufig im Zusammenhang mit Organhandel genannt. Um bei Lebendspenden Organhandel zu verhindern, sehen viele Organentnahmeregelungen nur einen bestimmten Personenkreis vor. Dabei handelt es sich meist um enge Verwandte oder unter Umständen mit dem Spender persönlich verbundene Personen.”

https://de.wikipedia.org/wiki/Organspende

Philippinen

Die Philippinen erlauben seit 2002 als einer der wenigen Staaten Lebendnierenspenden für Personen, die nicht aus dem persönlichen Umfeld des Spenders stammen, gegen eine Sondervergütung im Wert von insgesamt etwa 275.000 ₱ (umgerechnet etwa 4.927 €) und einer gesetzlichen Krankenabsicherung für den Zeitraum von zehn Jahren, wobei in etwa das Doppelte der Geldsummen in der Praxis toleriert wird. Obwohl das Gesetz den Verkauf von Organen ausdrücklich ausschließt, ist im Zuge dieser Regelungen so genannter Organtourismus entstanden, sodass seit 2009 Organspenden an Ausländer untersagt worden sind. Generell haben sich unter diesen Umständen die Resultate aus diesen Fremdspenden sowohl für den Empfänger medizinisch unterdurchschnittlich als auch für den Spender sozioökonomisch nicht von Vorteil erwiesen.

Ökonomie

Da kein freier Organhandel existiert, kann man Organspenden nur nach ihrem Nutzen im Vergleich zu Substitutionsdienstleistungen wie Dialysen in Relation zu Nierenspenden ökonomisch bewerten. Hier zeigt sich, dass Nierentransplantationen langfristig und bei durchschnittlichem Organüberleben deutlich günstiger als vergleichbare Dialysen sind. Für die Vereinigten Staaten wird so ein Ersparniswert von 94.000 US-$ (85.431 €) pro gespendeter Niere veranschlagt, was noch nicht den Wert an hinzugewonnener qualitätsadjustierter Lebenszeit beinhaltet. Selbst bei sehr konservativen Schätzungen beträgt dieser Wert etwa 50.000 US-$ (45.442 €) pro Organüberlebensjahr mit einer derzeitigen Halbwertzeit von etwa zehn Jahren. Demgegenüber stehen selbst bei Lebendnierenspenden maximal etwa 20.000 US-$ direkte Kosten sowie ein sehr kleines, nicht quantifiziertes Gesundheitsrisiko beim Spender.
Aus utilitaristischer Sicht bedeutet die Nicht-Verwertung transplantationsfähiger Organe von Leichen also die routinemäßige Vernichtung einer sehr wertvollen Ressource.

Diese auf Bentham zurückführbare Ethik – richtig ist, was der Allgemeinheit nützt – kommt hier voll zum Tragen. Natürlich wird dies nicht so ausgesprochen, es geht um Nächstenliebe, im Leid noch weiteres Leid zu lindern usw. Die „Empfängerseite“ steht im Vordergrund.
Jeder sollte also – im Namen der Nächstenliebe – für die maximal mögliche Verwertung zur Verfügung stehen. Denn die Organe sind einerseits eine sehr knappe Ware, andererseits gäbe es jedoch ausreichend Menschen, nur deren Organe sind nicht frei verfügbar. Die Bestrebungen dies zu ändern und notfalls allen, die nicht widersprochen haben, die verwertbaren Teile zu entnehmen, finde ich erschreckend. Wie Lewed 2004 in „Von Menschen und Schafen“ schreibt, versucht hier die souveräne Macht die Verfügungsgewalt über die Einzelnen auszuweiten.

Auf die Versuche, Organe im 3D-Drucker herzustellen oder in Tieren zu züchten, gehe ich hier nicht ein. Diese spielen derzeit keine Rolle.
Passenderweise belohnen auch einige Krankenkassen „gesundes“ Verhalten mit Prämien für beispielsweise Teilnahme an Gesundheitsprogrammen.
Die Zurichtung für den Markt beginn, wie Peter Samol in seinem Buch Leistungsdiktatur zeigt, optimalerweise schon vor der Geburt. Sie endet aber nicht mit dem Todeseintritt, auch im Sterben kann man als Recyclingressource noch für den Markt brauchbar sein.

Wessen Eigentum ist der sterbende Körper und wer darf Teile davon verwerten oder veräußern?
Dass mit den Waren Profit gemacht wird, ist unstrittig. Daher überraschen auch die Skandale sowohl um Lebendspenden als auch bei den Transplantationszentren nicht wirklich.

Logisch fände ich als nächsten Schritt in der Entwicklung den freiwilligen Verkauf der einzelnen Organe, wie dies bei Blutplasma schon üblich ist. Dies könnte jeder in einer „Sterbeverfügung“ regeln, sodass die Angehörigen/Erben als Eigentümer des toten Körpers auch den entsprechenden Gegenwert bekommen könnten. Vermutlich würde das doch einige Unentschlossene motivieren.


Literatur

https://gesundheitsberater.de/organspende-nie-wieder-organtransplantation-aus-der-sicht-einer-betroffenen/
https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3232-3/umstrittene-koerperteile/
https://www.zeit.de/2016/33/organtransplantation-ethik-moral-organe-spenden
http://www.krisis.org/2004/von-menschen-und-schafen/
https://www.zeit.de/2016/33/organspende-deutschland-pro-contra
https://www.krankenkassenzentrale.de/wiki/organspende
https://de.wikipedia.org/wiki/Organspende
https://www.mdr.de/wissen/mensch-alltag/mensch-tier-hybride-100.html
https://www.tagesschau.de/ausland/mittelohr-drucker-101.html