01.12.2020 

Liberale Klimaskepsis

von Julian Bierwirth

Die Auseinandersetzung der politischen Rechten mit dem Klimawandel beruht auf zwei zentralen argumentativen Figuren. Die erste ist die der Klimaleugnung: die Eindeutigkeit der Klimakrise wird infragegestellt. Die zweite Figur ist die der Problemverlagerung: insofern das Problem anerkannt wird, wird die Lösung auf Menschen und Regionen abgeschoben, die in der gesellschaftlichen Peripherie leben und deren Schicksal als weniger relevant markiert wird.

Eine zentrale Akteurin innerhalb der globalen Klimaleugnungs-Szene ist das us-amerikanische Heartland-Institute, das von verschiedenen Konzernen vor allem aus der Tabak-, Erdöl- und Kohleindustrie finanziert wird. Dass das Institut in Chicago beheimatet ist, dürfte dabei kein Zufall sein. Denn die Strategie der globalen Stichwortgeber*innen für Klimaleugnung folgt dem libertären Denken der Chicago School. Dieser Zusammenhang ist für das Verständnis der „Bewegung“ der Klimaleugner*innen zentral, weshalb ich hier kurz die Wurzeln dieser Denkweise in der liberalen Ideologie skizzieren möchte.

Das wissenstheoretische Argument des Neoliberalismus

Die im Neoliberalismus vorherrschende ideologische Deutung des Marktes bezieht sich auf ein letztlich wissenstheoretisches Argument, das sich im Kern an die Wissen(schaft)stheorie von Karl Popper anlehnt: alle Menschen verfügen nur über einen kleinen Ausschnitt von immer nur vorläufigem Wissen. Für Popper führt das zur Vorstellung der Falsifizierbarkeit von Wissen: Wissen ist immer so lange gültig, bis es falsifizieriert, d.h. widerlegt wird. Darüber hinaus ist es für Popper immer nur als Wissen einzelner Wissenschaftler*innen denkbar, die als vereinzelte Konkurrent*innen im pluralen Wissenschaftsstreit ihre Thesen entwickeln und gegenseitig widerlegen. Übrig bleibt schließlich die tauglichste These, die ihre Tauglichkeit alleine dadurch beweist, noch nicht widerlegt worden zu sein.

Dieses theoretische Setting wird dann vom Neoliberalismus übernommen und auf den Markt übertragen. Dieser wird als ein Ort vorgestellt, an dem die unterschiedlichen, vereinzelten Elemente aufeinandertreffen und in ihrem Aufeinanderwirken eine Wahrheit konstruieren: bestimmte Dinge lassen sich am Ende losschlagen, andere nicht. Der ökonomische Erfolg der einzelnen Marktteilnehmer gilt als ausschießliches und „richtiges“ Kriterium ökonomischen Handelns. Eine andere Bewertung, beispielsweise über sozialen Nutzen oder ökologische Gefahren, ist im Rahmen dieser Konzeption nicht denkbar. Einen übergeordneten Standpunkt gesellschaftlichen Wissens hingegen, so die in Anlehnung an die Erkenntnistheorie Poppers entwickelte Vorstellung, gibt es hingegen nicht. „Wissen existiert nur als Wissen von Einzelnen“, schreibt der neoliberale Vordenker Friedrich von Hayek.

Daraus folgt aus neoliberaler Perspektive, dass jedwede gesamtgesellschaftliche Interventionen in die freien Kräfte des Marktes insofern illegitim sind als sie auf einer unsicheren Wissensbasis beruhen und auch beruhen müssen. Unsicher ist diese Basis insofern als alles wissenschaftlich akkumulierte Wissen immer nur vorläufig und eine Widerlegung jederzeit möglich ist, zumindest aber nicht prinzipiell ausgeschlossen werden kann. Die Vorstellung einer sowohl überindividuellen als auch überhistorischen Erkennbarkeit von Wissensbeständen gilt als menschliche Selbstüberschätzung, erkenntnistheoretischer Fehler und als Schritt in einen politischen Totalitarismus.

Letzteres ist insofern wichtig, wenn wir uns den Grund für die Attraktvität vor Augen führen, die diese doch recht plumpe Annahme für die frühen Neoliberalen entwickeln konnte. Dieser lag in einer Abgrenzung von den Planökonomien des Realsozialismus sowie in einer Kritik der staatlich-ökonomischen Planungsversuchen der keynesianischen (Post- und Prä-) Kriegsökonomien der 1930er bis 1950er Jahre. Diese hatten (auf je unterschiedliche Weise) versucht, vermeintlich objektiv festgestellten Einsichten über die ökonomische Situation und die Lebensverhältnisse der Menschen in Rahmenvorgaben und Pläne für die gesellschaftliche Entwicklung zu übersetzen. Dieses Vorhaben wurde nun von liberaler Seite als letztlich totalitärer Fehlschluss interpretiert. Unabhängig von der Ausgangssituation sei die Vorstellung, der Mensch könne planend in den Lauf der Welt eingreifen, eine einzige Anmaßung. „Diese ganze Vorstellung, daß der Mensch bereits mit einem Verstand ausgestattet ist, der fähig ist, sich eine Zivilisation auszudenken, und sich daran gemacht hat, diese zu schaffen, ist grundlegend falsch.“ schreibt der neoliberale Vordenker Friedrich von Hayek und ergänzt: „Die erfolgreiche Kombination von Wissen und Fähigkeit wird nicht durch gemeinsame Erörterung von Menschen (…) ausgewählt; die Auswahl ergibt sich daraus, daß die Einzelnen die Erfolgreichen nachahmen und dass sie von Zeichen und Symbolen geleitet werden, wie den Preisen, die für ihre Erzeugnisse geboten werden“.

Jede Form des Eingriffs in diese Konstellation muss in dieser Ideologie negative Folgen für das Gesamtverhältnis haben. Sie schränkt willkürlich die Freiheit der Individuen ein, ihre individuellen Interessen vor dem Hintergrund ihres individuellen Wissens bzw. ihrer Einsichten nachzugehen. Eine Folge ist dann die Entstehung von Mehrkosten, die am Ende (so die Unterstellung) von den Leistungsfähigsten der Gesellschaft getragen werden müssten. Diese Annahme gilt bereits jenseits der Klimaleugnung für alle denkbaren und undenkbaren Zusammenhänge, wie in der neoliberalen Literatur vielfach ausgeführt wurde. „Ein früher Klassiker dieses Genres war ein Artikel aus dem Jahr 1975 von Sam Peltzman (…) der behauptete, die Anschnallpflicht töte Fußgänger, weil die Fahrer sich sicherer fühlten und darum größere Risiken auf sich nähmen“1

Dementsprechend werden Eingriffe in den „freien Markt“ auch stets als größtmögliches Übel thematisiert. Staatliche Eingriffe, wie sie der liberale Ökonom John Maynard Keynes gefordert hatte, gelten ebenso wie die Politik Stalins oder wahlweise auch der Nationalsozialismus umstandslos als „Sozialismus“, „Absolutismus“ oder „Kollektivismus“. Darunter macht es der*die gemeine Neoliberale nicht…

Wissensskepsis und Klimaleugnung

Diese Gleichsetzung jedweder Abweichung vom freien Markt mit totalitären Bestrebungen stammt vom Vater des Neoliberalismus, Ludwig von Mises. Der bestimmt den Kern des Liberalismus’ als freie Verfügung über das Privateigentum: „Die Liberalen behaupten, dass die einzig durchführbare Ordnung des menschlichen Zusammenwirkens in der arbeitsteiligen Gesellschaft, das Sondereigentum an den Produktionsmitteln ist.“2 Und mit diesem Eigentum muss dann jede*r machen können was er*sie möchte. Wer auch immer die „moderne Zivilisation“ kritisieren wolle, setze beim Privateigentum und der uneingeschränkten Verfügung der Eigentümer*innen über dieses an. Dahinter stehe jedoch nichts weiter als die kollektivistische Anmaßung, es selber viel besser zu wissen als der Rest der Menschheit:

„Alles, was dem Kritiker nicht gefallt, wird dem Sondereigentum zur Last gelegt […] Das gewöhnliche Verfahren pflegt das zu sein, daß der Kritiker sich ausmalt, wie schön alles wäre, wenn es nach ihm ginge. Er löscht in Gedanken jeden seinem eigenen Willen entgegenwirkenden Willen anderer dadurch aus, daß er sich selbst oder einen genau dasselbe Wollenden als unumschränkten Gebieter der Welt setzt.”3

Diesem Muster folgen die Klimaskeptiker*innen zielsicher und verdammen jeden Versuch, eine Ausrichtung individuellen Handelns an ökologischen Zielen zu erreichen, als Rückkehr zur Planwirtschaft.4 Der Versuch, im „Erneuerbare Energien Gesetz“ angesichts der Klimakrise die notwendige Transformation auf regenerative Energien zumindest rhetorisch festzuschreiben (um sie dann im weiteren wieder zu vergessen), wird umstandslos als Wiederauferstehung der DDR inszeniert: „Im Schatten von Corona droht die Energiediktatur!“ schrieb beispielsweise das neurechte Newsfeed P.I.News.5

Die Klimaleugnung besteht nun im Wesentlichen darin, die angeblich durch Staatshandeln entstehenden Schäden drastisch darzustellen: es wird einerseits auf die (vermeintlichen) wahlweise ökologischen, sozialen oder gesundheitspolitischen Folgen von regenerativen Energieformen verwiesen (Windräder töten Vögel, Solarzellen erzeugen Müll und sind giftig etc.) und andererseits auf den spekulativen Charakter genauer Vorhersagen der Klimaentwicklung verwiesen. Dabei ist interessanterweise die Atomkraft, die ja selbst nur durch massive staatliche Förderung ihre Vormachtstellung erlangen konnte, von der Kritik ausgenommen. Deren Lobpreisung ist scheinbar weder sozialismusverdächtig noch könnte ihre Anwendung schädliche Folgen für Mensch und Umwelt haben.

Klimaskepsis folgt also einer politischen Philosophie und verwandelt diese sehr stringend in politische Praxis. Um gegen diese Praxis dauerhaft gewappnet zu sein werden wir nicht umhinkommen, uns kritisch mit den Grundlagen der neoliberalen Ideolgie und ihrer zumeist menschenfeindlichen Praxis auseinanderzusetzen.

Der Abwehrreflex des Neoliberalismus: Schuld sind die anderen

Das zu Beginn geschilderte wissenstheoretische Argument ist für die Konzeption des neoliberalen Weltbildes konstitutiv. Die Zentralität des Marktes als Institution zur Zusammenführung der individualisierten Wissensmoleküle ist dabei der Argumentation vorausgesetzt und nimmt die Rolle einer Messlatte ein: wer es schafft darüberzuspringen, ist im Recht. Wer immer an den Maßstäben des Marktes scheitert, hat sich nicht ausreichend bemüht. Dieses „sich bemühen“ besteht dabei in dem Versuch, die Anforderungen des Marktes vorherzusehen und sich den Ansprüchen, die dieser an die Menschen stellt, umstandslos zu unterwerfen. Dieses Bild finden wir bereits beim britischen Pfarrer Thomas Robert Malthus im 1798 veröffentlichten „Esay on Population“, einer bis heute wirkmächtigen Schrift zur Bevölkerungspolitik. Ausgehend von den Hungerepedemien unter den britischen Landarbeiter*innen argumentierte Malthus, die Ursache für die hungrigen Mäuler sei ein „Bevölkerungsgesetz“, nach dem sich Menschen einfach schneller vermehren würden als die ihnen zur Verfügung stehenden Lebensmittel. Daher müsse es immer wieder zu überflüssigen Mäulern kommen. Dabei ignorierte Malthus geflissentlich, das die zeitgenössische Armut keineswegs in mangelnder Versorgung mit Lebensmitteln begründet lag, sondern vielmehr in einer Umstrukturierung der Landwirtschaft (hin zur Produktion von Schafwolle als Rohstoff für das globale Handelsgut ,Tuch‘) und der damit einhergehenden „Freisetzung“ der traditionellen Bäuer*innenschaft begründet lag. Über die so entstehende Sozialfigur des Landarbeiters schrieb Malthus: „An der ungeheueren Festtafel der Natur ist für ihn nicht gedeckt. Sie sagt ihm, er möge sich packen“. Wer nicht auf die ökonomischen Mittel zurückgreifen kann, die es braucht um die notwendigen Lebensmittel am Markt zu erwerben, ist überflüssig und soll aus den Augen der guten Christenmenschen verschwinden. Seine einzige Befürchtung besteht darin, dass andere, wohlmeinendere Gemüter, Mitleid bekommen und auf den Gedanken verfallen könnten, die überflüssigen Mäuler irgendwie mit durchzuschleppen. Mit Blick auf die britischen Armengesetze betont er, die Natur werde „schnell ihren Befehl verwirklichen“, es sei denn der Hungerleider könne „das Mitgefühl einiger ihrer Gäste erwecken […]. Wenn diese Gäste aufstehen und ihm Platz machen, werden sofort andere Eindringlinge erscheinen und denselben Gefallen fordern“. Damit zielen die politischen Ausführungen von Malthus im Ergebnis auf nichts weniger als das Verhungern der betreffenden Menschen. Denn deren Leben zählt für den liberalen Vordenker nicht mehr, sobald ihnen die Mittel für die Aufrechterhaltung ihrer Existenz fehlen.

Diese uralte liberale Argumentationsfigur wurde bereits in den 1970er und 1980er Jahren wiederbelebt. Eine anwachsende Weltbevölkerung und der damit einhergehende Welthunger wurden nicht als Folge einer kolonialen und imperialen Unterwerfung der außereuropäischen Peripherie durch die europäischen Großmächte interpretiert, sondern in schlechter liberaler Manier den betroffenen Menschengruppen selbst in die Schuhe geschoben. Die erstarkende Eine-Welt-Bewegung lies allerdings wieder einmal zu befürchten, das wohlmeinende Zeitzeug*innen den naheliegenden Schluss ziehen und der liberalen Weltordnung die Schuld an Hunger und Elend gegben könnten. Um dem vorzugreifen, argumentierte der neoliberale Vordenker Friedrich von Hayek, die Frage, wer überlebt und wer nicht, sei nur eine Frage des Markterfolgs. Denn wenn der Markt den Menschen in einigen Teilen der Welt die Möglichkeit zum Überleben verweigert, dann sei das möglicherweise gut. Denn die zunehmende Überbevölkerung mache ein Reduzierung der Weltbevölkerung ohnehin unabdingbar. Und dann sollten doch lieber diejenigen verhungern, die für die Wohlfahrt der Menschheit am wenigsten beizusteuern hätten:

„Ungleichheit ist nicht bedauerlich, sondern höchst erfreulich. Sie ist einfach nötig … Sehen Sie, in den nächsten 20 Jahren soll sich die Weltbevölkerung erneut verdoppeln. Für eine Welt, die auf egalitäre Ideen gegründet ist, ist das Problem der Überbevölkerung aber unlösbar. Wenn wir garantieren, daß jeder am Leben erhalten wird, der erst einmal geboren ist, werden wir sehr bald nicht mehr in der Lage sein, dieses Versprechen zu erfüllen. Gegen die Überbevölkerung gibt es nur die eine Bremse, nämlich daß sich nur die Völker erhalten und vermehren, die sich auch selbst ernähren können …”6

Diese ebenso sozial-darwinistische wie urliberale Konsequenz dürfte im Rahmen der Klimakrise wieder neue Popularität erlangen. Bereits vor einiger Zeit sorgte der Wirtschaftslobbyist und Großunternehmer Clemens Tönnies für Aufregung, als er vorschlug, den Klimawandel mittels Bevölkerungsreduktion auf dem afrikanischen Kontinent zu bekämpfen. Auch der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki forderte bereits 2019, „dass der erste globale Schritt zum langen Marsch in Richtung Klimarettung die Einberufung einer Weltbevölkerungskonferenz sein muss.“ Das Marktwirtschaftssystem ist für den Liberalismus nicht verhandelbar, also muss die Lösung für die anstehenden Herausforderungen an „die Anderen“ abgeschoben werden.
Tatsächlich finden solche Konferenz regelmäßig statt. Im Nachklang der letzten Konferenz in Nairobi fühlte sich Klaus-Jürgen Gadamer auf der rechtspopulistischen Plattform Tichys Einblick bemüßigt, „an die Verantwortlichkeit der Afrikaner für ihren eigenen Kontinent“ zu erinnern. Das der Lebensstandard in Europa sich im Wesentlichen einer bis heute fortgesetzten Plünderung des Trikont verdankt, kommt Gadamer dabei scheinbar ebenso wenig in den Sinn wie den übrigens neuliberalen und neurechten Autor*innen.7

Ganz ähnlich angelegt sind auch die Ideen der Jungen Alternative Berlin, der Jugendorganisation der AfD. Sie forderte die Einführung einer Ein-Kind-Politik – allerdings nicht für Deutschland, sondern für die Schwellenländer im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit.8 Bislang findet der Diskurs um die Bevölkerungspolitik und die Bekämpfung der Überbevölkerung als wahrer Ursache des Klimawandels noch hinter vorgehaltender Hand statt9 Noch ist die mörderische Konsequenz wie die des Attentäters von Christchurch (der seine Tat u. A. auch mit der Überbevölkerung begründete) nicht an der Tagesordnung, aber sie blitzt immer wieder auf und liegt auf der Falllinie des Neoliberalismus.

 

Anmerkungen:

1 Binyamin Appelbaum, Die Stunde der Propheten

2 Ludwig von Mises: Der Liberalismus

3 Ludwig von Mises: Der Liberalismus

4 Der Verschwörungsfan und Klimakrisenleugner Edgar L. Gärtner nennt derartige Versuche eine „totale monetäre Planwirtschaft“; vgl. https://www.eike-klima-energie.eu/2020/10/11/mit-klimaschutz-durch-dekarbonisierung-und-green-deal-zu-geldsozialismus-wahrheit-und-angst/

6 Friedrich von Hayek, Wirtschaftswoche vom 6.3.1981

7 Vgl. hierzu auch die Beiträge von Julian Bierwirth und Norbert Trenkle im Sammelband „Shutdown“.

8 https://www.n-tv.de/politik/AfD-Jugend-meutert-gegen-Klimaleugner-article21054615.html

9 Zu seinen historischen Vorläufern vgl. https://www.nf-farn.de/maer-ueberbevoelkerung