Die Coronakrise hält die für Mieter negative Entwicklung am Wohnungsmarkt nicht auf. Dabei bietet sich gerade der Immobiliensektor für Regulierungen und Interventionen an.
Von Ernst Lohoff und Peter Samol
Der Text erschien zuerst in der Jungle World 27/2020 vom 2. Juli 2020
Seit vergangener Woche gehört die Lufthansa nicht mehr zu den 30 Aktiengesellschaften, die im Dax vertreten sind. An ihrer Stelle ist das Unternehmen Deutsche Wohnen eingezogen (Mit Schattenmiete in den Dax). Mit ihm und der doppelt so großen Vonovia befinden sich derzeit zwei Immobilienfirmen im wichtigsten deutschen Aktienindex. Beide müssen vor allem ihre Aktionäre zufriedenstellen, während das Wohnen nicht nur in ihren Immobilien stetig teurer wird.
Bundesweit müssen beispielsweise Geringverdienerhaushalte mit einem Nettoeinkommen von unter 1 300 Euro inzwischen 40 Prozent des Einkommens für die Kaltmiete ausgeben, wie aus dem Mietenbericht des Bundesbauministeriums vom vergangenen Jahr hervorgeht. Besonders dramatisch ist die Lage in den Großstädten. Dort sind die Mieten in manchen Gegenden selbst für mittlere Einkommen kaum noch erschwinglich. Dabei ist der Mieteranteil an der Bevölkerung in Deutschland im internationalen Vergleich besonders hoch, mehr als die Hälfte der Bürger lebt in Mietwohnungen. In Berlin beträgt der Anteil sogar über 80 Prozent.
Die neben der vermieterfreundlichen Politik der vergangenen Jahrzehnte wichtigste Ursache der Mietpreisentwicklung liegt darin, dass die Zentralbanken seit der Krise von 2008 unablässig zu äußerst niedrigen Zinsen Geld in die Finanzmärkte pumpen. Weil andere Anlagemöglichkeiten fehlen oder kaum Rendite abwerfen, fließt ein erheblicher Teil des Geldes in den Immobiliensektor. Allein im Jahr 2018 wurden in Deutschland fast 270 Milliarden Euro in Wohnungen, Häuser und Grundstücke investiert, doppelt so viel wie zehn Jahre zuvor.
Die Preise kommen auf eine sehr eigentümliche Art zustande. Anleger vergleichen die Einnahmen, die etwa ein Stück Land voraussichtlich einbringt, mit den Renditen an den Kapitalmärkten. Wenn diese sinken, dann müssten sie mehr Geld in Wertpapiere investieren, um die gleichen Erträge zu erzielen wie zuvor. Das macht Immobilien schon bei gleichbleibenden Mieteinnahmen attraktiv – zumindest solange, bis sie genauso überbewertet sind wie die Aktien. Diese Anlagemechanismen treiben also die Immobilienpreise nach oben. Da die Immobilien möglichst hohe Einkünfte einbringen sollen, konzentriert sich die Immobilienwirtschaft beim Wohnungsbau in wachsendem Maß auf das Hochpreissegment.
Der wirtschaftliche Einbruch im Zuge der Covid-19-Pandemie hat diese Entwicklung der Boden- und Immobilienpreise nur kurz unterbrochen, von einer Wende kann nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Die Zentralbanken pumpen zur Bekämpfung der Folgen der Coronakrise noch mehr Geld in die Finanzmärkte als je zuvor, sogar negative Realzinsen stehen zur Diskussion. Das treibt die Immobilienpreise noch weiter nach oben.
Das müsste nicht sein. In kaum einen anderen Bereich ließe sich auf politischem Weg so einfach regulierend eingreifen wie in den Immobilienmarkt. Dort können die Unternehmen nicht damit drohen, ins Ausland abzuwandern – jedenfalls können sie ihr wichtigstes Eigentum nicht einfach mitnehmen. Zudem ist Grundeigentum überhaupt nur möglich, weil der Staat entsprechende Anrechte auf sein Territorium gewährt. Der Bodenmarkt ist per se politisch reguliert. Die Frage lautet also nicht, ob der Staat regulierend eingreift, sondern vielmehr, zu wessen Gunsten und mit welchen Zielen er das tut.
Der Staat könnte dem Boden den Warencharakter nehmen. Zu diesem Zweck müsste er eine sukzessive Enteignung sämtlicher Grundstücke anstreben, die dann durch langjährige Pachtverträge an Nutzer vergeben werden könnten. Wenn der Boden keine Ware mehr ist, können auch keine Grundstückspreise mehr durch die Decke gehen. In diesem Sinne geht das Volksbegehren »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« in die richtige Richtung.
Dem Grundgesetz zufolge dürfen Enteignungen nicht ohne Entschädigung erfolgen. Diese sollten jedoch möglichst gering ausfallen. Würde der derzeitige Marktwert erstattet, dann würden private Wohnungsfirmen äußerst hohe Vermögensgewinne einstreichen und die Kosten der dringend notwendigen Verbilligung von Grund und Boden würden vollkommen auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Müssten die Wohnungskonzerne stattdessen deutliche Abstriche hinnehmen, dann dürften zwar die Aktien von Vonovia, Deutsche Wohnen und anderen Unternehmen stark fallen, aber das wäre kein Argument gegen die Kommunalisierung von Grund und Boden. Die Alternative dazu sind nämlich massenhafte Wohnungslosigkeit, Ghettobildung und Verarmung.
Die an Städte und Kommunen zurückgefallenen Grundstücke sollten anschließend allein als Erbpacht mit einer Befristung von beispielsweise 99 Jahren an ihre Nutzer vergeben werden. Damit bliebe man zwar im Rahmen der herrschenden Eigentumsordnung, aber dem nach Investitionsmöglichkeiten suchenden Kapital wäre ein wichtiger Anlagegegenstand genommen.
Es wäre allerdings auch danach notwendig, erheblichen gesellschaftlichen Druck aufrechtzuerhalten. Staat und Kommunen sind bekanntlich nicht sehr verlässlich, denn ein Wechsel der politischen Mehrheiten kann das Erreichte schnell zunichte machen. Zudem verfügt die Wohnungswirtschaft über eine gut organisierte Lobby, deren Kampagnen entgegenzuwirken wäre. Eine gut organisierte Bewegung müsste daher die Bereitstellung von Wohnraum gleich in die eigene Hand nehmen und neue Formen selbstorganisierten Wohnens entwickeln. So könnte etwa an die Stelle der renditeorientierten Immobilienwirtschaft eine genossenschaftliche Selbstorganisation treten. Auf diese Weise könnte selbstverwaltetes und selbstbestimmtes Wohnen sogar der Einstieg in den Ausstieg aus der Warengesellschaft sein. Das Wohnen wäre dann eine Art Präzedenzfall, der auch auf andere gesellschaftliche Bereiche ausgreifen könnte. So ließe sich der Glaube an die Ware als natürliche Form des Reichtums erschüttern.