Beitrag zur Debatte um den “Green New Deal” auf der Disko-Seite von
Jungle World (Ausgabe 2021/ 25)
Von Norbert Trenkle
Wer heutzutage dem Kapitalismus eine „bemerkenswerte Stabilität‟ attestiert, wie Alexander Brentler es getan hat, verschließt nicht nur den Blick vor den überall sichtbaren Krisenerscheinungen und heranrollenden Katastrophen, sondern verkennt auch die destruktive Eigendynamik des warenproduzierenden Systems. Zweifellos ist es richtig, dass dieses System äußerst flexibel auf die von ihm selbst erzeugten Krisen reagiert. Aber diese Flexibilität hat stets zur Folge, die zugrundeliegenden inneren Widersprüche auf einer höheren Stufenleiter zu reproduzieren.
Durch jede vermeintliche Krisenlösung wird mit schöner Regelmäßigkeit nur neues und größeres Krisenpotential angehäuft, das früher oder später wirksam werden muss. Das Leben des Kapitalismus lässt sich keineswegs bis in alle Ewigkeit verlängern. Vielmehr geraten mittlerweile die Grenzen des Krisenaufschubs in Sichtweite. Das gilt in ökonomischer ebenso wie in ökologischer Hinsicht.
Dies festzustellen, ist kein apokalyptisches Denken, sondern die analytische Voraussetzung, um die Frage nach einer möglichen gesellschaftlichen Transformation adäquat beantworten zu können. Denn diese stellt sich immer nur konkret in Bezug auf den jeweiligen historischen Entwicklungsstand der kapitalistischen Gesellschaft. Und das heißt heute: das Projekt gesellschaftlichen Emanzipation, wenn es denn gelingen soll, muss unter den Bedingungen eines fundamentalen Krisenprozesses der kapitalistischen Produktions- und Lebensweise verwirklicht werden.
Vor diesem Hintergrund sind die zum Teil geradezu euphorischen Hoffnungen, die mit dem sogenannten “Green New Deal” verbunden werden, zu hinterfragen. Zweifellos verweist die Popularität des Labels “Green New Deal” darauf, dass sich in breiten Schichten der Gesellschaft bis hinauf in die Führungsetagen global agierender Konzerne ein diffuses Krisenbewusstsein breitgemacht hat und verzweifelt nach Auswegen gesucht wird. Irgendwie ist klar, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher; da aber die allgemeine Warenproduktion als Grundlage der Gesellschaft nicht angezweifelt wird, soll versucht werden, diese so umzubauen, dass sie vorgeblich ökologisch nachhaltig wird. Und weil der Glaube an die Allmacht des Markts inzwischen doch deutlich an Überzeugungskraft verloren hat, bleibt nur ein Akteur, der diese Aufgabe bewältigen kann: der Staat.
Doch die Erwartungen, die in die staatliche Handlungsmacht gesetzt werden, sind mehr als übertrieben. Schon die Analogie zum New Deal des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt funktioniert nicht. Zum einen ist, wie Peter Bierl bereits angemerkt hat, auf dem erreichten extrem hohen Produktivitätsniveau kaum zu erwarten, dass durch staatliche Investitionen in die Infrastruktur massenhaft neue (gar tarifvertraglich abgesicherte) Arbeitsplätze entstehen. Vor allem aber ist die Aufgabenstellung, die mit dem „Green New Deal“ verbunden wird, eine völlig andere als vor 90 Jahren.
Damals ging es darum, eine schwere ökonomische Strukturkrise zu bewältigen, die durch einen gewaltigen Schub der Produktivitätsentwicklung worden war und zu Weltwirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit geführt hatte. Das war staatlicherseits leistbar, weil durch kreditfinanzierte Ausgaben- und Beschäftigungsprogramme nicht nur die krisenbedingte Kaufkraftlücke verkleinert, sondern durch den Ausbau der Infrastruktur die Grundlage für den fordistischen Boom gelegt wurde, der dann eine selbsttragende Eigendynamik entwickelte.
Heutzutage ist die Aufgabenstellung eine völlig andere. Der Staat soll nun die gewaltigen ökologischen Probleme lösen, die durch die fordistische und postfordistische Massenproduktion überhaupt erst verursacht worden sind. Und er soll dafür im Wesentlichen das gleiche Instrumentarium verwenden, mit dem er diese Massenproduktion damals in Gang gebracht hat.
Der Widerspruch springt unmittelbar ins Auge. Und er betrifft nicht bloß bestimmte politische und administrative Maßnahmen, sondern ist grundsätzlicher Natur. Es geht hier um Probleme, die aus der prinzipiellen Unvereinbarkeit der kapitalistischen Reichtumsproduktion mit der natürlichen Begrenztheit der Welt resultieren und die deshalb außerhalb des Zugriffs staatlichen Handelns liegen; denn der Staat steht dieser Form der Reichtumsproduktion ja nicht äußerlich gegenüber, sondern ist integraler und notwendiger Bestandteil von ihr.
Zwar gehört es zu den wichtigsten Aufgaben des Staats, die allseitige Konkurrenz zu regulieren und teilweise zu begrenzen. Doch dabei handelt es sich um seine notwendige systemische Funktion. Ohne solche Eingriffe würde eine Gesellschaft, die auf der isolierten Privatproduktion von Waren und damit auf dem allseitigen Gegeneinander von Partikularinteressen beruht, innerhalb kürzester Zeit auseinanderbrechen. Deshalb braucht es eine Instanz, die den allgemeinen Rahmen absichert. Doch daraus folgt eben auch, dass der Staat diesen Rahmen nicht sprengen und die Grundprinzipien der kapitalistischen Reichtumsproduktion nicht außer Kraft setzen kann.
Offenkundig ist das zunächst für den Wachstumszwang, der schlicht darauf beruht, dass die Produktion dem Selbstzweck der rastlosen Akkumulation von abstraktem Reichtum, der sich im Geld darstellt, folgt. Dieser Zwang lässt sich nicht aufheben, ohne zugleich auch die allgemeine Warenproduktion aufzuheben. Das erkennen implizit auch die meisten Verfechter des “Green New Deal” an, indem sie das Bild eines „grünen Kapitalismus‟ zeichnen, dessen Wachstum vom Material- und Energieverbrauch entkoppelt sein soll. Doch das ist eine Seifenblase, die sofort platzt, wenn man sich die vorgeschlagenen Maßnahmen auch nur oberflächlich ansieht. Was sie bestenfalls bewirken könnten, ist eine Reduktion der CO2-Emmissionen, die aber mit der Verschiebung der ökologischen Zerstörung auf andere Felder einhergeht. Paradebeispiel dafür ist die Elektromobilität, für die nicht nur in China massenhaft neue Atomkraftwerke gebaut und weltweit die Vorkommen an Kupfer, Lithium, Kobalt und Seltenen Erden geplündert werden.
Genauso wenig ausschalten lässt sich die Externalisierungslogik, die ebenfalls im innersten Kern des kapitalistischen Systems angelegt ist. Der Grund dafür ist wiederum, dass die historisch-spezifische Form der Reichtumsproduktion, die einen sehr engen und exkludierenden Charakter hat. Als gesellschaftlicher Reichtum gilt prinzipiell nur, was das Produkt von isolierter Privatarbeit ist und in der Gestalt von Waren auf dem Markt kursiert. Alles andere wird vor dem strengen Richterstuhl des Werts nicht anerkannt.
Das gilt zunächst für die Vielzahl an lebensnotwendigen, aber nicht warenförmigen Tätigkeiten, insbesondere für die „weiblich‟ abgespaltenen Care-Tätigkeiten. Es betrifft aber auch die gesamte Ökosphäre, die zum „Außen‟ gemacht wird und deshalb als eine Art kostenloser Zugabe zur gesellschaftlichen Privatproduktion bedenkenlos verschlissen werden kann. Und schließlich kommt hinzu, dass die Reichtumsproduktion in den kapitalistischen Zentren immer schon systematisch zu Lasten der zur Peripherie herabgestuften Regionen erfolgt.
Der Staat kann zwar die Exzesse dieser Externalisierung auf seinem Territorium einschränken, jedoch nicht die zugrundeliegende Logik abschaffen, ohne die kapitalistische Reichtumsproduktion als solche in Frage zu stellen. Selbst im günstigsten Fall wäre ein “Green New Deal“ daher allenfalls eine politische Strategie, um einer globalen Minderheit noch eine Zeitlang eine einigermaßen komfortable Situation auf Kosten der übrigen Welt zu sichern.
Aber sogar das ist äußerst fraglich. Denn zum einen sind Wachstum und Externalisierung angesichts des bereits erreichten Grads am ökologischer Zerstörung im Weltmaßstab enge Grenzen gesetzt; heftige Konflikte um die noch zu verteilende Restmasse an Ressourcen und Naturraum zeichnen sich bereits ab. Zum anderen ist auch die Finanzierungsgrundlage mehr als prekär, weil die Staatsverschuldung sich nicht unendlich ausdehnen lässt und die Geldpolitik der Zentralbanken schon ziemlich überreizt ist.
Diese illusionslose Sicht auf den “Green New Deal” bedeutet aber nicht, die daran orientierte Politik als belanglos abzutun. Auch wenn diese gemessen an ihren eigenen Ansprüchen scheitern muss, eröffnet sie Spielräume für emanzipative Bewegungen, die genutzt werden sollten. Dafür bietet die von Ronja Morgenthaler und Lasse Thiele vorgeschlagene Transformationsstrategie gute Anhaltspunkte. Angesichts der umfassenden Krise des warenproduzierenden Systems wird der Schwerpunkt allerdings weniger auf symbiotischen, sondern eher auf den Freiraum- und Bruchstrategien liegen müssen. Es kommt darauf an, im Konflikt mit der grün angehauchten politischen Krisenverwaltung die Grundlagen für eine auf allgemeiner Kooperation und Selbstorganisation beruhende Gesellschaft jenseits von Markt und Staat zu erkämpfen.