15.09.2023 

Die Seelenschmerzen deutscher Friedensfreunde. Zur Demo von Linkspartei und Antifas

Linke Kleingruppen traten am Weltfriedenstag in Berlin gemeinsam mit der Linkspartei gegen »Krieg und Aufrüstung« und für ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine auf.

Von Martin Brandt

Zuerst erschienen in der Jungle World 2023/36 vom 7. September 2023

Man stelle sich vor, die deutsche Linke demonstriert für den Frieden und keiner geht hin. Doch nichts da: Das neu gegründete Berliner Bündnis »Antikriegskoordination« ließ am »Antikriegs-« und »Weltfriedenstag« die Friedenstaube fliegen und schaffte es, am Samstag mehrere Hundert Menschen am Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor zu versammeln. Unter dem Motto »Nein zu Krieg und Aufrüstung« forderte das Bündnis einen »Stopp der Waffenlieferungen« an die Ukraine sowie einen »sofortigen Waffenstillstand«.

Das Publikum wirkte um einiges jünger und frischer als die kaum mehr als 100 Leute, die am Abend zuvor bei der Kundgebung der rechtsoffenen Friedenskoordination Berlin Unter den Linden herumgestanden hatten, um den »dritten Weltkrieg« zu verhindern – darunter bekannte »Querdenker« wie Michael Bründel (»Captain Future«).

In Sichtweite eines schicken Büros, das der Rüstungskonzern Rheinmetall am Pariser Platz unterhält, trafen am Samstag schwarzgekleidete junge Antifas aus antiimperialistischen Grüppchen auf Polit- und Szeneprominenz: Ines Schwerdtner, ehemalige Chefredakteurin des sozialistischen Magazins Jacobin, die vor kurzem ihren Eintritt in die Linkspartei und gleichzeitig ihre Kandidatur für deren Europaliste verkündet hatte, gesellte sich zu ihren neuen Parteifreunden, darunter die Co-Bundesvorsitzende Janine Wissler.

Auch der antiimperialistische Aktivist und Musikjournalist Marcus Staiger schlenderte bei der Demo mit. Anhänger der Interventionistischen Linken waren ebenfalls dabei. Ein Fan von Willy Brandt trug ein Schild mit dem Spruch des früheren sozialdemokratischen Bundeskanzlers mit sich: »Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts«. Bei einem anderen Schild hatte man sich nicht die Mühe gemacht, wenigstens pro forma auf Putin Bezug zu nehmen, dort stand schlicht: »USA + Nato stoppen«.

Zwei Politiker der Linkspartei führten durchs Programm: Hermann Nehls, Mitglied des Neuköllner Bezirksvorstands, und Christine Buchholz, Mitglied des Parteivorstands und Mitgründerin des antizionistischen Netzwerks »Marx 21«, dem auch Janine Wissler angehörte, bevor sie Parteivorsitzende wurde. Sie wiesen zu Beginn darauf hin, dass Gruppen, die offen für die Zusammenarbeit mit Rechtsextremen sind, von der Veranstaltung ausgeschlossen würden. Darunter müsste wohl auch die Linkspartei-Politikerin Sahra Wagenknecht fallen, die im März bei ihrer eigenen Friedensdemonstration am selben Ort jeden willkommen hieß, »der ehrlichen Herzens für Frieden und für Verhandlungen demonstrieren möchte«, und damit knapp 15.000 Menschen versammeln konnte.

Bis auf wenige Ausnahmen verlief die Versammlung ruhig. Die Zwischenrufe der Gegendemonstranten von der Gruppe »Right to Resist – Linke Ukraine-Solidarität Berlin« gingen während der Auftaktkundgebung unter. Vor einem Ladengeschäft der Bundeswehr am Bahnhof Friedrichstraße hielt die Demo für eine Zwischenkundgebung – an der nur wenige Hundert Meter entfernten russischen Botschaft war die Demonstration rasch vorbeigezogen. Spätestens dort beschlich einen dann doch der Eindruck, bei einer Veranstaltung des Wagenknecht-Flügels gelandet zu sein.

Özlem Demirel, Abgeordnete der Linkspartei im EU-Parlament, heizte dem Publikum ein, das ihr mit lautem Applaus dankte. Der Krieg in der Ukraine sei in Wahrheit ein »brutaler Machtkampf unterschiedlicher imperialer Mächte, die für eigene geostrategische und ökonomische Interessen über Leichen gehen«. Der Nato liege nichts an dem Selbstbestimmungsrecht der Ukraine, ihr Interesse sei »einzig und allein darauf ausgerichtet, den Preis für Russland mit der Verlängerung des Krieges in die Höhe zu treiben«. Die »Völker von unten« sollten den »Imperialisten« deutlich machen: »Nein, wenn ihr uns in den Tod schickt, stellen wir uns euch in den Weg.«

Wieder zurück am Brandenburger Tor sprach der stellvertretende Landesvorsitzende der Naturfreunde Berlin, Uwe Hiksch, in seiner Abschlussrede offen aus, dass es ihm weniger um die konkrete Situation in der Ukraine geht als um seine Befindlichkeiten als Deutscher: »Es tut mir in der Seele weh, dass deutsche Waffen junge russische Soldaten in der Luft zerreißen, kaputtmachen und zerstören.« Deutsche Soldaten hätten in der russischen und der sowjetischen Zeit schon einmal Unglück in diese Region gebracht, sagte Hiksch. »Wer uns heute was von Selbstbestimmungsrecht, von Nation oder von Verteidigung angeblicher Staaten erzählt, der erzählt uns in der Regel etwas davon, dass die Reichen reich bleiben wollen und die Armen arm bleiben sollen.« Zu diesem Zeitpunkt hatte sich freilich schon ein Großteil der Demoteilnehmer ins Wochenende verabschiedet.