Die IG Metall geht mit der Forderung nach der Viertagewoche in die Offensive
von Lothar Galow-Bergemann
Erweiterte Version des gleichnamigen Artikels in Jungle World #17/2023
Kämpfe um radikale Arbeitszeitverkürzung müssen endlich mit solchen um Klimaschutz und um Vergesellschaftung zentraler Ressourcen verbunden werden.
Kurz vor Ostern überraschte die Gewerkschaft IG Metall mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung. Eine Viertagewoche mit 32 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich – mit dieser Forderung will die Gewerkschaft in die Ende 2023 anstehende Tarifrunde in der nordwestdeutschen Stahlindustrie gehen. Ihr Vorsitzender Jörg Hofman erwartet gar eine gesamtgesellschaftliche Wirkung: Die Stahlindustrie sei schon oft Vorreiter für fortschrittliche Regelungen gewesen. Insofern habe diese Forderung eine „grundsätzliche Ausstrahlung über die Stahlbranche hinaus“.
Mit Recht verweist die IG Metall auf die intensiver werdende Debatte über Arbeitszeitverkürzungen. Laut einer Forsa-Umfrage aus dem vergangenen Jahr wünschen sich 70 Prozent der Beschäftigten in Deutschland eine Viertagewoche.
Die Ankündigung der Gewerkschaft kommt zur richtigen Zeit, sie setzt einen Kontrapunkt zu den belehrenden und anmaßenden Tönen von Politikern und Arbeitgebern. Erst im Februar ermahnte Andrea Nahles, ehemalige SPD-Vorsitzende und heutige Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, junge Menschen mit erhobenem Zeigefinger: „Arbeiten ist kein Ponyhof.“ Und Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, forderte längere Arbeitszeiten und „mehr Bock auf Arbeit“. Arrogante Ansprüche, die meilenweit entfernt sind von dem, was immer mehr Menschen bewegt, die aus guten Gründen eben keinen Bock haben.
Die Arbeitgeber reagierten alarmiert. Mit Blick auf die Tarifrunde im Herbst kommenden Jahres wiesen die Metall- und Elektrounternehmen im Südwesten schon mal vorsorglich solche Forderungen zurück. Die Viertagewoche mit einer Verkürzung der Arbeitszeit gehe in die falsche Richtung, teilte der Hauptgeschäftsführer von Südwestmetall, Oliver Barta, der Stuttgarter Zeitung mit. Infolge des Fachkräftemangels wüssten viele Unternehmen kaum noch, wie sie ihr Geschäft erledigen sollen. „Generell weniger zu arbeiten“, wäre demnach „kein Beitrag zu einer Lösung“, so Barta.
Die Angst vor der Beispielwirkung ist groß. „Aber euch ist schon klar, dass dann alle Beschäftigten die 4-Tage-Woche wollen,“ heißt es vielsagend in einem SharePic der IG Metall Jugend. Richtig so. Die Stahlbranche kann nur der Anfang sein. Die Forderung nach der 4-Tage-Woche muss die ganze Gesellschaft ergreifen.
Zum Gewerkschaftstag der IG Metall im Oktober sollte es jetzt entsprechende Anträge der Basis „hageln“. Je mehr die 4-Tage-Woche bei den Kundgebungen des DGB am 1. Mai gefordert wird, um so besser. Auch, weil die Gewerkschaften angesichts der Inflation derzeit vor allem um Lohnsteigerungen kämpfen und das Thema Arbeitszeitverkürzung nach schlechter alter Tradition wieder einmal hinten runter fallen könnte.
Prinzipiell ist es zu begrüßen, dass Gewerkschaften sich die Arbeitszeitverkürzung zum Thema machen. Doch so offensiv, wie es nötig wäre, ist die IG Metall dann doch nicht. Zwar verweist sie auch auf „Lebensqualität und Gesundheit“, begründet ihre Forderung aber vor allem mit der Sicherung von Arbeitsplätzen und einer erhöhten Produktivität, mit der sie glaubt, Arbeitgeber ködern zu können.
Das unterscheidet sie nicht von vielen anderen Befürwortern der Viertagewoche. Selbst der Co-Vorsitzende der Linkspartei, Martin Schirdewan, stößt ins selbe Horn. Erfahrungen aus Schweden, Island oder Belgien würden bereits zeigen, dass die Viertagewoche die Arbeitsbelastung senke und die Produktivität erhöhe, so seine Argumentation. Doch das unreflektierte Beschwören erhöhter Produktivität versäumt es nicht nur, die zerstörerische Megamaschine aus maximalem Profit und ewigem Wachstum zu kritisieren, die die Beschäftigten jeden Tag mit ihrer Arbeit am Laufen halten. Es tut sogar so, als könne deren rasendes Tempo ohne negative Folgen noch weiter gesteigert werden. Mit permanent erhöhter Produktivität immer noch mehr schädliche und überflüssige Betonbauten, Containerschiffe, Flugzeuge und Autos zu bauen, führt in die Klimakatastrophe.
Produktivität wäre vernünftigerweise kein unhinterfragbares Prinzip, dem sich zu unterwerfen ist, sondern von Fall zu Fall gesellschaftlich auszuhandeln: Was soll produziert werden und was nicht? Das aber setzte die Abkehr von der kapitalistischen Wirtschaftsweise voraus. Dass deren Kritik in den Gewerkschaften bis dato kaum formuliert wird, hat allerdings einen handfesten Grund. Zwar weiß mittlerweile jedes zwölfjährige Kind, dass es nicht so weitergehen kann und wir z.B. wesentlich weniger, aber langlebigere Autos bauen müssten. Aber das Problem ist, dass die ganze Gesellschaft von der Megamaschine abhängt: die Profite, die Arbeitsplätze, die Steuereinnahmen. Anders gesagt: Wir produzieren sehr viel Unnützes und Schädliches, aber solange unser Lebensunterhalt vom Verkauf unserer Arbeitskraft abhängt, sitzen wir in der Falle: Machen wir nicht so weiter, ist unser Einkommen gefährdet, von dem wir leben. Machen wir aber so weiter, zerstören wir den Planeten und damit unsere Lebensgrundlage.
Die Gleichsetzung von „sicherem Leben“ mit „sicheren Arbeitsplätzen“ ist das entscheidende Hindernis auf dem Weg in eine bessere Zukunft. Kämpfe um radikale Arbeitszeitverkürzung müssen sich mit Kämpfen um Klimaschutz und um Vergesellschaftung zentraler Ressourcen verbinden und zeigen, dass es auch „anders gehen kann“. Gewerkschaften könnten eine wichtige Rolle spielen. Millionen Mitglieder wissen, wie man sinnvoll, natur- und menschenverträglich produzieren und tätig sein kann. „Wir sind die Fachleute für den Umbau“ wäre das angemessene Motto für Massenorganisationen der Experten*innen für stofflichen Reichtum, die auf die wirkliche Macht der arbeitenden Menschen setzen.