Von Peter Samol
Ursprünglich erschienen in der Jungle World 2024/42 vom 17.10.2024
Die Bundesregierung hat sich gegen EU-Strafzölle auf chinesische Elektroautos eingesetzt und stand damit in der EU fast alleine da. Die deutsche Industrie will auf keinen Fall die Wirtschaftsbeziehungen mit China aufs Spiel setzen.
Schlechte Nachrichten für Hennessy, Rémy Martin und Co.: Bis zu 39 Prozent Strafzölle gelten für einige europäische Cognac-Marken künftig in China. Das gab die chinesische Regierung vergangene Woche bekannt. Die französischen Hersteller appellierten daraufhin an ihre Regierung, »der Eskalation ein Ende zu setzen«. Die Produzenten seien die »Geiseln« des Handelskonflikts um Elektroautos geworden.
Der Anlass für die chinesischen Cognac-Zölle war ein Beschluss des EU-Rats in der Woche zuvor: Am 4. Oktober stimmten die EU-Länder darüber ab, ob geplante Strafzölle auf chinesische Elektroautos noch gestoppt werden sollten, fanden dafür aber keine qualifizierte Mehrheit. Die EU-Kommission kann nun ab dem 1. November die Strafzölle erheben.
Die Bundesregierung war in der Frage uneins. Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) traten gegen die Zölle ein, Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach sich dafür aus. Im Fall einer solchen Uneinigkeit ist es üblich, dass sich Deutschland bei Abstimmungen enthält. Aber Scholz machte von seiner Richtlinienkompetenz als Kanzler Gebrauch und setzte ein deutsches Nein durch. Genutzt hat es nichts, denn nur vier weitere EU-Staaten sprachen sich ebenfalls gegen die Zölle aus – Ungarn, die Slowakei, Slowenien und Malta.
Die EU-Kommission wirft China vor, die Produktion seiner Elektroautos zu stark zu subventionieren und sie dadurch konkurrenzlos billig zu machen. Die Zölle sollen diesen Konkurrenzvorteil ausgleichen. Ihre Höhe soll sich folglich danach richten, wie viele Subventionen ein Hersteller zuvor in China bekommen hat.
Der chinesische Konzern BYD soll 17 Prozent, Geely 19,3 Prozent und SAIC 35,3 Prozent zahlen – zusätzlich zu den zehn Prozent Zoll, die für chinesische Autos sowieso schon gelten. Auch die deutschen Hersteller Mercedes, BMW und VW, die in China Elektroautos für den Export in die EU produzieren, sind betroffen. Für sie soll der Zollaufschlag bei 21,3 Prozent liegen.
Ob die Zölle, die maximal fünf Jahre lang gelten sollen und bis zu 35,3 Prozent betragen dürfen, wirklich eingeführt werden, hängt nun allein von der EU-Kommission ab. Sie hat der chinesischen Regierung Medienberichten zufolge signalisiert, dass sie bei entsprechenden Zugeständnissen auf die Zölle verzichten würde, gegebenenfalls auch noch nach ihrem Inkrafttreten. Als Lösung kämen wohl Mindestpreise für chinesische Autos in Frage oder eine Ankündigung, die Produktion zum Teil in die EU zu verlagern.
Deutschen Automarken können nicht mithalten
Wie erklärt sich das Votum der Bundesregierung im EU-Rat? Neben dem Maschinenbau und der Chemieindustrie ist die Autoindustrie der wichtigste Sektor der deutschen Wirtschaft – und in allen drei Branchen sind deutsche Konzerne stark auf den chinesischen Markt angewiesen. Der größte Chemiekonzern Deutschlands zum Beispiel, BASF, streicht derzeit Stellen an seinem heimischen Standort, während er in China in großem Stil expandiert und investiert. Die drei großen deutschen Automobilkonzerne erzielten dort 2023 gut ein Drittel ihres Absatzes. Deshalb hat sich Olaf Scholz dafür eingesetzt, die Wirtschaftsbeziehungen mit China nicht durch EU-Strafzölle zu belasten – und hatte dabei ausdrücklich die deutschen Autokonzerne hinter sich.
Während BMW und Mercedes in China bisher vor allem Luxusautos verkauften, hat VW das Mittelklassensegment bedient. Allerdings funktioniert das seit 2022 nicht mehr so gut, denn seitdem ist dort der Umstieg auf Elektroautos in vollem Gange. Die deutschen Marken haben zu spät in den Umstieg auf elektrische Antriebe investiert und können derzeit in puncto Preis-Leistung mit chinesischen Elektroautos offenbar nicht mithalten.
Im ersten Halbjahr 2024 waren nur noch 59 Prozent aller chinesischen Neuwagen Verbrenner. Und die chinesische Regierung forciert diesen Trend weiter, indem sie für Elektroautos Steuererleichterungen und Kaufprämien gewährt. Außerdem bekommt man in vielen chinesischen Gemeinden für ein E-Auto schneller eine Zulassung.
VW erwägt Schließung von Werken
Damit nicht genug, exportiert China auch immer mehr Autos – vor allem mit Elektromotor – nach Europa. Nach Angaben der EU-Kommission hat sich der Anteil aus China importierter Elektroautos an den EU-Zulassungen in den vergangenen vier Jahren vervielfacht – von 3,5 auf 27 Prozent. Eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers vom Juli schätzt, dass China dieses Jahr zum ersten Mal mehr Autos in die EU verkaufen könnte (440.000) als umgekehrt (325.000 Fahrzeuge – darunter 295.000 deutsche).
Abgesehen von ihrem Entwicklungsvorsprung haben die chinesischen Hersteller auch wegen niedrigerer Lohn- und Rohstoffkosten einen Wettbewerbsvorteil. Es droht der Abstieg der deutschen Autoindustrie. Schon seit Jahren geht ihre Produktion in Deutschland zurück. Wurden hierzulande 2016 noch 5,7 Millionen PKW hergestellt, waren es 2023 nur noch 4,1 Millionen – ein Minus von 28 Prozent in sieben Jahren. Die Lage ist mittlerweile so ernst, dass der Vorstandsvorsitzende von VW, Oliver Blume, Anfang September Werkschließungen »nicht ausschließen« wollte.
Die Wirtschaftsbeziehungen zu China sind in den Augen der deutschen Konzerne und der Bundesregierung essentiell – doch gleichzeitig ist die Abhängigkeit von China ein Grund für das schwache Wachstum in Deutschland. Jahrzehntelang konnte Deutschland seine Ausfuhren fast kontinuierlich steigern – im Jahr 2023 gingen sie jedoch leicht zurück. Hauptgrund ist das Geschäft mit China. 2023 sanken die deutschen Exporte dorthin um etwa zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr, 2024 wird der Rückgang wohl noch stärker ausfallen.
Die eigenen Probleme exportieren
China stellt inzwischen immer mehr Waren, die es früher aus Deutschland bezogen hat, selbst her. Hinzu kommt, dass in China weniger konsumiert wird. Gründe sind vor allem die Immobilienkrise und die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Der Immobilienmarkt, der ein Viertel der chinesischen Wirtschaftsleistung ausmacht, ist in einer tiefen Krise. Das führt zu starken Vermögensverlusten bei der dortigen Mittelschicht. Außerdem ist inzwischen fast jede:r Fünfte unter 25 arbeitslos. Junge Absolvent:innen treffen auf eine Wirtschaft, die viel langsamer wächst als noch vor einigen Jahren. Wer gerade sein Vermögen verloren oder arbeitslos ist, kauft nur das Nötigste ein.
China macht in dieser Situation das Gleiche wie viele andere Länder: die eigenen Probleme buchstäblich exportieren. Anstatt die heimische Nachfrage zu stärken, wird das Lohnniveau niedrig gehalten und die Industrie auf Wettbewerbsfähigkeit getrimmt. Das sichert den Warenabsatz im Ausland und verhindert die Vertiefung der Krise im eigenen Land – wenn auch meistens auf Kosten der öffentlichen Investitionen, der sozialen Rechte und der Löhne. Deutschland sollte dieses Spiel eigentlich kennen, denn es war darin selbst bis vor kurzem noch-Weltmeister.