Von Peter Samol
(Zuerst erschienen in der Jungle World 2024/06 vom 08.02.2024)
Viele Menschen sind von der Inflation gebeutelt. Sie reagieren darauf jedoch nicht mit Kritik am Konkurrenzkapitalismus oder wenigstens mit der Forderung, Bessergestellte stärker in die Pflicht zu nehmen, sondern empören sich lieber über angeblich zu hohe Sozialleistungen.
Kaum werden die Mittel knapper, beginnen wieder die Ressentiments gegen Schwächere zu sprießen. Eine Umfrage des Allensbach-Instituts für Demoskopie, die am 25. Januar in der FAZ veröffentlicht wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass viele Menschen meinen, Arbeit lohne sich nicht mehr, weil die Bürgergeldauszahlungen zu hoch seien. Zwar wünsche sich die überwältigende Mehrheit einen leistungsfähigen Sozialstaat, nicht aber eine Annäherung von Unterstützungs- und Erwerbseinkommen. Denn das »Gerechtigkeitsempfinden« habe eine »ausgeprägte Leistungskomponente«, heißt es in der Umfrage.
Die große Mehrheit halte einen großen Abstand zwischen Arbeitseinkommen und staatlichen Unterstützungsleistungen »für richtig und gerecht«, insbesondere in der Mittel- und Unterschicht. Dass der Staat die Miet- und Heizkosten der Bürgergeldempfänger übernimmt, erzeugt demnach den Eindruck, dass diese die steigenden Wohn- und Energiekosten weniger zu spüren bekommen als andere. Die meisten scheinen überzeugt, dass viele Leistungsempfänger keine Lust mehr hätten zu arbeiten.
Die Befragten folgen mit dieser irrigen Ansicht dem gern bemühten Klischee von den faulen Arbeitslosen, auf das Politiker in Zeiten knapper Kassen geradezu reflexartig zurückgreifen. So machte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bei seinem Auftritt vor protestierenden Bauern lieber die Empfänger staatlicher Leistungen zum Buhmann, statt über die verfehlte Landwirtschaftspolitik der vergangenen Jahrzehnte zu reden.
In dasselbe Horn bläst Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), indem er die wenigen Erleichterungen bereits wieder rückabwickelt, die die Einführung des Bürgergeld brachte. Heil will allen Arbeitslosen, die »sich willentlich weigern, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen«, den Regelsatz des Bürgergelds zwei Monate lang komplett streichen. Davon erhofft er eine jährliche Ersparnis von 170 Millionen Euro. Dass die SPD noch ein Jahr zu vor ihr miserables Image als »Hartz-IV-Partei« abstreifen wollte, scheint schon wieder vergessen. Und von den Grünen kommt, wie immer, keine Widerrede.
Das Bürgergeld wurde am 1. Januar 2023 als Nachfolger des Arbeitslosengelds II, besser bekannt als Hartz IV, eingeführt. Geändert hat sich dadurch allerdings nur wenig. Immerhin wurde die Vermögensprüfung der Bürgergeldempfänger für das erste Jahr des Hilfsbezugs ausgesetzt. Ferner wurden die Zahlungen zu Beginn des Jahres 2024 um 61 Euro auf 563 Euro erhöht, womit aber lediglich der längst fällige Ausgleich für frühere Preissteigerungen nachgeholt wurde.
Carsten Linnemann, der kommissarische Generalsekretär der CDU, kündigte kürzlich in der Bild am Sonntag indes an, als Erstes das Bürgergeld in der jetzigen Form abzuschaffen, sollte seine Partei Teil der nächsten Regierung werden. Wer sich weigere zu arbeiten, müsse mit harten Sanktionen rechnen. Und auch die Vermögensprüfung werde wieder vom ersten Tag des Hilfsbezugs an stattfinden. In der Praxis spielt diese jedoch kaum eine Rolle, weil Neuempfänger nur selten über ein relevantes Vermögen verfügen.
Es ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn Politikern nichts Besseres einfällt, als gegen Menschen zu hetzen, die ohnehin schon zu den Benachteiligten zählen. Zugleich machen sie damit statt der allgemeinen Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums den Abstand zwischen Mindestlohn und Bürgergeld zum Streitpunkt. Indem sie Arme gegen noch Ärmere ausspielen, verschwinden große Vermögen und hohe Einkommen aus der Debatte. Das ist besonders absurd, da die Bundesregierung derzeit von unten nach oben umverteilt.Die Inflation trifft Ärmere besonders hart, weil diese einen größeren Anteil ihres Einkommens für Essen und Energie ausgeben müssen.
Die Ampelkoalition schafft einerseits Entlastungen bei der Einkommensteuer. Andererseits erhöht sie jedoch die Verbrauchsteuern, indem sie beispielsweise in der Gastronomie zu höheren Mehrwertsteuersätzen zurückkehrt, die CO2-Steuer anhebt und eine Plastiksteuer einführt. Dadurch haben Menschen mit hohen Einkommen mehr Geld als zuvor, während andere durch die indirekten Steuern mehr bezahlen müssen, als sie bei der Einkommensteuer sparen.
Die Antworten der vom Allensbach-Institut Befragten könnte man im Übrigen ganz anders verstehen als die Autoren der Studie. Wenn wirklich dumm ist, wer sich bei der Arbeit anstrengt, kann das ebenso bedeuten, dass die kapitalistische Lohnarbeit selbst das eigentliche Problem ist. Sie kostet enorm viel Lebenszeit, in der man häufig unter miserablen Bedingungen viel zu viele, oft nutzlose oder viel zu rasch kaputtgehende Waren herstellen muss. Vielleicht sollten die unter ihrer Arbeit Leidenden einfach dem Impuls folgen, diese Umstände in Frage zu stellen, und ganz andere Formen des Zusammenlebens anstreben, als tagein, tagaus miteinander zu konkurrieren.