von Minh Schredle
Nachdem „Correctiv“ über ein Geheimtreffen von Rechtsextremisten berichtete, auf dem unter Beteiligung der AfD Pläne geschmiedet wurden, Millionen von Menschen aus der Bundesrepublik nach Afrika zu deportieren, ist auch eine positive Entwicklung zu beobachten: Zehntausende waren am vergangenen Wochenende auf den Straßen, um der drohenden Barbarei etwas entgegen zu setzen.
Doch die Lage bleibt mehr als Ernst. Und nur wenige Tage nach der Offenlegung dieser neonazistischen Absichten, rät ein Autor in der „Welt“, die AfD durch eine Regierungsbeteiligung zu „entzaubern“. Die CDU solle „in den sauren Apfel beißen“, empfiehlt Alan Posener in seinem völlig grotesken Schmierenstück, und in den Ost-Ländern koalieren, „während man auf Bundesebene der Staatsräson gehorcht und der Versuchung widersteht, mit den Radikalen zu regieren“. Als Stichwortgeber für seine Argumentation dient ihm Karl Marx, demzufolge sich die Geschichte wiederhole: Das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce.
So arbeitet Posener selbst heraus, dass gewisse Parallelen zum Aufstieg der NSDAP unverkennbar seien. In seinen Worten: „Da war der Plan, Millionen unerwünschte Menschen nach Afrika zu schicken – eine größenwahnsinnige Karikatur des Nazi-Plans, die Juden nach Madagaskar zu verschiffen. Selbst das Hotel, das einst dem Nazi Louis Adlon gehörte, wirkt ein wenig wie das Haus der Wannsee-Konferenz.“ Es hätte ihm zufolge auch niemanden überrascht, dass die AfD dabei war, denn schon lange sei bekannt, „dass die AfD eine bürgerliche Fassade für“ – wie er es nennt – „unbürgerliche Elemente“ bietet.
Die Folgerung, die er daraus zieht, läuft darauf hinaus, der Partei mit den unbürgerlichen Elementen zu mehr Macht zu verhelfen: „In den Ländern kann die AfD viel Unsinn anrichten, gefährdet aber nicht die Staatsräson und entlarvt sich entweder als Querulantenhaufen oder trennt sich von protofaschistischen Spinnern.“ Außerdem fordert Posener: „Die anderen Parteien müssen aber aufhören, so zu tun, als befänden sie sich in einem schlechten Thriller namens 1933. Wir haben es mit der Farce-Version zu tun.“
Die größte Farce ist sein Text, der einerseits historische Analogien bemüht – und andererseits völlig geschichtsvergessen ist. Die erste Regierungsbeteiligung der NSDAP erfolgte nach der Landtagswahl 1929 in Thüringen, wo die Nazis zunächst nur sechs von 53 Sitzen im Parlament innehatten. Nach längerem Zaudern konnte sich Erwin Baum, der starke Mann des bürgerlichen Lagers, schließlich dazu durchringen, lieber mit den Faschisten zu koalieren als mit Sozialdemokraten oder – noch schlimmer! – Kommunisten.
Die NSDAP leitete daraufhin das Innen- und das Bildungsministerium, und richtete dort, in Poseners Worten, „viel Unsinn“ an: „„Als Innenminister wird Dr. Frick eine langsame Säuberung des Verwaltungs- und Beamtenkörpers von den roten Revolutionserscheinungen vornehmen. Dr. Frick wird hier mit rücksichtsloser Entschlossenheit eine Nationalisierung einleiten“, notierte Adolf Hitler in einem Brief, in dem er den bislang größten Erfolg seiner Partei bejubelte. „Die zweite große Aufgabe wird Dr. Frick als Volksbildungsminister in der Nationalisierung des Schulwesens erblicken. Wir werden in Thüringen nunmehr das gesamte Schulwesen in den Dienst der Erziehung des Deutschen zum fanatischen Nationalisten stellen. Wir werden ebenso sehr den Lehrkörper von den marxistisch-demokratischen Erscheinungen säubern, wie umgekehrt den Lehrplan unseren nationalsozialistischen Tendenzen und Gedanken anpassen.“
Die Pläne wurden zügig in die Tat umgesetzt, auch bei der dem Innenministerium unterstehenden Polizei haben NSDAP-Fans steile Karrieren hingelegt. Die bürgerlich-nationalsozialistische Koalition in Thüringen überlebte nur gutes Jahr. „Dann wurde der Deutschen Volkspartei klar, dass sie der Aggressivität der Hitler-Bewegung in Staatsfunktionen nichts entgegenzusetzen hatte“, informierte 2020 ein Text in der „Welt“. Dr. Frick ist daraufhin am 1. April 1931 durch ein Misstrauensvotum gestürzt worden. „Doch der Schaden war angerichtet“, heißt es weiter bei der „Welt“, „das Tabu einer Regierungsbeteiligung der NSDAP gebrochen. Spätestens seit der Thüringer Koalition wussten alle politisch Interessierten in Deutschland, dass die NSDAP nach der Diktatur strebte und bereit war, dazu bürgerliche Parteien zu benutzen.“
Wie gut das Entzaubern durch eine Regierungsbeteiligung funktioniert hat? Bei der nächsten Thüringer Landtagswahl am 31. Juli 1932 steigerte die NSDAP ihren Stimmenanteil auf 42,5 Prozent und wurde so zur mit weitem Abstand stärksten Kraft – nicht obwohl, sondern weil die Deutschen ihre Absichten kannten.