Ursprünglich erschienen in der Jungle World 2024/49 vom 05.12.2024
Das VW-Management will mit Kündigungen und Werksschließungen Milliarden einsparen, um den Gewinn wieder anzuheben. Die IG Metall und der Betriebsrat antworten mit Streiks.
Seit September ist die Welt bei VW nicht mehr dieselbe wie zuvor. Der Vorstand teilte mit, er plane zum ersten Mal seit 30 Jahren Kündigungen und sogar Werksschließungen. Bis 2026 sollten die Kosten des Konzerns um zehn Milliarden Euro gesenkt werden. Kurz darauf folgte offiziell die Aufkündigung des Haustarifvertrags. Der enthielt eine seit 1994 geltende Beschäftigungsgarantie, die betriebsbedingte Kündigungen verbietet. Laut Tarifvertrag sollte sie noch bis 2029 gelten. Doch das ist nun vorbei – ab kommendem Sommer darf der Konzern wieder Beschäftigte betriebsbedingt entlassen.
Bei VW drohe ein Arbeitskampf, »den das Land in seiner Intensität lange nicht mehr gesehen haben könnte«, sagte IG-Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger bereits vor zwei Wochen. Am Sonntag ist nun die Friedenspflicht ausgelaufen. Direkt am nächsten Tag gab es die ersten Warnstreiks an neun von zehn VW-Standorten in Deutschland.
Beim jüngsten Verhandlungstag am 22. November hatten sich bereits 7.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus verschiedenen VW-Werken in Wolfsburg zum Protest versammelt. »Das ist nur ein Vorgeschmack auf das, was ab Dezember passiert, wenn das Unternehmen unsere konkreten Lösungsvorschläge nicht ernst nimmt«, äußerte die Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo in einer Pressemitteilung. Betriebsrat und Gewerkschaft hatten eigene Sparpläne vorgestellt, die vor allem auf Arbeitszeitverkürzung und -flexibilisierung abzielen, um Entlassungen und Schließungen zu vermeiden.
Die Konzernleitung hingegen sagt, sie wolle bis zu drei Werke in Deutschland schließen. Damit nicht genug, sollen den verbleibenden Beschäftigten pauschal zehn Prozent vom Monatsentgelt sowie die bisher üblichen Sonderzahlungen gestrichen werden. Seit Jahrzehnten gab es keine solchen Einschnitte mehr bei VW.
VW macht Milliardengewinne
Das Unternehmen Volkswagen hat Probleme. Nach Jahren mit Rekordgewinnen stockt im Jahr 2024 das Geschäft. Im dritten Quartal ist der Gewinn um zwei Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen. Er lag allerdings immer noch bei 1,6 Milliarden Euro. Verluste macht VW nicht. Noch vor wenigen Monaten schüttete der Konzern für das Geschäftsjahr 2023 insgesamt 4,5 Milliarden Euro an die Anteilseigner aus. Von 2021 bis 2023 zahlte er Dividenden im Umfang von insgesamt 22 Milliarden Euro an die Aktionäre.
Doch der Absatz sinkt – im dritten Quartal weltweit um sieben Prozent, im wichtigsten Markt China noch deutlich stärker. Damit steht VW nicht alleine, die ganze deutsche Autobranche hat Schwierigkeiten. BMW hat im gegenwärtigen Quartal einen Gewinneinbruch um 84 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet. Ford hat angekündigt, bis Ende 2027 in Deutschland 2.900 Stellen abzubauen. Die Zulieferfirmen der Autoindustrie scheint es besonders hart zu treffen. Continental hat nach Angaben des Konzerns seit Mitte 2023 schon 5.000 Stellen gestrichen. ZF will laut Konzernleitung bis 2028 in Deutschland bis zu 14.000 Stellen »reduzieren«. Schaeffler kündigte an, insgesamt 4.700 Stellen zu streichen, davon 2.800 in Deutschland. Bei Bosch sollen bis zu 5.500 Stellen wegfallen, davon 3.800 in Deutschland.
Die Zeiten von billiger Energie, Niedrigzinsen und boomender Nachfrage vor allem in China sind seit der Covid-19-Pandemie und dem russischen Überfall auf die Ukraine vorbei – und damit die Bedingungen, unter denen die deutsche Industrie florierte.
Bei der Autoindustrie kommen jedoch einige besondere Probleme hinzu. Wegen des nachlassenden Wachstums und der starken Inflation der vergangenen Jahre ist die Nachfrage nach PKW zurückgegangen. In Europa hat VW immer noch einen Marktanteil von 25 Prozent. Doch werden in Europa pro Jahr – Volkswagen-Finanzchef Arno Antlitz zufolge – etwa drei Millionen Autos weniger verkauft als vor Beginn der Covid-19-Pandemie. Laut dem Branchenblatt Automobilwoche zufolge ist diese Aussage »korrekt«.
Die Konkurrenz zieht vorbei
Hinzu kommen seit kurzem Absatzprobleme auf dem chinesischen Markt und eine erstarkende chinesische Konkurrenz, die nach Europa drückt. In beiden Fällen verdrängen günstigere und bessere Elektrofahrzeuge die Produkte von VW. Einer aktuellen Studie der Beratungsfirma PwC zufolge ist auf allen drei großen Märkten – Europa, China, USA – das Model Y des US-Konzerns Tesla das mit Abstand meistverkaufte Elektroauto. Die VW-Modelle liegen weit abgeschlagen auf den hinteren Plätzen.
Den frühzeitigen Umstieg auf Elektroantriebe haben die deutschen Konzerne nicht bloß verschlafen. Sie haben per Lobbydruck auf die Bundesregierung und die EU-Institutionen dafür gesorgt, die Umstellung immer weiter hinauszuschieben. VW entwickelte sogar eine Technologie, um die eigenen Kunden und den Staat in die Irre zu führen und ihnen einen niedrigeren Wert beim CO2-Ausstoß von Dieselautos des Konzerns vorzugaukeln. VW musste hohe Strafen zahlen, Schätzungen zufolge wird der »Dieselskandal« den Konzern letztlich bis zu 30 Milliarden Euro kosten.
Bis zuletzt machten die deutschen Autokonzerne noch riesige Gewinne mit ihren Verbrennern. Doch nun erweist sich das Festhalten an der veralteten Technologie als Fehler. Die relative Stärke der deutschen Konzerne bei Verbrennungsmotoren ist immer weniger wert. Entscheidender dürften zukünftig andere Technologien sein, zum Beispiel die Betriebssoftware. Die ist nicht nur für die Steuerung des Unterhaltungssystems und der Cockpit-Anzeigen zuständig, sondern steuert auch Fahrsicherheitssysteme, Assistenten und Warnelemente.
Google ist heutzutage ein führender Anbieter solcher Autosoftware. Volkswagen scheiterte jahrelang daran, eine eigene zu entwickeln. In der Tochterfirma Cariad sollten sich ein paar zugekaufte Spezialist:innen mit angestammten Entwicklern von VW zusammentun und den zweitgrößten Softwarekonzern Deutschlands aus dem Boden stampfen. Das scheiterte krachend, mit der Folge, dass einige neue VW-Modelle Jahre zu spät auf den Markt kommen werden. Mittlerweile hat sich VW mit dem US-Hersteller Rivian zusammengetan. VW soll fünf Milliarden Euro investieren, im Gegenzug soll Rivian über ein Joint Venture den Konzern mit einer zukunftsfähigen Softwareplattform versorgen.
Schwierigkeiten gibt es auch im Bereich der Batterien für E-Autos. Um gegen Lieferprobleme gewappnet zu sein, hatte sich VW mit über 20 Prozent an dem europäischen Batteriehersteller Northvolt beteiligt. Der ist jetzt in eine Krise geraten und steht kurz vor der Insolvenz.
Vorschläge der Arbeitnehmer
Die Gewerkschaft IG Metall und der VW-Betriebsrat setzten den drastischen Kürzungsplänen der Konzernspitze am 20.November eigene Vorschläge entgegen. Es sind ebenfalls Einsparpläne, die aber ohne betriebsbedingte Kündigungen und Standortschließungen auskommen sollen.
Die IG Metall orientiert sich am jüngsten Tarifabschluss in der Gesamtmetallbranche. Der sieht Lohnsteigerungen um 5,1 Prozent bis 2026 vor. Für VW, wo nach Haustarif gezahlt wird, gelten die Branchenabschlüsse zwar nicht automatisch, doch die Gewerkschaft fordert für die VW-Beschäftigten dieselbe Steigerung.
Die Gehaltserhöhung soll aber nicht ausgezahlt, sondern zur Verringerung der Arbeitszeit verwendet werden. Das wiederum soll durch einen »solidarischen Zukunftsfonds« organisiert werden, der eigens einzurichten wäre. Auch Tariferhöhungen der kommenden Jahre sollen demnach nicht ausgezahlt werden, sondern in das Fondsvermögen eingehen. Das könnte sich dann auf bis zu 1,5 Milliarden Euro belaufen, die für flexible Arbeitszeitverkürzungen und deren Lohnausgleich eingesetzt werden sollen. So will man Entlassungen vermeiden.
Ansonsten soll der auch aus Sicht der Gewerkschaft unvermeidliche Personalabbau vor allem über altersbedingtes und freiwilliges Ausscheiden erfolgen. Die IG Metall teilte mit, die Belegschaft sei auch bereit, auf einen Teil ihrer Erfolgsbeteiligung zu verzichten, sofern das Management das ebenfalls tut und auf einen Teil seiner Boni verzichtet. Auch die Aktionäre sollen herangezogen werden und sich mit niedrigeren Dividenden zufriedengeben.
Noch laufen die Verhandlungen. Doch VW-Markenchef Thomas Schäfer sagte vergangene Woche erneut im Interview mit der Welt, die Produktionskapazitäten müssten verringert werden, Werksschließungen seien unvermeidbar. Ferner sei ein großer Teil des Stellenabbaus zwar »über die demographische Kurve möglich«, allein würde das aber nicht ausreichen. Es sei zwar schon einiges durch niedrigere Logistik- und Materialkosten gespart worden, zum Einsparziel fehlten aber immer noch vier Milliarden Euro.
Die 4,5 Milliarden Euro, die für 2023 als Dividenden ausgezahlt wurden, hätten dieses Defizit gedeckt. Arno Antlitz kündigte zwar an, dass die Dividende im kommenden Jahr kleiner ausfallen werden, der Konzern werde aber weiterhin 30 Prozent des Gewinns ausschütten. Damit verbliebe die Hauptlast für Einsparungen bei den Beschäftigten.