Von Minh Schredle
Die Bundesregierung plant, Unternehmen mit milliardenschweren Steuergeschenken zu entlasten. Beim Sozialstaat soll zukünftig gespart werden, meint Finanzminister Christian Lindner (FDP).
Schaut man auf die Schlagzeilen in deutschen Medien, kann der Eindruck entstehen, es brauche beim Taumeln am Abgrund nur noch einen kleinen Schubs, dann stürze die deutsche Wirtschaft ab und überall im Land gingen die Lichter aus. Auch Industriegiganten wie Bayer und Volkswagen haben angekündigt, Stellen abzubauen, und schwören ihre Belegschaften unter ostentativem Ächzen auf schwere Zeiten ein.
Tatsächlich steht Deutschland am Rand der Rezession, die Bundesbank geht davon aus, dass die Wirtschaft dieses Jahr »bestenfalls stagnieren« werde. Dabei haben die großen Konzerne die wirtschaftlich turbulenten vergangenen Jahre bislang sehr gut überstanden. 2022 konnten sich viele der 40 größten deutschen Unternehmen noch über Rekordgewinne freuen.
Wie hat das geklappt, trotz Krieg und Inflation? Henrik Ahlers, Deutschland-Vorsitzender der Beratungsfirma EY, erklärte dazu erfrischend unverblümt: »Den meisten Dax-Unternehmen gelang es, hohe Kosten bei Personal, Beschaffung und Energie an ihre Kunden weiterzugeben.«
Hart waren diese Jahre vor allem für Leute, die wenig Geld verdienen. Jahrelang sanken die Reallöhne in Deutschland. Erst 2023 sind sie zum ersten Mal wieder gestiegen – um sage und schreibe durchschnittlich 0,1 Prozent im Vergleich zu 2022. Das macht die Kaufkraftverluste der vergangenen Jahre natürlich nicht wett.
Bei den großen Unternehmen sieht es weiterhin rosig aus. Die 110 größten deutschen Börsenunternehmen haben auch im vergangenen Jahr wieder Rekordgewinne eingefahren. Für das Jahr 2023 prognostiziert die Deka-Bank zudem einen neuen Dividendenrekord für die Dax-Konzerne: Insgesamt 54,6 Milliarden Euro sollen ausgeschüttet werden, 1,6 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr.
Doch von Friedrich Merz bis Robert Habeck, von der Wirtschaftspresse bis zu Sahra Wagenknecht sind sich derzeit alle einig: Dem deutschen Standort geht es schlecht und die Unternehmen brauchen dringend Hilfe. Und die ist schon unterwegs: Das sogenannte Wachstumschancengesetz, das kürzlich im Bundestag verabschiedet wurde und am 22. März im Bundesrat zur Abstimmung steht, sieht Steuergeschenke und Subventionen in Höhe von 3,2 Milliarden Euro pro Jahr vor. Ein großer Teil der geplanten Zuwendungen soll der Baubranche zugutekommen, die nach goldenen Jahren mit Spitzenrenditen nun strauchelt.
Ursprünglich wollte die Bundesregierung sogar mehr als doppelt so hohe Entlastungen. Doch nach Protesten der Bundesländer, die befürchteten, auf den Kosten sitzenzubleiben, musste nachverhandelt werden. Um an anderer Stelle zu sparen, wurde unter anderem die sogenannte Klima-Investitionsprämie gestrichen. Durch sie wären Investitionen, die dem Klimaschutz dienen, subventioniert worden.
Bedenkt man, dass für 2023 ein Sparhaushalt beschlossen wurde, sind 3,2 Milliarden Euro im Jahr immer noch eine erhebliche Summe. In anderen Bereichen soll unterdessen gespart werden. So wäre es nach Ansicht von Finanzminister Christian Lindner (FDP) ein großer Schritt, »wenn es uns gelänge, mal drei Jahre mit dem auszukommen, was wir haben«. Der Appell richtet sich nicht an Aktionäre – es geht um den Sozialstaat. Da sollten »nicht immer neue Subventionen, neue Sozialausgaben, neue Standards dazukommen«, sagte Linder in der ZDF-Sendung »Maybrit Illner«. Schon im Januar hatte Lindner gefordert, dass das Bürgergeld 2025 nicht erhöht werden sollte, was de facto eine Kürzung bedeuten würde.
Unsicher ist hingegen, ob das Entlastungspaket für die Wirtschaft überhaupt verabschiedet wird, denn Widerstand kommt von unerwarteter Seite: Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat deutlich gemacht, dass die Union dem Wachstumschancengesetz im Bundesrat nur zustimmen wird, wenn die Ampelkoalition von ihrem Vorhaben abrückt, die Subventionen für Agrardiesel zu kürzen.
Besonders die Baubranche ist deshalb gar nicht erfreut. Der Branchenvertreter und Bauunternehmer Thomas Reimann sagte Ippen Media, er »nehme das alles mit großem Bedauern zur Kenntnis« und sei »enttäuscht«: »Ich verstehe Friedrich Merz nicht!« Man kann ihn wohl beruhigen: Dass ausgerechnet Merz die deutschen Unternehmer hängenlässt, scheint äußerst unwahrscheinlich.