26.03.2025 

CDU und AfD: Kulturkampf verbindet

von Minh Schredle

Zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 727 am 5. März 2025

“Correctiv”, die Amadeu Antonio Stiftung und die Omas gegen rechts: Beim Kulturkampf gegen links haben CDU und AfD gemeinsame Feindbilder. Auf europäischer Ebene gab es bereits eine Zusammenarbeit von rechts und ganz rechts, um Klimaschutz-Initiativen zu schwächen. 

Es war im Februar 2018: Nach der Bundestagswahl knapp fünf Monate zuvor hatte sich noch keine neue Regierung gebildet, die AfD war erstmals ins Parlament eingezogen und ihre Fraktion formulierte eine Kleine Anfrage zum Bundesprogramm “Demokratie leben!”. Dieses wurde 2014 unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ins Leben gerufen, war beim sozialdemokratisch geführten Familienministerium angesiedelt und erklärte als Ziel, sich für eine wehrhafte Demokratie und gegen Extremismus einzusetzen. Doch wohin Geld fließt, war von Anfang an umstritten. So bemängelte FAZ-Autor Markus Wehner nach den Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel im Juli 2017, dass die Regierung zu wenig nach links schaue. Der Bundesrechnungshof kritisierte in einem Prüfbericht, dass die Förderziele im Programm nicht hinreichend konkret bestimmt seien. Auch die AfD störte sich an “Demokratie leben!” – wenn auch mit anderem Zungenschlag und geradezu obsessiv. 

Ein Katalog von 39 Fragen markiert den Auftakt zu einer regelrechten Anfragenflut der AfD. Eine davon lautet: “Inwieweit hält die Bundesregierung es für mit der Verpflichtung zur Neutralität vereinbar, wenn aus dem Bundesprogramm Veranstaltungen finanziert werden, die sich gegen im Bundestag vertretene Parteien oder Gruppierungen innerhalb dieser Parteien richteten?” Unabhängig vom Umfang einer Kleinen Anfrage liegt die Frist für die Beantwortung bei 14 Tagen. Das Kabinett Merkel III kam seiner Pflicht nach, lieferte 68 Seiten voller Informationen zur Verteilung von Fördergeldern: mit detaillierten Auskünften, welche Organisationen in welchen Stadt- und Landkreisen wie viel Geld bekommen haben, um was für ein Themenfeld zu bearbeiten. Über 700 Träger erhielten projektbezogen staatliche Zuwendungen, so förderte das Programm beispielsweise 2015 eine Konzeptwerkstatt zu Antisemitismus des Heilbronner Vereins “Miteinander e.V.” mit 9.290 Euro. 

Nach einer Geldempfängerin erkundigte sich die AfD von Anfang an gezielt: “Wie beurteilt die Bundesregierung die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit der umstrittenen ‘Amadeu Antonio Stiftung’?” Antwort: “Die Amadeu Antonio Stiftung ist ein etablierter und zuverlässiger Träger – insbesondere in der Arbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.” Umstrittenen ist die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) insbesondere in rechten Kreisen: Nachdem sie eine Informationsbroschüre über Hassreden im Internet herausgab, blockierte die Identitäre Bewegung im April 2016 ein Büro der Stiftung in Berlin und beklebte selbiges mit Flyern: “Sie betreten den Überwachungsstaat”. Hartnäckig hält sich das Gerücht, das unter anderem das “Compact”-Magazin streute, die Stiftung sei im Auftrag des Bundesjustizministeriums als Zensor in sozialen Netzwerken aktiv – während sie selbst wiederholt betont hat, auf Löschungen im Internet keinen Einfluss zu haben.

Übereinstimmende Feindbilder

Der Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn urteilt in einem Gutachten, dass sich rechtsextreme und rechtskonservative Akteure wegen “punktueller gemeinsamer Interessen” gegen die AAS engagieren, weil diese “erfolgreich gegen die weitere Verbreitung rechter Propaganda” arbeite. So erfolgt die Feindmarkierung nicht nur seitens der AfD: “Tichys Einblick” bezeichnet sie als “steuerfinanzierte Diskurswächter”, die “Bild”-Zeitung nennt einen Ratgeber gegen Rechtspopulismus in Kindergärten “Schnüffel-Fibel für Erzieher”, aber auch in der FAZ knöpft sich Rainer Meyer (alias Don Alphonso) wiederholt die AAS vor. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch fordert seit Jahren, der Stiftung staatliche Geldmittel zu streichen – selbiges verlangte im Dezember 2016 auch der Bundesvorstand der Jungen Union. Die Gegnerschaft zur AAS entpuppt sich als Kristallisationspunkt für inhaltliche Schnittmengen zwischen Wertkonservativen und Rechtsradikalen: ein Milieu, das sich in Fragen der Kulturpolitik zunehmend annähert und dabei immer schrillere Töne anschlägt. Gendern, Veganismus, Klimaschutz, selbstbestimmte Frauen und die Grünen sind Triggerpunkte für die Milieus. Auch Organisationen der Zivilgesellschaft dienen vermehrt als gemeinsame Feindbilder. 

In der rechten Publizistik kam es wiederholt zu Angriffen auf das Programm “Demokratie leben!”. Eine wiederkehrende Darstellung: Das Familienministerium baue gezielt linksgrüne Vorfeldorganisationen auf. Parlamentarischer Arm der Fördergeld-kritischen Bewegung war lange Zeit ausschließlich die AfD – die dafür umso fleißiger. Vier Monate nach ihrer ersten Kleinen Anfrage zum Programm folgten im Juni 2018 Detailfragen: Zum Beispiel wollte die Fraktion jetzt wissen, wie viel Honorar der unter Klarnamen genannte Journalist Jörg Kronauer für einen Beitrag über die christliche Rechte auf dem Informationsportal “Vielfalt-Mediathek” erhalten hat. Die Bundesregierung legt das offen: Es waren 500 Euro.

Die Kleinen Anfragen sind ein Instrument, sensible Informationen offenzulegen. Daneben können sie auch eine einschüchternde Wirkung entfalten: Wir beobachten Dich – denke daran, dass Machtverhältnisse sich ändern können. Am Beispiel der USA zeigt sich gegenwärtig, wie rasch eine rechtspopulistisch-faschistoide Bewegung Säuberungsaktionen im Regierungsapparat umsetzen kann, sobald sie die Macht übernommen hat. Entsprechend verfolgen die Kleinen Anfragen der AfD eine Doppelstrategie: Zum einen erkundigen sie sich mit Signalwirkung nach bestimmten Akteuren wie “Correctiv”, den “Omas gegen rechts” oder der AAS. Zum anderen lähmen sie die Verwaltung durch den schieren Aufwand, den eine Beantwortung zur Folge hat. 

Kleine Chronik der Anfragenflut

August 2019: Die AfD will erneut eine Übersicht über die von “Demokratie leben!” geförderten Projekte. Dezember 2019: Die AfD hat weitere Fragen zu “Demokratie leben!”. März 2020: Die AfD will Genaueres zur “Förderung der Democratic Meme Factory im Rahmen des Bundesprogramms ‚Demokratie leben!‘” wissen. April 2020: Die AfD interessiert sich für die Förderung des Projektträgers “Bund für Soziale Verteidigung” im Rahmen des Bundesprogramms “Demokratie leben!”. Mai 2020: Diesmal geht es in der Kleinen Anfrage wieder allgemein um die Förderung von zivilgesellschaftlichen Akteuren durch das Bundesprogramm “Demokratie leben!”. Ähnliche Anfragen zum Bundesprogramm erfolgen im Juni, im August, im Oktober, im November und im Dezember 2020. Am 5. Januar 2021 beantragt die AfD eine Evaluierung des Programms. Ebenfalls im Januar 2021 beantwortet die Bundesregierung einen Fragekatalog der AfD, der sich auf öffentliche Aussagen eines Projektmitarbeiters von “Demokratie leben!” bezieht: Wird jetzt etwa noch weiter gefördert?, will die Fraktion wissen. 

In einer ähnlichen Schlagzahl geht es weiter. Im Oktober 2023 fragt die AfD, was überhaupt mit “Kampf gegen Rechts” gemeint sein soll:  Die Fragesteller sehen bei diesem Begriff die Möglichkeit, dass er für das “linke Milieu eine ideale Begriffswaffe” darstelle, um “jeden unbescholtenen Bürger als einen heimlichen Faschisten, Rassisten oder Antisemiten und damit als ‘menschenfeindlich’ zu denunzieren”. Sauer stößt der Fraktion ebenfalls auf, dass der Verein “PolizeiGrün” auf Twitter den früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen kritisiert und eine Brandmauer gegen rechts fordert. Also eine Kleine Anfrage dazu: Denn nach Auffassung der Fragesteller verrate die “Verwendung des Sprachgebrauchs ‘gegen Rechts’, dass sich der Verein keineswegs nur gegen tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremismus positionieren will, sondern gegen jede Form nicht linker Meinungen und Anschauungen agitiert, was, soweit dies vonseiten eines Polizeibeamten erfolgte, eine unerträgliche Verfehlung gegen das Neutralitäts- und Mäßigungsgebot darstellte und ein Dienstvergehen darstellen würde.”

Immer wieder verweist die AfD auf vermeintliche Neutralitätspflichten, denen Empfänger staatlicher Zuwendungen angeblich unterlägen, immer wieder äußert sich die Bundesregierung dazu sinngleich. Exemplarisch im Oktober 2023: “Zuwendungsempfänger sind in der Ausübung ihrer Grundrechte – insbesondere Meinungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit – während der Laufzeit von Förderprojekten nicht eingeschränkt und unterliegen nicht unmittelbar der Pflicht zur parteipolitischen Neutralität, die in erster Linie eine staatliche Pflicht ist. (…) Es steht ihnen grundsätzlich frei, im Interesse der Wahrung und Förderung des Gemeinwesens auf Missstände und Fehlentwicklungen sachlich aufmerksam zu machen.”

Omas als heimliche Strippenzieherinnen? 

Im April 2024 hatte die AfD-Fraktion mal wieder Fragen zum Bundesprogramm “Demokratie leben!” – und die Bundesregierung antwortete auf 320 Seiten: Tabellarisch aufgelistet über einen Zeitraum von vier Jahren sind sämtliche Zahlungen, oftmals geht es um einmalig 1.000 Euro. Die “Bild”-Zeitung interpretierte das so: “Regierung gibt zu: Wissen nicht, wo NGO-Geld hingeht”. Für die Springer-Presse und Hetzportalen wie “Nius” sind die AfD-Anfragen Futter, um ihre anti-linke und grünenfeindliche Agenda zu befeuern. Umgekehrt dienen ihre Berichte für weitere Anfragen – neuerdings auch der CDU: “Die Frage nach der politischen Neutralität staatlich geförderter Organisationen sorgt aktuell zunehmend für Debatten”, schreibt sie als Vorbemerkung zu ihren am 24. Februar gestellten 551 Fragen, die sich zum Beispiel danach erkundigen, wann zuletzt geprüft wurde, warum etwa die Amadeu Antonio Stiftung gemeinnützig ist. Und weiter: “Ein besonders umstrittenes Beispiel ist der Verein ‘Omas gegen Rechts’, der über das Programm ‘Demokratie leben!’ Fördermittel erhalten hat.” Die Anfrage ist eine direkte Reaktion auf Demonstrationen gegen die gemeinsame Abstimmung der CDU mit der AfD beim sogenannten Zustromsbegrenzungsgesetz. Die Union scheint einen großen Teil der Verantwortung für die Proteste bei zivilgesellschaftlichen Organisationen zu sehen. Einige Einschätzungen in ihrer Anfrage hat die CDU aus einem Bericht der Springer-Zeitung “Welt” übernommen, der konstatiert: “Die NGOs sind längst ein Staat im Staate, ein Schattenstaat oder ‘Deep State’, wie er im Buche steht.” 

Die Idee von einem “Staat im Staate” ist in Deutschland durch den Philosophen Christoph Martin Wieland popularisiert worden. Er warnte 1788 in “Das Geheimnis des Kosmopoliten-Ordens” vor Geheimgesellschaften, die als wohlmeinende und moralisch überlegene Elite auftreten, aber insgeheim die politischen Institutionen unterwandern könnten. Auch US-Präsident Donald Trump, gesponsert vom reichsten Menschen der Welt und der fossilen Lobby treu verbunden, hatte in seinem Wahlkampf mit dem Kampf gegen einen Deep State geworben – um später demokratische Institutionen zu plündern und seinen Sponsoren milliardenschwere Staatsaufträge zuzuschachern. Doch “Welt” und CDU vermuten, in Deutschland seien es die “Omas gegen rechts”, die im verborgenen die Strippen ziehen und die Regierungsgeschicke lenken. Im Übrigen ist – wegen der vielen Anfragen zu “Demokratie leben!” – lange bekannt, wie viel Geld die Omas vom Staat bekommen haben: In den Jahren 2021 bis 2024 waren es insgesamt 4.112 Euro. Viele der 551 CDU-Fragen hätten sich durch etwas Recherche erübrigt.

“Dass die Vorwürfe der Union so abstrus sind, ist kein Grund für Entwarnung, sondern ein zusätzliches Warnsignal”, kommentiert Arne Semsrott in der taz. “Der Union geht es offensichtlich nicht um Fakten, es geht ihr um rechten Kulturkampf. Die Anfrage soll einschüchtern.” Alarmierend ist zudem, dass die CDU nur nach der Neutralität von NGOs fragt, nach denen sich auch die AfD gerne erkundigt. 

Gemeinsamer Feind, gemeinsame Abstimmungen

Offiziell ist eine Zusammenarbeit der beiden Parteien auf Bundesebene noch völlig ausgeschlossen. Im Lokalen zeichnet sich jedoch ab, wie Kulturkampf verbindet. Zwar erklärte Claudius Kranz, der CDU-Fraktionsvorsitzende im Mannheimer Gemeinderat, Ende 2024, dass seine Partei einem Antrag der AfD nicht zustimmen werde, um einem linken Jugendzentrum die städtischen Zuschüsse zu streichen. Aber gegebenenfalls werde die CDU einen eigenen Antrag stellen. Und was CDU-Anträge angeht, betont Kranz: “Ich habe damit überhaupt kein Problem, wie sich die Mehrheiten am Ende des Tages bilden.” Wenn nun überall in der Republik mit Blick auf die Haushaltslage Sparrunden anstehen, ist durchaus denkbar, dass beide Parteien zu Übereinstimmungen kommen, wo bei Kultureinrichtungen im Kommunalen Kürzungspotenziale vorhanden sind. 

Auch im EU-Parlament gab es bereits eine Zusammenarbeit der christdemokratischen EVP-Fraktion mit den Rechtsradikalen, um den gemeinsamen Feind zu schwächen. “Anfang Dezember 2024 flatterten vielen Umwelt-Organisationen in Brüssel, größeren und kleineren, Briefe ins Haus, deren Inhalt ihre Arbeit einschneidend verändern dürfte”, berichtet der gemeinnützige Verein “Lobbycontrol”. Nachdem rechts und ganz rechts über Monate hinweg gegen NGOs gehetzt hatten, dürfen diese nun keine EU-Mittel mehr für politische Kampagnen einsetzen. Dabei seien eigentlich die “dominanten Akteure, für die man sich ein Gegengewicht wünscht”, vor allem große Konzerne. Diese seien “in puncto Lobbyarbeit bei der EU der Zivilgesellschaft zahlenmäßig und finanziell weit überlegen. Ein riesiges Heer von Unternehmenslobbyisten umgibt die Sitze der Macht in Brüssel und ist bei jedem einzelnen Schritt der Rechtsetzung massiv präsent.”

Eine Frau, die Türen öffnet, ist die CSU-Abgeordnete Monika Hohlmeier, die auch eine treibende Kraft beim Feldzug gegen die Klimaschutz-Initiativen war. Hohlmeier ist aktiv im Bayerischen Bauernverband und außerdem Mitglied im Aufsichtsrat der Baywa, die als Agrarkonzern auch Pestizide vertreibt. Die Abgeordnete hält wenig von Vorschlägen der EU-Kommission, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. Ebenfalls im Aufsichtsrat der Baywa sitzt CDUler Joachim Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbands. Vizepräsident ist Günter Felßner, der Präsident des Bayerischen Bauernverbands und CSU-Mitglied, den sein Parteichef Markus Söder zum nächsten Bundeslandwirtschaftsminister machen will. Die “Süddeutsche Zeitung” kommt zum Schluss: “Einen Lobbyisten ohne Mandat in ein Bundesministerium zu schicken, damit legt Söder offen, wer wirklich Landwirtschaftspolitik macht in Bayern.” Söder indessen äußert sich aktuell so: “Gerade in Ministerien der Grünen haben sich NGOs wie Kraken ausgebreitet.” Ob er damit den Bauernverband meint? Die Union-nahe Lobby-Organisation, die Kampagnen gegen die Grünen fährt, wurde allein 2023 mit 1,7 Millionen Euro von der öffentlichen Hand bezuschusst. Davon können die “Omas gegen rechts” nur träumen.