25.04.2025 

Der Kampf an der Supermarktkasse. Russland stellt nicht nur eine militärische, sondern eine politische Herausforderung dar

Von Ernst Lohoff

Ursprünglich erschienen in der Jungle World 2025/16 vom 17.04.2025

Dem russischen Imperialismus kann und darf nicht nur mit militärischen Mitteln begegnet werden. Denn auch im Westen muss die Demokratie verteidigt werden.

Schon auf die russische Invasion der gesamten Ukraine im Jahr 2022 hatten die EU-Länder und Großbritannien mit Aufrüstungsplänen reagiert, wie es sie seit dem Kalten Krieg nicht mehr gegeben hat. »Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein«, verkündete Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) Ende 2023. Diese Pläne wurden nochmals forciert, als Donald Trump erneut US-Präsident wurde.

Die EU scheint das russische Regime primär als militärische Bedrohung wahrzunehmen. Dabei ist es ein großer Fehler, die Konfrontation mit Putins Russland als klassischen zwischenstaatlichen Konflikt zu begreifen. Sie fügt sich vielmehr in eine weltumspannende autoritäre Offensive ein, in der die Grenzen zwischen Außen- und Innenpolitik verwischt werden.

Die Bevölkerung der Ukraine bekommt das gerade schmerzhaft zu spüren. Der folgenschwerste Rückschlag im Abwehrkampf gegen die russische Aggression fand womöglich nicht auf den Schlachtfeldern der Ostukraine statt, sondern bei der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl – zumindest falls Trump die militärische Unterstützung der Ukraine wirklich einstellen oder stark herunterfahren sollte.

Deshalb versucht das russische Regime ja mit zahlreichen Maßnahmen, Einfluss auf die westlichen Gesellschaften zu nehmen. So viel hat sich mittlerweile herumgesprochen: Das russische Regime betreibt eine »hybride Kriegführung« ohne scharfe Grenze zwischen Krieg und Frieden. Es nutzt nicht allein militärische Drohungen, sondern auch Cyberangriffe, Sabotage und Desinformation.

Das russische Mafiaregime schwadroniert zwar viel von nationaler Souveränität und wettert gegen die Globalisierung, agiert aber als Teil einer autoritaristischen Transnationalen. Wenn Russland im Feldzug gegen die Ukraine und in der Auseinandersetzung mit dem Westen über eine Waffe verfügt, die als „game changer” taugt, dann sind dies bestimmte politische Kräfte im Westen. Das gilt hierzulande sicher für die AfD, aber auch für das Bündnis Sahra Wagenknecht. Beide Parteien appellieren bei diesem Thema an den nationalen Eigennutz: Warum Geld für die Ukraine ausgeben, wenn man sich doch einfach mit den Herren im Kreml verbrüdern und wieder billiges Gas für die deutsche Industrie beziehen kann? Denn nur dadurch ließe sich der Untergang der deutschen Industrie aufhalten und die Lebenshaltungskosten senken.

Die heutige Weltlage wird gerne mit dem Kalten Krieg verglichen. Doch damals schmiedete die Frontstellung gegenüber der Sowjetunion das westliche Lager zusammen und beförderte den fordistischen Klassenkompromiss: Der Kapitalismus fühlte sich unter Druck gesetzt, den Arbeitern etwas zu bieten, um dem Sozialismus jegliche Attraktivität zu nehmen.

Heute dagegen zerfällt das westliche Lager. Und eine offensive sozialdemokratische Politik, mit der Absicht, autoritären Nationalisten, die Putins Ideologie teilen und/oder sich Standortvorteile von einer Kooperation mit Russland versprechen, die Wähler streitig zu machen, sucht man vergebens. Stattdessen werden der Bevölkerung Opfer abverlangt, mit der Begründung, das sei nun mal nötig, um Putin zu konfrontieren. Man denke nur an die Energiepreisexplosion nach dem russischen Großangriff 2022. Das Hochschnellen der Strompreise ist vor allem anderen der durch die Privatisierungen geschaffenen Funktionsweise der Strommärkte geschuldet.

Zusammen mit den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie führte die russische Invasion zu einem drastischen Anstieg der Lebenshaltungskosten. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts sind insbesondere die Verbraucherpreise für Lebensmittel und nichtalkoholische Getränke in den vergangenen vier Jahren um 34 Prozent gestiegen.

Doch zu diesem Thema fällt der neuen Regierungskoalition aus Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag nichts anderes ein als die Subventionierung der großen industriellen Stromverbraucher. Mit der kürzlichen Grundgesetzänderung können nun zwar deutlich mehr Schulden gemacht werden, um in die Infrastruktur zu investieren, doch ganz aufgehoben wurde die sogenannte Schuldenbremse allein für einen Bereich: das Militär. Als der Bundestag dies Anfang März beschloss, machte der Kanzler in spe, Friedrich Merz (CDU), klar, wie weit er auf diesen Weg gehen will: „Whatever it takes.“

Dabei zeigt gerade die Entwicklung in den USA, dass sich die autoritaristische Bedrohung nicht einfach durch militärische Stärke aufhalten lässt. Auch in der Auseinandersetzung mit dem russischen Regime ist die Frage aller Fragen, ob es gelingt, die Sympathisanten Putins von der Macht fernzuhalten und damit wenigstens die Europäische Union zu stabilisieren. Eine durch Panik getriebene Aufrüstungspolitik, die ansonsten den sozial- und wirtschaftspolitischen Status quo aufrechtzuerhalten versucht, ist da wenig hilfreich. Wenn der künftige Bundeskanzler die Bundeswehr in Geld ersäuft und gleichzeitig mit Einschnitten in den sozialen Sicherungssystemen liebäugelt, dann öffnet er den hiesigen Putinisten Tür und Tor.